Der erfolgreiche Start des James-Webb-Weltraumteleskops (JWWT) am ersten Weihnachtstag 2021 war nicht nur ein „Geschenk an die Welt“, sondern auch der Beginn einer neuen Ära in der Weltraumforschung. Physiker und Astronomen, Staatsoberhäupter und einfache Bürger haben die Mission als großartigen Durchbruch für Wissenschaft und Technik gefeiert.
Das JWWT befindet sich jetzt auf einer Flugbahn mit Kurs auf sein endgültiges Ziel, den Lagrange-Punkt 2 (L2). Bis dahin wird das gesamte Teleskop mit allen seinen Bestandteilen in einem komplizierten Montage- und Kalibrierungsprozeß eingerichtet sein und im Sommer 2022 seine Arbeit aufnehmen. Um in den Bug der Ariane-5-Rakete zu passen, mußten alle wichtigen Teile und Instrumente im Origami-Stil zusammengefaltet werden, damit die gesamte 6500 Kilogramm schwere Konstruktion in die Umlaufbahn befördert werden konnte – eine wahrhaft beeindruckende Leistung.
Am 12. Oktober 2021 war das Teleskop nach einer 16-tägigen Seereise über 9300 Kilometer in Französisch-Guayana angekommen, wo sich der Startplatz für die Ariane-Rakete in der Nähe des Äquators befindet. Dort verleiht die Erddrehung der startenden Rakete einen zusätzlichen Schub, da sich die Erde dort mit 1.670 km/h am schnellsten bewegt.
Das JWWT löst das Hubble-Weltraumteleskop ab, das seit 1990 faszinierende Aufnahmen von entfernten Galaxien geliefert hat. Doch bereits vor Inbetriebnahme von Hubble hatten sich Astronomen, Wissenschaftler und Ingenieure gefragt, ob es nicht möglich wäre, ein passiv gekühltes 10-Meter-Teleskop für das nahe Infrarot in eine hohe Erdumlaufbahn zu bringen, um Galaxien mit hoher Rotverschiebung (in großer Entfernung von unserer Milchstraße) zu untersuchen. Tatsächlich begann man schon damals, sich mit der Idee eines solchen viel größeren weltraumgestützten Teleskops zu befassen, und 1996 empfahl ein 18köpfiger Ausschuß der NASA offiziell, ein solches Projekt in Angriff zu nehmen. Den Himmel im infraroten Licht zu betrachten, war dabei von entscheidender Bedeutung, da man so durch die riesigen Staub- und Gaswolken hindurchsehen kann, die einen Großteil der Galaxie und darüber hinaus einhüllen.
1997 begann die NASA, zusätzliche Studien zu finanzieren, um die technischen und finanziellen Voraussetzungen für den Bau eines solchen Teleskops zu ermitteln, und 2004 wurde schließlich mit den Arbeiten begonnen. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Projekt offiziell James Webb Space Telescope genannt, nach dem NASA-Administrator, der die Entwicklung des Apollo-Programms leitete.
Ein „universelles“ Projekt
Ähnlich wie Lyndon LaRouche in den 1970er Jahren das Bild der „weltweiten Tasse Kaffee“ benutzte, um in der physischen Ökonomie die weltweite Arbeitsteilung selbst für scheinbar einfache Produkte zu veranschaulichen, läßt sich das gleiche Konzept auch auf die Komponenten des James-Webb-Teleskops übertragen, das nicht nur an einem Ort entwickelt wurde und viele der Technologien neu erfunden werden mußten. Northrup Grumman war zwar der Hauptauftragnehmer und hat viele Teile des Teleskops gebaut, doch das JWWT ist ein Erfolg der internationalen Zusammenarbeit zwischen der NASA, der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und der Kanadischen Weltraumorganisation (CSA). Das Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt, Maryland, leitete das Entwicklungsteam.
Insgesamt sind es 306 Institutionen, die an der JWWT-Mission mitgewirkt oder zu ihr beigetragen haben. In Amerika gehören dazu Ball Aerospace & Technologies, CDA InterCorp (Florida), Genesis Engineering Corp. (Maryland) und Quantum Coating (New Jersey); in Kanada Honeywell Aerospace (Ottawa) und National Optics Institute (Quebec); und in Europa Airbus Defence and Space (Spanien), ArianeGroup GmbH (Deutschland) und das Danish Space Board (Dänemark), neben vielen anderen. Es ist schwer, sich vorzustellen, welche Logistik- und Lieferketten erforderlich waren, um all diese Komponenten zu einem Ganzen zusammenzufügen.
Die NASA hat die Gesamtverantwortung für die Webb-Mission übernommen; die ESA hat den Nahinfrarot-Spektrographen (NIRSpec), die Optikbaugruppe des Instruments für das mittlere Infrarot (MIRI) und die Ariane-Trägerrakete zur Verfügung gestellt; und die CSA hat die Verantwortung für den Leitsensor zur Feineinstellung, das Nahinfrarot-Aufnahmegerät und den spaltlosen Spektrographen übernommen. Nach dem Start wird das Space Telescope Science Institute (eine Tochtergesellschaft der NASA) das JWWT betreiben.
Wie auf der JWWT-Website der NASA erläutert, bestehen die Komponenten des JWWT aus „einem Hauptspiegel mit 18 separaten Segmenten, die sich nach dem Start entfalten und in Form gebracht werden. Die Spiegel sind aus ultraleichtem Beryllium gefertigt. Die größte Besonderheit von Webb ist ein tennisplatzgroßer, fünfschichtiger Sonnenschutzschild, der die Hitze der Sonne um mehr als das Millionfache abschwächt. Die vier Instrumente des Teleskops – Kameras und Spektrometer – verfügen über Detektoren, die in der Lage sind, extrem schwache Signale zu erfassen. Ein Instrument (das NIRSpec) verfügt über programmierbare Mikroverschlüsse, die die gleichzeitige Beobachtung von bis zu 200 Objekten ermöglichen. Webb hat auch einen Kryo-Kühler, der die Detektoren für den mittleren Infrarotbereich eines anderen Instruments (MIRI) auf sehr kalte 7 Kelvin (–266 °C) abkühlt, damit sie funktionieren können.“
Auch wenn nicht alle Länder der Welt beteiligt waren, so ist es doch der Sinn des ganzen Projekts, der Welt neue tiefgreifende Entdeckungen zum Nutzen der gesamten Menschheit zu übermitteln.
„Erstes Licht“
Das JWWT wird etwa hundertmal leistungsfähiger sein als das Hubble-Weltraumteleskop, nicht nur wegen der Größe seines Spiegels (6,5 m im Vergleich zu 2,4 m bei Hubble), sondern auch wegen der Wellenlänge, bei der es hauptsächlich „sehen“ wird – nämlich im Infrarotbereich des Spektrums.
Das elektromagnetische Spektrum ist ein Kontinuum von Wellenlängen, von sehr langen (man denke an Radiowellen, die 100 Kilometer und mehr lang sein können) bis hin zu sehr kleinen des UV-Lichts (gemessen in Nanometern). Wir Menschen sehen nur einen sehr schmalen Bereich dieses Spektrums (etwa 400–700 Nanometer), den wir sichtbares Licht nennen. Alles, was in beide Wellenlängenrichtungen darüber hinausgeht, ist für uns unsichtbar.
Wenn Sie zum Beispiel schon einmal in eine Ultraviolett-Lampe (UV-Bereich ca. 10–400 Nanometer) geblickt haben, werden Sie feststellen, daß es schwierig ist, darin scharf zu sehen (und man sollte das nicht länger versuchen, um sich seine Netzhaut nicht zu schädigen); das liegt daran, daß die Wellenlänge für unsere Linsen zu klein ist, um es zu fokussieren. Tiefrotes Licht hingegen liegt am anderen, langwelligen Ende des sichtbaren Spektrums; es wird aus diesem Grund meist in U-Booten und in anderen dunklen Umgebungen verwendet, da es dem menschlichen Auge aufgrund der Wellenlänge leichter fällt, sich von der Dunkelheit auf die rot beleuchtete Instrumententafel einzustellen. Infrarot-Nachtsichtgeräte stellen sich auch auf die Wärmestrahlung einer Person, eines Tieres oder eines Objekts ein, um diese sichtbar zu machen.
Das JWWT kann im Infrarotbereich viele Dingen tun, die Hubble nicht kann: Es kann Gas- und Staubwolken durchdringen, die normalerweise ganze Sternfelder verdecken, und aufgrund der Rotverschiebung kann das Teleskop viel weiter in die Vergangenheit zurückblicken.
Einstein und der „Urknall“
Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie kommt ins Spiel, wenn es darum geht, wie das Teleskop „sieht“. Sie hat etwas mit der Ausdehnung des Universums zu tun und besagt, daß sich der Raum zwischen den Objekten tatsächlich ausdehnt und die Objekte (Galaxien) sich voneinander entfernen. Konkret bedeutet das, daß sich alle Galaxien in unserer Nähe von uns wegbewegen, so daß die Wellenlängen gestreckt werden und sich weiter in den Infrarotbereich bewegen. Das ist in etwa so, wie wenn sich die Sirene eines Feuerwehrautos nähert: Die Schallwellen bündeln sich, so daß der Ton höher wird, und wenn das Fahrzeug an einem vorbeifährt, verlängern sich die Schallwellen und die Tonhöhe wird niedriger.
Das bedeutet auch, daß ein Teleskop einen Blick in die Vergangenheit werfen kann, bis Milliarden Jahren zurück, um zu sehen, wie die ersten Sterne und Galaxien aus der Dunkelheit des frühen Universums auftauchen.
Die vorherrschende Theorie über die Entstehung des Universums ist derzeit die Urknalltheorie. Dabei sollte man allerdings bedenken, daß dies nur eine Theorie ist. Kurz gefaßt besagt sie, daß das Universum als unendlich dichter, winziger Punkt begann, vergleichbar mit einem supermassereichen schwarzen Loch – einer Singularität. Die Theorie geht davon aus, daß der Ursprung aller Materie, der Energie, des Raums und der Zeit in einer Explosion dieser Singularität vor etwa 13,8 Milliarden Jahren lag (daher „Urknall“), und daß nach Milliarden von Jahren Galaxien, Sterne, Planeten und andere astronomische Gebilde daraus entstanden sind. Im Vergleich mit den Urzeiten des Universums ist die Erde schätzungsweise „nur“ etwas mehr als 4,5 Milliarden Jahre alt.
Verschiedenen Quellen zufolge war Albert Einstein zunächst nicht mit dieser Theorie einverstanden, da er darauf bestand, daß das Universum schon immer existierte, doch später akzeptierte er sie (oder zumindest die Idee eines expandierenden Universums), da sie mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie übereinstimmte.
Auch wenn es den Rahmen dieses Artikels sprengen würde, darauf näher einzugehen, gibt es doch einige Schlüsselbegriffe, die verstanden werden müssen, warum der Infrarotbereich des elektromagnetischen Spektrums als so wichtig erachtet wird.
Noch vor etwas mehr als einem Jahrhundert glaubten die meisten Wissenschaftler und Astronomen, daß das Universum nur aus unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, bestehen würde. Edwin Hubble (1880-1953, nach dem das Hubble-Teleskop benannt wurde) entdeckte jedoch in den 1920er Jahren, daß es sich bei der Andromedagalaxie nicht nur um einen Stern oder ein entstehendes Sonnensystem handelte, sondern um eine völlig separate Galaxie, die heute schätzungsweise 2,5 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Später erfuhr die Welt, daß es Milliarden und Abermilliarden von Galaxien in allen Richtungen um die Erde herum gibt. Die Frage, die sich den Wissenschaftlern dieser Zeit stellte, lautete: Was ist die Natur dieses Universums? Dehnt es sich aus, zieht es sich zusammen oder ist es unbeweglich?
In EarthSky erschien am 20. November 2021 unter dem Titel „Edward Hubble und das expandierende Universum“, die folgende Mitteilung:
„Die Antwort drehte sich um das Licht der Galaxien insgesamt. Astronomen beobachteten, daß sich das Licht entfernter Galaxien zum roten Ende des Spektrums hin verschob. Sie deuteten diese Rotverschiebung als Zeichen dafür, daß sich die Galaxien von uns wegbewegen. Hubble und seine Kollegen verglichen die Entfernungsschätzungen zu anderen Galaxien mit deren Rotverschiebungen. Am 15. März 1929 veröffentlichte Hubble seine Beobachtung, daß sich die am weitesten entfernten Galaxien schneller wegbewegen als die nächstgelegenen.“
Dies ist im Prinzip vergleichbar mit dem Doppler-Effekt bei Schallwellen: Wenn sich eine Feuerwehrsirene auf uns zubewegt, ,bündeln‘ sich die Schallwellen, und die Tonhöhe scheint höher zu sein, und wenn sie vorbeifährt und sich von uns entfernt, ist die Tonhöhe scheinbar niedriger, weil sich die Schallwellen ausdehnen und weiter voneinander entfernt sind. Dies bezieht sich jedoch nur auf unsere Position und Bewegung im Verhältnis zur sich bewegenden Sirene; die Feuerwehrleute an Bord nehmen keine Veränderung der Tonhöhe wahr.
Da sich die Galaxien von unserer eigenen Galaxie zu entfernen scheinen, dehnen sich die Lichtwellen offenbar in den Infrarotbereich aus, daher die „Rotverschiebung“ – das Licht dieser weit entfernten Galaxien ist so weit entfernt, daß sich die ursprünglichen Lichtwellen in den Infrarotbereich verlängert haben. Würden sie sich auf unsere Galaxie zubewegen, würde sich das Licht an das entgegengesetzte Ende des Spektrums, in den ultravioletten (kürzeren) Wellenlängenbereich, bewegen. Manche Galaxien sind so weit entfernt, daß sie im sichtbaren Licht (in dem das Hubble-Teleskop arbeitet) nicht mehr zu erkennen sind. Deshalb sprechen Wissenschaftler von einem „Blick in die Vergangenheit“; was wir durch ein solches Teleskop sehen, ist nicht das heutige Aussehen der Sterne und Galaxien, sondern das, was vor Milliarden von Jahren geschah, als die Strahlung ihre Reise in Richtung unserer Galaxie begann.
Gäbe es eine hypothetische intelligente Lebensform, die die Erde von einer weit entfernten Galaxie aus betrachtet, würde diese noch die Dinosaurier sehen, nicht unsere heutige Zivilisation.
Wie wir bei vielen anderen astronomischen Entdeckungen gesehen haben, ist die Wahrheit oft viel spektakulärer als die Theorie. Mit dem JWWT können wir uns der vielleicht tiefgreifendsten Entdeckung überhaupt nähern, nämlich wie das bekannte Universum entstanden ist, und ein besseres Verständnis der Rolle des Menschen darin erlangen. Vielleicht entdecken wir die Wahrheit von Friedrich Schillers Vorstellung: „Das Universum ist ein Gedanke Gottes“.
Weit über Hubble hinaus
Je weiter man in den Weltraum hinaus schaut, desto schwieriger sind Galaxien mit normalen Teleskopen zu sehen – das liegt nicht nur an der Entfernung, sondern auch an der „Streckung“ der Wellenlänge. Das Weltraumteleskop Hubble sieht im Bereich des ultravioletten und sichtbaren Lichts, so daß diese weit entfernten Galaxien immer schwieriger zu erkennen sind. Und normalerweise wird ein Teleskop in Bereiche gerichtet, wo die Astronomen mehr Details eines interessanten Objekts sehen wollen. Im Jahr 1995 jedoch richtete man Hubble einmal in Richtung eines scheinbar dunklen, leeren Weltraumbereichs, wobei auf einen Schlag atemberaubende Bilder von Milliarden von Galaxien (die Tiefenfeld-Studien) sichtbar wurden. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, daß es mindestens drei Billionen Galaxien gibt – man stelle sich vor, welche neuen Horizonte sich auftun, wenn das JWWT mit seinen Infrarotfähigkeiten in die Tiefen des Weltraums vordringt.
Dies dürfte auch die Wissenschaftsministerin Sarah bint Yousif Al Amiri aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) inspiriert haben, als sie davon sprach, daß man mit dem Finger in jede beliebige Richtung in den Himmel zeigen könnte und dort Milliarden von Galaxien sehen würde. Sie war für die Mission Hope der VAE verantwortlich, die im Februar 2021 erfolgreich in eine Umlaufbahn des Mars eintrat.
Mit seinem Spektroskop wird das JWWT auch die Atmosphäre von Exoplaneten untersuchen, d. h. von Planeten in anderen Sonnensystemen als dem unseren. Dabei wird die Intensität des von einem Objekt ausgesandten Lichts bei verschiedenen Wellenlängen gemessen. Mit den so gewonnenen Spektren läßt sich die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre von Exoplaneten bestimmen.
Wenn ein Planet vor seiner Sonne vorbeizieht, durchdringt das Licht der Sonne die Atmosphäre des Planeten. Mit Hilfe der Spektroskopie entsteht eine „Absorptionslinie“ an der Stelle im Spektrum, an der man die „Signatur“ eines Elements erwarten würde. Das Vorhandensein von Natrium in einer Atmosphäre zeigt sich zum Beispiel als schwarze Linie in einem bestimmten Teil des Spektrums. Der Grund dafür ist, daß verschiedene Elemente Licht bei bestimmten Energien absorbieren. Auf diese Weise lassen sich weit entfernte Planeten untersuchen, die möglicherweise eine Atmosphäre haben, in der Leben möglich ist.
Das JWWT wird auch die Erkenntnisse über unser eigenes Sonnensystems erweitern, indem es die Atmosphäre der Planeten und sogar die sehr dünne Atmosphäre ihrer Monde untersucht.
Präzisionsinstrumente und der goldene Spiegel
Alle Instrumente des JWWT, die die Feinmessungen durchführen sollen, befinden sich im Integrated Science Instrument Module (ISIM), das wiederum eines der drei Hauptelemente des Teleskops ist. Das zweite Hauptelement ist das Optische Teleskopelement (OTE), und das dritte ist das Sondenelement mit der Versorgungseinheit und dem Sonnenschild.
Zum ISIM gehört das kryogene Instrumentenmodul. Hier müssen verschiedene Detektoren auf extreme Temperaturen im Bereich von 39 Kelvin heruntergekühlt werden, damit die empfindlichen Instrumente interstellares Licht und nicht ein zufälliges Infrarot-„Selfie“ auffangen.
Die vier Hauptinstrumente des ISIM sind die folgenden:
- Die Nahinfrarotkamera (NIRCam), entwickelt von der Universität von Arizona
- Der Nahinfrarot-Spektrograph (NIRSpec), bereitgestellt von der ESA, mit Komponenten des NASA/Goddard Flight Space Center
- Das Mittelinfrarot-Instrument (MIRI), bereitgestellt von einem Konsortium der ESA und des NASA Jet Propulsion Laboratory (JPL)
- Feinsteuerungs-Sensor/Nahinfrarot-Kamera und schlitzloser Spektrograph (FGS/NIRISS), bereitgestellt von der CSA.
Die besondere Technik in dem NIRSpec, die es ihm ermöglicht, 200 Spektren gleichzeitig aufzunehmen, ist ein mikroelektromechanisches System, das als „Microshutter-Array“ bezeichnet wird. Diese Mikroverschlußzellen des NIRSpec, jede etwa so breit wie ein menschliches Haar, haben Deckel, die sich öffnen und schließen, wenn ein Magnetfeld angelegt wird. Jede Zelle kann individuell gesteuert werden, so daß sie geöffnet oder geschlossen werden kann, um einen Teil des Himmels zu sehen oder zu blockieren.
Diese Regulierbarkeit ermöglicht es dem Instrument, so viele Objekte gleichzeitig spektroskopisch zu erfassen. Da die Objekte, die NIRSpec untersuchen soll, weit entfernt und sehr schwach sind, benötigt das Instrument eine Möglichkeit, das Licht von näheren hellen Objekten auszublenden. Mikroblenden funktionieren ähnlich wie Menschen, die blinzeln, um einen Gegenstand scharf zu sehen, indem sie störendes Licht ausblenden.
Das „Auge“ des Teleskops ist das Optische Teleskopelement (OTE), das aus einer Reihe von Elementen besteht:
- Dem Hauptspiegel mit einem Durchmesser von 6,5 Metern, zusammengesetzt aus 18 sechseckigen Spiegeln, die unabhängig voneinander zur Feinabstimmung bewegt werden können
- Dem runden Sekundärspiegel mit einem Durchmesser von 74 Zentimetern
- Dem Tertiärspiegel und dem Feinsteuerungsspiegel, die alle zum hinteren Optik-Subsystem gehören
- Der Teleskopstruktur (die die Primärspiegel-Rückwandstützstruktur, die Sekundärspiegel-Haltestruktur und die ausfahrbare Turmanordnung umfaßt)
- Dem Wärmekontroll-Subsystem
- Dem hinteren beweglichen ISIM-Strahler (ADIR)
- Der Wellenfronterfassung und -steuerung.
Der Hauptspiegel mußte groß sein, um so viel Licht wie möglich von weit entfernten Objekten einzufangen. Jeder einzelne Spiegel ist aus ultraleichtem Beryllium gefertigt und mit einer hauchdünnen Goldschicht überzogen, welche die Reflexion des Infrarotlichts verbessert. Noch nie zuvor wurde ein Spiegel dieser Größe ins All befördert. Hierfür mußte er sich auf kleinstem Raum zusammenfalten lassen, um in die Ariane-Rakete zu passen. Während des Fluges im Weltraum hat er sich dann zu genau festgelegten Zeiten und mit bestimmten Geschwindigkeiten entfaltet, um keine Bewegung in die entgegengesetzte Richtung zu erzeugen.
Bereits Johannes Kepler (1571–1630) hatte sich in seiner erbaulichen Schrift Vom sechseckigen Schnee über die besondere geometrische Form des Sechsecks geäußert, aus dem alle Schneeflocken bestehen; es ist auch die perfekteste Form für ein Teleskop, denn ein Sechseck ist die stabilste Struktur, die einen „hohen Füllfaktor“ aufweist. Dadurch passen alle kleineren Sechsecke ohne Zwischenraum zusammen und bilden eine kreisförmige Oberfläche, die das einfallende Licht für die Detektoren in den kompaktesten Bereich bündelt.
Eine weitere Herausforderung besteht darin, den Spiegel im Weltraum kalt genug zu halten, um weit entfernte Sterne und Galaxien auffinden zu können. Er wurde strengen Tests unterzogen, um sicherzustellen, daß er in den Tiefen des Weltraums funktioniert und seine Strukturen sich nicht verformen. Das wichtigste Mittel, um den Spiegel kühl zu halten, ist der Sonnenschutzschild, der ihn vor der Strahlung der Sonne und der Erde schützt.
Der Sonnenschutzschild
Die Kühlung des Spiegels und der anderen Instrumente erfolgt durch ein fünflagiges, tennisplatzgroßes Sonnenschild, das wie ein Sonnenschirm wirkt (tatsächliche Abmessungen: 21,2 · 14,16 m).
Der Sonnenschutzschild befindet sich stets zwischen Sonne/Erde/Mond und dem Teleskop. Dies ist möglich, weil das JWWT die Sonne in einer Entfernung von 1,5 Millionen Kilometern von der Erde – aber ungefähr auf einer Achse mit ihr – umkreist. Das Teleskop wird sich an einem „Gleichgewichtspunkt“ im Weltraum befinden, dem Lagrange-Punkt 2, der fast 1,6 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ist. Das Teleskop wird L2 im wesentlichen in einer Ebene umkreisen, die senkrecht zur Ebene der Sonnenumlaufbahn der Erde verläuft.
Durch die fünf Schichten aus einem speziellen Material namens Kapton wird die Wärme in die Zwischenräume abgeleitet. Das silberglänzende Material des fünfschichtigen Sonnenschutzschildes ist eine komplexe materialwissenschaftliche Errungenschaft. Jede Schicht besteht aus diesem einzigartigen Verbundmaterial, jede hat eine bestimmte Dicke und Größe, und die Schichten müssen im Raum einen genauen Abstand voneinander haben. Es gibt sogar spezielle Nähte und Verstärkungen, um Beschädigungen durch Meteoriten gering zu halten (d. h. „Ripstop“-Eigenschaften in sehr kleinem Maßstab).
Auf der NASA-Webseite des James-Web-Weltraumteleskops wird dies genauer erläutert:
„Die Sonnenschutzschichten sind außerdem mit Aluminium und dotiertem Silizium beschichtet, um ihre optischen Eigenschaften und ihre Langlebigkeit im Weltraum zu verbessern. Bei der Dotierung wird während des Siliziumbeschichtungsprozesses eine kleine Menge eines anderen Materials beigemischt, damit die Beschichtung elektrisch leitfähig wird. Die Beschichtung muß elektrisch leitfähig sein, damit die Membranen mit dem Rest des JWWT elektrisch geerdet werden können und sich keine statische elektrische Ladung auf ihrer Oberfläche aufbaut. Silizium hat eine hohe Emissivität, d. h. es strahlt die meiste Wärme und das meiste Licht ab und verhindert, daß die Sonnenwärme die darunter befindlichen Infrarotinstrumente erreicht. Die hochreflektierenden Aluminiumoberflächen lassen die restliche Energie aus den Lücken an den Rändern der Sonnenschutzschichten abprallen.“
Anhang: Lagrange-Punkte – Nette Orte zum „Abhängen“
Es gibt wichtige Gründe, das James-Webb-Teleskop an dem Lagrange-Punkt 2 zu stationieren. Tatsächlich sind alle Lagrange-Punkte ziemlich besonders.
Auf der NASA-Website findet sich die folgende Erklärung:
„Joseph-Louis Lagrange war ein Mathematiker aus dem 18. Jahrhundert, der die Lösung für das sogenannte „Dreikörperproblem“ fand. Dieses Problem lautet: Gibt es irgendeine stabile Konfiguration, in der drei Körper einander umkreisen können und dabei in der gleichen Position zueinander bleiben? Wie sich herausstellt, gibt es fünf Lösungen für dieses Problem – und sie werden nach ihrem Entdecker als die fünf Lagrange-Punkte bezeichnet. In den Lagrange-Punkten entspricht die Anziehungskraft zweier großer Massen genau der Zentripetalkraft, die ein kleines Objekt benötigt, um sich mit ihnen zu bewegen. Die Punkte L1, L2 und L3 liegen alle auf einer Linie, und L4 und L5 befinden sich in den Spitzen gleichseitiger Dreiecke.
Johannes Kepler (1571–1630), dessen 450. Geburtstag wir am 27. Dezember 2021 feierten, entwickelte die sogenannten drei Gesetze der Planetenbewegung, die da lauten:
Erstens, die Bahn eines jeden Planeten ist eine Ellipse mit der Sonne im Brennpunkt; Zweitens, eine imaginäre Linie, die die Sonne und einen Planeten verbindet, überstreicht gleiche Flächen im Raum in gleichen Zeiten; Drittens, das Quadrat der Umlaufzeit eines Planeten (die Zeit, die er braucht, um die Sonne zu umrunden) ist proportional zum Kubus der Halbachse seiner Umlaufbahn.“
In der Abbildung sieht man, daß L1 und L2 auf einer Linie zwischen der Sonne und der Erde liegen. Man würde erwarten, daß L1 auf seiner Bahn etwas schneller rotiert als die Erde auf ihrer Bahn, und L2 etwas langsamer. Aber bemerkenswerterweise bewegen sich diese Punkte aufgrund einer Kombination von Kräften (Gravitations-, Zentripetal- und scheinbare Zentrifugalkräfte) mit der gleichen Periodizität wie die Erde auf ihrer Bahn.
Das bedeutet, daß das JWWT seine Ausrichtung auf die Erde während des gesamten Umlaufs um die Sonne beibehält, während es L2 im rechten Winkel zur Ebene der Erdbahn umkreist, so daß seine Bewegung als eine Art Epizykel erscheint (wie ein Riesenrad, das sich auf einer Bahn bewegt). Dies ermöglicht einen minimalen Treibstoffverbrauch, um ihn auf seiner Umlaufbahn zu halten. Das JWWT wurde für eine nominelle fünfjährige Mission konzipiert, wird aber voraussichtlich mindestens 10 Jahre und wahrscheinlich länger durchhalten. Eine Animation der Umlaufbahn findet man hier.
Die Lagrange-Punkte werden bereits für verschiedene Sonnenbeobachtungen genutzt: In L1 befinden sich ACE (Advanced Composition Explorer), DSCOVR (Deep Space Climate Observatory), SOHO (Solar and Heliospheric Observer) und die Wind-Raumsonde von 1994; in L2 befinden sich die Satelliten Herschel, Planck und WMAP.
Die Eigenschaften der Punkte L4 und L5 sind ebenso beeindruckend: Sowohl L4 als auch L5 sind strategische und dauerhafte Schwerkraftquellen, in denen größere Missionen, wie eine große Raumstation oder eine Zwischenstation, über lange Zeiträume hinweg geparkt werden könnten. Da diese Punkte gleich weit von der Erde entfernt sind, könnten sie für den Zusammenbau von Raumschiffen für Langzeitmissionen genutzt werden, bei denen Materialien zwischen der Erde (oder dem Mond) und diesen stabilen Punkten transportiert werden.
Lagrange-Punkte gibt es zwischen zwei beliebigen Massen in der Umlaufbahn. So kann man sich auch Umlaufbahnen anderer Planeten, wie z. B. Jupiter, betrachten und feststellen, daß sich zahllose Asteroiden bei L4 und L5 (von Jupiter) sammeln, die als „Trojaner“ (60˚ hinter Jupiter) und „Griechen“ (60˚ vor Jupiter) bezeichnet werden, und mit Jupiter auf seiner Umlaufbahn um die Sonne mitfliegen (siehe nebenstehende Abbildung). Die NASA-Mission „Lucy“, die am 16. Oktober 2021 startete, wird acht dieser Asteroiden (einen Asteroiden in der inneren Umlaufbahn und sieben „Trojaner“) besuchen, um mehr über deren Herkunft und Geologie zu erfahren.
L3 befindet sich im allgemeinen direkt gegenüber einem Planeten, auf der anderen Seite der Sonne. L3 der Erde kommt derzeit nicht für Weltraummissionen in Betracht, da es schwierig ist, eine Kommunikation herzustellen.