Damoklesschwert Atomausstieg

Zwar hat Kanzler Schröder noch einmal die Notbremse gezogen und den von seinem grünen Koalitionspartner geforderten Schnellausstieg aus der Kernenergie gestoppt, doch die Sache ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Man will Arbeitsgruppen bilden, in denen laut Schröder „ruhig und sachlich“ die Probleme besprochen werden sollen.

Damit ist etwas Zeit gewonnen worden, sich auf die nächsten Konfrontationen mit der rot-grünen Politik vorzubereiten, doch das Damoklesschwert des vollkommenen Energiechaos schwebt weiter über Deutschland.

Viel Zeit bleibt nicht, denn die Regierung hat die Entscheidungen über ihre Änderungspläne zum Atomrecht nur bis zum März vertagt. Am grundsätzlichen Kurs der Regierung, die aus der Atomtechnik heraus will, und das hat Schröder nach der ersten „Konsensrunde“ ganz klar gemacht, wird sich nichts ändern. Das wird auch so bleiben, solange diese Regierung im Amt bleibt.

Es macht wenig Sinn, den Ausstieg aus der Kerntechnik lediglich aufzuhalten oder bloß zu „verlangsamen“ – es geht darum, daß erstmals seit Ende der 70er Jahre wieder Kernkraftwerke in Deutschland gebaut werden können! Davon ist die politische Lage hierzulande aber noch weit entfernt, es muß viel mehr Druck seitens der Kernkraftbefürworter aufgebaut werden, um den Wiedereinstieg gegen rot-grünen Widerstand durchzusetzen.

Es tut sich etwas…

Doch immerhin ist mit dem Streit um den Ausstieg in Deutschland ein politisches Potential aufgebrochen. Mit dem ersten konkreten Versuch der neuen Bundesregierung, den Ausstieg aus der Kernkraft einzuleiten, ist endlich vielen Gewerkschaftern, und nicht nur diesen, ein Licht aufgegangen, daß die rot-grünen Pläne Hunderttausende von Arbeitsplätzen gefährden. Das betrifft nicht nur die 40000 unmittelbar in der kerntechnischen Wirtschaft Beschäftigten, sondern auch noch weitere 100000 in den nachgelagerten Bereichen. Endete die Stromerzeugung aus Kernkraftwerken, träfe das einen Schlüsselbereich der gesamten Elektrizitätserzeugung und brächte damit die Energiewirtschaft als ganze mit 250000 direkt Beschäftigten ins Abrutschen.

Wenn es diese Gesellschaft nicht fertigbringt, Kernkraftwerke zu bauen oder fertiggebaute wie das in Mülheim-Kärlich ans Netz zu lassen, dann wird es auch kaum möglich sein, Ersatzkraftwerke auf Basis von Gas, Kohle oder gar Öl in jahrelangen Prozeduren vor Verwaltungsgerichten durchzusetzen. Und am Ende wird es nicht einmal mehr möglich sein, Wind- oder Sonnenkraftwerke zu bauen, weil selbst das vielen Grünen schon wieder zuviel Technik, zuviel „Umweltbelastung“ ist.

Für jeden, der sich einen nüchternen Blick bewahrt hat, ist klar: Der Ausstieg aus der Kerntechnik leitet den Ausstieg aus der heimischen Energieerzeugung generell ein. Am Ende dieses Prozesses wird Deutschlands Energieversorgung ganz von Importen abhängig sein.

Im Gefolge davon ergäben sich außerdem extreme strukturelle Verzerrungen. Vor allem Länder wie Bayern, dessen Strombedarf heute zu fast 70 % aus Kernkraftwerken gedeckt wird, würden in kurzer Zeit in Landschaften ohne Industrie zurückverwandelt. Wenn eine Tonne Importkohle bei der Anlandung in Wilhelmshaven 70 DM kostet und bei der Ankunft in München 90 DM, dann können Kraftwerke und Industriebetriebe in Bayern wegen der um ein Drittel höheren Energiekosten gegenüber denen im Norden Deutschlands nicht lange konkurrenzfähig bleiben.

Bayern hat sich aus genau diesem Grunde auf die Kerntechnik konzentriert, und ein Ausstieg träfe den Freistaat am Nerv, weswegen sich die Landesregierung in München auch der Klage Baden-Württembergs gegen die rot-grünen Pläne vor dem Bundesverfassungsgericht anschließen wird.

Klagen können wohl, wenn sie entschieden betrieben werden, Erfolg haben. So war z. B. die Klage von RWE, dem Betreiber des Kraftwerks in Mülheim-Kärlich, gegen die Landesregierung von Rheinland-Pfalz für die Kläger vor dem Bundesverwaltungsgericht in Berlin erfolgreich: Es wurde festgestellt, daß die Landesregierung unrecht handelte, als sie dem Kraftwerk die Betriebsgenehmigung versagte, ohne eine ernsthafte Prüfung des Antrags vorzunehmen. Damit wird sie schadenersatzpflichtig, und darum ist nun ein langwieriger Rechtsstreit zwischen Land und RWE entbrannt, in dem die Karten für den Kraftwerksbetreiber die besseren sind. Nur, das Kraftwerk steht immer noch still.

Die rot-gelbe Landesregierung in Mainz denkt gar nicht daran, das Werk ans Netz gehen zu lassen, sondern setzt darauf, daß die rot-grüne Bundesregierung RWE dazu bringt, sich auf einen Kuhhandel einzulassen: RWE dürfte demzufolge seine anderen atomaren Kraftwerke zunächst weiterbetreiben, müßte aber im Gegenzug auf Mülheim-Kärlich wie auch auf die damit verbundenen Forderungen nach Schadenersatz verzichten. Die rheinland-pfälzische Umweltministerin Klaudia Martini (SPD) ist nicht um die ungenutzten Investitionen und Arbeitsplätze in Mülheim-Kärlich besorgt, sondern vielmehr darum, daß der vorlaute Trittin diesen Kuhhandel mit RWE erschweren oder ganz unmöglich machen könnte.

Der Vorgang zeigt auf, was von den „gemäßigten“ Sozialdemokraten, die einen „ruhigen und sachlichen“ Verlauf der Energiegespräche fordern, im Grunde aber keinen Deut vom atomfeindlichen Kurs abgehen wollen, zu halten ist.

Was Deutschland jetzt vor allem braucht, ist eine breite Bewegung für die entschiedene Förderung der Kerntechnik, in der den unmittelbar in der Atomwirtschaft und -forschung Beschäftigten auch die Schlüsselrolle zukommt, die ihnen naturgemäß zusteht. 1999 muß das Jahr werden, in dem Großkundgebungen für Kernenergie stattfinden wie jene, die 70.000 Arbeiter 1978 in Dortmund zusammenbrachte. Mit der Lafontaine-SPD, in der Nuklearingenieure keine Chance haben, auf Listenplätze für Wahlen zu kommen, ist das nicht machbar. Ob und wann sich die SPD von Lafontaine, dessen Person ganz direkt für das grüne Element in der neuen Sozialdemokratie steht, lösen kann, ist fraglich.

Und was das „grüne“ Element selbst angeht, so hat es mit Bundesumweltminister Trittin eine fundamentalistische Blüte der ganz besonderen Art getrieben. In Frankreich, wo die Kernenergie trotz einer „rot-grünen“ Regierung nicht zur Debatte steht, wird der extremistische Trittin (einst Wortführer des maoistischen KB-Nord) in Anlehnung an die technikfeindlichen Roten Khmer Pol Pots bereits der „grüne Khmer“ genannt. Bleibt zu hoffen, daß dieser Spuk, vor dem wir in FUSION seit Anbeginn der „grünen Bewegung“ gewarnt haben, genauso schnell von der offiziellen Regierungsbühne wieder verschwindet, wie er gekommen ist. Daß den Grünen bei ihrem Debakel bei der Hessenwahl im Februar vor allem die Jungwähler in Scharen davongelaufen sind, könnte ein erster Anfang sein.