Chinas Mars-Mission überspringt mehrere Entwicklungsstufen

Chinas erste interplanetare Raumsonde befindet sich seit dem 28. Juli auf dem Weg zum Mars. Die am frühen Morgen des 23. Juli gestartete Tianwen (auf deutsch „Fragen an den Himmel“) soll in sieben Monaten ihr Ziel erreichen. Neben dem kleinen Orbiter Hope der Vereinigten Arabischen Emirate, der am 20. Juli gestartet ist, und der US-Raumsonde „Perseverance“, die am 30. Juli gestartet ist, werden somit drei Mars-Missionen gleichzeitig unterwegs sein.

Die chinesische Marssonde Tianwen-1 beim Zusammenbau. Die ehrgeizige Mission umfaßt einen Orbiter, ein Landefahrzeug und einen Rover. Mit ihren Instrumenten wird die Sonde Experimente in mehr als einem Dutzend wissenschaftlichen Disziplinen durchführen. Quelle: CNSA

In einer Zeit, in der die Spannungen zwischen den Nationen zunehmen, haben die Verantwortlichen der Raumfahrtbehörden – zusammen mit Astronauten und Kosmonauten – betont, daß es im Weltraum keine derartigen Spannungen gibt. Alle verfolgen das gleichen Ziel – wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt –, der nur erreicht werden kann, wenn alle zusammenarbeiten, insbesondere bei Missionen zum Mars, die sehr komplex sind.

Die risikoreiche chinesische Tianwen-Mission wurde in der internationalen Presse weitgehend unterstützt, wenn nicht gar bewundert, und auch NASA-Administrator Jim Bridenstine twitterte:

„Mit dem heutigen Start ist China auf dem Weg, sich der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft auf dem Mars anzuschließen. Die Vereinigten Staaten, Europa, Rußland, Indien und bald auch die Vereinigten Arabischen Emirate werden China auf dem Mars willkommen heißen, um ein aufregendes Jahr wissenschaftlicher Entdeckungen zu beginnen. Gute Reise Tianwen-1!“

Chinas Technologiesprung

Wenn Raumfahrzeuge zu anderen Planeten gesandt wurden, sind alle Länder bisher stets schrittweise vorgegangen, um Risiken zu minimieren und den wissenschaftlichen Ertrag zu maximieren. Forschungsmissionen zu Planeten bestanden in den 1960er Jahren hauptsächlich in Vorbeiflügen, um meist unscharfe Fotos von einem Planeten zu machen. In den 1970er Jahren gelang es dann, Sonden in Umlaufbahnen um den Planeten einschwenken zu lassen und diesen sogar jahrelang zu umkreisen, um über längere Zeit detailliertere Beobachtungsdaten zu sammeln. Anders als auf dem Mond gibt es auf dem Mars jahreszeitliche Veränderungen und andere dynamische Merkmale, die nur über längere Zeiträume erfaßt werden können. Die Satelliten in der Umlaufbahn liefern die Daten, die für den nächsten Schritt – die Landung – entscheidend sind. Letztlich kann das Landefahrzeug so umkonfiguriert werden, daß es sich bewegt, und mit einigen weiteren Änderungen erhält man einen Rover. Die Chinesen, die noch nie auf dem Mars waren, beschlossen, alle drei Schritte gleich beim ersten Versuch durchzuführen.

Mit Tianwen werden zwei Ziele verfolgt: technologische Durchbrüche und wissenschaftliche Erkenntnisse selbst. Die erste chinesische Mars-Mission soll „Durchbrüche in Schlüsseltechnologien“ erzielen, um die Grundlage für komplexere zukünftige Mars-Missionen zu schaffen. Dazu gehören das Abbremsen, damit das Raumschiff von der Schwerkraft des Mars eingefangen werden kann, der Eintritt, der Abstieg und die Landung (auch die „sieben Minuten des Schreckens“ genannt, als der NASA-Rover Curiosity durch die Marsatmosphäre zur Landung ansetzte), die langfristige autonome Steuerung, die Kommunikation über große Entfernungen und die Oberflächenerkundung durch den Rover.

Der Orbiter wie auch der Rover von Tianwen sind mit einer Reihe von wissenschaftlichen Instrumenten ausgestattet, mit denen das Raumfahrzeug fünf wissenschaftliche Ziele aus mehr als einem Dutzend wissenschaftlicher Disziplinen erreichen soll. Dazu gehören:

  • Topographie, Geomorphologie und geologische Struktur des gesamten Planeten und des potentiellen Landegebiets für den Rover
  • Dicke, Zusammensetzung und Verteilung des Bodens auf dem gesamten Planeten und in der Landezone
  • Grundwasserverteilung und Wassereisdaten
  • Detaillierte Untersuchung der Hauptkandidaten für Landeplätze
  • Magnetosphäre, Ionosphäre, Atmosphäre des Mars und seine Klimaeigenschaften.

Chinesische Wissenschaftler haben die Mission so konzipiert, daß der Orbiter Zeit hat, eine detaillierte Kartierung sowohl der gesamten Marsoberfläche als auch der potentiellen Landeplätze für den Rover zu erstellen. Der Rover wird seinerseits bis zu drei Monate im Orbit verbringen, bevor er zur Landung freigegeben wird, wodurch sich die Erfolgschancen erhöhen. (Auf dem Mars liegen die Überreste von 50 Prozent der Missionen, die gescheitert sind).

Warum der Mars?

Wenn es jemanden gibt, der Fragen über die chinesische Mars-Mission beantworten kann, dann ist es Chinas bekanntester Weltraumwissenschaftler, Ouyang Ziyuan, der auch als Vater von Chang’e, Chinas Mondforschungsprogramm, bekannt ist. In einem Gespräch mit mehreren Reportern sagte der 85jährige Wissenschaftler:

„Ich bin ganz aufgeregt… Dies ist ein historischer Tag in der Geschichte der chinesischen Raumfahrt und ein Meilenstein. Er markiert den Eintritt Chinas in die Ära der Weltraumforschung. Der Traum unserer Generation ist endlich wahr geworden.

Die Marsumrundung, die Landung und die Erkundung des Mars in einer einzigen Mission, um einen technologischen Entwicklungssprung zu erreichen, ist das Merkmal der chinesischen Marserforschung. Die chinesische Marserkundung begann zwar spät, doch sie hat ein hohes Ausgangsniveau und ein großes Leistungsvermögen.“

Jahrzehntelang leitete Ouyang das chinesische Mondprogramm, verfaßte zahlreiche wissenschaftliche Studien und warb bei der Regierung für das Chang’e-Monderkundungsprogramm. Ouyang begründet nun die Mission zum Mars so: Wenn die Menschheit tiefer in den Weltraum vordringen wolle, dann sei der erste Schritt die Landung auf dem Mond und der zweite Schritt die Erforschung des Mars:

„Die Erkundung des Mars ist der derzeitige Schwerpunkt der globalen Weltraumforschung. Der Mars ist die Schwester der Erde. Wir werden den Ursprung und die Entwicklung des Mars untersuchen. Was alle am meisten interessiert, ist die Frage, ob es Leben auf dem Mars gibt. Die Suche nach Leben auf dem Mars war schon immer das erste wissenschaftliche Ziel der Marserforschung.“

Ouyang Ziyuan ist sich darüber bewußt, daß die Erforschung des Mars eine risikoreiche Mission ist. Die Menschheit sei in den letzten Jahrzehnten 47mal zum Mars vorgestoßen, doch mit einer Erfolgsquote von nur 50 Prozent. Wissenschaftler hätten auf internationalen Konferenzen über die langfristige Transformation des Mars und über die Aussichten für die Schaffung eines zweiten menschlichen Lebensraums in der Zukunft diskutiert, sagte er. Der erste Schritt zur Transformation der Marsumwelt bestehe darin, die Oberflächentemperatur des Mars zu erhöhen, die Eiskappe schmelzen zu lassen, flüssiges Wasser auf der Oberfläche zu halten und einen Treibhauseffekt zu erzeugen. Dann würden einfache Pflanzen angesiedelt, um die Zusammensetzung der Atmosphäre langsam zu verändern und die Temperatur des Mars mehr der der Erde anzunähern. Nach heutigem wissenschaftlichen Verständnis werde dieser Prozeß etwa 100 bis 200 Jahre dauern. Ouyang hat auch ein Buch zu diesem Thema geschrieben: Neuerschaffung der Erde: Wie der Mensch den Mars transformieren kann.

Die nächste Generation einbeziehen

Um das Interesse der Öffentlichkeit und insbesondere junger Menschen zu wecken, hatte China die von ihnen errichtete „Marsbasisstation“, eine simulierte Marsbasis, bereits im März 2019 der allgemeinen Öffentlichkeit freigegeben. Hier können seitdem Schüler verschiedenen Alters ein simuliertes Astronautentraining absolvieren und Überlebenstechniken im Weltraum erlernen. Auch Touristen und die Medien sind dort willkommen.

Mars-Basis in Jinchang, in der chinesischen Provinz Gansu. Quelle: C-Space

Die Station wurde auf einem 80 Hektar großen Gelände in einer marsähnlichen Wüstenregion der Qinghai-Tibet-Hochebene in der Nähe der Stadt Lenghu errichtet. Sie beinhaltet eine Mars-„Landestelle“, ein Gewächshaus, ein Auditorium und Schlafkabinen für 160 Personen. Die Räume sind durch luftdichte Tunnel miteinander verbunden. Dort werden nun junge Studenten in Astronomie und Astrophysik unterrichtet, aber es sollen zukünftig dort auch 30 Teleskope für die Nutzung durch wissenschaftliche Einrichtungen und Universitäten aufgestellt werden. Der Standort ist ideal für astronomische Beobachtungen, da die Luft trocken und der Himmel immer klar ist. Es ist geplant, das gesamte Gebiet zu einem Ort der wissenschaftlichen Forschung zu machen.

„Ich war immer der Meinung, daß eine Nation Menschen haben muß, die zu den Sternen aufschauen, damit diese Nation Hoffnung hat,“ sagte Ouyang Ziyuan.