Prof. Lévêque hat die folgende Rede auf der Konferenz des Schiller-Instituts mit dem Titel „Am Rande eines neuen Weltkriegs: Die europäischen Nationen müssen mit dem Globalen Süden kooperieren!“ am 8.–9. Juli 2023 in Straßburg als Videobeitrag gehalten.
Ich werde versuchen, Ihnen in wenigen Minuten zu erklären, warum die wissenschaftliche Ökologie derzeit durch magisches Denken instrumentalisiert wird. Wir im Westen haben aus der Heiligen Schrift die Vorstellung übernommen, daß Gott eine perfekte, harmonische und ausgewogene Welt geschaffen hat. Das ist unser theologisches Erbe, das es in anderen Kulturen so nicht gibt, das aber zur tragenden Säule militanter Umweltbewegungen geworden ist; so zum Beispiel der großen internationalen Naturschutz-NGOs, wie dem WWF, die alle westlich dominiert sind. Die Hauptaussage dieser Bewegungen ist, daß der Mensch die herrliche, unberührte Wildnis zerstöre, die uns von Gott hinterlassen wurde, und daß wir damit die Zukunft der Menschheit gefährden. Daher kommt die Vorstellung, die herrliche Natur sei eine Natur ohne den Menschen. Man denke an die amerikanische Wildnis oder die europäische Natürlichkeit: schöne Natur ist eine Natur ohne den Menschen. Entsprechend haben wir ein Bild von Naturschutzgebieten, die wir eigentlich vor den Menschen geschützt haben.
Das ist das große internationale Geschäft des Naturschutzes, das vor allem von den großen internationalen Konzernen betrieben wird und das wohl auch in etlichen tropischen Ländern, vor allem in Afrika und auch in Asien, Einzug gehalten hat. Ziel ist es, Gebiete auszuweisen, in denen die Bevölkerung aus ihrem natürlichen Lebensraum entfernt werden soll, um unbesiedelte Zonen zu schaffen, in denen sich die Natur frei entfalten kann. Ein interessantes Buch auf diesem Gebiet ist Die Erfindung des grünen Kolonialismus von Guillaume Blanc, einem Historiker, der aufzeigt, wie der WWF in Afrika vorgegangen ist, um Nationalparks einzurichten.
Die Politik dieser NGOs ist immer noch aktuell, denn auf der COP15-Konferenz zur Konvention über die biologische Vielfalt, die 2022 in Montreal stattfand, verpflichteten sich 180 Länder, 30 Prozent des Planeten bis 2030 zu schützen! 30 Prozent des Planeten sind kein Pappenstiel, und es stellt sich die Frage: Wenn wir tatsächlich 30 Prozent schützen – selbst unter dem Vorbehalt, daß die Bevölkerungen vor Ort an diesem Schutz beteiligt werden – was machen wir dann mit den Menschen, die ausgeschlossen werden? Schließlich soll es bei diesen Schutzgebieten doch darum gehen, die Natur vor menschlichen Eingriffen zu bewahren! Woher kommt eigentlich die Idee, daß die Natur schön und freigebig ist – und nur schön und freigebig? Das Argument, daß die Natur dem Menschen feindlich gesinnt ist, hört man nicht oft, aber es ist die tägliche Realität für viele Bürger der Welt. Diese Naturideologie basiert auf einer bukolischen und metaphysischen Vorstellung von Natur, die in städtischen und bürgerlichen Kreisen im 19. Jahrhundert in verschiedenen europäischen Ländern entstanden ist und der zufolge die Natur ein Ort der Erholung und der Freizeitgestaltung für bürgerliche Stadtbewohner ist. Um es ganz klar zu sagen: Auch die Natur wird in Klassen aufgeteilt. Es gibt die Klasse der wohlhabenden städtischen Bürger, für die die Natur ein Ort der Entspannung ist, und es gibt die Arbeiterklasse, die Landbewohner, die damals, im 19. Jahrhundert, meist Bauern waren und eine andere Vorstellung von der Natur hatten. Diese bürgerliche Vision hat sich breitgemacht und wird nun auch von den Vereinten Nationen unterstützt, die beschlossen haben, daß es jedes Jahr einen „Tag der Mutter Erde“ geben soll, was bedeutet, daß wir in der Tat zur griechischen Göttin der Erde zurückkehren, zur Verehrung der Muttergöttin Gaia – die in bestimmten südamerikanischen Religionen und Praktiken auch Pachamama genannt wird. In gewisser Weise wird die Natur so wieder zur Göttin gemacht.
Von den NGOs und den Medien – denn auch die Medien spielen in diesem Bereich eine äußerst aktive Rolle – wird derzeit der Mythos der Apokalypse propagiert. Demzufolge ist die Natur in großer Gefahr, und wir, die Menschen, sind es, die sie gefährden. Das betrifft nicht nur die Natur, sondern auch die Zukunft der Menschheit selbst – wegen der Überbevölkerung, wegen der Globalisierung und wegen des kapitalistischen Systems. Die politische Ökologie mobilisiert dagegen vor allem wegen des Mißbrauchs wissenschaftlicher Innovationen, wie es zum Beispiel der Fall ist, wenn es um genetisch veränderte Organismen oder um Pestizide geht, denn all das trägt zur Zerstörung der Natur bei. Ständig wird vom Rückgang der Artenvielfalt, dem Verschwinden von Vögeln, dem Verschwinden von Insekten gesprochen… All das ist Ideologie – was nicht heißt, daß der Mensch keinen Einfluß auf die Natur hat, die Frage ist nur, wie man diese Erosion quantifizieren und globalisieren kann. Wie ich vorhin schon sagte: die Menschen auf dem Land, die Landwirte, die täglich mit der Natur zu tun haben, teilen nicht dieselbe bukolische Vorstellung wie die Menschen in der Stadt, die die Natur eher als Vermittlerin erleben. Sie waren und sind immer noch mit gefährlichen Tieren, Schädlingen, Krankheiten usw. konfrontiert. In Afrika sind die meisten Krankheiten parasitäre Krankheiten, die von lebenden, biologischen Erregern übertragen werden. Und dann gibt es noch all die katastrophalen Gefahren: Überschwemmungen, Dürren usw., die dazu führen, daß das Leben eines Landwirts, eines Menschen, der in Kontakt mit der Natur steht, letztlich ziemlich ungewiß ist.
Der Mythos vom natürlichen Paradies
Früher gaben sich die Menschen einem Fatalismus hin. Sie haben den Schöpfer angefleht, sie haben „Fürbitten“ abgehalten, damit der Schöpfer uns gnädig sei. In vielen anderen Religionen wenden sich die Menschen auch an Götter und Geister mit der Bitte um Gnade, wenn es um die Erzeugung der Nahrungsmittel geht. Die Realität der Ökologie, die uns nie in diesem Licht präsentiert wird, ist, daß der Mythos vom Paradies, in dem alles in Harmonie ist, in Wirklichkeit eine Fantasie ist. In der realen Welt der Ökologie gibt es Nahrungsketten, was bedeutet, daß jede Art eine andere Art fressen muß, um zu überleben – mit anderen Worten, die andere Art wird getötet. In der Welt des Lebens und der Ökologie sind wir mit dem Paradox konfrontiert, daß dort ständig ein wahrer Holocaust herrscht, wobei eine Art die andere töten und fressen muß, um sich zu ernähren und zu vermehren. Deshalb kam ich auf die Idee, ein Buch mit dem Titel Das doppelte Gesicht der Biodiversität: Die Natur ist kein Garten Eden zu schreiben, in dem ich die Idee entwickle, daß der Mensch nicht der angeborene Zerstörer der Natur ist, daß der Mensch im Gegenteil während seiner gesamten Existenz versucht hat, sich vor Aggressoren zu schützen, um eine gewisse physische Sicherheit zu haben. Er hat versucht, sich die Nahrungsressourcen zu sichern, indem er Ackerbau und Viehzucht betrieb und seine ökologische Nische ausbaute, d. h. dafür sorgte, daß es das ganze Jahr über Wasser gab. Er hat Wasserreserven angelegt, Bewässerung betrieben – kurzum, er hat die Natur so entwickelt, daß sie sowohl sein biologisches Leben als auch seine physische Sicherheit gewährleistet.
Ich vertrete die These, daß wir auch ökologische Systeme geschaffen haben, die wegen ihrer biologischen Vielfalt oder wegen ihres Nutzens wertvoll sind. Nehmen Sie zum Beispiel die Camargue in Frankreich, die eine völlig künstliche Umgebung ist, aber als natürliches Gebiet angesehen wird, so sehr, daß sie als RAMSAR-Gebiet eingestuft wurde, mit anderen Worten, als Heiliger Gral der Erhaltung der biologischen Vielfalt. Ich denke dabei auch an unsere Bocages,1 die vom Menschen geschaffen wurden und reich an biologischer Vielfalt sind. Die Vorstellung, daß der Mensch die Natur zerstört, muß also relativiert werden, denn es gibt auch viele Gegenbeispiele für die Schaffung von Vielfalt und biologischem Reichtum. Nicht viel gesprochen wird über die Schattenseiten der biologischen Vielfalt, d. h. über Krankheiten und all die Grausamkeiten, die die Natur an Menschen und Tieren begehen kann – denn die Natur macht keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier. Und so befinden wir uns in der paradoxen Situation, daß das, was wir als „Belästigungen der Natur“ bezeichnen, keine eigentliche Besonderheit der Natur ist, denn die Natur ist ja a priori gut und freigebig… Aber mit ein wenig jesuitischer Spitzfindigkeit läßt sich sagen, daß es letztendlich nicht die Schuld der Natur ist, wenn sie Belästigungen erzeugt, sondern die Natur rächt sich an uns, weil wir sie zerstören. Indem wir die biologische Vielfalt zerstören, sorgen wir dafür, daß wir Epidemien wie Covid bekommen.
Vor ein paar Jahren sagten Wissenschaftler allen Ernstes, daß „Covid und Epidemien die Rache der Natur sind, weil wir die biologische Vielfalt zerstören“. Ich möchte Sie nur daran erinnern, daß die UNO eine politische Organisation mit großem theologischen und metaphysischen Einfluß ist. Die UNO steht hinter den Konventionen über das Klima und die biologische Vielfalt, hinter dem IPCC und dem IPBES (dem Äquivalent des IPCC für die biologische Vielfalt), und es mag Sie überraschen, wenn Sie in IPBES-Papieren Ausdrücke finden, die in den konzeptionellen Rahmen dieser Organisation gestellt werden, zum Beispiel: „Leben in Harmonie mit der Natur“, „Leben im Gleichgewicht und in Harmonie mit Mutter Erde“, „Gaben der Natur“, „Mutter Erde“, „Lebenssysteme“ …. Man sieht sofort, und ich habe vorhin daran erinnert, daß die UNO einen Tag für Mutter Natur eingeführt hat, daß diese Organisation, die sich als wissenschaftlich ausgibt, irgendwo doch unter einem starken mystischen oder sogar theologischen Einfluß steht, und ich denke, wir müssen sehr vorsichtig sein, wenn wir über Ökologie und Wissenschaft sprechen, und wo die gemachten Aussagen herkommen. Wenn es um den Schutz der biologischen Vielfalt auf der ganzen Welt geht, und insbesondere in den Entwicklungsländern, in denen ich viel gearbeitet habe, ist die Realität nicht unbedingt Überbevölkerung, nicht unbedingt technologische Innovation, sondern ganz einfach Armut. Und es stimmt, wenn die Bevölkerung wächst, braucht man mehr Ressourcen, braucht man mehr Nahrungsmittel.
Wenn wir also über den Schutz der Natur und die Ausweitung von Schutzgebieten sprechen, müssen wir uns auch fragen, was wir mit der Bevölkerung machen, die von ihrem Land vertrieben wird und die letztendlich die Stadtbewohner ernähren muß. Die Argumentation der Umweltbewegungen ist völlig fragwürdig, denn sie sagen nie, was sie mit den Menschen machen wollen, die aus ihren natürlichen Lebensräumen und Wohnorten vertrieben werden. Wenn man zum Beispiel alle Bewohner der Camargue auffordern würde, die Camargue zu verlassen, wäre das ein interessantes Experiment… Nur eine kleine Anekdote: Als es im Jahr 2020 in Ostafrika zu einer massiven Invasion von Wanderheuschrecken kam, die einen Großteil der Ernten in der Region vernichtete, herrschte beredtes Schweigen seitens der Naturschutzbewegungen und der Wissenschaftler, die oft mit diesen Bewegungen verbunden sind. Zur gleichen Zeit gab es in Australien große Buschbrände, und man konzentrierte sich darauf, alle Arten zu zählen, die durch diese Buschbrände getötet worden waren. Es herrscht also eine völlig andere Einstellung zur menschlichen Spezies als zur Natur, und man sieht, daß das Gleichgewicht stark zugunsten der Natur gekippt ist.
Abschließend möchte ich sagen, daß es beim Umweltschutz immer um ein Gefühl der Angst geht, denn die NGOs zielen letztendlich darauf ab, Angst zu erzeugen – ein Punkt, der von Ökologiephilosophen wie dem deutschen Philosophen Hans Jonas vertreten wird. Wir sollen dazu gebracht werden, wieder im Mythos der Apokalypse zu leben, Mit anderen Worten: Wenn man nicht den Kriterien entspricht, wenn man nicht die Ideen des Glaubens akzeptiert – früher war es Gott, heute ist es der Glaube an die Göttin Natur –, dann steuern wir tatsächlich auf eine Situation zu, die aus dem Ruder läuft, und das wäre tatsächlich das Ende der Welt, die Apokalypse. Die großen Nichtregierungsorganisationen sind auf dieser Grundlage in der Lage, ihre Ideologie mit starker Komplizenschaft der Wissenschaftler durchsetzen. Es gibt viele Wissenschaftler, die ich als Pyromanen bezeichnen würde, die aus fragwürdigen Gründen, die aber mit der Beschaffung von Finanzmitteln zusammenhängen, das Feuer am Brennen halten. Und dann sind da noch die Medien, die natürlich für Aufsehen sorgen wollen und, ich würde sagen, sogar noch weiter gehen als die Wissenschaftler, weil es sich in den Medien gut verkauft, angstmachende Informationen zu verbreiten.
Ich möchte Ihnen noch dieses kleine Cartoon zeigen, auf dem Donald Trump mit Platon plaudert und sagt: „Ich bin sicher, Sie stimmen zu, daß die Wahrheit aus der Wiederholung von Lügen entsteht“. Zum Schluß noch diese kleine Karikatur, die ich auf der Rio-Konferenz 1992 gefunden habe und auf der steht: „Rettet die Erde“, „Rettet den Planeten“, „Rettet die Kinder der Erde“ und … spart Geld. Ich denke, daß hinter all dem auch wirtschaftliche Fragen stehen, die nicht unbedingt sehr rosig sind. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Prof. Christian Lévêque ist emeritierter Forschungsdirektor am französischen Forschungsinstitut für Entwicklung (IRD) und Spezialist für aquatische Ökosysteme. Er ist Ehrenpräsident der Académie d’agriculture de France und Mitglied der Académie des sciences d’Outre-mer.
Fußnote(n)
- Als Bocage bezeichnet man in Frankreich einen Landschaftstyp, der sich durch eine große Anzahl an Knicks, Hecken oder Wallhecken als Begrenzung landwirtschaftlicher Felder auszeichnet.[↩]