Deutschland muß nach China blicken

Eine Katastrophenmeldung jagt die nächste: Die offizielle Arbeitslosenzahl nähert sich der Fünfmillionengrenze, die Renten sind keineswegs mehr gesichert, das Gesundheitssystem fällt auseinander, die Sozialpläne werden Makulatur, die Kommunen sind bankrott, an den Unis werden ganze Fakultäten abgebaut. Kein halbwegs intelligenter Mensch kann denken, daß es sich bei dem ihn betreffenden Problem um ein Einzelproblem handelt. Der Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft ist nur ein Symptom der Systemkrise des globalen Wirtschafts- und Finanzsystems. Aber die Regierung Schröder reagiert auf die immer neuen Haushaltslöcher mit dem denkbar falschesten Mittel: Sparen, sparen, totsparen! Die SPD ist dabei, den Sozialstaat, wie er seit 130 Jahren erkämpft wurde, brutal zu demontieren.

Aber es gibt einen Ausweg! Die Reise von Kanzler Schröder nach China im Dezember könnte zum Beginn einer grundlegenden Wende werden. Denn die Länder Asiens – China, Indien, Rußland, Südkorea, Japan usw. – sind längst dabei, die seit Jahren vorgeschlagene Eurasische Landbrücke zu verwirklichen. Die deutsche – und die europäische – Wirtschaft können sich nur erholen, wenn wir in Deutschland z.B. wieder bis zu 40 % unseres Inlandsprodukts exportieren. China, Indien, Südostasien, mit einer Bevölkerung von rund 3,5 Milliarden Menschen, sind die schnell wachsenden Exportmärkte, die wir brauchen, wenn wir wieder produktive Vollbeschäftigung erreichen wollen.

Die Voraussetzung hierfür ist, wie Helga Zepp-LaRouche, die Vorsitzende der Bürgerrechtsbewegung Solidarität, in einem kürzlichen Massenflugblatt schrieb, daß auch Deutschland eine „Dengsche Wirtschaftreform“ durchführt. Sie schreibt darin: „Chinas sagenhafter Wirtschaftsaufschwung ist Deng Xiaopings Abkehr von der katastrophalen Wirtschaftspolitik der Kulturrevolution zu verdanken. Wenn wir uns in Deutschland von den Folgen unserer ‚Kulturrevolution‘, d. h. dem neoliberalen, nachindustriellen Paradigma der letzten 35 Jahre, erholen wollen, brauchen wir eine ebenso radikale Wende, wie China sie unter Deng vollzogen hat!“

Nach der Gründung der Volksrepublik China 1949 kam es zunächst zu einer wirtschaftlichen Verbesserung. Dann begann 1958 mit dem „Großen Sprung nach vorn“ und der Kampagne der „Drei Roten Banner“ der Siegeszug des Linksradikalismus – und damit ein massiver wirtschaftlicher Niedergang, der in den nächsten acht Jahren große wirtschaftliche Verluste mit sich brachte. Die andauernden Machtkämpfe gipfelten schließlich in der Kulturrevolution, an deren Ende China vor dem absoluten Ruin stand.

China hatte damals einen ungeheuren Mangel an hochqualifizierten Arbeitskräften, aber trotzdem wurden die wenigen Piloten, Ingenieure und Wissenschaftler jahrelang aufs Land geschickt, um „von den Massen zu lernen“. Intellektuelle wurden als Klassenfeinde verfolgt, die Roten Garden erhielten bei Übergriffen gegen die Familien solcher Klassenfeinde wie bei der Zerstörung „reaktionärer Kulturgüter“ freie Hand. Dieser Wahnsinn terrorisierte die Bevölkerung in dieser Zeit, die generell als eines der grausamsten Kapitel in der Jahrtausende alten chinesischen Geschichte empfunden wird.

Mit dem Tod Mao Tsetungs ergab sich für Deng die Möglichkeit, gegen Maos Witwe Jiang Qing, ihre Viererbande und gegen Hua Guofeng vorzugehen. Die Bevölkerung hatte genug von den Errungenschaften der Kulturrevolution, und vom 6. bis zum 15. Januar 1977 versammelte sich eine Million Menschen auf dem Platz des Himmlischen Friedens und verlangten Dengs Rehabilitierung. Auf der Plenarsitzung des Zentralkomitees vom 16.–22. Juli wurde Deng in alle Posten wiedereingesetzt, aus denen ihn zuvor die Viererbande verdrängt hatte.

Am 26. Februar 1978 eröffnete Deng Xiaoping den V. Nationalen Volkskongreß. Er forderte, noch in diesem Jahr Landwirtschaft, Industrie und Landesverteidigung zu modernisieren und durch die massive Anwendung des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts China zu einem der fortschrittlichsten Länder der Welt zu transformieren.

Eine beispiellose industrielle Revolution begann. In unglaublich kurzer Zeit stieg der Lebensstandard der Bevölkerung enorm, der ländlich-industrielle Genossenschaftssektor hatte bald jährliche Zuwachsraten von 45 %, der staatlich-industrielle Sektor in den Großstädten Wachstumsraten von rund 11 %. Der Lebensstandard der Bauern steigerte sich von 1978 bis 1987 um 140 %. In den letzten Jahren konnte China trotz der sich verschärfenden Lage auf dem Weltmarkt in den Küstenregionen Wachstumsraten bis zu 12 % und im Landesdurchschnitt bis zu 8 % aufrechterhalten.

Dengs größtes Verdienst lag vor allem darin, durch eine schonungslose Aufdeckung der Mängel der Wirtschaftspolitik der Kulturrevolution und aller Erstarrungen des Kadersystems der Partei die Grundlagen für eine umfassende Modernisierung zu schaffen.

Paradigmenwandel rückgängig machen

In einem Aufsatz, der am 3. Dezember 2003 in der Wochenzeitung Neue Solidarität erschien, schreibt Frau Zepp-LaRouche: „Wenn man die katastrophale Wirkung des Paradigmenwandels in Deutschland betrachtet, der mit dem langen Marsch der 68er Generation durch die Institutionen begann, dann kann man nur feststellen, daß wir unsere selbstgemachte Kulturrevolution heute noch weiter ausleben, während China sie erfolgreich beendet hat. Was Chinas Linksradikale mit ihrem pathologischen Haß auf den wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt waren, das sind bei uns die Grünen. China hat seinen Paradigmenwandel nach rund zwanzig Jahren korrigiert, während wir seit nunmehr 35 Jahren die Zerstörung unserer wirtschaftlichen Grundlagen fortsetzen.

Wir haben uns seit Mitte der sechziger Jahre abgewandt von einer an wissenschaftlichen Fortschritt und Wachstum orientierten Leistungsgesellschaft, und sind eine Gesellschaft von Konsumenten, eine Spaßgesellschaft geworden. Nicht ehrliche Arbeit, Innovationsfreude und produktive Unternehmertätigkeit zählen mehr, und Gewinn bringen angeblich nur Spekulation und Börsengänge.

Die Kombination von völlig falsch verstandener Ökologie, neoliberalen Wirtschaftsreformen, Brandtscher Bildungsreform und Gegenkultur haben in unserer Gesellschaft einen Effekt erzielt, der in seinen Auswirkungen nicht weniger katastrophal ist, als es die Politik der Viererbande in China war.

Die Öffnung Deutschlands nach China bietet eine ausgezeichnete Chance, auch in Deutschland eine „Dengsche Reform“ einzuleiten und der Bevölkerung zu demonstrieren, daß es eine optimistische Alternative zu Sparen, Stabilitätspakt und wirtschaftlichem Selbstmord gibt. Wenn wir uns an die guten alten deutschen Tugenden wie Fleiß, Leistung und Bejahung des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts erinnern, die heute vor allem in China praktiziert werden, dann gibt es keinen Grund, warum wir nicht auch in Deutschland Wachstumszahlen von 8% erreichen und so unsere Sozialsysteme wieder finanzieren können.

Deutschland und Frankreich müssen jetzt die Initiative ergreifen, um der Verwässerung des Tremonti-Plans durch die EU-Kommission entgegenzusteuern: Statt der nunmehr bewilligten zehn Milliarden Euro pro Jahr für die Großprojekte auf der „Schnellstartliste“, braucht Europa hundertmal soviel. Nötig wären 1000 Milliarden Euro an Investitionen in Projekte des Tremonti-Plans und der Eurasischen Landbrücke, und zwar durch staatliche Kreditschöpfung nach dem Vorbild von F.D. Roosevelts New Deal und der Kreditanstalt für Wiederaufbau nach 1945.

In den USA tritt der demokratische Präsidentschaftskandidat Lyndon LaRouche für ein ebenso umfangreiches Wiederaufbauprogramm ein. Für uns in Deutschland stellt sich heute die existentielle Frage, ob wir einen vergleichbaren Überlebenswillen aufbringen können, wie ihn Deng damals in China bewiesen hat.