Das chinesische Beidou-Navigationssystem hat eine spannende Entwicklungsgeschichte
und ist in einigen Bereichen inzwischen weltführend.
Von der Antike bis in die Gegenwart hat die Menschheit immer nach den besten Navigationstechniken gesucht und viele angewendet – von der frühen Sinan-Orientierung in der Seefahrt, über Sternkarten, Sextanten und Chronographen bis hin zur moderneren Funknavigation. Mit dem Fortschritt von Wissenschaft und Technologie, insbesondere durch die Entwicklung der Raumfahrt, ist der Mensch seit einigen Jahrzehnten in die Ära der Satellitennavigation eingestiegen.
Im ersten Golfkrieg 1991, als das US-Militär im Irak GPS-gesteuerte Präzisionswaffen als „Wunder der modernen Kriegführung“ einsetzte, befand sich China gerade erst am Anfang seiner Aufbruchphase, ein gutes Jahrzehnt nach der ersten wirtschaftlichen Reform und Öffnung des Landes. Im Jahre 1994, trotz der noch sehr schwachen Wirtschaftsleistung, hat die chinesische Staatsführung in der Zentralen Militärkommission die strategische Entscheidung getroffen, sein eigenständiges Satellitennavigationssystem „Beidou“ zu entwickeln (Beidou ist das chinesische Wort für Polaris, den Nordstern). Zu diesem Zeitpunkt hatten sowohl das amerikanische GPS, als auch das russische GLONASS mit jeweils mehr als 20 Satelliten im All bereits einen hohen Stand der Positionsbestimmung auf dem gesamten Globus erreicht.
Mit Blick auf den Sternenhimmel waren damit die besten Frequenzbereiche für die Satellitennavigation bereits von den USA und Rußland belegt. China und die Europäische Union haben dann gemeinsam bei der ITU (Internationale Fernmeldeunion) die Freigabe eines maximal möglichen, aber sehr kleinen Frequenzbandes aus der Luftfahrt zugunsten der Satellitennavigation erreicht. Ein solcher Frequenzbereich ist die Grundvoraussetzung für den Aufbau eines globalen Navigationssystems und kann von jedem Land zur Nutzung beantragt werden. So stellten am 17. April 2000 Beidou und Galileo gleichzeitig den Nutzungsantrag. Nach den ITU-Regeln müssen Navigationssatelliten innerhalb der Gültigkeitsdauer von sieben Jahren erfolgreich gestartet werden. Eine sehr kurze Zeitspanne für eine solche Entwicklung – und damit begann zumindest für China ein Wettlauf mit der Zeit!
Erster Erfolg
Für Beidou gab es zwei mögliche Wege bei der Umsetzung: Erstens, die internationale Zusammenarbeit zu suchen und Ressourcen zu teilen, und zweitens, sich eigenständig zu entwickeln und die Initiative zu ergreifen. Beidou ist im Grunde genommen beide Wege parallel gegangen! Da China zur damaligen Zeit in den notwendigen Schlüsseltechnologien noch nicht besonders stark war, war es oft schwierig, gleichberechtigten Austausch mit den Partnern zu erreichen. Die vielen Verhandlungen mit der EU über die Zusammenarbeit in der Nutzung von Frequenzen kamen nur langsam voran.
Im Jahr 2005 startete die EU ihren ersten Galileo-Navigationssatelliten. Zu diesem Zeitpunkt verblieben Beidou für die lizenzierte Nutzung des Frequenzbandes nur noch weniger als 3 Jahre. Falls China nicht innerhalb dieser Zeit einen Navigationssatelliten erfolgreich starten sollte, würde das Frequenzband wieder für andere Zwecke freigegeben werden. Doch der erste Beidou-Navigationssatellit befand sich noch mitten in der Entwicklung!
An diesem kritischen Punkt wurden die institutionellen Vorteile des chinesischen Systems genutzt: Durch die geballte Zusammenarbeit aller relevanten Branchen, von Forschungs- und Industriefeldern, von Unternehmens- und Staatseinheiten mit Fach- und Managementpersonal wurde der Planungstermin für die Fertigstellung des ersten Satelliten von Ende 2007 auf den Februar 2007 vorverlegt.
Am 14. April 2007 um 4:11 Uhr Ortszeit startete der erste von China entwickelte Beidou-Navigationssatellit von der Satellitenbasis in Xichang und erreichte erfolgreich die geplante Umlaufbahn. Am Nachmittag des 16. Aprils erhielt die Kontrollstation in Beijing ein klares Signal vom Satelliten zur Navigation – weniger als vier Stunden vor Ablauf der von der ITU festgelegten Frist für die Frequenznutzung! Damit war die letzte Hürde auf dem Weg zu Chinas globalem Satellitennavigationssystem genommen: Chinas Nordstern war am Himmel.
Der chinesische Weg
Die Chinesen zogen daraus eine wichtige Lehre: Ein großes Projekt für ein großes Land packt macht man am besten mit eigenem Fleiß und eigener Kreativität an. Der Bau des Beidou-Satelliten in diesem noch in der Entwicklung befindlichen Land unter schwierigen Bedingungen gab China das Selbstvertrauen, den eigenen Weg ganz zu gehen.
Zuerst sondiert man den Weg – nach dem chinesischen Sprichwort: „Fluß durchqueren durch Antasten der Steine“. Die Beidou-Ingenieure fanden kreative Lösungen für große Probleme. Nach dem bekannten Prinzip der räumlichen Positionierung müßten sich mindestens drei Satelliten am sichtbaren Himmel befinden, um die Position eines Zielpunktes auf der Erde zu bestimmen. Angesichts der möglichen Zeitungenauigkeit wäre für eine genaue Positionsbestimmung mindestens ein vierter Satellit erforderlich. Nach diesem Grundprinzip funktionieren GPS und GLONASS mit ihrem Netzwerkprogramm zur globalen Abdeckung. Wenn Beidou nach diesem Prinzip entwickelt worden wäre, hätte dafür die technische Stärke Chinas zu dieser Zeit noch nicht ausgereicht. Chen Fangyun, Mitglied der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und einer der Initiatoren des sogenannten „863-Plans“, entwickelte den kreativen Plan einer „Doppelsternpositionierung“. Mit den damals ausgereiften chinesischen Raumfahrttechnologien konnte mit diesem Plan die Autonomie und Kontrolle des Satellitennavigationssystems unter der kleinsten Konstellation, dem geringsten Aufwand und dem kürzesten Zyklus verwirklicht werden.
„Dann die Straße ziehen“ – aber nicht stur den Plänen anderer folgen. Entwicklung und Bau des chinesischen Beidou sollte nachfrageorientiert und innovationsgetrieben umgesetzt werden. Das dringend Notwendigste wird zuerst gebaut. Was gebaut wird, wird genutzt und bei Bedarf erweitert.
Der Bau eines kompletten globalen Navigations- und Positionierungssystems erfordert mindestens 24 Satelliten. Dafür benötigen die USA und Rußland beide mehr als 20 Jahre. China konnte sich diese Zeitspanne nicht leisten! Sun Jiadong, Mitglied der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und führender Chefdesigner des Beidou-Projekts, war sich dessen bewußt und führte das kreative „Step-by-Step“-Vorgehen ein: Zuerst experimentieren, dann bauen – zuerst regional, dann national und zuerst Inland, dann Ausland.
Die Erde dreht sich, und ein Mensch „reist acht Wanli am Tag“ (chinesisches Sprichwort, ein Wanli = 5.000 km). Jeder Navigationssatellit fliegt ununterbrochen um die Erde herum. Um einen kontinuierlichen und stabilen Navigationsdienst für einen bestimmten Bereich am Boden zu erreichen, ist nach der eingleisigen Konstellation entsprechend dem GPS- und GLONASS-Prinzip ein dichtes globales Netzwerk erforderlich, dessen Fertigstellung für China zunächst fast nicht zu erreichen war.
So wurde Beidou einmal mehr Pionier bei der kreativen Ausgestaltung einer gemischten Satelliten-Konstellation: Ende 2012 wurde die zweite Stufe des Beidou-Satellitennavigationssystems fertiggestellt, bestehend aus insgesamt 14 Satelliten von geostationären, geneigten synchronen und mittleren runden Umlaufbahnen. Das System stellte für die meisten Teile Asiens und des Pazifiks rund um die Uhr und bei jedem Wetter die Dienste zur Positionierung, Navigation und Zeitbestimmung bereit.
Weitere Herausforderungen meistern
Die dritte nächste Stufe stellte höhere Anforderungen an das Navigationssystem – höhere Genauigkeit bei Positionierung und Zeitbestimmung, außerdem sollten weitere Kommunikationsdienste hinzukommen. Auf dem Weg zum Gipfel lagen noch weitere steinige Wege vor der relativ jungen Beidou-Mannschaft, die jedoch höchst motiviert an die schwierigen Probleme heranging.
Die Zeitgenauigkeit ist das Eingangstor zur Satellitennavigation; jedes Navigationssystem verwendet Atomuhren, um die erforderliche Präzision zu erreichen und zu halten. In der Vergangenheit konnten nur wenige Länder hochpräzise Atomuhren herstellen. Innerhalb von weniger als zwei Jahren gelang es Beidou-Ingenieuren, hochpräzise und stabile Atomuhren zu entwickeln, deren Zeitungenauigkeit bei weniger als einer Sekunde in drei Millionen Jahren liegt, wodurch das herrschende Monopol anderer Länder gebrochen wurde.
Allein mit Hilfe von Satelliten liegt die Positionierungsgenauigkeit eines Navigationssystems im Bereich von unter 10 Metern. Um diese Genauigkeit weiter zu erhöhen, reicht es nicht aus, einfach nur am Himmel zu arbeiten, sondern auch am Boden müssen Referenzstationen aufgebaut werden. Beidou-Mitarbeiter stellten dabei fest, daß im vorangegangenen Jahrzehnt viele chinesische Behörden, z.B. für die Meteorologie, das Transportwesen und die Landressourcen, bereits eine große Anzahl von GPS-basierten Referenzstationen errichtet hatten, die durch technische Modernisierung und Transformation in Beidou-Basisstationen umgewandelt werden konnten. Weitere Neubauten und Anpassungen zur Optimierung kamen hinzu, so daß mittlerweile eine lückenlose nationale Territorialabdeckung durch das bodengestützte Fundamentalnetz zur Stärkung der Beidou-Navigation entstanden ist und landesweit eine Positionierungsgenauigkeit von unter einem Meter ermöglicht; in einigen Bereichen sogar unter einem Dezimeter. Die höchste erreichbare Genauigkeit liegt im Zentimeter- und Millimeterbereich.
Strategische Aspekte und Nutzen im eigenen Land
Beidou unterstützt mittlerweile einen breiten Nutzungsbereich im eigenen Land. Mehr als 50.000 Fischereischiffe und vier Millionen Lastkraftwagen haben bereits Beidou-Terminals installiert. Die Zivilluftfahrt ist dabei, ein Beidou-System für das globale Flottenmanagement zu installieren, und für China ist es natürlich auch wichtig, daß die zur Landesverteidigung benötigten Schlüsseltechnologien ganz in eigenen Händen liegen.
Bei der Frühwarnung, der Echtzeitüberwachung von drohenden Naturkatastrophen sowie bei Rettungsaktionen hat Beidou bereits einige eindrucksvolle Dienste geleistet, z.B. beim Führen chinesischer Rettungsmannschaften in den Gebirgen von Nepal nach dem Erdbeben 2015 durch die Nutzung von Kurzmitteilungen zwischen ihnen und der Leitzentrale. Im selben Jahr konnten bei Rettungsaktionen auch 347 Fischerboote beim plötzlichen Aufkommen des außergewöhnlich starken Taifuns „Swan“ in der Provinz Guangdong sicher zum Hafen geleitet werden.
Aktuell bieten sich weitere Nutzungspotentiale durch die Kombination „Beidou + Internet + andere Branchen”: Durch die Vernetzung von Autos, Schiffen, Gütern und Menschen entsteht eine Reihe neuer Entwicklungskonzepte. Beispielsweise „Beidou + Gemüse“: Über das Scannen eines 2-D-Barcodes können Herkunft und Wachstum einer Pflanze sowie die Anwendung von Düngemitteln nachverfolgt werden. Der Obstanbau, die Tierhaltung und die Herstellung traditioneller chinesischer Medizin haben begonnen, die Beidou-Terminals für das Rückverfolgbarkeitsmanagement zu nutzen. Fahrdienste per Smartphone werden zunehmend durch die Kombination von Beidou-Navigation, elektronischen Karten und weiteres Internet der Dinge erfolgen. Ebenso bei der Fahrzeug- und Verkehrsüberwachung: Falsches Parken, Übermüdung der Fahrer, Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit und Überquerung von Fahrbahnen können festgestellt und geahndet werden. Beidou-Handys helfen alten Menschen und Kindern, im Ernstfall Notrufe abzusetzen.
Beidou ist ein Innovationsmotor mit unbegrenztem Potenzial. So beginnen sich „Beidou + Logistics”, „Beidou + Payment“ und in der Produktion „Beidou + …“ zu entwickeln. Gesellschaft und Ökonomie profitieren von der hochpräzisen Positionierung, genauen Zeitbestimmung und schnellen Kurznachrichtenfunktion. Weiterer Nutzen ergibt sich durch die Kombination mit Fernerkundung, Internet, Big Data, Cloud Computing und künstlicher Intelligenz. Eine komplette Beidou-Industriekette nimmt Gestalt an; China hat mehr als 14.000 Unternehmen mit einer halben Million Mitarbeiter, die sich mit der Entwicklung von Beidou-basierten Anwendungen beschäftigen. Der Gesamtumsatz erreicht 212 Mrd. Yuan (26,5 Mrd. Euro). Die Entwicklung von Beidou ist weit über das ursprüngliche Design hinausgegangen, und seine Zukunft wird nur durch die Phantasie der Menschen begrenzt.
Beidou als Nordstern der globalen Welt
Da es schwierig ist, Bodenstationen für das globale Satellitenmanagement aufzubauen, ist es notwendig, Inter-Satelliten-Verbindungen herzustellen, damit Satelliten mit anderen Satelliten kommunizieren. Das erfordert die schwierige Einrichtung einer modernen Technologie der Globalnavigation, die innerhalb des Beidou-Projekts gelöst werden konnte. Im August 2015 stellten zwei chinesische Experimentalsatelliten des Globalnavigationssystems erstmalig eine Inter-Satelliten-Verbindung her.
Auch Kombinationen mit anderen Navigationssystemen brachten bereits Erfolge: Vor drei Jahren haben Beidou und GPS auf Grundlage der Frequenzkompatibilität einen Mechanismus geschaffen, um gemeinsam die Entwicklung der zivilen Satellitennavigationstechnologie zu fördern. Vor zwei Jahren haben Beidou und Galileo die Frequenzkoordination in der Satellitennavigation gestartet, und vor kurzem haben Beidou und GLANOSS erfolgreich Kompatibilitätsexperimente durchgeführt mit dem perspektivischen Ziel, international eine höhere Präzision durch Satellitencluster zu erreichen.
Dadurch wird Beidou auch globaler nutzbar. Einige Dienste stehen bereits über das Inland hinaus für den asienpazifischen Raum zwischen dem 55. Breitengrad Nord-Süd bzw. 55.-180. Längengrad offen und kostenfrei zur Verfügung. Sie beinhalten eine Messungsgenauigkeit in der Positionierung von 10 Meter, in der Geschwindigkeit von 0,2 Meter pro Sekunde sowie in der Zeit von 50 Nanosekunden.
In und um China und entlang der Neuen Seidenstraße leistet Beidou bereits heute maßgeschneiderte Dienste für den Straßentransport und das Hafenmanagement Pakistans, für die Landplanung und Flusstransport Myanmars, für die feingegliederte Landwirtschaft, bei der Bekämpfung und Überwachung der Insektenkatastrophe Laos, bei der urbanen Modernisierung und Entwicklung des intelligenten Tourismus Bruneis. Austauschprogramme und Kooperationen finden mit weiteren Ländern wie Malaysia, Singapur, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Thailand statt, um z. B. kleine Beidou-Basisstationen zur Stärkung der jeweiligen regionalen Navigationsnetzwerke aufzubauen.
Ausblick
Während am Anfang das Beidou-Projekt aus 4 experimentellen Satelliten bestand, sind weitere 14 Satelliten bereits seit 6 Jahren in Betrieb. Der Netzausbau schreitet weiter voran: Allein von November 2017 bis März 2018 wurden innerhalb von sechs Monaten 8 Beidou-Satelliten erfolgreich gestartet. Dabei wurden je zwei Satelliten mit einer Trägerrakete paarweise zum Himmel befördert. Im Laufe von 2018 wurden neben weiteren Satelliten mittlerer Erdumlaufbahnen auch ein geostationärer Navigationssatellit erfolgreich gestartet, so dass Dienste in den Ländern entlang der Neuen Seidenstraße flächendeckend zur Verfügung stehen. Für 2019 und 2020 sind elf weitere Satelliten geplant. Bei Fertigstellung 2020 werden insgesamt 35 Satelliten global Dienste leisten, die dem fortschrittlichsten Technologieniveau entsprechen.
Beidou wird sich dann hinsichtlich des Gesamtsystems mit dem amerikanischen GPS messen können. Auch wird es in der Lage sein, kompatible Signale mit GPS, GLANOSS und Galileo zu senden. Das verbessert nicht nur die Funktionen des eigenen Systems, sondern kann auch, in Übereinstimmung mit internationalen Standards, Such- und Rettungsdienste bieten. Darüber hinaus verfügt das Beidou-System über einige Leistungsmerkmale, die GPS und andere Systeme nicht besitzen: Erstens benutzt Beidou die gemischte Satelliten-Konstellation aus Umlaufbahnen in drei unterschiedlichen Höhen, insbesondere verstärkt im höheren Orbit. Daraus resultiert eine bessere Abdeckung, speziell für Gebiete niedrigerer Breitengraden. Zweitens sendet Beidou Navigationssignale in Multi-Frequenzen, die durch Signalkombination zur Verbesserung der Dienst-Genauigkeit verwendet werden können. Und drittens kombiniert Beidou innovativ die Navigations- und Kommunikationsfunktionen. Echtzeit-Navigation, schnelle Positionierung, exakte Zeitbestimmung, Standortbericht und Kurznachrichten-Mitteilung bilden die fünf wichtigsten Dienste, wobei die Kurznachrichten-Mitteilung gar von den USA, Europa und Japan beneidet wird.