Der folgende Artikel basiert auf einem Vortrag des Autors, den dieser auf einem Seminar des Schiller-Instituts mit dem Titel „Wasser für den Frieden“ am 9. Januar 2024 in Paris gehalten hat.
Die ersten wasserwirtschaftlichen Aktivitäten des Menschen werden mit der Jungsteinzeit in Verbindung gebracht, die um 10.000 v. Chr. begann, während der Hund bereits 15.000 v. Chr. domestiziert wurde. Man geht davon aus, daß in dieser Zeit der Übergang von der Subsistenzwirtschaft der Jäger und Sammler zu Ackerbau und Viehzucht stattfand und Dörfer und Städte entstanden, in denen Töpferei, Weberei, Metallurgie und Kunst zu blühen begannen. Der Schlüssel dazu war die Domestizierung von Tieren. Die Ziege wurde um 11.000 v. Chr. domestiziert, die Kuh um 9.000 v. Chr., das Schaf um 8000 v. Chr. und schließlich das Pferd um 2200 v. Chr. in den Steppen der Ukraine. Die ältesten archäologischen Stätten, die landwirtschaftliche Aktivitäten belegen, wurden im Industal und im sogenannten „fruchtbaren Halbmond“1 entdeckt.
Die 1974 von den französischen Archäologen François und Cathérine Jarrige entdeckte „Stätte von Mehrgarh“ im Industal, im heutigen pakistanischen Belutschistan, zeugt von bedeutenden landwirtschaftlichen Praktiken ab 7000 v. Chr. Dort wurden zu dieser Zeit bereits Baumwolle, Weizen und Gerste angebaut und Bier gebraut. Rinder, Schafe und Ziegen wurden gezüchtet, aber Mehrgarh war viel mehr. Im Gegensatz zu dem üblichen linearen „Entwicklungsschema“ – denn wir befinden uns mitten im Neolithikum – ist Mehrgarh auch der Ort der ältesten Töpferei Südasiens und vor allem des „Amuletts von Mehrgarh“, des ältesten im Wachsausschmelzverfahren gegossenen Bronzeobjekts. Auch die ersten mit geometrischen Motiven verzierten Siegel aus Ton oder Knochen wurden hier gefunden. Was die Technik anbelangt, so wurden dabei winzige Bogenbohrer verwendet, die möglicherweise auch zur Zahnbehandlung verwendet wurden, wie durchbohrte Zähne an einigen Skeletten belegen, die an dort gefunden wurden.
Zur gleichen Zeit oder kurz danach, um 6000 v. Chr., erlebte Mesopotamien zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris eine rasante Entwicklung des Städtebaus, was sich in Demographie, Institutionen, Landwirtschaft, Technik und Handel ausdrückte. In der Region entstand ein regelrechter „Fruchtbarer Halbmond“, der sich von Sumer über ganz Mesopotamien und die Levante, d. h. Syrien und das Jordantal, bis nach Ägypten erstreckte.
Bewässerung
Ob im Industal, in Mesopotamien oder in Ägypten, die frühesten Bewässerungstechniken bestanden darin, Wasser zu sammeln, wenn Mutter Natur es den Menschen schenkte. Regenwasser wurde in Zisternen gesammelt, und wenn Schneeschmelze oder Monsunregen die Flüsse anschwellen ließen, galt es, die saisonalen „Überschwemmungen“ durch Kanäle und Gräben, die das Wasser so weit wie möglich ableiteten, zu verstärken und zu steuern und gleichzeitig die Ernten zu schützen. Hinzu kommt, daß beispielsweise in Ägypten, wo der Nil regelmäßig um etwa 8 Meter anstieg, das Wasser nicht nur Feuchtigkeit, sondern auch fruchtbaren Schlamm in den Boden in Flußnähe bringt, der die Pflanzen mit den für ihr Wachstum notwendigen Nährstoffen versorgt und so die Fruchtbarkeit des Bodens erhält. Während die Ägypter über die harte Arbeit der Bauern klagten, war das Land für den griechischen Geschichtsschreiber und Weltreisenden Herodot der Ort auf der Welt, an dem die Arbeit am wenigsten beschwerlich war. Über Ägypten schreibt er:
„Das Erdreich… ist schwarz, tiefgründig und schlammig, weil es aus Schlick und Bodensatz besteht, den der Fluß zu Tal geführt hat… Jetzt freilich ernten sie dort die Früchte ihres Landes mit weniger Mühe als alle andere Völker und die übrigen Ägypter. Sie brauchen sich nicht damit zu quälen, das Land zu pflügen und zu behacken, und haben nicht nötig, ihre Felder wie andere Leute mühsam zu bestellen, sondern der Fluß kommt von selbst und bewässert sie. Hinterher, wenn er wieder zurücktritt, besät dann jeder sein Stück Land, treibt die Schweine darauf, und wenn die Schweine die Saat eingetreten haben, wartet er die Ernte ab.“2
In Mehrgarh, wo die Landwirtschaft bereits um 7000 v. Chr. entstand, war die Arbeit komplexer. Das Entwässerungssystem rund um das Dorf und die Überreste von Dämmen zur Verhinderung von Staunässe zeigen, daß die Bewohner die damit verbundenen Prinzipien verstanden. Der Anbau von Baumwolle, Weizen und Gerste sowie die Domestizierung von Tieren zeigen, daß sie auch mit Kanälen und Bewässerungssystemen vertraut waren. Diese ständig weiterentwickelten Kenntnisse ermöglichten es der Zivilisation im Industal, große Städte zu errichten, die durch ihre Modernität beeindrucken, allen voran Harappa und Mohenjo Daro, eine Stadt mit 40.000 Einwohnern, in deren Zentrum kein Palast, sondern ein öffentliches Bad stand. Diese Städte waren Pioniere der modernen Hygiene: Sie waren mit kleinen Behältern ausgestattet, in denen die Einwohner ihre Haushaltsabfälle entsorgen konnten. Viele Städte verfügten über eine öffentliche Wasserversorgung und ein ausgeklügeltes Abwassersystem, das unsere Komplettkanalisation vorwegnahm, wie sie Leonardo da Vinci im 16. Jahrhundert vorschwebte In der Hafenstadt Lothal (heute Indien) zum Beispiel hatten viele Häuser private Bäder und Latrinen aus Ziegelsteinen. Die Abwässer wurden über ein kommunales Abwassersystem entsorgt, das entweder in einen Kanal im Hafen oder in eine Sickergrube außerhalb der Stadtmauern führte, oder in vergrabene Gefäße, die mit einem Abflußloch versehen waren und regelmäßig geleert und gereinigt wurden. Die Ausgrabungen in Mohenjo Daro belegen die Existenz von nicht weniger als 700 gemauerten Brunnen, Häusern mit Bädern sowie einzelnen und gemeinschaftlichen Latrinen. Viele Gebäude der Stadt hatten zwei oder mehr Stockwerke. Das Wasser, das aus den Zisternen auf den Dächern abfloß, wurde durch geschlossene Tonrohre oder offene Rinnen geleitet, die in überdachte Abwasserkanäle unter der Straße mündeten. Dieses wassertechnische und sanitäre Wissen wurde an die Zivilisation von Kreta weitergegeben, der Mutter Griechenlands, bevor es von den Römern in großem Maßstab umgesetzt wurde. Mit dem Zusammenbruch des Römischen Reiches geriet das Wissen in Vergessenheit, bis es in der Renaissance wieder aufgegriffen wurde.
Die persischen Qanats
Die ersten wasserwirtschaftlichen Anwendungen des Menschen hatten das Ziel, Wasserreservoire einzurichten und deren Fließfähigkeit zu verbessern. Um dies zu erreichen, war es notwendig, Wasser aus der Ebene in höher gelegene Gebiete zu leiten und „Wassertürme“ zu bauen. Zu diesem Zweck war der mesopotamische „Schaduff“ in Ägypten weit verbreitet, später gefolgt von der archimedischen Schraube. Als nächstes kam die „Saqiyah“ oder das „Persische Rad“, ein durch Tierkraft angetriebenes Zahnrad, und schließlich die „Noria“, die bekannteste Wasserschöpfmaschine, die vom Fluß selbst angetrieben wurde.
Vor der Ankunft Alexanders des Großen entwickelte bereits das Achämenidenreich in Persien (6. Jahrhundert v. Chr.) die Technik der unterirdischen Qanats oder unterirdischen Aquädukte. Diese in den Fels gehauenen oder von Menschenhand errichteten „Entwässerungsstollen“ sind eine der genialsten Erfindungen zur Bewässerung in trockenen und halbtrockenen Regionen. Auch wenn sich unsere Umweltschützer daran stören mögen, es ist nicht die Natur, die auf magische Weise „Oasen“ in der Wüste hervorbringt. Es ist ein wissenschaftlich denkender Mensch, der einen Entwässerungsstollen gräbt, um das bodennahe Grundwasser abzuleiten, manchmal auch aus einem Flußbett, das in der Wüste endet.
Auf der Webseite von ArchéOrient erläutert der Archäologe und Iran-Spezialist Rémy Boucharlat, emeritierter Forschungsdirektor des CNRS, die Planung eines Qanats:
„Unabhängig von der Herkunft des Wassers, ob tief oder flach, ist die Technik für den Bau des Stollens die gleiche. Zunächst muß das Vorhandensein von Wasser festgestellt werden, entweder ein Unterlauf in der Nähe eines Flusses oder ein tieferer Grundwasserspiegel in einem Vorgebirge, was die Wissenschaft und Erfahrung von Spezialisten erfordert. Ein Mutterbrunnen erreicht den oberen Teil der Wasserschicht oder des Wasserspiegels, der anzeigt, wie tief der Stollen gegraben werden muß.
Das Gefälle des Stollens darf nur sehr gering sein, weniger als 2 Promille, um einen ruhigen und gleichmäßigen Wasserfluß zu gewährleisten und um das Wasser allmählich an die Oberfläche zu bringen, mit einem Gefälle, das weit unter dem des Vorgebirges liegt. Der Stollen wird dann gegraben, nicht vom Mutterbrunnen her, da dieser die Grabung sofort fluten würde, sondern vom Tal her, also vom Ankunftspunkt aus. Der Schacht wird zuerst in einem offenen Graben, dann in einem überdachten Graben und schließlich in einem Tunnel in den Boden getrieben. Für den Abtransport des Erdreichs und die Belüftung während des Vortriebs sowie zur Bestimmung der Richtung des Tunnels werden von der Oberfläche aus in regelmäßigen Abständen Schächte zwischen 5 und 30 Metern je nach Bodenbeschaffenheit gegraben.“
Historisch gesehen war die Mehrheit der Bevölkerung im Iran und in anderen trockenen Regionen Asiens und Nordafrikas auf die Wasserversorgung durch Qanats angewiesen; die Siedlungsgebiete entsprachen daher den Orten, an denen ihr Bau möglich war. Die Technik bietet einen entscheidenden Vorteil: Da das Wasser durch eine unterirdische Leitung fließt, geht kein Tropfen Wasser durch Verdunstung verloren. Diese Technik verbreitete sich auf der ganzen Welt, allerdings unter verschiedenen Namen: Sie heißt „Qanat“ und „Kareez“ in Iran, Syrien und Ägypten, „Kariz“ oder „Kehriz“ in Pakistan und Afghanistan, „Aflaj“ in Oman, „Galeria“ in Spanien, „Kahn“ in Belutschistan, „Kanerjing“ in China, „Foggara“ in Nordafrika, „Khettara“ in Marokko, „Ngruttati“ in Sizilien und „Bottini“ in Siena. Von den Griechen verbessert, von den Etruskern und Römern weiterentwickelt, wurde die Qanat-Technik von den Spaniern über den Atlantik in die Neue Welt gebracht, wo in Peru, Chile und im Westen Mexikos noch heute zahlreiche unterirdische Kanäle dieser Art in Betrieb sind. Nach Alexander dem Großen war Baktrien, das Teile des heutigen Usbekistans, Turkmenistans und Nordafghanistans umfaßte, sogar als „Oasenkultur“ oder „Land der 1000 goldenen Städte“ bekannt. Noch heute beträgt die Gesamtlänge der 30.000 (heute potentiell nutzbaren) Qanat-Systeme im Iran ca. 310.800 km, was bei einer durchschnittlichen Länge von 6 km pro Qanat etwa dem 7,7-fachen Erdumfang entspricht!
Verteilte Verantwortung
Im Jahr 1017 lieferte der Bagdader Hydrologe Mohammed Al-Karadschi eine detaillierte Beschreibung der Bau- und Instandhaltungstechniken der Qanate sowie rechtliche Überlegungen zur gemeinschaftlichen Verwaltung der Brunnen und Leitungen. Jedes Qanat wird zwar von einem „Mirab“ (Wünschelrutengänger, Entdecker) geplant und überwacht, doch der Bau eines Qanats ist eine kollektive Aufgabe, die für Monate oder gar Jahre ein Dorf oder sogar mehrere Dörfer in Anspruch nimmt. Die Unumgänglichkeit gemeinschaftlicher Investitionen in die Infrastruktur und ihre Instandhaltung erforderte eine übergeordnete Vorstellung von Gemeinwohl, das dem Konzept von Privateigentum entgegenstand, an das sich Niederschläge und Flüsse nunmal nicht zu halten pflegen. In Nordafrika wurde die Verteilung des Wassers aus einer Khettara (die dortige Bezeichnung für Qanat) durch traditionelle Richtlinien geregelt, die auch als „Wasserrechte“ bekannt sind. Ursprünglich entsprach die jedem Nutzer zugeteilte Wassermenge seinem Arbeitsanteil beim Bau der Khettara und wurde in die Bewässerungsperiode umgerechnet, in der der Begünstigte die gesamte Wassermenge der Khettara für seine Felder nutzen konnte. Auch heute noch, wenn die Khettara nicht ausgetrocknet ist, gelten diese Regelungen der Wasserrechte. Auch die Größe der zu bewässernden Felder der einzelnen Familien wird dabei berücksichtigt. All dies zeigt, daß die Natur Wunder vollbringen kann, wenn Mensch und Natur gut zusammenarbeiten.
Fußnote(n)
- Das besonders fruchtbare Gebiet in Südwestasien und im Nilbecken, in dem heute Ägypten, Israel, Jordanien, der Süden der Türkei, Kurdistan, Libanon, Syrien, Zypern, der Irak und der westliche Iran liegen, und das die Form eines Halbmondes bildet.[↩]
- Aus: „Das Geschichtswerk des Herodotos von Halikarnassos“, Insel-Verlag, 1956, S. 126 f.[↩]