Die Anthropologie der Raumfahrt

Wenn in diesen Monaten mit dem Zusammenbau der internationalen Raumstation begonnen wird, macht der Mensch einen weiteren, entscheidenden Schritt zur Eroberung des Weltraums. Dauerhaft werden Menschen im Weltraum arbeiten und forschen und sich ein Sprungbrett für Reisen zu noch ferneren Welten schaffen. Die folgende grundlegende Betrachtung über die Rolle des Menschen im All hat der Weltraumpionier Krafft Ehricke bereits 1957 geschrieben; sie klingt auch heute noch wie ein Vermächtnis, auf das sich zu besinnen lohnt, bevor man sich zu sehr in technischen (und politischen) Einzelheiten der heutigen praktischen Probleme der Raumfahrt verliert. Krafft Ehricke war schon mit 12 Jahren von der Raumfahrt begeistert, forschte dann in Peenemünde und gelangte nach dem Krieg wie viele seiner Kollegen nach Amerika, wo er sich vor allem mit neuartigen Raketenantrieben beschäftigte. Seine „Anthropologie der Raumfahrt“ erschien in dem Magazin Astronautics. Jg. 2, Nr. 4, 1957.


Krafft Ehricke (links), der nach seinem Vortrag auf einer Konferenz über die Besiedlung des Mondes 1984 von Dr. Michael Duke ein Bild über die industrielle Nutzung des Mondes erhält. Foto: Marsha Freeman

In den Vereinigten Staaten und anderen Ländern werden heute Milliardensummen für die Entwicklung einer Technologie ausgegeben, bei der alles dafür spricht, daß sie eine astronautische Technologie ist oder zumindest wird. Das ist eine schöne Genugtuung für diejenigen, die in der ersten Hälfte des Jahrhunderts dafür gekämpft haben, daß die Raumfahrt als ernstzunehmende, praktikable und des Aufwands werte Anstrengung anerkannt wird, und das nicht in einer fernen Zukunft, sondern jetzt, in diesem Jahrhundert und zu unseren Lebzeiten.

Das Ringen um die technische und wissenschaftliche Anerkennung der Raumfahrt ist gewonnen. Daß aber die Astronautik als lebenswichtiger Teil unserer Zukunft anerkannt wird, und nicht nur als technisches oder wissenschaftliches Spezialgebiet, dieser Kampf hat gerade erst begonnen. Die Astronautik ist die Wissenschaft davon, im Weltraum zu arbeiten und zu anderen Welten zu reisen. Dies ist von solcher Tragweite, daß es immer wichtiger wird, ebenso sehr die Philosophie dieser neuen Wissenschaft zu entwickeln wie die Nützlichkeitsaspekte.

So stellte sich Krafft Ehricke „Weihnachten in Selenopolis 2031“ vor: Die Halle der Astronauten (links vorne) und die auf Stelzen gebaute Bahnstrecke (rechts) begrenzen eine große Eisfläche zum Schlittschuhlaufen. Unter dem großen Kuppeldach (hinten links) sind die Vorräte und die Lebenserhaltungssysteme der Stadt untergebracht, während die gläserne Rückwand in die tropische Lebensumgebung von Selenopolis hinüberführt. Bild: Krafft Ehricke

Da die Vorkämpfer der Raumfahrt in ihr eine der grundlegendsten und außergewöhnlichsten Ideen der Menschheitsgeschichte erkannten, überrascht es nicht, daß bereits viele Gedanken zu diesem Thema entwickelt worden sind: angefangen mit Konstantin Ziolkowskij, dessen unerschütterlicher Glaube an die kosmische Mission der Menschheit vor etwa 60 Jahren den Anbruch des astronautischen Pionierzeitalters einläutete, und weiter mit Hermann Oberth, Willy Ley, A. C. Clarke, A. V. Cleaver, Wernher von Braun und Eugen Sänger. Angesichts der grundsätzlichen Übereinstimmung bei allen, die sich für die Raumfahrt einsetzen, sind gewisse Überschneidungen bei den von diesen Pionieren und anderen dargelegten Gedanken und Argumenten nicht zu vermeiden.

Aber die Philosophie der Astronautik ist jung und fruchtbar. Ihre zahllosen Implikationen sind bei weitem nicht erschöpft. Aus diesem Grunde möchte der Autor, der seit fast 20 Jahren damit befaßt ist, die Astronautik als technische und kulturelle Mission zu studieren und voranzubringen, einige zusätzliche Gedanken zu diesem Thema anstellen.

Die Idee der Raumfahrt birgt eine ungeheure Kraft in sich, weil sie den Menschen an praktisch allen Fronten seiner physischen und geistigen Existenz herausfordert. Die Vorstellung, zu anderen Himmelskörpern zu fliegen, spiegelt im höchsten Grade die Unabhängigkeit und Gewandtheit des menschlichen Geistes. Sie verleiht den technischen und wissenschaftlichen Unternehmungen des Menschen höchste Würde. Vor allem aber berührt sie die Philosophie seiner Existenz überhaupt. Folglich kennt die Idee der Raumfahrt keine Staatsgrenzen, erkennt keine Unterschiede historischer oder ethnischer Abstammung an und durchdringt das Gewebe des einen soziologischen oder politischen Weltbildes ebenso rasch wie das eines anderen.

Als technisches Konzept ist die Astronautik allumfassend und revolutionärer als alles, was der Mensch bisher erdacht hat, selbst die Atomtechnik eingeschlossen. Als wissenschaftliches Konzept wird sie praktisch alle Bereiche stimulieren und erneuern, von der Astronomie bis zur Zoologie. Sie ist von solcher soziologischer und politischer Tragweite, daß zukünftige Generationen sogar die kühnsten Vorhersagen unserer Zeit wohl noch als „zurückhaltend“ bezeichnen werden.

Vorwärtstreibender Geist

Deswegen hat vielleicht die Raumfahrt in unserer heutigen komplexen und gespaltenen Welt die größte Anziehungskraft. Sie verspricht weniger unmittelbaren materiellen Gewinn als die Atomtechnik. Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, ist ihre geistige Anziehungskraft so stark – denn sie symbolisiert ja geradezu, daß der Mensch die Fähigkeit noch nicht verloren hat, den Gordischen Knoten alter Vorstellungen, die seine Entwicklung behindern, zu durchschlagen und scheinbar unüberwindliche physikalische Hindernisse zu überwinden.

Wenn es hier gelingt, gelingt es uns schließlich auch in anderen Bereichen des heutigen Lebens, in denen der Mensch hoffnungslos für immer festgefahren zu sein scheint. Ein Gefühl von Enthusiasmus und unverfälschtem Interesse scheint alle zu ergreifen, die sich mit Raumflug und Astronautik beschäftigen: Schulkinder, die darüber etwas lernen, Kongreßabgeordnete, die Gelder dafür bewilligen, politische Führer in Ost und West, die den Beitrag ihrer Länder dazu rühmen, und last, but not least die Wissenschaftler und Ingenieure, die die Pionierarbeit auf dem Weg zu ihrer Verwirklichung leisten.

Dennoch müssen wir uns der Frage stellen: „Wozu Raumfahrt?“ Die Frage wird heute nur noch selten gestellt, um damit anzudeuten, daß es sich bei der Raumfahrt um eine sinnlose Verschwendung von Zeit und Geld für ein hoffnungsloses Unternehmen handeln könnte. Nur wenige Menschen zweifeln heute noch daran, daß wir beispielsweise Satelliten stationieren können, die nützlichen Zwecken dienen werden. Insoweit aber eine philosophische Rechtfertigung der weitaus größeren langfristigen Implikationen der Astronautik verlangt wird, muß darauf eine Antwort gegeben werden, und das so bestimmt, schlüssig und entschieden wie möglich. Man hat schon erkannt, daß sehr viel Denkarbeit notwendig ist, um eine solche Antwort zu geben, und wir beginnen uns gerade erst mit dem Problem zu beschäftigen. Wir sollten uns aber nicht kopflos machen lassen und hektisch versuchen, die Notwendigkeit eines sofortigen Fluges zu Venus oder Mars zu „beweisen“, denn offen gesagt: Es besteht heute keine solche Notwendigkeit.

Akzeptanz des Raumflugs

Wichtig zu verstehen ist, warum wir das Raumfahrzeug nach und nach so akzeptieren sollten, wie unsere Vorfahren sich schließlich an Rad und Schiff gewöhnt haben. Es gab Zeiten – die Odyssee beweist es –, in denen es für den gewöhnlichen Menschen nahezu unvorstellbar war, seine Halbinsel oder Insel zu verlassen und über den Horizont hinaus ins Unbekannte zu segeln. Und im Prinzip haben wir uns bis heute nicht sehr verändert, denn auch heute können sich viele von uns die Erde nicht (höchstens auf eine ganz allgemeine Weise) als eine Insel vorstellen, von der eines Tages viele Menschen zu fernen, uns noch unbekannten Orten aufbrechen werden, oder die eines Tages von Menschen aus fernen Welten besucht werden könnten wie ein Amerikaner heute das Land seiner eingewanderten Väter besucht.

Als Beitrag zur Beantwortung der großen Frage schlage ich eine breite Perspektive als Grundlage vor, indem wir drei Grundgesetze der Astronautik formulieren und dann die Implikationen dieser Gesetze untersuchen.

Erstes Gesetz: Unter dem Naturrecht dieses Universums erlegt nichts und niemand dem Menschen irgendwelche Beschränkungen auf außer er sich selbst.

Zweites Gesetz: Das rechtmäßige Betätigungsfeld des Menschen ist nicht nur die Erde, sondern das ganze Sonnensystem und soviel vom Universum, wie er unter den Naturgesetzen erreichen kann.

Drittes Gesetz: Indem er sich im Universum ausbreitet, erfüllt der Mensch seine Bestimmung als Element des Lebens – ausgestattet mit der Macht der Vernunft und der Weisheit des Moralgesetzes in sich.

Diese Gesetze sind die Grundpfeiler der Raumfahrt, der Entwicklung moderner Raketentechnik (sowie anderer Technologien, vor allem der atomaren) und unserer ehrgeizigen Pläne und Hoffnungen bezüglich der Zukunft der Astronautik.

Das erste Gesetz

Das erste Gesetz ist die Aufforderung der Astronautik an den Menschen, eine neue „Unabhängigkeitserklärung“ zu schreiben: die Unabhängigkeit von apriorischem Denken, von unkritisch akzeptierten Bedingungen, oder anders gesagt, von einer vergangenen und grundsätzlich anderen prätechnologischen Welt, die ihm noch anhängt. Das ist möglich. Die Unabhängigkeitserklärung und die Verfassung der Vereinigten Staaten beweisen es. Die Umsetzung solcher Dokumente mag lange Zeit in Anspruch nehmen, aber der erste Durchbruch zu ihrer Formulierung ist von entscheidender Bedeutung. Diese Dokumente wären in Europa wahrscheinlich nie geschrieben worden, auch wenn es heißt, die Französische Revolution sei von vielen Gedanken angeregt, die in sie eingegangen sind. Eine neue Welt, eine geistige Distanz, verstärkt durch die geographische Distanz, und ein soziologischer Neubeginn waren für ihre Formulierung nötig.

Europa und Amerika (nicht nur die Vereinigten Staaten) sind, obwohl sie verwandt sind, zwei unterschiedliche Differenzierungen des Integrals der menschlichen Zivilisationskraft, so wie vorher die chinesische, indische, römische, hellenistische, hebräische und viele andere Zivilisationen. Dieses Integral enthält unzählige Variable, deshalb ist auch die Zahl möglicher Differenzierungen in Raum und Zeit unendlich groß – vorausgesetzt, der menschliche Geist wird nicht in den Grenzen einer zu engen kosmischen Umwelt ausgelöscht.

Hier finden wir einen wichtigen Trend: Das riesenhafte Ausmaß der Astronautik ist zweifellos einer der unmittelbaren Gründe, warum sie eine so faszinierende Herausforderung darstellt. Sie verheißt es dem Menschen, dahin zu gelangen, wo er noch nie gewesen ist, und wendet sich deshalb unmittelbar an seine angeborene Neugier, Abenteuerlust und Forscherdrang. Doch der wohl tiefste Grund ruht in einer Vergangenheit, die so fern liegt, daß es die Lebensspanne der menschlichen Gattung noch weit übersteigt. Ein Kennzeichen des Lebens auf diesem Planeten, den Menschen eingeschlossen, ist das Streben zu expandieren, sich auszudehnen, instinktiv in aggressiver Weise auf Unbekanntes zu reagieren und das scheinbar Unerreichbare als Provokation aufzufassen, die nicht unbeantwortet bleiben darf.

Die erste große Antwort dieser Art kam, als sich das Leben von den Meeren auf das Land ausdehnte. Amphibien und Reptilien reproduzierten die ursprünglichen Zustände, die in den urzeitlichen Meeren herrschten, in ihren Eiern; diese wurden dann in einem freundlichen, warmen Klima von der Sonne ausgebrütet, und das war auch das einzige Klima, in dem sie leben konnten. Mit wenigen Ausnahmen blieben sie Kriechtiere. Ihre Körper waren in engem Bodenkontakt, und folglich gab es einen beträchtlichen Wärmeaustausch. So folgte ihre Körpertemperatur der Temperatur des Bodens, und das tut sie noch heute. Sie läßt sich nicht auf einer konstanten, moderaten Höhe halten wie die der Säugetiere.

Die Entwicklung der Säugetiere, der vielseitigsten und vollkommensten Landtiere, war eine brillante biotechnische Leistung. Als sich der Körper mit Hilfe von Beinen vom Boden löste, befreite er sich von der sklavischen Kopplung an den Temperaturzyklus des Bodens, es wurde möglich, eine wärmeisolierende Behaarung (Fell) zu entwickeln und eine relativ gleichmäßige Körpertemperatur von etwa 37 °C beizubehalten – etwa die gleiche Temperatur, die in den urzeitlichen Ozeanen herrschte. Damit wurde es überflüssig, Eier zu legen, die Tiere waren nicht mehr auf die Sonne zum Ausbrüten angewiesen. Die Brut konnte sich im Leib der Mutter entwickeln. Damit wurde das Leben von den klimatischen Bedingungen praktisch unabhängig. Die Eroberung des Landes konnte vollendet werden. Im Zuge der Weiterentwicklung der Reptilien, die ein besseres Wachstumspotential für diese Umgebung zeigten als die Säugetiere, konnte mit der Zeit auch die untere Atmosphäre besetzt werden.

Dann behinderte eine neue Grenze das Leben, der Weltraum. Es gibt keine biologischen Mittel, die es Lebewesen direkt erlaubten, den Weltraum zu betreten und sich darin zu bewegen. Es ist eine faszinierende Vorstellung, daß das Leben vielleicht auf diese Herausforderung reagierte, indem es eine neue Amphibie – den Menschen – hervorbrachte, dessen ruheloser Geist über die Beschränkungen seiner biologischen Welt hinausreicht. Das menschliche Gehirn allein ist in der Lage, bestimmte höhere Eigenschaften anorganischer Materie zu nutzen, um den Weltraum zu betreten.

Damit beginnt der nächste Akt in dem gigantischen Drama, und der Mensch spielt eine Hauptrolle. Von schützenden Hüllen umgeben macht sich das Leben auf, andere Welten zu erobern. Möglicherweise geschieht dies von mehreren Kernen im All aus, die viele Lichtjahre voneinander entfernt sind.

Aus dieser Perspektive erscheint es schwer vorstellbar, daß unsere Antwort auf die Herausforderung der Raumfahrt sich auf den Bau von Erdsatelliten begrenzen sollte – es sei denn, wir erlegen uns diese Begrenzung selbst auf. Es gehört zu unserem Erbe als Kinder dieses Planeten, nach anderen Welten zu suchen und mit unseren Fähigkeiten in neue Grade der Freiheit und Unabhängigkeit hineinzuwachsen, gegenüber denen die heutigen Gesellschaften wie die unsäglichen Beschränkungen mittelalterlicher Siedlungen oder afrikanischer Stammesregeln erscheinen. Es ist eine historische Tatsache, daß Geist und Verstand des Menschen mit dem Raum wachsen, in dem er agieren kann.

Das zweite Gesetz

Die Bedeutung des zweiten Gesetzes läßt sich an den Folgen auf die zivilisatorische Entwicklung ermessen, die es hatte, als sich der europäische Mensch über die ganze Welt ausbreitete. Die europäische Zivilisation des Mittelalters, eingepfercht in der Enge ihrer kleinen, streng kontrollierten Gemeinwesen und in ein allmächtiges Glaubensdogma, war im 12. und 13. Jahrhundert gefährlich nahe daran, eine statische Zivilisation zu werden, wie das alte China, Japan, Indien oder die Inkas. Es sah aus, als läge vor ihr eine lange düstere Folge von Generationen, die immer dasselbe starre, wenn nicht gar tyrannische, soziale und philosophische System durchliefen und nur existieren durften, um dieses System zu erhalten. Die plötzliche Erkenntnis, daß die weite und schöne Erde nur darauf wartete, vom Menschen in Besitz genommen zu werden, bestürmte und ermutigte die großen Denker der damaligen Zeit, besonders Giordano Bruno, Nikolaus Kopernikus, Galileo Galilei und Johannes Kepler. Das war die krönende Errungenschaft der Renaissance, und die Welt der dogmatischen Scholastik war für immer zertrümmert.

Jetzt beginnen wir uns darüber klar zu werden, daß das Sonnensystem und wahrscheinlich sogar Teile dieser Galaxis unser sein kann. Die Konsequenzen der praktischen Anwendung des zweiten Gesetzes der Astronautik auf alle Phasen des menschlichen Daseins in den kommenden Jahrhunderten spotten beinahe unserer Vorstellungskraft, so wie die heutige Welt den Pionieren der Renaissance praktisch unvorstellbar war. Wir bauen heute lediglich die Schiffe für jene Männer und Frauen, die in eine neue Ära der Entdeckungen eintreten werden und damit die Grundlagen für die legen, die nach ihnen kommen und planetare Technologien entwickeln und kosmische Zivilisationen schaffen werden.

Das dritte Gesetz

Das dritte Gesetz bezeichnet diesen anthropologischen Charakter von Weltraumunternehmen, wie wir Menschen ihn verstehen können. Es impliziert nicht, daß eine brutale Eroberung anderer Welten, wie bei der Kolonisierung unserer Welt häufig geschehen, wünschenswert wäre. Es proklamiert aber das natürliche Recht des Menschen, alle Teile des Universums, die ihm erreichbar sind, zu entdecken und mit menschlicher Fertigkeit und Weisheit zu befruchten – ob sie von intelligenten Wesen bewohnt sind oder nicht. Dieses Recht steht genausogut anderen Zivilisationen im Universum zu, wenn sie uns zuerst erreichen können oder wenn sie im Zuge ihrer Expansion andere Welten vor uns erreichen.

Über das Resultat eines menschlichen Zusammentreffens mit anderen Zivilisationen im Weltall, wenn und zu welchem Zeitpunkt dies überhaupt jemals eintreten wird, läßt sich nur spekulieren. Heute ist lediglich maßgebend, daß der Mensch die einzige uns bekannte Quelle intelligenten Lebens ist und daß dies ihm das Recht gibt, die Grundlagen seiner Existenz bis an die Grenzen seiner Fähigkeiten zu erweitern, zu entwickeln und zu bereichern. Im Lichte dieser Perspektive sind, so fortgeschritten uns das schon erscheinen mag, Expeditionen zu anderen Planeten (das „Zeitalter der Entdeckung“) nur ein Anfang.

Wenn alle notwendigen Erkenntnisse beisammen sind, könnten zukünftige Generationen Lösungen für das Problem finden, an anderen Orten in unserem Sonnensystem oder sogar im interstellaren Raum zu leben, womit die Raumfahrt ihre endgültige anthropologische Bedeutung erhielte. Daß wir den Nutzen eines Lebens an anderen Orten im Weltraum heute nur sehr allgemein angeben können, ist dabei nicht besonders wichtig, denn wir sind heute etwa so kompetent, dies zu beurteilen, wie Demokrit den Nutzen des Wissens über die Atome beurteilen konnte, dem er so eifrig nachging.

Das soll nicht heißen, daß man den praktischen Nutzen völlig außer acht lassen sollte. Im Gegenteil. Dennoch hat die Astronautik, wie alle großen Unternehmungen, sowohl einen unmittelbar-utilitaristischen als auch einen langfristig-grundsätzlichen Aspekt. Die Nützlichkeit eines bestimmten Projekts wie etwa eines künstlichen Satelliten, einer Mondsonde oder eines künstlichen Kometen festzustellen, ist nicht nur sinnvoll, sondern unabdingbar. Wir können auch den Nutzen eines bemannten Erkundungsfluges zur Venus oder zum Mars bestimmen. Aber alle diese Nützlichkeiten beschränken sich auf spezifische wissenschaftliche oder technische Überlegungen oder Argumente militärischer oder politischer Zweckdienlichkeit. Sie stellen eine professionelle Herausforderung für eine begrenzte Gruppe von Menschen dar, so wie ein Überschallflugzeug, das Teleskop auf dem Mount Palomar, ein unbezwungener Berggipfel oder ein Sandsturm auf dem Mars.

Wenn das alles wäre, könnte man die Raumfahrt nach Belieben tun oder bleiben lassen. Doch die anthropologische Herausforderung der Raumfahrt reicht viel tiefer. Ihre Perspektive und Bedeutung, die allein ihr diese quasi magnetische Anziehungskraft verleiht, läßt sich nur aus den langfristigen Aspekten ableiten, die sie in eine Reihe mit den Höhepunkten des Lebens auf diesem Planeten überhaupt stellen.

Realismus der Vision

Wir müssen realistisch sein; aber es gibt einen falschen Realismus, einen ängstlichen und statischen, der dem Menschen aufträgt, nur für seine Existenz zu leben und nicht am Althergebrachten zu rütteln. Der Realismus, den wir brauchen, ist ein Realismus der Vision – der Realismus eines Kolumbus und der amerikanischen Verfassung, eines Benjamin Franklin, eines Albert Einstein, eines Konstantin Ziolkowskij und eines Hermann Oberth.

Das ist der Realismus, der von unserem ersten Gesetz lebt, der eigentlichen Grundlage der menschlichen Entwicklung: dem Gesetz, welches besagt, daß wir frei in diesem unseren Universum wachsen können, solange wir uns nicht selbst das Joch um den Hals legen. Handeln wir in diesem Geist, dann wird es nicht schwer sein, mit den unmittelbaren Nützlichkeiten umzugehen, die zu Recht die formale Rechtfertigung für jede der aufeinander folgenden Phasen der astronautischen Entwicklung bilden.

Wie immer wir die Astronautik betrachten, wir kommen nicht umhin zu spüren, welche Herausforderung für das menschliche Schicksal sie ist. Aus diesem Grund braucht die Raumfahrt die Unterstützung aller zivilisierten Nationen, und sie wird sie auch finden, während wir uns mühsam und schrittweise auf das kosmische Zeitalter des Menschen zubewegen.