Den Mars besiedeln statt Renten kürzen!

In Deutschland scheint derzeit alles verfahren zu sein – „Reformstau“ ist dafür wohl eine massive Untertreibung. Da haben wir jahrelang eine Massenarbeitslosigkeit schlimmer als in den dreißiger Jahren, während nur noch die Finanzmärkte immer absurdere Höhenflüge veranstalten. Gleichzeitig bricht die industrielle Basis weg und die Sozialsysteme sind nicht mehr finanzierbar, niemand investiert mehr in Forschung oder Ausbildung (siehe Lehrstellenmisere), doch das sei eben der Preis für „Globalisierung“ und „shareholder value“. Kein Wunder, daß sich da ein Aberglaube breit macht, der wohl auf die Tage des Tanzes um das goldene Kalb zurückgeht. Wenn sich die Kurse der Aktienmärkte, wie dieser Tage, alle zwei Jahre verdoppeln, glauben tatsächlich immer mehr Bundesbürger, „Geld arbeite“. In einigen Ländern scheint das Geld besonders gut „gearbeitet“ zu haben, denn beispielsweise in Rumänien stiegen die Aktienkurse (jeweils auf Dollar-Basis) im ersten Halbjahr 1997 um mehr als 500%. An zweiter Stelle der internationalen Aktienmarkt-Hitliste stand in diesem Jahr Moskau, wo sich die Kurse in sechs Monaten immerhin mehr als verdoppelten.

In einem solchen Umfeld, wo die realwirtschaftliche Lage keine Rolle mehr zu spielen scheint, haben es Anlagestrategen und Sozialstaatdemonteure leicht, künftigen Rentnern weiszumachen, daß sie lieber auf ihren garantierten Anteil an der späteren Wirtschaftsleistung ihres Staates (bisher Rente genannt) verzichten und statt dessen durch persönlichen Besitz von Aktien und vielfältigsten Derivaten, d.h. durch sich auf wundersame Weise schnell vermehrendes Geld, ihren Ruhestand absichern sollten. Auf diese Weise wird nicht nur der Generationenvertrag zu Grabe getragen, so werden zudem den heute noch Beschäftigten Milliardenbeträge aus der Tasche gezogen, mit dem Ziel, eine gewaltige spekulative Finanzblase noch kurz vor ihrem endgültigen Platzen mit frischem Nachschub zu versorgen. In früheren Zeiten wäre es jedem aufgefallen, daß Geldvermehrung ohne Produktionsausweitung auf Dauer nur in Finanzkollaps und Hyperinflation enden kann.

Der Grund der Misere

Alle Finanznöte der Sozialversicherungen in Deutschland lassen sich letztlich auf zwei Ursachen zurückführen: einmal die Stagnation der technologischen Entwicklung, so daß die Wirtschaftsleistung pro Beschäftigtem nicht mehr in ausreichendem Maße ansteigt, um den wachsenden Teil der Nichterwerbstätigen, etwa der Rentner, wettzumachen; zweitens die Massenarbeitslosigkeit, mit der die sozialen Ausgaben immer weiter anschwellen und die dazu erforderlichen Sozialbeiträge und Steuern auf immer weniger Schultern verteilt werden.

Durch „gerechtere Verteilung“ der vorhandenen Arbeitszeit wäre nichts gewonnen. Sowohl technologische Stagnation als auch Massenarbeitslosigkeit können und müssen durch eine gemeinsame Anstrengung überwunden werden. In den vergangenen Jahren verharrte das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands bei etwa 3500 Mrd. DM. Um fünf Millionen neue Arbeitsplätze in den Wirtschaftsprozeß zu integrieren, wäre aber eine Ausweitung des jährlichen Produktionswertes um rund 500 Mrd. DM erforderlich.

Bei einer hochentwickelten und exportstarken Wirtschaft wie der deutschen und angesichts eines riesigen Bedarfs an Investitionsgütern weltweit ist dies keineswegs unmöglich; es erfordert aber große Forschungsanstrengungen, da nur mit der Entwicklung neuer Produkte die angestrebte Ausweitung gelingen kann. Mit Blick auf die stark im Export tätigen Wirtschaftsbranchen kann man grob schätzen, daß jede Mark an zusätzlichen Ausgaben in Forschung und Entwicklung eine Ausweitung des Produktionsvolumens von 10 DM anregt. Mithin fehlen in der deutschen Wirtschaft Forschungs- und Entwicklungsausgaben in einer Größenordnung von 50 Mrd. DM pro Jahr, um die Massenarbeitslosigkeit zu überwinden und die öffentlichen Haushalte zu sanieren.

Aber das Gegenteil findet zur Zeit statt. Anfang Juli warnte der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft (FHG) Warnecke, daß der Anteil der Forschungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt in Deutschland immer weiter zurückgehe, nämlich von einst 3,0% auf nur noch 2,2%, und dies unmittelbare Folgen für deutsche Arbeitsplätze nach sich ziehe.

Während die private Wirtschaft mit den Aufwendungen für neue Produkte knausert, fährt gleichzeitig der Staat die Forschungsförderung zurück. Bis zum Jahr 2000 sollen 11% der Max-Planck-Institute im Westen Deutschlands geschlossen werden. Eines der ersten Institute, das auf die Streichliste geriet, war das Max-Planck-Institut für Aeronomie in Katlenburg-Lindau, wo die Kameralinse des „Pathfinders“ entwickelt wurde, womit die jüngsten spektakulären Aufnahmen vom Mars gemacht wurden (siehe unsere Berichte auf S. 11-15). Die Deutsche Agentur für Raumfahrtangelegenheiten (DARA), die 1990 als Gegenstück zur NASA geschaffen worden war, soll nach dem Willen des Ministers Rüttgers wieder eingemottet, das heißt mit der DLR verschmolzen werden. Ambitionierte Projekte wie der Raumgleiter Hermes und das zweistufige Raumflugzeug Sänger wurden längst eingestellt. Dabei könnte es keinen besseren Rahmen für die technologische Wiederankurbelung der deutschen Wirtschaft geben als die gemeinsame Verpflichtung von Regierung, Wissenschaft und privater Wirtschaft auf die Realisierung eines großen Raumfahrtprojekts.

Zusätzliche Forschungsausgaben können natürlich nur dann auf fruchtbaren Boden fallen, wenn es genügend Menschen gibt, die neue Ideen entwickeln und alles daran setzen, diese umzusetzen. Letztlich hängt die Überlebensfähigkeit unserer Wirtschaft, und auch die Sicherheit unseres Rentensystems, davon ab, ob wir den technologischen Defätismus in diesem Land überwinden, der die Schaffung neuer Arbeitsplätze mehr als alles andere blockiert. Wenn die Pfadfinder-Mission dazu beigetragen hat, neue Begeisterung für die Chancen der Zukunft zu wecken, wäre schon unschätzbar viel gewonnen.