„Vielen Dank, Planck!“, schrieb die britische Zeitschrift The Economist Anfang des neuen Jahrtausends zur Ehrung von Max Planck, der am 14. Dezember 1900 vor der Berliner Physikalischen Gesellschaft einen Vortrag „Zur Theorie des Gesetzes der Energieverteilung im Normalspektrum“ gehalten hatte. Plancks Abhandlung kennzeichnete die Geburtsstunde der Quantentheorie und läutete ein neues Jahrhundert der Quantenwelt ein.
Auch die Chinesische Akademie der Wissenschaften veranstaltete zur gleichen Zeit eine Gedenkfeier für 100 Jahre Quantenphysik. Ihr ehemaliger Direktor Yongxiang Lu meinte: „Die Quantenphysik zusammen mit der Relativitätstheorie, formuliert von Albert Einstein im Jahr 1905, bilden den Grundstein für die Wissenschaft des 20. Jahrhunderts. Sie haben unsere Vorstellung von Raum, Zeit, Materie und Bewegung grundlegend verändert.“
In China hat die Forschung der Quantentheorie im Vergleich zum Western zwar spät begonnen, hat allerdings in den letzten Jahren mit großer Geschwindigkeit beachtliche Fortschritte erzielt.
Am 16. August 2016 um 1:40 Uhr Ortszeit schickte China in Jiu Quan den ersten Quanten-Forschungssatelliten der Welt mit dem Name Micius oder Mozi (Chinesisch 墨子) ins All – benannt zu Ehren des bekannten chinesischen Wissenschaftlers und Philosophen Mozi. Wie Professor Jianwei Pan, der leitende Wissenschaftler im Quantenforschungslabor und Mitglied der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, erläuterte, hatte Mozi schon vor 2000 Jahren den geradlinigen Verlauf des Lichtes entdeckt. Und als erster hatte er das optische „Lichtloch“-Experiment durchgeführt, und somit Pionierarbeit für die Wissenschaft geleistet. Die Benennung des ersten chinesischen Quantensatelliten nach diesem großen Wissenschaftler bedeutet eine Anerkennung seiner Leistung, impliziert aber ebenso die „Erstmaligkeit“ einer Mission dieser Art und stärkt so das kulturelle Selbstbewußtsein Chinas.
Mit der „Lange Marsch 2D“, einer modernen Rakete chinesischer Bauart, in die Erdumlaufbahn befördert, wurde der Satellit erfolgreich in Betrieb genommen. „Mozi“ hat die Aufgabe, zum ersten Mal im Weltraum die grundlegende Quantentheorie „Verschränkung von Zustandspaaren“ zu verifizieren sowie die Anwendbarkeit dieser Theorie für die verschlüsselte Datenkommunikation zu bestätigen („quantenverschlüsselte Datenkommunikation“ oder „Quantenkommunikation“).
Der Satellit besitzt eine Würfelform mit einer Seitenlänge von 1,7 m und ist 631 kg schwer. Im Inneren ist er in zwei Schichten aufgeteilt. Die Standardinstrumente für den Satellitenbetrieb befinden sich in der unteren Schicht, und die Instrumente für die Quantenexperimente, dem Kernstück der Mission, sind in der oberen Schicht untergebracht.
Mozi ist mit vier, überwiegend in China selbst entwickelten Kernsystemkomponenten ausgestattet: dem Apparat für die quantenverschlüsselte Kommunikation, dem Generator und der Quelle für die verschränkten Photonenpaare sowie dem Kontroll- und Verarbeitungsapparat für die Quantenexperimente. Die maximale Abweichung der Übertragungsfehler von Quantensignalen ist auf 3,5% beschränkt. Die Zeitdifferenz zwischen dem Satelliten und der Bodenstation darf eine Nanosekunde nicht überschreiten. Das bedeutet, die Bodenstation ist in der Lage, von 100 Millionen Photonen, die jeden Tag vom Satelliten generiert und zur Erde gesendet werden, jedes einzelne Photon zu zählen.
Zu dem Quanten-Forschungsprojekt gehört auch ein großer Boden-Forschungskomplex innerhalb Chinas aus vier verteilten Quanten-Kommunikationsstationen, und zwar in Nan Shan, De Ling Ha, Xing Long und Li Jiang. Hinzu kommt noch ein Forschungslabor für verschränkte Quantentransmission in A Li. All das, zusammen mit dem Quantensatelliten am Himmel, bildet eine umfassende experimentelle Basis für die Quantenforschung, deren Fläche auf der Erde über 60 Quadratkilometer umfaßt.
Nach seinem erfolgreichen Start wurde der Forschungssatellit Mozi in der Erdumlaufbahn zunächst einem dreimonatigen Test hinsichtlich der Bahnstabilität unterzogen. Danach wechselte der Satellit in den normalem Betrieb. Die Planung sah vor, daß der Satellit verschiedene quantenphysikalische Experimente in zwei grundlegenden Bereichen durchführt.
Zum einen geht es um die Verteilung von Quantenschlüsseln von der Satellitenplattform aus auf die Erde, und zwar in hoher Geschwindigkeit und für einen großen Deckungsbereich, in der Erwartung, einen Durchbruch in der praktischen Anwendung der Quantenkommunikation zu erzielen. Zum anderen geht es um die experimentelle Verifizierung und Vervollständigung der Quantenphysik, nämlich der Zustandskopplung von Quantenpaaren und ihrer Fernwirkung in der Dimension des Weltraums (Quantenverschränkung). Damit wird China das erste Land sein, das die Quantenkommunikation zwischen Erde und Weltraum ermöglicht und gleichzeitig ein operatives System zur wissenschaftlichen Forschung von Quantenkryptologie und Quantenphysik allgemein bereitstellt.
Wie der österreichische Teilnehmer des Projektes, Professor Anton Zeilinger von der Universität Wien, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und einer der weltweit führenden Forscher in Quantenkryptologie, erklärte: „Der Quantensatellit kann eingesetzt werden, um den verschlüsselten Informationsaustausch zwischen Sender und Empfänger abhörsicher zu machen.“
Am frühen Morgen des 10. August 2017 gab die Chinesische Akademie der Wissenschaften bekannt: Der Forschungssatellit Mozi hat innerhalb eines Jahres alle wichtigen wissenschaftlichen Ziele erreicht, die ursprünglich für zwei Jahre geplant waren. Baichun Chen, Direktor der Akademie, erklärte: „Der Erfolg dieser Testreihe hat hohes internationales Ansehen gewonnen, und markiert Chinas Führungsrolle auf dem Forschungsgebiet der Quantenkommunikation.“
Über die zwei wichtigen Ergebnisse, die das Forschungsteam unter der Leitung von Professor Jianwei Pan von der Chinesischen Universität für Wissenschaft und Technik erzielte, nämlich das erstmalige Versenden der Quantenschlüssel von Satelliten aus an die großflächig verteilten Bodenstationen sowie die Zustandskopplung von Quantenpaaren zwischen der Erde und dem Satelliten, erschien am 10. August 2017 ein Bericht in der renommierten Fachzeitschrift Nature Online.
Bereits im Juni dieses Jahres hatte die Fachzeitschrift Science über die Zwischenergebnisse der Quantenverschränkung über eine Rekordentfernung von mehr als eintausend Kilometern zwischen dem Satelliten und den Bodenstationen sowie die Verifizierung von Nichtlokalität der Quantenphysik berichtet. Die weiteren Forschungsergebnisse trugen zur Bildung eines stabilen Fundamentes für die weiteren Forschungen und Experimente entscheidend bei.
Am 10. August 2017, am selben Tag der Bekanntgabe bzw. der Online-Veröffentlichung der chinesischen Forschungsergebnisse, berichtete die Financial Times zum Ereignis:
„… Das Forschungsteam unter Professor Janwei Pan beschreibt die Quantenkopplung über einer Distanz von 1400 km. Die bis dahin erreichte maximale Entfernung der Quantenkopplung war auf 100 km beschränkt… Die chinesischen Wissenschaftler haben zum ersten Mal die Quanten-Kommunikation zwischen Weltall und Erde durchgeführt und damit einen wichtigen Schritt zur abhörsicheren Datenkommunikation im globalen Netzwerk getan. Die erste Arbeit zur Quanten-Kommunikation wurde von der Redaktion von Nature als ,bewundernswert’ und ,Meilenstein auf diesem Gebiet’ bezeichnet. Die Erfolgsquote für den Quantenschlüsselaustausch, realisiert vom chinesischen Satelliten Mozi, hat sich gegenüber der bisherigen Methode um einen Faktor 20 verbessert. Die zweite Arbeit zeigt, wie die Quantenkopplung eingesetzt werden kann, um die Information für den Quantenschlüssel zu übermitteln, ohne daß die Materie selbst übertragen wird – eine grundlegende Anwendungsforschung…“
Professor Jianwei Pan erklärt: „Basierend auf der Eigenschaft eines Quantums, daß es nicht teilbar ist und auch nicht geklont werden kann, erfolgt der Quantenschlüsselaustausch durch Übertragung seiner gepaarten Zustände. Sender und Empfänger können die Schüssel in einer großen Entfernung miteinander teilen. Die Zustandsinformationen können nur einmal zur Verschlüsselung verwendet werden. Das ist die einzige der Menschheit bekannte Kommunikations-Methode, die nicht belauscht und nicht entschlüsselt werden kann.“
Jian-Wei Pan ist überzeugt, daß die erzielten Ergebnisse eine solide technische Basis für ein weltumspannendes, abhörsicheres Kommunikationsnetzwerk mittels der Quanten-Technologie bilden: „Wenn Satelliten als vertrauenswürdige Relaisstation des Quantenaustauschs dienen, können zwei beliebige Orte auf der Erde Verschlüsselungsinformationen miteinander austauschen. Kombiniert mit den Glasfasern, die die Bodenstationen mit dem Internet verbinden, wird ein globales abhörsicheres Kommunikationsnetzwerk entstehen.“
Weiterhin stellte sich Professor Jianwei Pan vor, daß sein Forschungsteam immer enger mit europäischen Forschungspartnern in der Quanten-Kommunikation zusammenarbeitet, um den Austausch von Quantenschlüsseln zwischen den Kontinenten zu realisieren. Die Forschungsteams z.B. aus Deutschland und Italien werden sich bald an dem Projekt beteiligen.
Österreich ist dagegen bereits viel weiter: Die traditionell enge wissenschaftliche und persönliche Verbindung zwischen Professor Janwei Pan und Professor Anton Zeilinger und ihren jeweiligen Teams hat nicht nur dazu geführt, daß die Bodenstation in Graz bereits erfolgreich in das Forschungsnetzwerk der Quanten-Kommunikation eingebunden wurde. Österreich hat in dem aktuellsten wichtigen Projektmeilenstein eine wesentliche Rolle gespielt.
So hat am 30. September 2017 zum ersten Mal eine abhörsichere Videokonferenz zwischen zwei Kontinenten stattgefunden: Chunli Bai, Direktor der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, und seine Kollegen in Beijing sprachen mit Professor Zeilinger, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, und Heinz W. Engl, Rektor der Universität Wien, samt ihren Kollegen per Video und tauschten über eine abhörsichere Verbindung Bilder aus. Die Kommunikation war per Quantenkryptografie verschlüsselt. Dabei wurden zuerst die beiden Quantenschlüssel der irdischen Teilnehmer vom Satelliten aus kombiniert und das Ergebnis an die beiden Bodenstationen übermittelt. Mit dem jeweils eigenen und dem kombinierten Schlüssel andererseits erzeugten die Bodenstationen einen gemeinsamen Schlüssel, mit dem der Telefoninhalt kodiert wurde. Die Videokonferenz selbst wurde ganz normal über das Internet abgewickelt.
Fazit von Professor Zeilinger: „Ein weltweites und sicheres Quanteninternet rückt damit einen entscheidenden Schritt näher.“
Yang Heng ist emeritierter Professor für chinesische Geschichte