Seitdem die USA unter Präsident Obama aus ideologischen und haushaltspolitischen Gründen die Führung in der Weltraumforschung aufgegeben haben und die NASA gezwungenermaßen wichtige Bereiche der Raumfahrt an private Unternehmen ausgelagert hat, findet seit einiger Zeit in vielen Ländern eine strategische Umorientierung statt. Neue Kooperationen bei wichtigen Weltraumprojekten werden eingeleitet, und China schickt sich an, die Stelle der Vereinigten Staaten als Führer und Pionier im Weltraum zu übernehmen.
So bedauerlich es ist, daß die USA seit Jahren kein erkennbares Konzept in der bemannten Raumfahrt mehr hat, um so wichtiger ist es, in die Zukunft zu schauen und die Potentiale internationaler Zusammenarbeit zu nutzen.
Auch die Europäische Weltraumorganisation ESA bemüht sich – in unseren Augen viel zu zaghaft – um eine strategische Neuausrichtung. Der China-Besuch des ESA-Generaldirektors Johann-Dietrich Wörner Mitte April 2016 zeigt, daß man bei der ESA in die richtige Richtung denkt. Wörner warb in China nicht nur für seine Vision eines internationalen „Monddorfes”, das allen Ländern offenstehen soll, und für eine engere Zusammenarbeit bei Weltraum-Wissenschaftsprogrammen mit China, sondern für eine Ausdehnung der Zusammenarbeit auf „globalem Maßstab”. „Der Weltraum ist jenseits aller Grenzen, laßt uns also über alle Grenzen hinweg zusammenarbeiten,” erklärte er. Inzwischen sei China neben der NASA und der russischen Weltraumagentur Roskosmos einer der drei „strategischen Partner” der ESA, so Wörner – eine deutliche Schwerpunktverlagerung, die auch etwas damit zu tun hat, daß China und Rußland ganz eindeutig den Mond als nächstes wichtiges Ziel der Weltraumforschung definiert haben. Entsprechend erklärte Wörner: „Dies ist eine Zeit der Zweifel an der Machbarkeit einer ,Reise zum Mars‘ der NASA, die noch verschärft wird durch den Mangel politischer, finanzieller oder öffentlicher Unterstützung und das Fehlen eines klaren Plans für die Zukunft der amerikanischen bemannten Raumfahrt.”
Der Schwerpunkt der Weltraumfahrt hat sich ohnehin weit nach Osten verlagert. Nicht nur wird China als nächste Mission ein Landefahrzeug auf die Rückseite des Mondes schicken (siehe den Bericht in diesem Heft), auch der neue russische Weltraumbahnhof Wostotschnij ist jetzt so weit fertiggestellt, daß am 28. April von dort eine erste Rakete in den Weltraum gestartet wurde. Dies ist für Rußland ein wichtiger Meilenstein, nachdem das Großprojekt sich durch technische und andere Probleme jahrelang verzögert und verteuert hatte. Bislang wurden die russischen Raketen immer noch auf dem ehemals sowjetischen Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan gestartet; dieser soll nach und nach durch Wostotschnij ersetzt werden.
Afrika wird Weltraumkontinent
Es lohnt sich außerdem, einen genaueren Blick auf die Weltraumaktivitäten eines Kontinents zu werfen, auf dem man dies am wenigsten vermuten würde – Afrika. In den letzten Jahren hat sich dort eine Vielzahl von Projekten von der Astronomie und der Satellitennutzung bis hin zu Plänen für die bemannte Raumfahrt entwickelt.
Auf einem Gipfeltreffen Ende Januar 2016 in Addis Abeba (Äthiopien) hat die Afrikanische Union (AU) eine gemeinsame „Afrikanische Weltraumstrategie” für den gesamten Kontinent ratifiziert, die seit 2010 ausgearbeitet und im Oktober 2015 von den Forschungs- und Bildungsministern der AU beschlossen wurde. Durch das Programm erreicht werden sollen „Eigenständigkeit, regionale Integration, Industrialisierung und intensivierte Partnerschaften”, wobei einerseits „Förderung von
Forschung, Technik und Innovation” und andererseits „Investitionen in die Entwicklung des Humankapitals”, also in die Bildung, im Vordergrund stehen. Das Hauptziel ist „die Verbesserung der Lebensqualität und die Schaffung von Wohlstand für alle Bürger” Afrikas.
Beobachter haben darauf hingewiesen, daß die typische (koloniale) westliche „Entwicklungshilfe” der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) bei diesen Projekten kaum nützen würde, weil die notwendigen Investitionen groß und langfristig seien – und zu wichtig, um sie der Weltbank oder NGOs zu überlassen.
Das BRICS-Mitglied Südafrika als das in der Raumfahrt fortgeschrittenste Land des Kontinents wird bei dieser Strategie eine wesentliche Rolle einnehmen. Die südafrikanische Regierung war schon in der Vergangenheit maßgeblich an der wissenschaftlich-technischen Entwicklung auf dem Kontinent beteiligt. Über Südafrika können sich die übrigen AU-Nationen auch an Projekten beteiligen, die von den BRICS-Staaten zum Nutzen ganz Afrikas betrieben werden.
Deswegen verwundert es nicht, daß man in London, dem Zentrum der neokolonialen Entvölkerungspolitik, über diese Perspektive nicht „amused” ist. Die Daily Mail vom 16.–17. April beschwerte sich bereits über „afrikanische Nationen, die Milliarden Pfund an britischer Hilfe erhalten, um Armut und Hunger zu bekämpfen”, aber „gewaltige Summen ausgeben, um Raketen in den Weltraum zu schießen und astronomische Forschungen zu betreiben.”
In anderen britischen Presseberichten werden die Raumfahrtaktivitäten in Afrika nach Art von anprangerndem Investigativjournalismus fast verschwörungsartig „aufgedeckt”, als handele es sich um Skandale oder kriminelle Akte:
- Nigeria hat bereits sechs Satelliten in die Umlaufbahn gebracht – davon wurden zwei in Großbritannien gebaut.
- Der nigerianische Forschungsminister Dr. Ogbonnaya Onu ist mit einer Delegation nach China gereist, um über Pläne für eine bemannte Raummission zu sprechen.
- Nigerianische Regierungsbeamte sehen im Weltraum einen notwendigen „Schlüssel zur Entwicklung”, u.a. um die Landwirtschaft zu verbessern und um die Terrorgruppe Boko Haram zu beobachten.
- Äthiopien hat das erste Observatorium Ostafrikas errichtet. Es hat zwei Teleskope, die von privaten Spendern gebaut wurden, der Staat hat kürzlich die Betriebskosten übernommen.
- Auch Kenia und Gabun denken über Weltraumprojekte nach.
Ein besonderer Dorn im imperialen Auge Londons sind die Aktivitäten Chinas in Afrika, um die Weltraumforschung dort zu unterstützen. So beschwerte sich eine britische Fernsehsendung darüber, daß die chinesische Regierung 700 Stipendien vergeben und Fachwissen zur Verfügung stellen werde, um 1000 nigerianische Raumfahrtingenieure auszubilden. Außerdem habe China angeboten, auf eigene Kosten eine Bodenstation in Nigeria aufzubauen. Diese Station wird nigerianische Wissenschaftler in die Lage versetzen, Daten von allen chinesischen Satelliten zu sammeln. Die nigerianische Regierung stelle Mittel für eine Montage- und Testanlage bereit, um bald schon eigene Satelliten bauen zu können.
Das sind ganz wichtige Schritte auf dem Weg in eine bessere Zukunft, und anstatt sich darüber aufzuregen und weiter zu versuchen, Afrika in erzwungener Rückständigkeit zu halten, sollten Europa und die USA eine eigene Entwicklungsstrategie für die Welt verfolgen – so wie es die BRICS-Nationen längst tun.
Das beste Beispiel hierfür ist die jüngste Zusammenarbeit chinesischer und indischer Wissenschaftler im Bereich der Luft- und Raumfahrt, um den Plan der BRICS-Staaten zu verwirklichen, eigene Satellitensysteme zu entwickeln und so im All unabhängig von amerikanischer Technologie und Ausrüstung zu werden. „Jede Form der technologischen Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten ist sowohl politisch wie kommerziell ein schwerwiegendes Risiko. Die BRICS-Nationen sollten die jeweiligen wissenschaftlichen und technischen Potentiale der anderen maximal ausnutzen”, erklärte ein Sprecher.
Die Tür für einen Einstieg Europas in die großen Projekte der von China gebahnten Weltraum-Seidenstraße steht noch offen. Ein mutiger Entschluß könnte auch uns von den alten imperialen Fesseln befreien und in ein neues Paradigma überwechseln lassen.