Helga Zepp-LaRouche war eine der Rednerinnen auf dem dreitägigen Space Renaissance Art & Science Festival in der Archenhold-Sternwarte in Berlin am 7.–9. Juli 2022. Es folgt der übersetzte Text ihrer auf englisch gehaltenen Rede. Das Festival wurde von Space Renaissance International veranstaltet, einer Organisation, die von Krafft-Ehricke-Enthusiasten in Europa und den Vereinigten Staaten ins Leben gerufen wurde. Ursprünglich hatte man Marsha Freeman, die Raumfahrt-Redakeurin von 21st Science & Technology, eingeladen, über Ehricke zu sprechen, da sie die wohl beste Biographie über ihn geschrieben hatte.1 Da sie nicht persönlich teilnehmen konnte, empfahl sie, Helga Zepp-LaRouche einzuladen, die ebenfalls eng mit Ehricke zusammengearbeitet und die auf der Krafft-Ehricke-Gedenkfeier 1985 in Washington eine bewegende Rede über ihn gehalten hatte. Ihr Vortrag wurde vom Publikum und dem Festival-Moderator Bernard Foing, leitender Projektwissenschaftler der ESA-Mondmission SMART, Exekutivdirektor der International Lunar Exploration Working Group (ILEWG) und Präsident von Space Renaissance International, begeistert aufgenommen. ((Das Video von Helga Zepp-LaRouches Vortrag finden Sie auf YouTube.
Es ist eine große Bereicherung seines Lebens, wenn man das Glück hat, einige der herausragenden Geister seiner Zeit zu treffen und mit ihnen zu arbeiten. Eine solche Person in meinem Leben war der deutsch-amerikanische Raumfahrtpionier Krafft Ehricke, den ich 1981 auf einer Vortragsreise durch Deutschland begleitete und der im letzten Jahr seines Lebens im Beirat des Schiller-Instituts war. Er war einer der größten Visionäre, was die Identität des Menschen als Weltraum-Spezies betrifft, und er brachte jenen grenzenlosen Optimismus über die Zukunft der Menschheit zum Ausdruck, wie ihn nur die großen Genies der Menschheitsgeschichte verkörpern. In Anbetracht seiner außerordentlichen Voraussicht für die grundlegenden Herausforderungen der Weltraumwissenschaft, die erst heute deutlich werden, verdient er eine um ein Vielfaches höhere Anerkennung.
Krafft Ehricke wurde am 24. März 1917 in Berlin geboren. Im Alter von 12 Jahren sah er den Film „Die Frau im Mond“ von Fritz Lang, der zusammen mit den Arbeiten von Hermann Oberth das inspirierende Erlebnis war, das sein ganzes Leben prägen sollte. Seither vertiefte er sich in Bücher über Astronomie, Flugmechanik und Antriebstechnik, begann bald, Modelle von Raumfahrzeugen zu entwerfen und wurde ein emsiger Autor für verschiedene Fachzeitschriften. 1938 gründete er zusammen mit Franz Kaiser die „Gesellschaft für Weltraumforschung e.V.“, studierte an der Technischen Hochschule in Berlin, hörte Hans Geiger und Werner Heisenberg und erwarb ein sehr breites Wissen in den Naturwissenschaften, der Evolution des Lebens und der Biosphäre. Mit Blick auf die Entwicklung des Lebens auf dem Planeten Erde war es für ihn offensichtlich, daß die nächste natürliche Phase der menschlichen Evolution die Besiedlung zunächst des nahen Weltraums und schließlich des gesamten Sonnensystems und darüber hinaus sein würde.
Unterbrochen durch die Einberufung zum Heer während des Krieges wurde er 1940 von der Ostfront nach Peenemünde beordert, weil einige seiner Patente zu Raketenentwürfen die Aufmerksamkeit der Heeresdienststellen gefunden hatten. Dort arbeitete er mit Dr. Walter Thiel und Werner von Braun zusammen. Er wurde beauftragt, die Anwendung der neu entdeckten Kernspaltungstechnologie für den Raketenantrieb zu untersuchen. Nach dem Krieg gehörte er zu den deutschen Wissenschaftlern, die im Rahmen der ursprünglichen Operation Paperclip in die USA übersiedelten, wo er mit Raketenspezialisten zusammenarbeitete, zunächst in Fort Bliss in New Mexico, dann in Huntville, Alabama. Dort wurde er Leiter der Abteilung für Gasdynamik, bevor er zu der privaten Luftfahrtfirma Bell Aircraft wechselte.
Ideen zur Raumfahrt
Später, als er für General Dynamics arbeitete, entwickelte Krafft eine Reihe von Anwendungen für die Atlas-Rakete. Seine revolutionärste technische Entwicklung war die Centaur-Oberstufe für die Atlas-Rakete, das erste wasserstoffbetriebene Raumfahrzeug, für das er den Spitznamen „Vater der Centaur-Rakete“ erhielt. Diese starke Zusatzstufe für alle anderen Raketen eröffnete der Menschheit den Zugang zum Sonnensystem, und sie wurde überall eingesetzt, von den unbemannten Surveyor-Raketen bis zu den bemannten Apollo-Missionen zum Mond, von den Mariner-Missionen zum Mars bis zu den Voyager-Raumsonden.
1957 veröffentlichte Krafft die Schrift „Weltraumforschung: Die Anthropologie der Raumfahrt“, worin er auf die außerordentliche Bedeutung der Weltraumforschung und -fahrt für die Identität der menschlichen Spezies hinwies, und damit als Konzept zur Lösung scheinbar unlösbarer Probleme in der politischen und strategischen Situation. Er schrieb:
„Das Konzept vom Weltraumflug hat eine so beträchtliche Tragweite, daß es den Menschen auf nahezu allen Gebieten seiner physischen und geistigen Existenz herausfordert. Die Vorstellung, zu anderen Himmelskörpern zu reisen, spiegelt in hohem Maße die Unabhängigkeit und Beweglichkeit des menschlichen Geistes wider und verleiht seinen technischen und wissenschaftlichen Unternehmungen die höchste Würde. Darüber hinaus berührt sie die Grundlagen des menschlichen Daseins. Infolgedessen hält sich das Konzept der Raumfahrt nicht an nationale Grenzen, kennt keine geschichtlich und ethnisch bedingten Unterschiede und durchdringt die Faser einer soziologischen oder politischen Überzeugung so schnell wie die der nächsten.
Als technisches Konzept ist die Raumfahrt allumfassend und revolutionärer als alles bisher Dagewesene, selbst die Atomtechnologie. Als wissenschaftliches Konzept wird sie praktisch alle Bereiche von der Astronomie bis zur Zoologie befruchten und verjüngen. Ihre soziologischen und politischen Auswirkungen sind so groß, daß künftige Generationen selbst die kühnsten Vorhersagen unserer Zeit als ,vorsichtig‘ bezeichnen könnten.
Aus diesem Grund übt die Raumfahrt vielleicht den größten allgemeinen Reiz auf unsere komplexe und geteilte Welt aus. Sie scheint weniger unmittelbaren materiellen Gewinn zu versprechen als die Atomtechnologie. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, ist ihre spirituelle Anziehungskraft extrem stark, symbolisiert sie doch, daß der Mensch noch nicht seine Fähigkeit verloren hat, den gordischen Knoten zu durchschlagen, alte Vorstellungen, die seine Entwicklung hemmen, zu sprengen und scheinbar unüberwindbare physische Hindernisse zu überwinden. Wenn dies hier möglich ist, kann es schließlich auch in anderen Bereichen unseres heutigen Lebens gelingen, in denen der Mensch scheinbar hoffnungslos und ewig festgefahren ist. Ein Gefühl der Begeisterung und des echten Interesses scheint unter all denen zu herrschen, die sich mit Raumfahrt und Astronautik befassen – Schulkinder, die darüber lernen, Kongreßabgeordnete, die Geld dafür bereitstellen, politische Führer in Ost und West, die den Beitrag ihrer Nation zu ihrem Fortschritt loben, und nicht zuletzt Wissenschaftler und Ingenieure, die den Weg zu ihrer letztendlichen Verwirklichung bahnen.“
Auch wenn heutige Realitäten wie das Wolf-Amendment oder die jüngsten Anschuldigungen, China sei im Begriff, „den Mond zu erobern“, einer solchen optimistischen Sichtweise zu widersprechen scheinen, so ist es doch eine Tatsache, daß unter Weltraumforschern und Astronauten noch immer jenes Gefühl der Begeisterung und des echten Interesses vorherrscht, von dem Krafft Ehricke spricht, und einen Vorgeschmack auf eine natürliche Zusammenarbeit zwischen Vertretern der einen menschlichen Gattung gibt. Denkt man einmal ein paar hundert, tausend oder Millionen Jahre in die Zukunft, glauben Sie wirklich, daß wir uns dann immer noch untereinander zanken werden, wie ein Haufen rotznäsiger Kinder, die sich um ihr Spielzeug streiten?
Deshalb sind Krafft Ehrickes hohe Prinzipien eine nützliche Erinnerung daran, daß die Menschheit die einzige Spezies ist, die zur Vernunft fähig ist, und daraus folgt die Fähigkeit, immer wieder Lösungen zu finden, die auf einer höheren Ebene angesiedelt sind als die, auf der die Probleme entstanden sind. So heißt es sehr schön in den von ihm so genannten „Drei Grundgesetzen der Raumfahrt“:
Erstes Gesetz. Niemand und nichts unter den Naturgesetzen dieses Universums erlegt dem Menschen irgendwelche Beschränkungen auf, außer dem Menschen selbst.
Zweites Gesetz. Nicht nur die Erde, sondern das gesamte Sonnensystem und so viel vom Universum, wie er nach den Naturgesetzen erreichen kann, sind das rechtmäßige Betätigungsfeld des Menschen.
Drittes Gesetz. Indem er sich durch das Universum ausbreitet, erfüllt der Mensch seine Bestimmung als Element des Lebens, ausgestattet mit der Kraft der Vernunft und der Weisheit des moralischen Gesetzes in sich selbst.
Das Recht auf Entwicklung
Er nennt das erste Gesetz eine „Unabhängigkeitserklärung“ von unkritisch akzeptierten Bedingungen, von einer vergangenen und prinzipiell anderen, vortechnologischen Welt, an die sich die Menschheit klammert; und er zitiert ausdrücklich die Unabhängigkeitserklärung der USA, wonach Amerika kein Imperium, sondern eine Republik sein wollte, als Beweis dafür, daß ein solcher axiomatischer Bruch mit einem fehlerhaften Denken tatsächlich möglich ist.
Die Art und Weise, wie Krafft das dritte Gesetz versteht, indem er dem Vordringen in den Weltraum einen anthropologischen Charakter zuschreibt, stellt ihn ganz in die Tradition des platonischen Humanismus von Nikolaus von Kues, Johannes Kepler, Gottfried Wilhelm Leibniz und Wladimir Wernadskij – nämlich die Idee des inneren Zusammenhangs der Gesetze des Makrokosmos und des Mikrokosmos und der zunehmenden Dominanz der Noosphäre über die Biosphäre. Die Tatsache, daß der Mensch die einzige uns bisher bekannte Quelle intelligenten Lebens ist, so Krafft, „gibt ihm das Recht, die Grundlagen seiner Existenz bis an die Grenzen seiner Möglichkeiten auszudehnen, zu entwickeln und zu bereichern“, und es ist die fortgesetzte Problemlösung des Lebens anderswo im Sonnensystem oder sogar im interstellaren Raum, die „der Raumfahrt ihre letzte anthropologische Bedeutung“ verleiht.
Während es heute völlig normal ist, über die Industrialisierung des Mondes zu sprechen, war er einer der originellsten und weitsichtigsten Pioniere in diesem Bereich. In der Erschließung des Mondes sah er den ersten Schritt der Extraterrestrialisierung der Menschheit, die die Menschheit verändern und auf eine höhere Stufe heben wird. Er beschreibt, wie auf der Erde zuerst die Biosphäre entstand und sich dann durch Evolution die Menschheit entwickelte. Auf dem Mond wird es umgekehrt sein: Der Mensch wird zuerst dort ankommen, und erst dann werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß dort Leben existieren kann. (Dies wurde auf wunderbare Weise durch die chinesische Mondlandemission Chang’e 4 demonstriert, bei der die erste Pflanze, die jemals auf einer anderen Welt gekeimt und gesprossen ist, eine neue Ära des Lebens im Weltraum einläutete).
Krafft betrachtete den Mond als den siebten Kontinent der Erde und erstellte in den 1970er Jahren eine detaillierte Studie über die Industrialisierung des Mondes in fünf Phasen. In der ersten Phase werden ausschließlich Güter von der Erde zum Mond transportiert; in der dritten Phase werden die Güter wieder zur Erde zurückgebracht; in der fünften Phase sind Leben und Produktion auf dem Mond nicht nur selbstversorgend, sondern eine Stadt, die er „Selenopolis“ nannte, wird zur Hauptstadt der neuen Mondzivilisation und zur Stützpunktbasis für neue Kolonien im Sonnensystem.
Abbildung 1 zeigt die Energieversorgung der Stadt durch einen Tokamak-Fusionsreaktor. Die Planung der Stadt ist flexibel, so daß sie mit zunehmender Bevölkerung und ihrer Aktivitäten wachsen kann. Die Überdachungen reichen von 500 Metern bis zu einem Kilometer und werden schließlich viele Kilometer Fläche auf dem Mond bedecken. Krafft nimmt an, daß auf dem Mond die verschiedenen Klimazonen der Erde nachgebildet werden können – kalte Winter, warme landwirtschaftliche Gebiete, trockene oder subtropische Klimazonen. In der ersten Phase der Industrialisierung würde die Energie von einem Hochtemperaturreaktor kommen, gefolgt von einem Fusionsreaktor. Er schlug vor, die Deuterium-Tritium-Fusionsreaktoren der ersten Generation zur Erzeugung des seltenen Isotops Helium-3 zu verwenden, um damit die technisch anspruchsvollere Deuterium-Helium-Fusion zu verwirklichen, mit der eine höhere Energieausbeute erreicht werden könnte. Er konnte noch nicht wissen, daß es auf dem Mond erhebliche Mengen an Helium-3 gibt und daß chinesische Weltraumforscher planen, dieses zur Erde zu importieren, um hier Fusionsreaktoren zu betreiben.
Nach Krafft Ehrickes Tod am 11. Dezember 1984 schrieb die Los Angeles Times über ihn, er habe sein zahlreiches Publikum bei Fernseh- oder Radiosendungen mit Aussagen fasziniert, man könne auf dem Mond trotz der geringen Schwerkraft auch Schwimmbäder bauen, oder von interstellaren Raumschiffen, die unsere Galaxie zum Hinterhof der Menschheit machen würden.
Für Krafft war das Ziel nicht ein Dorf auf dem Mond oder gar eine Stadt auf dem Mars, sondern er hatte immer die langfristige interstellare Erforschung des Universums im Sinn. In einem unveröffentlichten Buch befaßte er sich mit dem relativistischen interstellaren Flug und untersuchte dabei Einsteins Spezielle und Allgemeine Relativitätstheorie. In Anbetracht der Tatsache, daß vor kurzem der Beweis erbracht wurde, daß Einsteins Annahmen über Gravitationswellen richtig sind, und auch seine Theorie, daß es im Zentrum jeder Galaxie schwarze Löcher gibt, bedeutet dies, daß wir in einem relativistischen Universum leben. Was das für die Möglichkeit interstellarer Raumfahrt und möglicherweise sogar darüber hinaus bedeutet, ist verblüffend – aber genau diese Art von kühnem Denken in Hypothesen, so abwegig und kühn es auch erscheinen mag, ist das Merkmal der menschlichen Spezies und unterscheidet uns von allen anderen bisher bekannten Lebewesen. Einmal mehr sollte Kraffts weit vorausschauendes und ungeblocktes Denken uns eine Inspiration sein.
Die Natur ist kein geschlossenes System
Von diesem Standpunkt grenzenloser Vervollkommnungsfähigkeit menschlicher Kreativität in einem sich anti-entropisch entwickelnden Universum erkannte Krafft natürlich die schrecklichen Implikationen der Nullwachstums-Ideologie, wie sie Anfang der 1970er Jahre mit dem Club of Rome und der daraus resultierenden grünen Ökologiebewegung aufkam. Er erkannte den intellektuellen Betrug von Meadows und Forrester, die in ihrem Buch „Grenzen des Wachstums“ die Rolle von Wissenschaft und Technologie bei der Definition dessen, was eine Ressource ist, völlig außer Acht gelassen hatten, und wies auf den qualitativen Unterschied zwischen Vermehrung und Wachstum hin, eine Unterscheidung, die der heutigen grünen Bewegung völlig abhanden gekommen ist. Krafft erklärte:
„Für sie ist die Lebenswelt des Menschen ein geschlossenes System – auf die Erde beschränkt. Nicht für mich! Das Betätigungsfeld des Menschen ist heute sowenig eine geschlossene Kugel, wie es früher eine Scheibe war…
Der Bericht Global 2000, eine aufgewärmte Version des gleichen Unsinns, enthält offensichtliche Falschinformationen und verkennt wie sein berüchtigter Vorläufer die menschliche Fähigkeit zum unbegrenzten Wachstum. Wachstum ist im Gegensatz zu bloßer Vermehrung ein Zuwachs an Wissen, an Weisheit und an Fähigkeiten, auf neue Art zu wachsen.“
Für Krafft Ehricke war die Idee der Raumfahrt die logischste und erhabenste Konsequenz aus dem Ideal der Renaissance, die den Menschen in einen aktiven Zusammenhang mit dem Kosmos stellte und dabei auf den edelsten Traditionen der antiken Klassiker aufbaute. Er zeigte den Weg, wie der Mensch seine angeborene Würde und das Zeitalter der Vernunft verwirklichen kann, indem er die Augen zu den Sternen erhebt und daran arbeitet, sie zur Heimat der Menschheit zu machen.
Im Jahr nach Krafft-Ehrickes Tod veranstaltete das Schiller-Institut eine Gedenkfeier zu seinen Ehren. Es wäre wunderbar, wenn die internationale Raumfahrtgemeinschaft dies wieder tun würde.
Ich danke Ihnen. (Beifall)
Diskussionsrunde
Bernard Foing (Moderator): Ich danke Ihnen für Ihren Vortrag. Wir möchten Ihnen als Anerkennung für unsere Veranstaltung dieses Buch schenken …
Zepp-LaRouche: Ich danke Ihnen vielmals.
Foing: Wir wollen auch einige Fragen aus dem Publikum aufgreifen. Natürlich sind wir von Krafft Ehricke inspiriert, und so sind einige der von Ihnen erwähnten Konzepte – etwa die „Weltraumrenaissance“ (die uns den Namen gibt), und auch Ehrickes positive Vision, die der Idee einer geschlossenen Welt ohne technischen Fortschritt, die wir heute erleben, entgegensteht; das ist der Weg, wie wir uns als Zivilisation sozial entwickeln können. Das ist für uns sehr wichtig. Vielen Dank, daß Sie einige dieser Bereiche zusammengefaßt haben.
Aber wer sind die Denker, die sich über Krafft Ehrickes Vision hinaus entwickeln? Was sind die nächsten Schritte, um Fortschritte zu erzielen?
Zepp-LaRouche: Ich denke, ITER ist unterfinanziert. Es gibt immer noch eine gute Zusammenarbeit zwischen [der russischen Raumfahrtbehörde] Roscosmos und der NASA, trotz der politischen Probleme. China hat mich am meisten beeindruckt, denn trotz seines späten Anfangs haben sie wichtige Durchbrüche erzielt. Die ganze Idee, daß die Chinesen Technologie stehlen, wurde durch die Landung des [Yutu-2]-Rovers auf der Rückseite des Mondes widerlegt. Kein anderes Land hat das zuvor geschafft. Also von wem könnten sie die Technologie gestohlen haben, wenn sie die erste Nation sind, die das tut?
China sowie die Vereinigten Arabischen Emiraten und die Vereinigten Staaten haben im vergangenen Februar Marsmissionenb gestartet. Ich war sehr beeindruckt von der Leiterin des Raumfahrtprogramms der VAE [Sarah Al Amiri, Staatsministerin für Hochtechnologie], denn sie und ihr Team haben diese Marsmission in nur sechs Jahren entwickelt. Jetzt eröffnen sich neue Möglichkeiten, nachdem an verschiedenen Stellen Leben auf dem Mars gefunden wurde. Das ist ein sehr aufregender Moment.
Foing: Ja, in der Tat. Es stimmt, daß sich unsere Welt seit den visionären Ideen von Krafft Ehricke verändert hat. Sie erwähnten das Aufkommen anderer Raumfahrtländer wie die Vereinigten Arabischen Emirate und die Beschleunigung der Aktivitäten in China. Natürlich müssen wir auch einige der obersten Prinzipien beibehalten, z. B. daß die Ausweitung der Raumfahrt Vorteile für alle bringt. Wir sprechen auch über die Ziele der nachhaltigen Entwicklung.
Sind wir für die interstellare Expansion bereit, oder sollten wir erst die nächsten Schritte konsolidieren? Den Mond kann man als Kontinent nutzen, also sollten wir uns die Zeit zu nehmen, Aktivitäten auf dem Mond zu entwickeln. Dann geht es weiter zum Mars. Bevor wir interstellar werden, gibt es noch eine Menge technischer Herausforderungen.
Zepp-LaRouche: Offensichtlich. Aber man muß vorausschauend denken. Es ist die Vision für die Zukunft, die die Schritte für morgen und übermorgen inspiriert. Wir brauchen die thermonukleare Fusion als Antrieb, um überhaupt an interstellare Reisen denken zu können. Was aber notwendig ist, ist die Vorstellung, daß der Mensch eine Weltraumspezies ist. Krafft Ehricke meinte sogar, dass es nicht nur um das Sonnensystem geht, sondern daß es angesichts des technologischen Fortschritts – von dem wir noch nicht einmal wissen, wie er dann aussieht – möglich sein wird, sogar unsere Galaxie zu verlassen. Die Tatsache, daß allein das Hubble-Weltraumteleskop zwei Billionen Galaxien entdeckt hat, die die Menschheit im Weltraum bewohnen könnte, sprengt unser Vorstellungsvermögen. Aber das ist eine gute Sache.
Wir sind nicht begrenzt. Das Fantastische am Weltraum ist, daß er die grüne Ideologie völlig ablehnt, denn wir leben nicht in einem geschlossenen System; wir leben in einem System, in dem, wie Krafft richtig sagte, die Kreativität des Menschen jede Herausforderung überwinden kann. Es ist dieser Optimismus, an dem es heute mangelt. Der letzte Politiker, der so gesprochen hat, war John F. Kennedy. Er hatte die Idee, daß die Kreativität des Menschen jede Herausforderung lösen kann.
Heutzutage sind die Menschen so pessimistisch und so niedergeschlagen, vor allem in Europa. Ich habe gerade mit einer jungen Dame [im Publikum] aus China gesprochen. In Asien ist das ganz anders. In den asiatischen Kulturen herrscht im Moment eine sehr optimistische Vorstellung, aber die Europäer werden bald Fossilien im Museum von Völkern sein, die es nicht geschafft haben – wenn wir nicht zu den Ideen von Krafft Ehricke zurückkehren.
Foing: Dem würden wir zustimmen. Ich sehe, daß wir Hoffnung erzeugen müssen. Ich habe immer noch die Hoffnung, daß wir die Politiker aufklären können. Wir können sie auch einbeziehen. An unsere jungen Raumfahrtprofis: Bitte werdet auch Politiker, damit ihr die Welt verändern könnt. Ich kenne auch einige Kollegen im Europäischen Parlament, die uns motivieren können, vor allem was eine wissensbasierte Gesellschaft angeht, d. h. für die Nutzung von Fakten, um Entscheidungen zu treffen.
Der Weltraum ist ein so wichtiger Teil unseres Lebens. Der wirtschaftlich-soziale Aspekt der Raumfahrt macht es uns unmöglich, ihn zu ignorieren. Man müßte nur einmal alle Raumsonden für eine Woche abschalten. Dann lassen Sie mich wissen, wie sehr wir den Weltraum brauchen.
Gibt es weitere Fragen zu dieser Vision? Auch dazu, wie wir auf der Grundlage der heute geführten Diskussion weitermachen können. Auch von Europa sollte einige gute Energie ausgehen.
Adriano V. Autino: Ich versuche immer, alle Visionen auf das zu beziehen, was wir heute zu tun haben. Meine Empfehlung? Ich stimme zu 100 % mit Krafft Ehricke überein, daß wir im Universum nicht begrenzt sind und ein Recht darauf haben, dorthin zu gehen, weil wir die einzige intelligente Spezies sind. Und wir haben das Recht, andere Umfelder mit unserem Leben zu „kontaminieren“, weil wir bereits durch das Universum „kontaminiert“ sind. Kometen haben die Saat für das Leben auf der Erde gelegt. Wir sind nicht auf der Erde geboren worden. Wir sind von den Sternen gekommen, warum also können wir das Leben nicht zu den Sternen zurückbringen?
Es ist nach wie vor eine große Vision, außerhalb unserer Milchstraße zu leben. Was sollten wir Ihrer Meinung nach vor 2030 tun, um einen zivilisatorischen Zusammenbruch zu vermeiden und die historische Chance, die sich uns bietet, zu nutzen? Es gibt eine philosophische und eine politische Sichtweise. Was ist aus raumfahrtpolitischer Sicht vor dem Jahr 2030 dringend zu tun?
Zepp-LaRouche: Ich denke, das Wichtigste ist, daß wir uns nicht gegenseitig zerstören. Denn wir sind sehr nahe am Dritten Weltkrieg, …
Autino: [nickt] Ja.
Zepp-LaRouche: … viel näher, als die meisten Menschen überhaupt in Betracht ziehen wollen. Wenn ich darüber nachdenke, habe ich schlaflose Nächte. Ich wache mitten in der Nacht schweißgebadet auf. Es gibt Leute auf der Welt, die glauben, man könne einen begrenzten Atomkrieg gewinnen.
Autino [schüttelt den Kopf]: Verrückt!
Zepp-LaRouche: Das ist eine völlig verrückte Idee! Ich denke, es ist notwendig, die jungen Leute viel stärker zu mobilisieren, als es bisher geschieht. Erinnern Sie sich, zum 50. Jahrestag der Apollo-Mondlandung gab es überall auf der Welt Feierlichkeiten; die Menschen waren sehr optimistisch. Und ich denke, wir brauchen diese Art von Optimismus, daß die Zusammenarbeit im Weltraum der einzige Bereich ist, in dem man diese Probleme überwinden kann. Wir brauchen eine Massenbewegung von Menschen, die darüber sprechen.
Wir sollten die Astronauten und andere Weltraumwissenschaftler mobilisieren, damit sie in die Schulen und Universitäten gehen und darüber sprechen.Wir brauchen einen Volksaufstand, der die Bedeutung des Weltraums diskutiert, um sicherzustellen, daß wir die unsterbliche Spezies werden. Ich glaube, daß in der Tradition von Krafft Ehrickes Philosophie die Menschheit die einzige unsterbliche Spezies ist – potentiell.
Autino: Potentiell. Das stimmt. Ich danke Ihnen.
Zepp-LaRouche: Wenn wir andere Himmelskörper erobern, werden wir auch dann weiterleben, wenn der Erde etwas Schreckliches zustößt, sagen wir, in zwei Milliarden Jahren, wegen der Entwicklungen auf der Sonne. Aber wir müssen im Moment dafür sorgen, daß wir die nächsten Wochen, Monate, Jahre überleben. Deshalb brauchen wir eine öffentliche Diskussion über die akute Gefahr und darüber, wie wir sie überwinden können.
Die Sicht der Astronauten auf unsere Erde ändert sich, wenn sie von der ISS auf die Erde hinunterblicken – wie heute Morgen von mehreren Rednern erwähnt wurde. Krafft Ehricke hat uns immer gesagt, daß sich die Identität der Menschen verändert. Er erzählte einmal, daß er, als er mit seiner Frau und seinen Kindern aus Deutschland in die Vereinigten Staaten einwanderte, eine bestimmte Denkweise hatte; aber die Kinder, die in den Vereinigten Staaten aufwuchsen, hatten bereits eine gemischte – veränderte – Denkweise. und die Kinder der Kinder, die in den Vereinigten Staaten aufwuchsen, hatten ein völlig anderes Paradigma in ihrem Denken.
Er benutzte dies als pädagogische Methode, um zu beschreiben, was mit der Identität des Menschen geschehen wird, wenn er auf dem Mond oder dem Mars lebt. Die Menschen werden sich verändern. Es ist wie mit der Infrastruktur. Am Anfang dachten die Leute, man würde sterben, wenn man mit einem Zug schneller als 30 km/h fährt! Aber jetzt experimentiert man in China mit Magnetschwebebahnen, die 600 km/h fahren, und niemand stirbt dabei. In der Tat würde alles effizienter werden.
Die Infrastruktur verändert die Identität des Menschen. Das ist es, was wir entfachen müssen.
Autino: Gut. Ausgezeichnet!
Foing: Ausgezeichnet. Ich danke Ihnen. Es sprach ein guter Raketeningenieur und Wissenschaftler – Adriano Autino.
Helga, Sie haben von Berufung gesprochen, aber es gibt auch die Pflicht, den ganzen Planeten zu retten und sich um die anderen Arten – die Artenvielfalt – zu kümmern, denn wir wollen nicht allein ins All fliegen.
Zepp-LaRouche: Nein!
Foing: Wir wollen einen ganzen Zoo mitnehmen.
Gibt es noch weitere wichtige Fragen? Zum Beispiel, was die Zukunft bringen wird. Nun, jetzt sieht die kurzfristige Zukunft so aus, daß wir zum Mittagessen gehen. [Gelächter]
Fußnote(n)
- Marsha Freeman, Krafft Ehricke’s Extraterrestrial Imperative, Apogee Books, 2009.[↩]