In Wilhelm von Humboldts Schriften zum Bildungswesen findet sich in dem Kapitel über die Prüfung für höhere Staatsbeamte im Schulwesen folgender, für heutige Ohren ganz ungewöhnlicher Satz:
„Nichts ist so wichtig bei einem höheren Staatsbeamten, als welchen Begriff er eigentlich nach allen Richtungen hin von der Menschheit hat, worin er ihre Würde und ihr Ideal im Ganzen setzt, mit welchem Grade intellektueller Klarheit er es sich denkt, mit welcher Wärme er empfindet…“1
Ein guter Lehrer also, so dachte Humboldt, müsse dem jungen Menschen, der auf der Suche nach Zweck und Ziel seines eigenen Lebens ist, lebendig vermitteln können, daß die Erfindungsgabe des Menschen die herausragende Eigenschaft ist, die ihm eine einzigartige Rolle im Gang der Geschichte zugewiesen habe. Unzählige Generationen vor ihm hätten um Verbesserungen und neue Einsichten, um Erfindungen und Revolutionen gerungen, haben Niederlagen hinnehmen müssen und dennoch im Ganzen genommen zu einer allgemeinen Vervollkommnung des Menschengeschlechts beigetragen. Ein guter Unterricht müsse die Idee vermitteln, daß jeder, egal an welchen Platz ihn das gesellschaftliche Leben stellen mag, einen Beitrag im Sinne dieser stetigen Vervollkommnung leisten könne.
Die Reformpläne Humboldts stammen aus dem Jahr 1809 und gelten, bis heute unbestritten, als wesentlicher Schlüssel zu einer erfolgreichen Industrieentwicklung nicht nur in Deutschland.
Da aber gerade diese erfolgreiche Industrieentwicklung durch die „grüne“ Politik mehr und mehr in Verruf gekommen ist, wird diese erfolgreiche Sichtweise immer mehr in ihr Gegenteil verkehrt. Nun werden Lehrer in der Ausbildung dazu angehalten, die Rolle des Menschen nicht nur zu problematisieren, sondern regelrecht zu hinterfragen. Der Mensch beschädige durch seine wirtschaftliche Aktivität das Klima, gefährde gar die Existenz des ganzen Planeten und sei, genau genommen, vielleicht nur ein dummer Unfall der Evolution. Kurzerhand wird so der Begriff der Menschheit aus den Angeln gehoben, die Macht der Intelligenz wird eliminiert, und an ihre Stelle tritt die größte Unordnung – einfach so, anmaßend wie die Orakel elitärer Priesterkulte. Daraus folgt, daß alles begrenzt, bestenfalls undurchschaubar und folglich apokalyptisch ist.
Die Idee des Kosmos
Auch als Wilhelm von Humboldts Bruder Alexander in den Jahren 1827/28 die legendären Vorträge über seine Weltreise und die daraus gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse hielt, war das noch ganz anders. Gerade die Idee des Kosmos, daß die Welt einschließlich des Menschen ein geordnetes Ganzes ist, zog die Leute zu Hunderten zu den Vorlesungen in die Berliner Singakademie und in die Universitätssäle.
Diese Vorträge sind uns überliefert in dem großen Werk, dem Alexander von Humboldt den Titel „Kosmos“ gab. Darin entfaltet er jenen schönen Begriff der Menschheit, von dem sein Bruder Wilhelm sich wünschte, daß jeder Lehrer eine Vorstellung davon seinen Schülern vermitteln könnte.
Hier ein paar Zitate:
„Wie seit Jahrtausenden das Menschengeschlecht dahin gearbeitet hat, in dem ewig wiederkehrenden Wechsel der Weltgestaltungen das Beharrliche des Gesetzes aufzufinden und so allmählich durch die Macht der Intelligenz den weiten Erdkreis zu erobern, lehrt die Geschichte den, welcher den uralten Stamm unseres Wissens durch die tiefen Schichten der Vorzeit bis zu seinen Wurzeln zu verfolgen weiß. Diese Vorzeit befragen, heißt, dem geheimnisvollen Gang der Ideen nachspüren, auf welchem dasselbe Bild, das früh dem inneren Sinn als ein harmonisch geordnetes Ganzes, ,Kosmos‘, vorschwebte, sich zuletzt wie das Ergebnis langer mühevoller gesammelter Erfahrungen darstellt…“2
„Das wichtigste Resultat des sinnigen physischen Forschens ist daher dieses: in der Mannigfaltigkeit die Einheit zu erkennen, von dem Individuellen alles zu umfassen, was die Entdeckungen der letzteren Zeitalter uns darbieten, die Einzelheiten prüfend zu sondern und doch nicht ihrer Masse zu unterliegen, der erhabenen Bestimmung des Menschen eingedenk, den Geist der Natur zu ergreifen, welcher unter der Decke der Erscheinungen verhüllt liegt. Auf diesem Wege reicht unser Bestreben über die enge Grenze der Sinnenwelt hinaus, und es kann uns gelingen, die Natur begreifend den rohen Stoff empirischer Anschauung gleichsam durch Ideen zu beherrschen…“3
„Der Mensch kann auf die Natur nicht einwirken, sich keine ihrer Kräfte aneignen, wenn er nicht die Naturgesetze nach Maß- und Zahlenverhältnisse kennt. Auch hier liegt die Macht in der volkstümlichen Intelligenz. Sie steigt und sinkt mit dieser. Wissen und Erkennen sind die Freude und die Berechtigung der Menschheit…“4
Diese Geisteskultur war die unsere und sie war das Fundament unseres Wohlergehens. Es gibt nur einen Weg: Wir müssen uns so schnell wie möglich entschließen, sie zurück zu gewinnen.
Fußnote(n)
- Wilhelm von Humboldt, Werke, Band 4 (Schriften zur Politik und zum Bildungswesen), „Gutachten über die Organisation der Ober-Examinations-Kommission“, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1964.[↩]
- Alexander von Humboldt, Kosmos, für die Gegenwart bearbeitet von Hanno Beck, Brockhaus Komm.-Gesch. GmbH, 1978; S. 2.[↩]
- Ebenda, S. 3.[↩]
- Ebenda, S. 25.[↩]