Die erfolgreiche Landung der US-amerikanischen „Mars 2020“-Mission auf dem roten Planeten markierte sicher den Höhepunkt der drei Mars-Missionen in diesem Jahr. Doch alle drei, die Emirate-Mars-, die Tianwen-1- und eben die „Mars 2020“-Mission hatten, obwohl in Ausrichtung und Ausrüstung sehr verschieden, auf ihrem Weg zum Mars gemeinsam und doch jeder für sich Hürden zu meistern, die den meisten terrestrischen Zeitgenossen fremd sind. Hier sollen die Herausforderungen kurz dargestellt werden, um den Erfolg jeder einzelnen Mission ins rechte Licht zu rücken.
Die Distanz
Der Mars ist bei guter Sicht am Nachthimmel zum richtigen Zeitpunkt mit bloßen Auge zu erkennen; dies mag aber darüber hinweg täuschen, wie weit der Planet von der Erde entfernt ist. Da Erde und Mars unterschiedliche Umlaufgeschwindigkeiten auf unterschiedlich großen Umlaufbahnen haben, variiert die Distanz. Die geringste Distanz zwischen den beiden Planeten beträgt aber ungefähr 55.000.0000 km. Diese kann unter schlechteren Konstellationsbedingungen der zwei Himmelskörper schnell auf 80.000.000 bis 100.000.000 km anwachsen, selbst wenn Mars sich in Nachbarschaft zur Erde befindet.
Bei Distanzen dieser Größenordnung beginnt die Lichtgeschwindigkeit eine Rolle zu spielen. Ein vom Mars gesendeter Lichtstrahl braucht in der kürzesten Distanz zur Erde 181,5 Sekunden, also drei Minuten. Jegliche Weltraummission ohne Funkverbindung wäre allerdings ein hoffnungs- und wertloses Unterfangen. Eine Anfrage des Kontrollzentrums an eine Sonde auf dem Weg zum Mars bringt schon die Funkwellenbewegung durch den Weltraum hin und zurück sehr früh auf ihrer Reise eine mehrminütige Verzögerung mit sich.
Die Bordtechnik
Dies führt uns zur nächsten Herausforderung: Die Technik an Bord jeder Marssonde. Mit steigender Entfernung zwischen Sonde und Erde und gleichzeitig steigender Annäherung zu Mars wird die Kontrolle der Marssonde und die Kommunikationsmöglichkeit mit ihr immer spärlicher. Schon auf der Hälfte des Weges wird nur alle drei bis vier Minuten eine Anfrage des Kontrollzentrums beantwortet. Dies bedeutet, dass die Sonde weitgehend autark auf Probleme und andere Unwägbarkeiten reagieren muss, insbesondere gegen Ende ihrer Reise. Zudem sollten Fehlfunktionen oder Bahnablenkungen schon ganz am Anfang korrigiert werden, da die Kontrolle dann noch leichter ist. Zu dem Zeitpunkt sind aber aufkommende Fehler wahrscheinlich noch meistens nicht bemerkbar!
Zur Veranschaulichung: Stellen Sie sich vor, Sie möchten frühmorgens Brötchen beim Bäcker kaufen. Sie stehen vor Ihrer Haustür. Übermüdet schauen Sie nach, ob Sie Geldbeutel und Hausschlüssel dabeihaben. Sie peilen den Bäcker auf der gegenüberliegenden Straßenseite präzise an und gehen los. Es fallen Ihnen aber hin und wieder und zudem immer länger vor Müdigkeit die Augen zu. Schon auf der Hälfte des Weges, gerade auf der Straße, schrecken Sie aus dem Schlaf auf, um nachzuschauen, daß Sie nicht überfahren wurden, nicht Schlüssel oder Portemonnaie verloren haben und auch nicht vom Weg abgekommen sind. Mit jedem Schritt näher zum Bäcker wird Ihr Schlaf länger. Die Körpermotorik muß den Weg beinahe blind gehen, während der Geist größtenteils im Dämmerzustand ist. Die Bäckermission ist für Sie unter den gegebenen Umständen schon ein voller Erfolg, wenn Sie nicht beim Erreichen des Bäckerladens mit voller Wucht gegen die Ladentür rennen!
Selbstredend bedeutet dies, daß die Elektronik an Bord nicht ausfallen darf. Dies wäre das sichere Ende der Mission. Auch sonstige Störungen, zum Beispiel mechanischer Natur, können die Sonde unbrauchbar machen. Der Weltraum ist ein unwirtlicher Ort, nicht nur für Lebewesen. Sonnenwind und kosmische Strahlung setzen der Elektronik zu, da sie elektrisch geladene Teilchen transportieren und diese auf die Außenwand der Sonde auftreffen. Ebenso kann man praktisch die gesamte Bandbreite des elektromagnetischen Spektrums im Weltraum antreffen, wenn es schlecht läuft: Von harmloserer Lichtstrahlung und Infrarotstrahlung – Hitze –, Gammastrahlung, bis UV- und Röntgenstrahlung. Gegen dieses feindliche Umfeld muß die Sonde gewappnet sein.
Die Geschwindigkeit
Eine Sonde braucht eine Geschwindigkeit von 40.000 km/h, um sich vom Erdschwerkraftfeld zu lösen. Durchschnittlich hat die Erde selbst eine Geschwindigkeit von 108.000 km/h, während der Mars mit durchschnittlich 86.000 km/h um die Sonne jagt. Sollte die Sonde der Erde entkommen sein, muß sie einen Punkt ansteuern, wo sie den Mars nach ihrer Reisezeit antreffen wird. Je kürzer dieser Weg sein soll, desto schneller muß die Sonde reisen. Gleichzeitig darf sie nicht mit übermäßiger Geschwindigkeit dort eintreffen, da sie dann vom Marsschwerkraftfeld nicht eingefangen werden kann bzw. nicht direkt auf dem Mars landen kann. Vergleichbar ist dies mit einem Sprung von dem Dach eines fahrenden Zuges auf das eines nächsten, langsamer fahrenden Zuges. Nicht nur muß die unterschiedliche Geschwindigkeit bei einem solchen riskanten Unternehmen in Betracht gezogen werden, sondern es gilt auch zu verhindern, einmal am zweiten Dach angekommen, nicht wegen der Eigenbewegung vom Zieldach herunterzufallen!
Marssonden müssen also nicht nur beschleunigen, sondern ihre Geschwindigkeit auch drosseln können. Wasser hat keine Balken, der Weltraum noch weniger. Die einzige Form der Entschleunigung ist die Beschleunigung in umgekehrter Richtung: die Sonde muß sich auf seiner Bahn umdrehen, um den Antrieb in gegengesetzter Richtung zu zünden – dies natürlich in solchem Maße, daß die Sonde weder zuviel noch zuwenig gedrosselt wird.
Mars
Der Planet selber bringt weitere Herausforderungen mit sich. Abhängig von dem Missionsziel fallen diese stärker oder schwächer ins Gewicht. Der Mars ist einer der kleinsten Planeten unseres Sonnensystems. Sein Durchmesser ist nur halb so groß wie der der Erde. Sein Schwerkraftfeld ist wesentlich schwächer. Die Gesamtoberfläche des Mars entspricht der gesamten Landfläche der Erde, wobei bei uns 80 % der Oberfläche von Wasser bedeckt ist.
Der Mars hat kein Magnetfeld. Die Orientierung mithilfe eines Kompasses ist somit unmöglich. Das terrestrische Magnetfeld dient aber nicht nur zur leichteren Navigation, es schützt die Biosphäre auf der Erdoberfläche auch vor kosmischer Strahlung. Auf einem Planeten ohne Magnetfeld kann folglich nur unter erschwerten Bedingungen Leben möglich sein. Die Marsatmosphäre ist sehr dünn. Sie entspricht von ihrer Dichte her der terrestrischen – allerdings 35 km (!) über dem Meeresspiegel, also weit höher als selbst die Flugbahnen von Flugzeugen bei uns. Sie besteht zudem fast ausschließlich aus Kohlendioxid. Aufgrund dessen kann Wasser sich an der Oberfläche nicht lange halten und würde bei einem Auftrag einfach verdampfen. Nur in tieferliegenden Kratern kann sich Wasser aufgrund des Druck- und Temperaturunterschiedes ansammeln. Die dünne Atmosphäre schützt zudem nur sehr wenig gegen die lebensfeindliche kosmische Strahlung, die, wie erwähnt, grundsätzlich leichter auf die Marsoberfläche treffen kann, da Mars kein Magnetfeld besitzt.
Dreimal Herausforderungen gemeistert
Zieht man die vorangegangenen Punkte in Betracht, ist jede erfolgreiche Marsmission eine Meisterleistung. Daß alle drei neuen Missionen erfolgreich den Mars erreichen konnten, ist also keine Selbstverständlichkeit. Zum Vergleich: Sowohl die europäische Weltraumagentur ESA als auch die russische Weltraumagentur Roskosmos hatten in jüngster Vergangenheit mit Fehlschlägen bei Marsmissionen zu kämpfen. Die geplante Landung der Schiaparelli-Sonde der ESA auf dem Mars 2016 schlug fehl, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Wegen überhöhter Geschwindigkeit zerschellte die Sonde beim Auftreffen auf der Marsoberfläche. Die Roskosmos-Sonde „Fobos-Grunt“, die auch eine chinesische Marssonde huckepack mitnahm, verließ nie das Erdschwerkraftfeld und fiel in den Pazifik. Eine gemeinsame Marsmission mit dem Namen „ExoMars“ der beiden Weltraumagenturen, der europäischen und der russischen, wurde Anfang 2020 aus Sicherheitsgründen um zwei Jahre verschoben, auch wegen der Coronavirus-Pandemie. Und dies war schon der zweite Aufschub für „ExoMars“.
Bei Wikipedia.org findet sich eine Chronologie aller Marsmissionen in tabellarischer Form, einschließlich des Erfolgsgrads jeder Mission.1 Anfangs waren die Ergebnisse eher ernüchternd. Noch deutlicher wird dies durch die angefügte Grafik. Die Mars-Pioniere USA und UdSSR hatten zur Zeit des Kalten Kriegs viele mißglückte Missionen zum roten Planeten, im Falle der UdSSR überstieg die Anzahl der Mißerfolge sogar die der erfolgreichen Missionen.
Die drei neuen Missionen ergänzen sich vom wissenschaftlichen Standpunkt betrachtet sehr gut, wobei der Missionsverlauf jedes Mal sehr unterschiedlich ist. Die NASA-Mission „Mars 2020“ der NASA ist mit ihrem sofortigen Eintritt in die Mars-Atmosphäre sicher die beeindruckendste. Ihr Landemodul enthielt das Gefährt „Perseverance“ und den kleinen Hubschrauber „Ingenuity“. Auch die chinesische Tianwen-1-Mission führt ein Fahrzeug mit sich. Es soll aber erst nach einer präzisen Bestimmung des Landepunkts durch die um den Mars kreisende Sonde herabgelassen werden. Die Sonde „Al-Amal“ der Vereinigten Arabischen Emirate verbleibt im Marsorbit und nimmt Messungen von dort vor. Jede der drei Missionen hat einen wissenschaftlichen Wert an sich, hier findet kein Schönheitswettbewerb statt. Jede einzelne ist somit konkurrenzlos. Es gibt noch viele Geheimnisse um den Mars zu lüften. Die Frage nach existierendem Leben auf dem Mars ist wohl hier die spannendste.
Zusatz: Herausforderung bemannte Raumfahrt
All dies unterstreicht die Meisterleistung erfolgreicher Missionen zum Mars. Und doch handelt es sich hierbei bisher „nur“ um die Bewegung von technischen Nutzlasten zum Mars und deren Einsatz vor Ort. Eine bemannte Marsmission liegt in weiter zeitlicher Ferne, wenn es nach den Weltraumagenturen geht. Denn die Herausforderungen potenzieren sich hierbei um ein vielfaches. Nur das private Raumfahrtunternehmen SpaceX plant noch in diesem Jahrzehnt mit dem Raumschiff „Starship“ Menschen zum Mars zu fliegen. Wieviel davon Wahrheit oder Dichtung ist, wird die Zeit und nicht zuletzt der Aktienkurs von SpaceX zeigen. Abgesehen von solchen reißerischen Ankündigungen ist die schiere Reisezeit für ein solch entferntes Ziel mit den heute verfügbaren Raketenantrieben für einen Personentransport wenig geeignet. Eine mehrmonatige Reise, auf engstem Raume und gleichzeitig lebensgefährlicher Strahlung ausgesetzt, ist eigentlich menschenunwürdig und sollte nicht erlaubt werden. Ohne wissenschaflich-technischem Durchbruch von der jetzigen chemischen zu einer atomaren Antriebstechnik für Raumschiffe wäre eine bemannte Marsmission ein nicht vertretbares Wagnis.
Fest steht, daß sich die Weltraumfahrt nach dem Ende der US-amerikanischen Apollo-Missionen, die die einzige erfolgreiche Landung von Astronauten auf dem Mond und deren Rückkehr möglich machten, vom Personentransport fast vollständig abgewandt hat, zumindest wenn es um den Transport von Astronauten außerhalb der geostationären (niedrigeren) Erdumlaufbahn geht. Buchhalterdenken und Existentialismus unserer Gesellschaft haben kulturell und wirtschaftlich dazu geführt. Es gibt nun erneut Anläufe zur menschlichen Rückkehr zum Mond von Rußland, USA und Europa, und alle sind unterstützenswert, denn der Mensch, und damit die Menschheit, wächst nur an Herausforderungen. Und die der bemannten Raumfahrt sind sicher die gewaltigsten. Für den deutsch-amerikanischen Raumfahrtpionier Krafft Ehricke, zu dessen Gedenken das Fusions-Energie-Forum 2016 eine Konferenz abhielt2 ging es bei der bemannten Raumfahrt um mehr als nur Erkenntnisgewinn oder etwa Prestige. Er sah die zwingende Notwendigkeit einer „dreidimensionalen Zivilisation“, die nur wirklich ihr volles Potential entfalten könnte, wenn sie interplanetar existierte. Würde dies nicht geschehen, drohte unserer Zivilisation ähnlich wie einer Pflanze ohne Wasser der Tod. Dieses Konzept nannte er den „extra-terrestrischen Imperativ“.
Der Ökonom und Staatsmann Lyndon H. LaRouche sah dies genauso und forderte im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 1988 als Teil seiner eigenen Kandidatur den Beginn der Marsbesiedlung mithilfe innovativer Transporttechniken und neuen Naturprinzipien, um die Wirtschaftskrise im eigenen Land und darüber hinaus erfolgreich überwinden zu können. Somit hat sich die Menschheit noch nicht der größten Herausforderung gestellt: Einen Menschen sicher auf einen anderen Planeten zu bringen. Auch dies sollte, wie so oft, für die menschliche Zivilisation nur der Anfang von etwas Neuem sein. Nur eine optimistische Kultur kann dies vollbringen. Und wenn man ein so großes Ziel vor Augen hat, werden andere Probleme unserer Zeit, die der Kriege, der Massenarmut und des Massenhungers, einfach als das angesehen, was sie sein sollten: Kinderkrankheiten einer Zivilisation, die erwachsen werden will.
Fußnote(n)