Gentechnik und Menschenwürde

Nachdem das Klonschaf Dolly für weltweite Schlagzeilen sorgte, haben sich Forscher nun an die Klonierung menschlicher Embryonen gemacht. Wird hier eine Grenze des moralisch Zulässigen überschritten? Wie kann man verhindern, daß unverzichtbare ethische Grundsätze unversehens über Bord gespült werden?


Die Ankündigung des britischen Genforschers Ian Wilmut, der vor zwei Jahren in Schottland das berühmte Klonschaf Dolly erzeugte, er wolle nun auch menschliche Embryonen klonen, hat für weltweiten Aufruhr gesorgt. Tatsächlich war es bereits Ende letzten Jahres koreanischen Forschern von der Kyunghee-Universität in Seoul erstmals gelungen, menschliche Zellen zu klonieren; der Versuch wurde allerdings nach einigen Zellteilungen abgebrochen. Ein Forschungswettlauf hat damit begonnen, sicher auch ein entscheidender Grund für Wilmuts Sinneswandel, der immer erklärt hatte, sich an derartigen Experimenten nicht beteiligen zu wollen.

Der britische Genforscher Ian Wilmut bei einer Anhörung im amerikanischen Senat 1997 über die öffentlichen Konsequenzen der Klonierungstechnik. Rechts neben ihm Senator Bill Frist.

Zur Rechtfertigung seiner Versuche behauptet Wilmut nun, daß sie ausschließlich medizinisch motiviert seien. Er wolle die geklonten Embryos nutzen, um sogenannte Stammzellen zu gewinnen, aus denen sich jede Art menschlicher Zellen züchten ließe.1 Mittels dieser Zellen könne dann beispielsweise Menschen geholfen werden, die an der Alzheimer- oder der Parkinsonschen Krankheit leiden. Auch die Produktion von „Designer-Organen“ mittels geklonter Embryonen sei denkbar. Insgesamt seien seine Versuche zur Therapie verschiedener Krankheiten „von unschätzbarem Wert“.

Um Wilmuts Behauptungen und die gesamte moderne „Gentechnologie“ angemessen beurteilen zu können, müssen zunächst einige fundamentale Fragen zur Klontechnik selber beantwortet werden.

Was ist „Klonen?“

Beginnen wir damit, zu beschreiben, was beim Klonieren geschieht. Viele der beschriebenen Vorgänge sind keineswegs einfach, sondern entweder gentechnologisches „Neuland“ oder erst nach vielfältigem „Probieren“ durchführbar. Beim Klonschaf Dolly, um ein konkretes Beispiel zu nehmen, entnahmen die Forscher dem Euter eines erwachsenen Schafes eine Körperzelle und isolierten den Zellkern, der die gesamte Erbinformation (DNA) des Schafes enthält. Dann wurde einem anderen Schaf eine unbefruchtete Eizelle entnommen und deren Zellkern entfernt. Im Labor verschmolz man nun den Zellkern der Körperzelle und die „entkernte“ Eizelle unter Einwirkung von Elektrizität. Die solchermaßen aktivierte Eizelle begann sich zu teilen und wurde in die Gebärmutter eines dritten Schafes verpflanzt, das „Dolly“ zur Welt brachte.

Das erstaunlichste Phänomen für den Laien besteht sicherlich in der Tatsache, daß bei dieser Klontechnik die Befruchtung einer Eizelle durch eine Samenzelle nicht mehr erforderlich ist, um neues Leben zu erzeugen. Der Grund hierfür liegt in einer Umgehung des natürlichen Vorgangs. Während Ei- und Samenzelle für sich genommen nur je die Hälfte der erforderlichen Chromosomen aufweisen, sind diese in jeder einzelnen Körperzelle bereits vereint. Bringt man diese „Information“ also in einem „Kurzschlußverfahren“ in eine Eizelle ein und ist man weiter in der Lage, diese zur Teilung zu bewegen, ist der Effekt derselbe wie bei dem natürlichen Befruchtungsvorgang.

Klone sind aus diesem Grund auch identische Kopien lebender Organismen, die in der Regel bei der geschlechtlichen Vermehrung nicht entstehen. Die einzige Ausnahme davon sind eineiige Mehrlinge. Sie entstehen dadurch, daß bei einer befruchteten Eizelle aus bislang unbekannten Gründen der normale Teilungsrhythmus beim Zwei- oder Vierzellenstadium unterbrochen wird und sich die einzelnen Zellen getrennt weiterentwickeln. Da sie aber ursprünglich aus einer einzigen befruchteten Eizelle stammen, sind die nun in getrennten Entwicklungsgängen heranwachsenden Organismen genetisch identisch.

Daß die Klonierung von Säugetieren aus Körperzellen aber überhaupt möglich ist, hat die Wissenschaftler insofern überrascht, als sie bisher annahmen, nur Embryonalzellen seien während der ersten Teilungsschritte mit der sogenannten „totipotenten“ Fähigkeit ausgestattet, sich zu einem vollständigen Lebewesen zu entwickeln, nicht aber Körperzellen in späteren Entwicklungsstadien. Körperzellen besitzen zwar den gleichen intakten Satz von Genen, doch sind sie vor allem in vielzelligen Organismen in ihrer Funktion extrem spezialisiert. So erbringen z. B. Nervenzellen nur nervenspezifische Aufgaben, Leberzellen nur leberspezifische Funktionen usw. Im Falle von Dolly fanden die Wissenschaftler jedoch „totipotente“ Körperzellen im Euter der Tiere. Ob dies auch auf anderes oder jedes beliebige Zellmaterial eines Säugetieres zutrifft oder ob sich diese Eigenschaft im Laufe der Zeit verliert, ist noch unklar.

Doch zurück zum Klonschaf Dolly. Vom praktischen Standpunkt stellt sich jedem sofort die Frage, wozu das Klonen von Schafen eigentlich gut sein soll, wo es doch genügend Schafe auf der Welt gibt, die ihre Gattung freudig und freiwillig auf natürlichem Wege fortpflanzen? Von den unterschiedlichen Versuchen, Nutzen aus dem Klonen von Tieren zu ziehen, ist das sogenannte „Genpharming“ wahrscheinlich am weitesten gediehen.

Verschiedene Tierarten können für die Produktion von medizinisch wichtigen Eiweißbestandteilen eingesetzt werden. Die entsprechende menschliche DNA-Information zur Produktion des gewünschten menschlichen Proteins wird dabei gleich zu Beginn der Embryonalentwicklung in das tierische Erbgut transferiert.2 Auch in Deutschland wird an der Herstellung pharmazeutischer Proteine in Tieren geforscht. Dem Institut für Tierzucht und Tierverhalten der Bundesforschungsanstalt in Mariensee bei Hannover ist es beispielsweise gelungen, im Euter eines Schafes den menschlichen Blutgerinnungsfaktor VIII produzieren zu lassen, der dann als Bestandteil der Milch beim Melken gewonnen wird.

Das genetisch bedingte Fehlen dieses Faktors führt beim Menschen zur Bluterkrankheit. Bislang wird der Gerinnungsfaktor VIII in einem aufwendigen und teuren Verfahren aus menschlichem Spenderblut gewonnen – das „Pharming“ eröffnet jedoch die theoretische Möglichkeit, dieses Protein eines Tages in jeder benötigten Menge herzustellen.

Zwar sind auch Mikroorganismen in der Lage, menschliche Eiweiße zu produzieren. Insulin z. B. wird mit Hilfe gentechnisch veränderter Bakterien gewonnen. Bei Faktor VIII und anderen „großen Proteinen“ stößt diese Methode jedoch an ihre Grenzen. Große und komplizierte Eiweißmoleküle verlangen Syntheseschritte, die Bakterien mit ihrem kleinen Genbestand nicht beherrschen. Einstweilen jedoch ist die Ausbeute von Faktor VIII in Mariensee noch gering und bewegt sich im Bereich von Nanogramm; derzeit werden vor allem die Regulationsmechanismen des übertragenen Gens erforscht, um dessen Wirkung zu verstärken.

Doch um auf die Frage nach dem Sinn des Klonierens dieser Tiere zurückzukommen: es gibt ein zentrales Problem, wenn man Medikamente mit Hilfe großer Nutztiere gewinnen will. Man benötigt möglichst schnell und preiswert viele dieser – sogenannten transgenen – Tiere. Würde man sich hier auf die natürliche Fortpflanzung verlassen, dann wäre zumindest jeder zweite Nachfahre, nämlich die Männchen, für den angestrebten Zweck unbrauchbar: Sie geben schließlich keine Milch. Doch auch an die weiblichen Nachkommen wird immer nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit das entscheidende menschliche Gen weitervererbt. Der Aufbau einer Herde zur Medikamentenproduktion wäre auf diesem Wege also ein umständliches und langwieriges Unterfangen.

In dieser Situation kann das Klonen erwachsener Tiere, die das betreffende Gen bereits in sich tragen, diesen wesentlichen Nachteil des Pharming aus der Welt schaffen. Für den Aufbau einer Herde ist dann nicht mehr jahrzehntelange Züchterarbeit nötig, sondern es genügt eine Generation. Außerdem ist jeder Nachkomme eines transgenen Tieres beim Klonen ebenfalls mit Sicherheit transgen. Mittlerweile haben alle drei großen Unternehmen, die sich weltweit mit Pharming befassen, eigene Klon-Experimente mit Kühen durchgeführt; kürzlich haben Münchner Tiermediziner mit „Uschi“ das erste Klonkalb geschaffen.

In der Landwirtschaft hingegen sind geklonte Tiere nicht unbedingt sinnvoll. Denn anders als in der Medikamentenproduktion kommt es dort nicht auf genetische Identität, sondern auf genetische Vielfalt an, da nur so die Bestände langfristig gesichert werden können. Die Schaffung großer, ausschließlich geklonter Viehbestände, könnte sich daher eines Tages als verhängnisvoller Irrweg erweisen.

Geklonte Spenderorgane

Als das Schaf „Dolly“ das Licht der Welt erblickte, brach auch in einer anderen Fakultät Euphorie aus. Verschiedene Forscher beschäftigen sich nämlich mit der Frage, ob und wie es möglich ist, dem Mangel an Spenderorganen für Transplantationen abzuhelfen, indem man Tiere als Organlieferanten für den Menschen benutzt. Eigentlich wären Menschenaffen die idealen Organspender, doch dies wurde bislang nicht nur aus Mengengründen, sondern auch aus „tierethischen Gründen“ nicht in größerem Umfang weiterverfolgt. Als Ersatz dafür mußte das Schwein herhalten, bei dem Größe, Proportionen und verschiedene physiologische Merkmale einigermaßen gut zu den humanen Erfordernissen passen.

Versuche, Tierorgane auf den Menschen zu übertragen (die sogenannte „Xenotransplantation“), gibt es seit über einem Jahrhundert. Aufgrund der heftigen Abstoßungsreaktion des Immunsystems im Empfänger waren solche Transplantationen jedoch zum Scheitern verurteilt. Seit einigen Jahren wird deshalb versucht, Tiere gentechnisch so zu verändern, daß ihre Organe auf den Menschen übertragbar sind.

Überaus vereinfacht gesagt, wird in die Erbinformation eines Schweines ein Gen eingesetzt, das bestimmte menschliche Eiweiße produzieren kann. Diese Proteine setzen sich dann an der Oberfläche der tierischen Zellen fest und verleihen ihnen ein menschliches „Antlitz“. Die sogenannte „Humanisierung“ der Spendertiere soll dafür sorgen, daß das Transplantat vom Immunsystem des Menschen nicht mehr als fremd erkannt wird, die Abwehr des Empfängers also gleichsam „ausgetrickst“ wird und die sofortige zerstörerische Immunreaktion unterbleibt. Eine Nachbehandlung durch die Gabe von Immunsuppressiva wäre allerdings auch bei Xenotransplantaten nötig, um eine – wenn auch zeitlich verzögerte – Transplantatabstoßung zu verhindern.

Die Xenotransplantations-Forschung konzentriert sich derzeit auf Schweineherz und -nieren, wenngleich Kritiker darauf hinweisen, daß diese biochmechanisch nicht auf einen aufrechtgehenden Organismus abgestimmt sind.

Das scheint noch ein vergleichsweise unerheblicher Einwand zu sein. Neben einer Vielzahl (gen)technischer Probleme besteht aus medizinischer Sicht auch Ungewißheit darüber, ob nicht mit dem Tierorgan Infektionen vom Schwein auf den Menschen übertragen werden können, wobei besonders virale Infektionen zu nennen wären. Erst kürzlich wurden zwei Retroviren beim Schwein entdeckt, die mit dem AIDS-Erreger HIV 1 und einem Leukämievirus, dem HTLV 1, verwandt sind. Untersuchungen belegen zudem, daß Schweine – unabhängig von der Frage der Xenotransplantation – eine Reihe von Erregern aufweisen, die auch den Menschen infizieren können.

Außerdem könne niemand die Gefahr von bislang unbekannten Keimen abschätzen, argumentiert der Mikrobiologe Robin Weiss vom Krebsforschungsinstitut in London. In den Erbinformationen der Tiere versteckte Retroviren könnten mit dem transplantierten Gewebe eingeschleust und im Organempfänger aktiviert werden. „Auch das AIDS-Virus hat schließlich den Sprung vom Tier auf den Menschen gemacht“, so Weiss. Wer könne sagen, wie sich Erreger im Körper des Empfängers verhielten? Dessen Immunsystem werde nach einer Transplantation schließlich auch noch zusätzlich medikamentös unterdrückt, so weitere Kritiker, die auch darauf hinweisen, daß sich bei diesem Vorgang sogar ganz neue, gefährliche Erreger bilden könnten.

So konzentriert sich derzeit die Forschung auch auf die Risikopotentiale. Wären diese eines Tages auszuschließen, sei nach Auffassung von Transplantationsmedizinern denkbar, Tierorgane „übergangsweise“, d. h. bis zu etwa 5 Jahren, auf Menschen zu übertragen, bis ein geeignetes menschliches Spenderorgan gefunden ist, das dann endgültig im Empfänger verbleiben kann. Auf diesen Übergangscharakter weist auch Prof. Hammer vom Institut für chirurgische Forschung der Universität München hin: „Die Xenotransplantation ist eine Notlösung. Wenn wir unsere Spendenbereitschaft verdreifachen würden, bräuchten wir das nicht.“

Transgene Schweine gibt es bereits, so etwa im schon erwähnten Marienseer Institut für Tierzucht und Tierverhalten als Teil des Sonderforschungsbereiches Xenotrasplantation der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der MHH und dem Fraunhofer Institut in Hannover. Weltweit wird Grundlagenforschung mit derartigen genmanipulierten Tieren betrieben. Doch der Weg zu solch einem sicheren „Übergangsorgan“, falls in Anbetracht der angesprochenen Risiken eine solche Lösung überhaupt jemals verantwortet werden kann, ist noch lang. Erst dann aber, und hier sind wir wieder bei unserem eigentlichen Thema, dem „Klonen“ solchermaßen präparierter Organlieferanten, ist das Klonieren dieser Tiere überhaupt aktuell. Dann jedoch wären viele dieser Tiere erforderlich, um schnell einen genügend großen „Organpool“ zur Verfügung zu haben.

Die Grenzen des „Klonens“ beim Menschen

Wenden wir uns nun den aktuellen Klonierungsvorhaben beim Menschen zu. Wie bereits anfangs gesagt, gelang es koreanischen Forschern Ende letzten Jahres erstmals, menschliche Zellen zu klonen. In die entkernte Eizelle einer Frau übertrugen sie das genetische Material aus einer anderen Zelle ihres Körpers. Im Labor begann sich die Zelle daraufhin zu teilen; der Versuch wurde dann im Vier-Zellen-Stadium abgebrochen.

Der schottische Genetiker Ian Wilmut geht einen entscheidenden Schritt weiter. Er will geklonte embryonale Stammzellen nutzen, um aus diesem „Rohstoff“ menschliche Ersatzgewebe oder gar naturidentische Organkopien herzustellen. Erinnern wir uns: embryonale Stammzellen sind „neutral“, also noch nicht auf eine spätere Funktion festgelegt oder spezialisiert. Theoretisch könnten sie sich zu jeder Art gewünschtem Zelltyp weiterentwickeln, wenn man sie in entsprechendes Gewebe verpflanzt.

Praktisch stellt man sich das folgendermaßen vor: Man entnimmt einem Patienten, der beispielsweise an Herzmuskelschwäche leidet, eine Zelle und bringt deren Kern mit einer entkernten Eizelle zusammen. Ein elektrischer Impuls bewirkt, daß sich ein Embryo entwickelt. Nach einigen Tagen isoliert man embryonale Stammzellen – wobei die Embryonen absterben –, bringt die Stammzellen im Labor dazu, daß sie zu Herzmuskelzellen werden, die man schließlich in das Herz des Patienten injiziert. Der Vorteil: Weil das neue Gewebe vom Patienten selber geklont wurde, gäbe es keine Abstoßungsreaktionen. (Dieses Verfahren wird auch als Ersatz für verschlissenes Knorpelgewebe im Knie, für Hautzellen oder zerstörte Nervenzellen im Gehirn diskutiert).

Eines sollte man hierbei wissen. Wähernd im Bereich „Ersatzgewebe“ ansatzweise bereits Experimente durchgeführt wurden, ist der Bereich „Designer-Organe“ noch blanke Utopie. Bislang ist noch nicht einmal im Tierversuch ein Weg gefunden worden, der von Stammzellen zu ausgewachsenen Organen führt.

Dessen ungeachtet dürfen aber Klon-Experimente am Menschen – anders als beim Tier – nicht allein unter dem Gesichtspunkt des Sinns und „Nutzens“ diskutiert und beurteilt werden. Im Falle der Erzeugung menschlichen Lebens mit dem ausschließlichen Zweck der Gewinnung embryonaler Stammzellen wird aber ganz offensichtlich eine sensitive, kritische Grenze überschritten. Denn in diesem Fall wird menschliches Leben nicht erzeugt oder gezeugt, damit nach neun Monaten ungestörter Entwicklung ein neuer Mensch entsteht. Sein Leben wird vielmehr von vornherein als eine Art Ersatzteillager für einen bereits existierenden Menschen instrumentalisiert. Die Instrumentalisierung des Menschen aber zu einem anderen Zweck als dem, der er selber ist, ist ethisch im höchsten Grade verwerflich und abzulehnen.

Zudem kann es keinen Zweifel daran geben, daß menschliches Leben mit dem Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt; beim Klonen wäre dieser Zeitpunkt entsprechend die erfolgreiche Stimulanz der präparierten Eizelle. Eine vorzeitige Beendigung des Reifungsprozesses und/oder ein absichtliches Vorenthalten der Bedingungen für diesen Reifungsprozeß (indem z. B. der Embryo im Reagenzglas verbleibt und nicht in die Gebärmutter implantiert wird) ist daher immer ebenso ein Tötungsakt wie eine Abtreibung auch.

Spitzfindig könnte man nun meinen, diese Einwände beträfen nicht die Erzeugung eines lebenden, vollständigen Menschenklons. Die Frage ist nur: Warum, wenn es denn tatsächlich eines Tages möglich wäre, sollten wir diese komplizierte Art der Fortpflanzung wählen?

Im Sommer letzten Jahres sorgte der amerikanische Physiker und Fortpflanzungsexperte Seed mit seiner Ankündigung für Furore, er wolle die erste Klonklinik für unfruchtbare Männer und Frauen eröffnen. Er selbst wolle den Anfang machen, aus seiner eigenen Zelle das Erbgut entnehmen und in eine zuvor entkernte Spendereizelle transferieren. Seine Ehefrau solle das Kind dann austragen.3 Wenn die Technik ausgereift sei, könne in spätestens fünf Jahren der erste klonierte Mensch geboren werden. Und dann werde es auch genügend Kunden dafür geben.

An Seeds Qualifikation und seiner zeitlichen Einschätzung sind sicher Zweifel erlaubt. Doch den „Bedarf“ unterschätzt er wohl nicht. Denn für ein Wunschkind sind manche unfruchtbaren Ehepaare bereit, jeden Betrag zu zahlen. Fortpflanzungsexperten gehören in den USA schon heute zu den am höchsten bezahlten Spezialisten unter den Medizinern. Dies ist den Klonierungsanhängern natürlich nicht neu, und so ist es auch nicht verwunderlich, daß diese die Fortpflanzungsmedizin als Einfallstor für die Verbreitung und Akzeptanz des Menschen-Klonierens in der Bevölkerung erkoren haben.

Bei den Vorarbeiten für das geklonte Schaf wurden Tausende von Eizellen benötigt, um die Entkernung, aber auch das Einsetzen der neuen Zellkerne und später ihre Totipotenz zu testen. Wo bei Nutztieren leicht zehn, zwanzig und mehr Eizellen reifen, sind es bei der Frau nur eines oder höchstens zwei im Monat. Für die Klonierung von Menschen müßten anfangs Tausende von Frauen dazu gewonnen werden, sich für ein solches Experiment zur Verfügung zu stellen. Anschließend müssen die manipulierten Embryonen dann ausgetragen werden – und dies angesichts zu erwartender äußerst magerer Erfolgsquoten. (Beim Schaf betrug die Erfolgsrate wenige Prozent). Es liegt auf der Hand, daß Versuche in solchen Dimensionen und mit solch gravierenden und belastenden Folgen nur durch die Schürung von Hoffnungen bei einer genügend großen Anzahl Menschen mit einem wahrhaft verzweifelten Kinderwunsch durchgeführt werden können.4

Ob und wann das Bild eines „Klonbabies“ um die Welt geht und genau solche Furore macht wie vor ihm das des ersten „Retortenbabies“, ist völlig offen. Doch spätestens dann werden auch die Ansprüche an den Nachwuchs steigen, ebenso wie das bereits seit langem bei der künstlichen Befruchtung zu beobachten ist. So können Paare in den USA schon heute anhand von Samenbankkatalogen mit Farbfotos und ausführlicher Beschreibung der Spender Merkmale wie Haar- und Augenfarbe wählen; zugegebenermaßen ein geradezu harmloses Beispiel angesichts der Möglichkeiten der Präimplantationsdiagnostik, in deren Rahmen schon heute nicht nur die Frage nach dem Geschlecht des Kindes beantwortet werden kann. Nach der künstlichen Befruchtung wird im Acht-Zellen-Stadium eine Zelle entnommen und genetisch untersucht. Danach wird entschieden, ob der Embryo „genehm“ ist und in die Gebärmutter implantiert oder vernichtet wird.

Die Rolle der Reproduktionsmedizin

Die Geschichte der Reproduktionsmedizin, oder sagen wir besser Reproduktionstechnik, belegt, daß es niemals deren vorrangiges Ziel war, kinderlosen Frauen und Paaren zum ersehnten Nachwuchs zu verhelfen. Robert G. Edwards, einer der Pioniere der künstlichen Befruchtung im Reagenzglas (der sogenannten In-vitro-Fertilisation, IVF), verkündete schon vor zwanzig Jahren ungeniert, es sei bei der künstlichen Befruchtung insbesondere um die Embryonen-Forschung und um das Aussortieren kranker Embryonen gegangen. Auf einem Kongreß des Zentrums für biomedizinische Ethik der Universität Tübingen bestätigte er noch 1997, daß er „dieses Potential“ zukünftig mit Hilfe von Gentechnik und Präimplantationsdiagnostik ausgeschöpft sehen möchte, und scheute sich gleichfalls nicht, von der „Pflicht“ zur Verhinderung „nicht normgerechten Nachwuchses“ zu sprechen.

In diesem Zusammenhang ist ebenfalls aufschlußreich, wie der Princetoner Molekularbiologe Lee Silver die Rolle der künstlichen Befruchtung im Reagenzglas (auch übertragbar auf die Klon-Erzeugung) auf einem Kongreß in Los Angeles im Sommer letzten Jahres beschrieb:

„Mit der In-vitro-Fertilisation gelangt der Embryo aus dem Dunkel des Mutterleibes an das Tageslicht. Und damit bietet die IVF Zugang zum darin befindlichen Erbmaterial. Und erst durch die Fähigkeit, das Erbmaterial des Embryos zu lesen, zu ändern und zu ergänzen, wird das ganze Gewicht der IVF spürbar werden.“

Keimbahnintervention und somatische Gentherapie

Edwards und Silvers Bemerkungen sind keine „ethischen Ausrutscher“ innerhalb der Reproduktionsbranche, sondern Symptom der ihr von Anfang an innewohnenden eugenischen Absicht, menschliches Leben in seinen frühesten Entwicklungsstadien zu kontrollieren, zu verwerfen, oder zu „verbessern“. Während eine Gruppe von Wissenschaftlern auf dem Weg zum „verbesserten Menschen“ inzwischen auf Klonierungstechnologien setzt, bauen andere (wie z. B. Edwards) vorläufig noch auf gentechnische Veränderungen der menschlichen Keimzellen.

Diese irreführenderweise gemeinhin als „Keimbahntherapie“ beschriebenen Interventionen unterscheiden sich grundsätzlich von der sogenannten somatischen Gentherapie.

Bei der somatischen Gentherapie soll ein Erbdefekt in einem Gen dadurch ausgeglichen werden, daß in einige teilungsaktive Körperzellen mit Hilfe der Gentechnik ein funktionierendes Gen eingebaut wird. Als Transportvehikel dienen dabei meist harmlose Viren, die fähig sind, sich an eine Zellmembran anzuheften und ihre Gene in die Zellen zu übertragen. Bislang jedoch ist die Rate der erfolgreichen Gentransfers sehr gering, und in einigen Fällen hat das Virus, das als Vehikel für die Gene dient, selbst Probleme bei den Patienten verursacht, die der Behandlung unterzogen wurden.

Vordergründig ist dieser Mißerfolg Anlaß dazu gewesen, daß nun immer mehr Rufe laut werden, sich statt dessen lieber auf die sogenannte Keimbahntherapie zu konzentrieren. Auf den Erfolg der somatischen Gentherapie könne man warten, „bis die Sonne erlischt“, schimpfte denn auch im vergangenen Jahr der Amerikaner James Watson (ehemaliger Direktor des National Center for Human Genome Research des amerikanischen NIH, wo er das Human Genome Project einrichtete) auf dem bereits erwähnten Symposium in Los Angeles. Die somatische Gentherapie sei vor allem daran gescheitert, daß sich Gene weder leicht an einem bestimmten Chromosom plazieren noch in der gewünschten Weise „in Betrieb nehmen“ ließen. Mit dieser Schwierigkeit sei zwar auch die Keimbahntherapie konfrontiert, doch die Aussicht auf Fortschritte seien dort besser, weil die Veränderungen direkt an den im Reagenzglas gezeugten Embryonen vorgenommen würden. Der Vorteil: anders als beim ausgewachsenen Patienten könne man sehr schnell überprüfen, ob die Intervention erfolgreich gewesen sei. Und nur dann würde der Embryo überhaupt in die Gebärmutter implantiert, die „mißlungenen“ Embryonen dagegen verworfen.

Eines muß deutlich gesagt werden: Die Keimbahntherapie ist keine medizinische Behandlung eines Patienten, sondern eine genetische Manipulation embryonaler Zellen nach einer künstlichen Befruchtung mit dem Ziel der Erzeugung eines Menschen ohne genetische Erkrankung. Ein weiterer zentraler Unterschied zur somatischen Gentherapie besteht darin, daß eine Veränderung im Erbgut der Keimbahn zur Folge hat, daß jede weitere sich daraus entwickelnde Embryonalzelle dieselbe Veränderung in sich trägt.

Was Keimbahnmanipulations-Anhängern als Vorteil erscheint, birgt also eine Fülle von Gefahren. Denn von dieser Veränderung sind nicht nur die Körperzellen, sondern natürlich auch die Keimzellen betroffen. Sollte sich dessen Träger also eines Tages fortpflanzen, werden diese Veränderungen an die nachfolgende Generation weitervererbt. Keimbahneingriffe sind daher in ihrer Wirkung potentiell unbegrenzt; die Gefahren bei möglichen Fehlern liegen auf der Hand.

Dennoch wollen wir die Frage nach dem möglichen Nutzen der Keimbahntherapie stellen. Dazu muß man wissen, daß im Fall einer Erbkrankheit praktisch immer eine Wahrscheinlichkeit von mindestens 50% besteht, daß ein Embryo ohne den in Frage stehenden Schaden zur Welt kommt. Es gibt nur extrem seltene Einzelfälle mit einem 100prozentigen Risiko, was die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik zu dem Schluß veranlaßte, daß eine genetische Manipulation embryonaler Zellen mit dem Ziel der Vermeidung einer genetisch bedingten Erkrankung als überflüssig angesehen werden könne.

Doch das grundsätzlichste Argument gegen Keimbahninterventionen ist ein anderes: Solche Manipulationen werden notgedrungen damit einhergehen, daß unzählige Versuche mit befruchteten Eizellen – mit Embryonen – unternommen werden müssen, die nur zu Versuchszwecken gezeugt und danach weggeworfen werden. Für eine solche „verbrauchende Embryonenforschung“ gelten natürlich die gleichen grundsätzlichen ethischen Kriterien, die wir bereits bei der Frage der „Herstellung“ embryonaler Stammzellen zum Zwecke der Gewebezüchtung angesprochen haben. Hier wie dort haben wir es mit menschlichem Leben – wenn auch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium – zu tun; die Erzeugung menschlichen Lebens ausschließlich zu Forschungszwecken muß daher abgelehnt werden.

Viele Wissenschaftler machen sich auch gar nicht länger die Mühe, den Eindruck zu erwecken, es ginge ihnen bei Keimbahninterventionen um die Verhinderung von Erbkrankheiten. Die „Praktiker“ unter ihnen verweisen längst kaltschnäuzig darauf, daß man sich angesichts der Möglichkeiten der Präimplantationsdiagnostik gar nicht länger mit Korrekturen von Erbfehlern herumplagen müsse. Mittels dieser Technik könne man bei Risikofamilien von vornherein mühelos die erblich belasteten Embryonen erkennen und aussondern und damit die Abtreibung vom Mutterleib in das Reagenzglas verlagern. Wenn man das nicht wolle, könne man viele Erkrankungen noch im späteren Verlauf der Schwangerschaft erkennen und das Kind dann immer noch abtreiben.

Eine aufschlußreiche Konferenz

Wenn es aber nicht die Erbkrankheiten sind, was versprechen sich dann die Anhänger dieser Forschungsrichtung von ihren Bemühungen?

Werfen wir dazu einen Blick in das Tagungsprotokoll des Symposiums von Los Angeles im letzten Sommer (organisiert vom UCLA Program on Technology and Science, Center for the Study of Evolution and the Origin of Life). Alles, was in der internationalen Fachwelt Rang und Namen hat, war dort versammelt, um über „Möglichkeiten und Herausforderungen menschlicher Keimbahneingriffe während der kommenden zwei Jahrzehnte“ zu diskutieren. Auffällig war, daß sich kein einziger Redebeitrag direkt mit der Bekämpfung von Krankheiten beschäftigte. Vielmehr lautete das Schlagwort der Veranstaltung „Genverstärkungstherapie“.

Nach einigem Drumherumreden brachte es James Watson auf den Punkt: „Niemand bringt wirklich den Mut auf, es zu sagen… Wenn wir bessere Menschen machen könnten, indem man Gene hinzufügt, so frage ich, warum sollten wir es nicht tun?“

Was verstanden die Teilnehmer darunter, „bessere Menschen zu machen“? „Emotionale Stabilität“, „Intelligenz“, „Lernfähigkeit“, „physische Attraktivität“, „Langlebigkeit“ – das waren einige der Prädikate, die angeboten wurden.

Es ist frappierend, daß die versammelten Wissenschaftler offenbar nicht den geringsten Zweifel an der Möglichkeit hegten, die Öffentlichkeit mit solchen Versprechungen auf ihre Seite zu bringen. Wer wolle schon ein „durchschnittliches Kind“, wenn es möglich sei, dieses Kind in seinem Embryonalstadium durch Veränderungen im Erbgut „besser“ auszustatten? Sei es nicht die Pflicht der Eltern, sicherzustellen, daß ihr Kind „den optimalen Start ins Leben“ erhalte, die „bestmöglichen Gene“ besitze, möglichst lange lebe? – So oder ähnlich lauteten die Standardaussagen.

Dabei spielte es für die Anwesenden keine große Rolle, ob dieses Ergebnis durch Veränderungen in der Keimbahn oder durch Klonieren geschieht, wenngleich die Tendenz der Veranstaltung in Richtung Keimbahnmanipulation wies. Dies allerdings aus keinem anderen Grund, als weil man dort momentan die größere „Nachfrage“ vermutet.

Nun stellt sich natürlich die Frage, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage Behauptungen, man könne Menschen solchermaßen „optimieren“, überhaupt fußen. Tatsächlich findet sich im gesamten Tagungsprotokoll keinerlei Hinweis auf dieses „Wie“. Wäre nicht klar, daß das Gegenteil der Fall ist, könnte der Eindruck entstehen, daß hier eine Gruppe Science-fiktion-Geschädigter, nicht aber die internationale Crème de la Crème der Molekularbiologen versammelt war.

Die Wissenschaftskorrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Barbara Hobom hatte den Eindruck: „Das Symposium in Los Angeles war eine Werbeveranstaltung, wie es sie in der biomedizischen Wissenschaft vermutlich bislang noch nie gegeben hat. Es ging allein darum, der Öffentlichkeit die genetische Verbesserung des Menschen schmackhaft zu machen. Die von den Wissenschaftlern teilweise arrogant und polemisch geführte Diskussion erinnerte an primitive Werbeveranstaltungen, etwa Kaffeefahrten…“ (FAZ, 29. Juli 1998).

Molekularbiologie und Weltbild

Es wäre indes falsch, von Primitivität auf Ungefährlichkeit zu schließen. Denn in der Tat ist die heutige Molekularbiologie nichts anderes als ein primitives, aber in seinen Implikationen äußerst gefährliches Erklärungsmuster für „Leben“. Primitiv ist die Molekularbiologie, weil sie entgegen ihrem Anspruch nicht nur nichts zu erklären vermag; mehr noch, streng genommen gäbe es auf dieser Erde gar kein Leben, hätten die Molekularbiologen mit ihren Behauptungen recht. Denn die Molekularbiologie negiert die allem Leben innewohnende Gesetzmäßigkeit ordnender, kreativer Prozesse, ohne die die Entwicklung von Leben überhaupt nicht möglich ist.

Für die Molekularbiologie ist Leben, ist der Mensch im Prinzip nichts anderes als die Summe seiner Gene und anderer Bausteine, die sich im Laufe der Evolution zufällig zusammengefunden haben. Sie kennt keine übergeordneten Ordnungsprozesse: „Evolution besteht in der Wiederholung und Verwertung von Strukturfehlern“, so ein prominenter Vertreter der modernen Molekularbiologie, der Amerikaner Joshua Lederberg. Er definiert den Menschen in seiner Schrift Die biologische Zukunft des Menschen aus dem Jahre 1962 als „1,80 Meter einer besonderen Molekülsequenz von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Sauerstoff-, Stickstoff- und Phosphoratomen – die Länge der DNA, die eng gewunden im Zellkern des Eis ruht, aus dem er hervorgegangen ist, und im Zellkern jeder ausgewachsenen Zelle.“

Wenn aber der Mensch nur die Summe seiner Gene ist und jede Körperfunktion, jede Eigenschaft bis hin zur Intelligenz nur von einem oder mehreren Genen determiniert wird, müsse nur die Rolle der Gene bekannt sein, um durch entsprechende Veränderungen „Wunschmenschen“ zu erzeugen.

Um dem Leser diese mechanistische Herangehensweise noch weiter zu verdeutlichen, sei hier auszugsweise ein Beitrag des ebenfalls in Los Angeles anwesenden Molekularbiologen Leroy Hood wiedergegeben:

„Das menschliche Genom ist wahrscheinlich das unglaublichste Software-Programm (Hervorh. J. D.), das je geschrieben wurde. Dieses Programm diktiert und lenkt die Entwicklung des faszinierendsten aller Prozesse, angefangen mit einer einzelnen Zelle, dem befruchteten Ei, bis hin zu zehn hoch vierzehn Zellen bei der Entwicklung des menschlichen Organismus, und kann die chromosomale Choreographie ausführen, welche jedem der unterschiedlichen Zelltypen die richtige Aufgabe jener Hunderttausenden Gene zuweist, die getrennt ausgedrückt werden müssen.

Das Genomprojekt (ein großangelegtes Forschungsprojekt mit dem Ziel, eine Art Landkarte der menschlichen Gene zu erstellen, J. D.) wird für uns sehr nützlich sein. Es wird alle diese Gene definieren… Außerdem wird uns das Genomprojekt die Utensilien verschaffen, die natürliche Variation zu untersuchen, die in den Menschen vorkommt. Diese natürliche Variation läßt uns alle voneinander unterschiedlich sein (Hervorh. J. D.). Wir werden unglaublich dichte Genkarten herstellen können, mit denen wir Genetik auf eine ganz neue Weise werden betreiben können… Noch verlockender ist, daß wir auf einem neuen Feld, das sich Molekularepidemiologie nennt, die Variationen in diesen Hunderttausenden Genen untersuchen und feststellen können, wie unterschiedliche Kombinationen dieser Polymorphismen unterschiedliche körperliche und geistige Züge oder krankheitsveranlugungen hervorrufen können.

In gewissem Sinn ist aber das Wichtigste an dem Genomprojekt, daß es uns eine Vision und die Werkzeuge verschafft, eine ganz neue Biologie anzufangen, eine Biologie, die ich Systembiologie nennen möchte. Tatsächlich haben das Genomprojekt und einige andere wissenschaftliche Fortschritte der letzten zehn Jahre dazu geführt, daß eine Reihe wirklich unglaublicher Paradigmawechsel in unserer Sicht der Wissenschaft eingetreten sind (Hervorh. J. D.).“

Leider ist Hood insoweit zuzustimmen, als tatsächlich ein Paradigmawechsel mit weitreichenden Konsequenzen in der Wissenschaft stattgefunden hat. Und zwar dominiert die Molekularbiologie nahezu uneingeschränkt die Vorstellung von Leben und vor allem des Menschen, reduziert auf ein äußerst unfreies Wesen, hilflos den eigenen Genen ausgeliefert. Ist der Mensch aber nur die Summe seiner Gene, kann er – wie bei der Viehzucht – verbessert und „optimiert“ werden, um dann z. B. durch Klonierung in beliebiger Anzahl reproduziert werden zu können.

Die Nutznießer

Die entscheidende Frage wird bei diesem Menschen-Verbesserungsspielchen aber geflissentlich übersehen: Wer bestimmt eigentlich, wer wie verändert, optimiert und „genutzt“ wird?

Daß es plötzlich das Anliegen der Genetiker, Molekularbiologen und ihrer mächtigen politischen und finanziellen Förderer sein sollte, dem Gros der Menschheit zu einem längeren, gesünderen, glücklicheren Leben zu verhelfen, scheint wenig überzeugend. In den Industrieländern wird derzeit über die „Überalterung“ der Bevölkerung gejammert, die die Renten- und Gesundheitskassen zuviel Geld koste. Und in den armen Ländern der Erde wird nicht nur nichts gegen Hunger, Unterentwicklung und Krankheiten unternommen, sondern dieser Prozeß von politischer Seite sogar aktiv beschleunigt. Wieviele Krankheiten gibt es, die bei einer ausreichenden und ausgewogenen Ernährung, sauberem Wasser und einer Veränderung der Lebensverhältnisse gar nicht erst entstünden? Wieviele Krankheiten wären mit bereits vorhandenen wirksamen Medikamenten heilbar, die oft sogar nur wenige Groschen kosten? An der Schwelle des dritten Jahrtausends könnte fast die gesamte Menschheit längst eine westeuropäische Lebenserwartung aufweisen, wären die dazu nötigen Voraussetzungen nicht systematisch hintertrieben worden.

Wenn wir diesen plötzlichen Beglückungstheorien also nicht recht Glauben schenken können, was soll man dann von Vermutungen halten, die dieser Tage selbst durch die deutsche Presse geisterten, daß nämlich per Keimbahninterventionen und Klonieren von Menschen eine Gesellschaft angestrebt werde, wie sie Aldous Huxley 1932 in seinem Roman Schöne Neue Welt beschrieb?

Zur Erinnerung: Huxleys Roman liegt ein oligarchisches Gesellschaftsmodell zugrunde, bei dem eine kleine Herrenrasse eine Kastengesellschaft regiert. Die Gliederung reicht von den Alphas, der Elite, bis zu den untersten Klassen, den sogenannten Epsilons. Die Unterscheidungsmerkmale werden den Embryonen durch Eingriffe in die Erbmasse und während ihrer pränatalen Entwicklung eingegeben. Dabei gelten die Epsilons, die nur zur Verrichtung körperlicher Arbeit gezüchtet werden, gar nicht mehr als Menschen. Die eigentlichen Menschen sind die Priester. Sie überwachen aus dem Verborgenen das Funktionieren dieser Kastengesellschaft und kontrollieren selbst die Alphas, die angebliche Elite.

Huxleys Roman darf nicht als Spinnerei eines exzentrischen Science-fiktion-Autors abgetan werden. Die Familie Huxley war Teil der britischen Oligarchie; Aldous‘ Bruder Julian (1887–1975), einer der führenden Evolutionsbiologen der dreißiger Jahre, war nach 1948 Generaldirektor der UNESCO und drohte Jahre später den armen Ländern der Welt mit der „Hungerwaffe“, wenn sie nicht Geburtenkontrollprogramme einführten.

Bereits die ersten Genetiker verfaßten zahlreiche programmatische Texte, in denen als Ziel die gentechnische „Verbesserung“ des Menschen beschrieben wurde. Auffällig ist, daß von Anfang an in diesen Schriften – wie in Huxleys Roman – Genetik und oligarchisches Denken eng miteinander verknüpft waren. Hier wie dort wurde und wird dem Menschen das Potential der schöpferischen Vernunft abgesprochen, hier wie dort huldigte man mechanistischen Vorstellungen von Leben.

Ein Blick in die Geschichte

Mit den praktischen politischen Auswirkungen dieses Denkens lassen sich mühelos ganze Bücher füllen; hier sei nur ein kurzer Einblick in die Geschichte der Genetik gegeben, der u.a. dem Buch Die Träume der Genetik (herausgegeben von Ludger Weß, Schriften der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts) entnommen wurde.

Die Genetik als Wissenschaft von der Vererbung entstand um die Jahrhundertwende im Kontext des Sozialdarwinismus und der daraus hervorgegangenen Eugenik-Bewegung. Francis Galton, ein Vetter Darwins, hatte den Begriff 1883 geprägt und als „Wissenschaft von der Verbesserung des Menschen durch Zucht“ definiert. Während der reine Sozialdarwinismus die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse als Ergebnis eines biologischen Ausleseprozesses, des „Kampfes ums Dasein“ beschrieb und rechtfertigte, wollte die Eugenik diesen Selektionsprozeß nicht sich selbst überlassen, sondern ihn auf „wissenschaftlicher Grundlage“ planen.

Die Idee, mit Hilfe der Eugenik „wissenschaftlich“ in den Sozialprozeß einzugreifen, fand in den USA und Europa rasch weitere Verbreitung. Zahlreiche Genetiker zählten zu den Mitgliedern eugenischer Vereinigungen; mächtige Stiftungen und Mäzene finanzierten Einrichtungen, an denen eugenische und genetische Studien nebeneinander betrieben wurden.

Zu Galionsfiguren der Eugenik wurden Genetiker wie Charles B. Davenport (1866–1944). Wie viele andere vertrat er die Ansicht, sämtliche Eigenschaften des Menschen – positive, aber auch „Kriminalität, Arbeitsscheu und Alkoholismus“, selbst die „Disposition zur Armut“ – seien ausschließlich genetisch determiniert. Es galt also, solchermaßen genetisch „belastete“ Menschen herauszufiltern und an ihrer Fortpflanzung zu hindern. Unter Davenports Leitung entwickelte sich das US-amerikanische Eugenics Records Office zum international bekanntesten und größten Eugenik-Zentrum. Ausgehalten vor allem von der Carnegie-Stiftung und dem Harriman-Fonds trat es für Sterilisationsgesetzgebung ebenso ein wie für eine restriktive Einwanderungspolitik.

Mit der Weltwirtschaftskrise änderte sich das Bild jedoch. Der Dritte Internationale Kongreß für Eugenik in New York fand inmitten der schwersten ökonomischen Depression der amerikanischen Geschichte statt. Millionen waren arbeitslos. In dieser Situation mußte die von der Eugenik-Bewegung erhobene Forderung, das Millionenheer der Bettler und Arbeitslosen wegen minderer Intelligenz und sozialen Versagens zwangsweise zu sterilisieren, absurd erscheinen.

Doch war dies bedauerlicherweise nicht das Ende der Bewegung. Mitte der dreißiger Jahre hatten Populationsgenetiker basierend auf Beobachtungen bei Fruchtfliegen wahre Horrorszenarien fabriziert, wonach irgendwann die ganze menschliche Rasse infolge einer schleichenden Verschlechterung des menschlichen Erbgutes zugrunde gerichtet würde. Mit diesem Weltbild wurde Politik gemacht; die Öffentlichkeit sollte den Eindruck gewinnen, daß nur eine radikal neu orientierte Eugenik und eine umfassende wissenschaftliche Planung der menschlichen Fortpflanzung in der Lage seien, die Selbstzerstörung der Zivilisation zu verhindern.

Julian Huxley, der Bruder des Romanautors, sorgte 1936 für Aufsehen, als er vor der Eugenik-Gesellschaft in London verkündete, daß man zwar die Strategie „ausmerzender“ Eugenik gegen schädliche Gene beibehalten müsse, es aber viel dringlicher sei, gegen die schleichende Verschlechterung des menschlichen Erbgutes ein Programm der künstlichen Zuchtwahl zu setzen.

Originalton J. Huxley: „Die Menschheit wird sich nach und nach von innen heraus zerstören und in ihrem innersten Mark verfallen, wenn dieser langsame, aber unbarmherzige Prozeß nicht in Schach gehalten wird. Noch einmal, die Maßnahmen gegen Defekte können im gegenwärtigen System allenfalls Linderungsmaßnahmen sein. Wir müssen in der Lage sein, die genetisch minderwertigen Bestände mit größerer Sicherheit auszusondern, und wir müssen Gegenkräfte in Bewegung setzen, die eine schnellere Vermehrung der höherwertigen Bestände bewirken, damit wir diesen Trend umkehren oder auch nur zum Halten bringen… Die neuen Erfindungen effizienter Methoden zur Geburtenkontrolle auf der einen und der künstlichen Befruchtung auf der anderen Seite haben die Menschheit erstmals in die Lage versetzt, die Trennung von Fortpflanzung und Sexualität für eugenische Ziele einzusetzen.“

Für die wirkliche Verbesserung des Menschen würde aber die Betrachtung der genetischen Seite allein nicht ausreichen. Tierzucht, Fliegen- und Populationsgenetik hätten, so Huxley, gezeigt, daß eine genetische Anpassung immer nur in bezug auf eine bestimmte Umwelt optimal waren und daß die genetische „Fitness“ nur auf der Basis gleicher Lebensumstände verglichen werden könnte. Angesichts des sozial wie wirtschaftlich krisengeschüttelten Gesellschaftssystems sei es an der Zeit, mit dem Spezialwissen der Biologie und Genetik eine neue Sozialordnung zu entwerfen. Es müsse Hauptaufgabe der Genetik werden, genetische Substanz und soziale Umwelt aufeinander abzustimmen und nach Plan zu verändern.5

Ähnliche Pläne, nämlich die „Lücke zwischen Bio- und Sozialwissenschaft“ zu schließen, hegte im übrigen auch die Rockefeller-Stiftung, die zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahren intensiv an der genetischen Grundlagenforschung beteiligt war und nun Forschungsprojekte zur „menschlichen Sozialbiologie“ (in erster Linie) in Großbritannien und Deutschland finanzierte. (Die Bedeutung dieser Förderung am Zustandekommen der deutschen Nazi-Eugenik kann hier aus Platzgründen nicht behandelt werden).

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden dieselben Pläne anfangs zwar weniger offen, hinter den Kulissen jedoch mit ungebrochenem Eifer fortgeführt. Gefragt waren auch weiterhin Strategien, die „genetische Verbesserung“ des Menschen zu einer gesellschaftlich akzeptierten Praxis zu erheben. Während in den USA und in Europa zu diesem Zweck unbeirrt populationsgenetische Bestandsaufnahmen „schädlicher Gene“ bei ethischen Minderheiten und sozialen Bevölkerungsquerschnitten durchgeführt wurden, begann der Aufbau von Erbkliniken, um ein „individuelles Bewußtsein“ für Erbkrankheiten zu schaffen, besorgte Familien von der Fortpflanzung abzuhalten oder sie dazu zu ermutigen. Dies kennzeichnet auch den Beginn des Vormarsches der medizinischen Genetik, die es schließlich mit der vorgeburtlichen Diagnostik schaffen sollte, die eugenische Selektion als eine Methode „medizinischer Prophylaxe“ erscheinen zu lassen.

Gleichzeitig beflügelten die Fortschritte der Reproduktionsbiologie die Vision von der Beherrschung der menschlichen Vererbung erneut: Neben Parthenogenese, Samenbanken und Leihmutterschaft wurden jetzt auch Eizellbanken und schließlich das Klonieren von bewährten „Genies“ erwogen.

Gegen Ende der fünfziger Jahre wurden solche Vorschläge und Forderungen auf (human)genetischen Fachkongressen intensiv diskutiert. Eine wichtige Rolle in dieser Zeit spielte der amerikanische Genetiker H.J. Muller (1890–1967; erhielt 1946 den Nobelpreis), der seine Vorstellungen einer „gelenkten Evolution“ des Menschen auf vielen dieser Tagungen präsentierte.

1959 verfaßte Muller eine zweite Auflage seines Vorkriegsplädoyers für Die Steuerung der menschlichen Evolution. Darin beschwor er wiederum die Gefahr, die der Zivilisation durch das unkontrollierte Bevölkerungswachstum der Entwicklungsländer und durch den rapiden „genetischen Verfall“ in den Industrienationen drohe. Wenn es der Menschheit nicht gelinge, diese Trends rasch umzukehren, werde sie sich in einen „globalen Slum“ verwandeln und aufgrund ihrer schließlich nicht mehr zu kompensierenden Gebrechen den „genetischen Tod“ sterben.

Die Industrieländer müßten sich zu einem supranationalen Zweckverband zusammenschließen und eine wissenschaftlich angeleitete Bevölkerungspolitik betreiben, um sowohl „Qualität“ als auch „Quantität“ der Bevölkerung zu kontrollieren.

Im Jahr 1962 lud die Stiftung des Schweizer Pharmakonzerns CIBA ihn wie zahlreiche weitere prominente Biologen ein, über den Menschen und seine Zukunft zu diskutieren. Wissenschaftler wie Julian Huxley, J. B. S. Haldane, Joshua Lederberg und Gregory Pincus (um nur einige zu nennen), erläuterten mehrere Tage lang ihre Visionen von der Zukunft der Menschheit.

Das Symposium selbst stand ganz im Zeichen globaler Krisenängste. Die angebliche Bevölkerungsexplosion, der Dauerbrenner „genetischer Verfall“ und die Gefahr der atomaren Selbstvernichtung der Menschheit waren die beherrschenden Themen. Die Kongreßteilnehmer waren sich einig, daß sich die Welt auf eine bedrohliche Katastrophe zubewege, und begriffen sich als Repräsentanten einer Elite, die zur Lösung dieser Probleme berufen war.

In dem Buch Die Träume der Genetik wird der Verlauf dieses Symposiums folgendermaßen wiedergegeben:

„Auf eine politische Analyse wurde in den Beiträgen weitgehend verzichtet… Zentrales Anliegen war die biologische Zukunft des Menschen, die besonders pessimistisch beurteilt wurde. Ungezügeltes Bevölkerungswachstum in den ärmeren Regionen und mangelnde Auslese in den wohlhabenden Ländern wurden als Faktoren angesehen, die die Menschheit binnen kurzem in eine biologische Katastrophe führen würden. Ohne Zögern forderte die wissenschaftliche Elite in London dazu auf, radikal in das soziale und politische Gefüge der Menschheit einzugreifen. Um ,biologische Slums’… zu verhindern, sollten rigoros auch die letzten Reste von Freiheit, Selbstbestimmung… bedenkenlos geopfert werden.

Zum Problem des Bevölkerungswachstums beispielsweise berichtete der Reproduktionsbiologe und Eugenik-Jünger Gregory Pincus, einer der Hauptverantwortlichen für die Entwicklung der Pille und die damit verbundenen Experimente an Frauen über die Fortschritte bei der Entwicklung hormoneller Verhütungsmittel. In der Diskussion herrschte Einigkeit, daß die Hormoneinnahme vor allem unter den Frauen in den ,Entwicklungsländern‘ unbedingt durchgesetzt werden müsse – notfalls durch zwangsweise Verabreichung im Trinkwasser. Sei das nicht praktikabel, müsse eben zwangsweise sterilisiert werden. Julian Huxley drohte den armen Nationen, die nicht zur Durchsetzung von Geburtenkontrollen bereit waren, kaum verhüllt mit der Hungerwaffe.“

(Wenn man sich die brutale Bevölkerungskontrollpolitik in den Ländern der Dritten Welt anschaut, ist klar, daß Huxleys Warnungen keine leeren Worte waren, sondern tatsächlich politisch umgesetzt wurden.)

„Einig waren sich die versammelten Genetiker auch über die voranschreitende genetische Degeneration der Menschheit im Gefolge der stetig steigenden ,genetischen Bürde‘. Aber nicht nur die drohende ,biologische Entartung‘, sondern auch die immer größer werdende Schere zwischen den technologischen Fähigkeiten des Menschen und seiner biologischen Ausstattung wurde als besorgniserregende Perspektive analysiert… Mit Nachdruck forderten die Genetiker, den Menschen biologisch an diese Situation anzupassen… Es sei Aufgabe der Biologie, den Menschen intelligenter, kooperativer und weniger aggressiv zumachen; langlebiger und gesünder müsse er werden, mit weniger Schlaf auskommen und in der Lage sein, auch eine Fülle von komplexen Informationen rasch zu verarbeiten. Für bestimmte Anwendungen, wie etwa in der Raumfahrt, könne es sogar sinnvoll sein, ihn mit Stummelbeinen und Greifschwänzen auszustatten.

Die Erfolge der Molekularbiologie ließen hoffen, daß eine derart grenzenlose Zurichtung des Menschen in absehbarer Zeit technisch möglich sein würde. Der amerikanische Nobelpreisträger und Molekulargenetiker Joshua Lederberg, von dem oben schon kurz die Rede war, prognostizierte in seinem Beitrag ,Die biologische Zukunft des Menschen‘, daß bei einem energischen Vorgehen innerhalb von zehn Jahren tiefgreifende Einblicke in die genetische Struktur des Menschen erreichbar seien. Lederberg erteilte den bisherigen Vorstellungen, wie ,human betterment‘ zu erreichen sei, eine schroffe Absage. An seinen Vorredner Muller gewandt, der ein weiteres Mal die Auffassung vertreten hatte, die Menschheit sei am besten durch kontrollierte Zeugung unter Verwendung ausgesuchter Keimzellen zu verbessern, spottete Lederberg, warum solle man mit den ,erbärmlich plumpen‘ Methoden der Tierzucht arbeiten, wenn damit zu rechnen sei, daß die Molekularbiologie in kurzer Frist die Eugeniker in die Lage versetzen würde, Keimzellen zu selektieren und heterozygote Überträger von schädlichen Mutationen mit Leichtigkeit zu identifizieren?

Mit diesen Methoden werde man in ein, zwei Generationen eugenischer Praxis das erreichen, womit man nach Mullers Methode zehn oder hundert Generationen brauche. Die Molekularbiologe werde schließlich direkt in die Gen-Sequenz eingreifen können, ,verbunden mit der Möglichkeit, die erwünschten Gene – die in einer beachtlichen Mannigfaltigkeit in der bestehenden Bevölkerung vorhanden sind – zu erkennen, auszusondern und zu integrieren‘.“

1969 erweiterte Lederberg diese Vorschläge um die Möglichkeit der Züchtung von subhumanen Individuen für spezielle Aufgaben, etwa Kreuzungen aus Mensch und Affe, und stellte die Idee der Klonierung von Menschen zur Diskussion.

Lederberg war ebensowenig wie Huxley oder Muller ein „Außenseiter“. Vielmehr fungierte er als Berater zahlreicher gesundheitspolitischer Kommissionen und der Regierung für Fragen der Medizin und insbesondere der Humangenetik.

Als Anfang der siebziger Jahre der genetische Code entschlüsselt wurde und die ersten Gene isoliert und künstlich hergestellt worden waren, setzte sich Lederberg vehement dafür ein, mit Hilfe der Genetik eine „neue Ära der Medizin“ einzuleiten. Vor einer Kommission des Repräsentantenhauses in Washington führte er 1970 aus, ein Viertel aller Krankenhausbetten und Anstaltsplätze seien mit Kranken belegt, deren Leiden mehr oder weniger genetischen Ursprungs sei; diese Zahlen würden weiter ansteigen, da die Umweltverschmutzung angeblich die „genetische Bürde“ anwachsen ließe. Es sei notwendig, die molekulargenetische Forschung durch eine Nationale Studiengruppe und einen zusätzlichen Forschungsetat von mindestens 10 Millionen Dollar pro Jahr voranzubringen. Als wichtigste Sofortmaßnahme müsse die vorgeburtliche genetische Diagnose in Verbindung mit selektiver Abtreibung weiter ausgebaut werden.

Lederbergs Vorschläge erhielten im Kreis der Molekularbiologen nahezu einmütigen Beifall; zu den nachdrücklichsten Unterstützern zählte beispielsweise Francis Crick, dessen Arbeiten über die DNS-Struktur ihm 1962 den Nobelpreis einbrachten. Crick teilte Lederbergs Ansichten über die Entwicklungsperspektive der Molekularbiologie voll und ganz und forderte, den Menschen müßte auf lange Sicht ihre Fortpflanzungsautonomie entzogen werden, um den „Fortschritt der Menschheit“ weiter zu garantieren.

Fazit

Dieser kurze geschichtliche Rückblick soll lediglich einige Schlaglichter markieren. Vergleicht man die Reden auf dem Symposium in Los Angeles mit den Stellungnahmen auf der CIBA-Tagung, so scheint sich höchstens ein taktischer Wandel vollzogen zu haben. Es ist nicht mehr die Rede von Zwängen, sondern von Vorteilen – zumindest im Angesicht der Öffentlichkeit. Doch sollte uns dies nicht in Sicherheit wiegen. Sicher, es gibt momentan drängendere Probleme als die Frage, ob die Mächtigen der Welt tatsächlich daran glauben, daß sie eines Tages ihre Macht mittels Keimbahninterventionen und Klonieren des Menschen zementieren können. Dennoch wäre es fahrlässig, diese Vorhaben und Umsetzungsansätze nicht mit großer Wachsamkeit zu verfolgen.

Wußten Sie eigentlich, daß der Genetiker-Star Ian Wilmut jüngst als prominenter Redner auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos, der Veranstaltung des westlichen Establishments, gefeiert wurde?

Fußnote(n)

  1. Versuche mit menschlichen Stammzellen hat es bereits gegeben. Im November letzten Jahres gelang es amerikanischen Forschern erstmals, Stammzellen aus einem menschlichen Embryo im Labor zu vermehren. Auf einem Nährboden aus Gewebezellen und speziellen Wachstumsfaktoren teilten sich die Stammzellen. Verwendet wurden dazu allerdings keine klonierten Embryonen, sondern wenige Tage alte Embryonen, die durch künstliche Befruchtung entstanden und von ihren Eltern für Forschungszwecke freigegeben worden waren.[]
  2. Unter Embryonalperiode versteht man die Zeit der vorgeburtlichen Entwicklung von der Befruchtung (in diesem Fall dem Klonen) bis zur Differenzierung der Organanlagen, was beim Menschen etwa acht Wochen dauert.[]
  3. Über die Frage der Machbarkeit des Klonierens von Menschen herrschen unterschiedliche Ansichten. Während z. B. der deutsche Humangenetiker Ulrich Langenbeck, Leiter des Instituts für Humangenetik am Uniklinikum Frankfurt am Main, das Klonieren von Menschen für „technisch machbar“, aber unsinnig und ethisch unverantwortlich hält, meint der Humangenetiker Stefan Bohlander aus Göttingen, daß vor allem die komplexe Regulation der Erbanlagen die Klonierungsanhänger vor gewaltige Probleme stellen werde. Im Kern jeder menschlichen Zelle gibt es zwischen 50.000 und 100.000 Gene. Aber nicht alle Erbanlagen seien gleichzeitig aktiv, sondern würden während der Entwicklung von der Eizelle zum erwachsenen Menschen nach Bedarf „an-“ oder „abgeschaltet“. Als „Schalter“ wirkten Moleküle, die den Wissenschaftlern häufig noch unbekannt seien. In der ausgewachsenen Zelle seien andere Gene aktiv, so Bohlander. Da beim Klonieren aber die Erbanlagen aus einer erwachsenen Zelle in eine Eizelle integriert würden, wirkten in beiden vollkommen andere „Schalter“. Schon bei kleinsten Fehlern würde dann die exakt ausbalancierte Regulation der Gene aus dem Ruder laufen. Bohlander warnt deshalb ausdrücklich vor „riesigen Föten, fehlgebildeten Kindern oder Totgeburten“. Auch wenn dieser Einwand sehr mechanischen Charakter hat und nur sehr wenig über tatsächliche Lebensprozesse aussagt, ist er hier wiedergegeben, um einen kleinen Einblick in die Komplexität der Materie zu vermitteln.[]
  4. Ein Blick auf die Entwicklung und die Auswüchse der Reproduktionsmedizin-Branche läßt dies durchaus möglich erscheinen. Selbst bei der „einfachen“ künstlichen Befruchtung unterziehen sich die beteiligten Paare wahren Torturen. Außerdem gibt es bereits zahlreiche Auswüchse. So ist es z. B. in den Niederlanden und in England gängige Praxis, daß insgesamt fünf Personen an einer „Elternschaft“ beteiligt sein können: ein fremder Samen- und eine fremde Eispenderin, eine „Leihmutter“ und die bis dahin unbeteiligten künftigen „Eltern“, die das Kind letztendlich bekommen. Auch der Kinderwunsch lesbischer Frauen kann per Samenspende erfüllt werden. Zum unappetitlichen Umfeld der Reproduktionsmedizin gehört ebenfalls, daß es in den USA eine gigantische Samenbank mit den „Ergüssen“ vermeintlich hochintelligenter Samenspender gibt. Anderswo wird mit Eizellen gehandelt, werden Samenzellen von Verstorbenen zur Zeugung benutzt, befruchtete Eizellen tausendfach eingefroren und später – weil nicht mehr zu verwenden oder weil man sich es anders überlegt hat – vernichtet.[]
  5. Drei Jahre später, 1939, wurde dieser Anspruch auf dem Siebten Internationalen Genetik-Kongreß in Edinburgh in einer Resolution mit dem Titel „Sozialbiologie und Bevölkerungsverbesserung“ erneuert. Zu den Erstunterzeichnern dieses „Genetiker-Manifestes“ zählten neben H. J. Muller vor allem die Spitzenforscher der englischen Genetik: Crew, Haldane, Hogben, Huxley und der Embryologe Needham. Das Manifest lavierte zwischen den beiden Polen „Umwelt“ und „Erbe“. Die Unterschiede zwischen verschiedenen Rassen und Klassen seien, so die Unterzeichner, vorwiegend kulturell oder sozial, innerhalb dieser Gruppen jedoch zu einem erheblichen Anteil genetisch bedingt. Erforderlich sei die Umgestaltung der äußeren und inneren Lebensbedingungen des Menschen, von Umwelt und Genmaterial. Soziale Reformen sollten sicherstellen, daß die genetischen Eingriffe um so sicherer und effizienter durchgeführt werden könnten. Die „Freiwilligkeit“ aber, mit der sich die Menschen dem unterwerfen sollten, war auch 1939 nur vorgetäuscht. Im Manifest wurde bereits angedeutet, daß es in der zukünftigen Gesellschaft neben „genetischen Rechten“ auch „genetische Pflichten“ geben könnte, wenn die angebotenen Selektionstechniken nur unzureichend in Anspruch genommen würden.[]