Dr. Ahmed Hussein, Prof. em. für Physik der University of Northern British Columbia, ist derzeit am TRIUMF, Kanadas nationalem Forschungszentrum für Partikel- und Nuklearphysik in Vancouver, tätig. Er ist auch außerordentliches Mitglied des Instituts für Festkörper-Kernphysik (IFK) in Berlin. Robert Hux führte mit ihm am 16. September 2014 das folgende Interview für unser Schwestermagazin 21st Century Science & Technology.
Sie haben hier auf der Pacific Basin Nuclear Conference in Vancouver ein sehr interessantes neues Design für einen Kernreaktor vorgestellt.1 Worin unterscheidet sich Ihr Design von den in den 50er Jahren entwickelten Kernreaktoren?
Dr. Hussein: Unser Reaktor, der sich Dual Fluid Reaktor (DFR)2 nennt, wurde entwickelt, um viele Probleme der heutigen Reaktoren zu lösen, weswegen viele Leute Angst haben. Die Bauweise heutiger Reaktoren geht teilweise auf die alten Tage des Manhattan-Projekts zurück, als man die Kernenergie militärisch nutzen wollte, um sie dann für die zivile Nutzung weiterzuentwickeln. Die Sicherheit wurde über mehrere Generationen ziviler Reaktoren verbessert – allerdings zu einem hohen Preis. Sämtliche Sicherheitsmaßnahmen, die einen sicheren Betrieb gewährleisten sollen, haben die Kosten für den Bau solcher Reaktoren deutlich nach oben getrieben. Allerdings sollte man wissen, daß trotz der hohen Baukosten die Betriebskosten von Kernreaktoren immer noch weitaus niedriger sind als von fossilen Kraftwerken.
Das weitere Problem mit diesen Reaktoren sind die großen Mengen Abfall, die beim Betrieb anfallen und über viele, viele Jahre gelagert werden müssen, sowie die Proliferationsbedenken aufgrund der Verwendung des angereicherten Brennstoffs. Allerdings sind die heutigen Reaktoren eine viel bessere und sauberere Energiequellen als fossile Kraftwerke, und die Sicherheit ist erheblich verbessert worden. Auch sei hinzugefügt, daß ein heutiges 1000-MW-Kernkraftwerk im Jahr etwa einen Kubikmeter Abfall produziert, der sicher gelagert werden kann, im Vergleich zu den Millionen Tonnen Treibhausgasen und 320.000 t Asche mit toxischen Schwermetallen und Tonnen von Schwefel und Stickoxiden, die von fossilen Kraftwerken produziert werden. Darüber hinaus gibt ein Kernkraftwerk während des Betriebs keinerlei radioaktives Material in die Umwelt ab, während ein Kohlekraftwerk radioaktive Stoffe freisetzt, die natürlicherweise in der Kohle enthalten sind.
Unser Reaktorkonzept ist viel einfacher aufgebaut und vermeidet dadurch die meisten Probleme, die wir derzeit haben. Es wird zudem die Kernkraft erheblich billiger, sicherer, nahezu kohlenstofffrei und besser anwendbar machen als jede andere Energiequelle.
Können Sie die Funktionsweise des Reaktors beschreiben?
Der Reaktor ist wirklich sehr einfach. Er ist ein schneller, metallgekühlter Flüssigsalzreaktor. Er hat zwar gewisse Ähnlichkeiten mit anderen Reaktorentwürfen, aber er unterscheidet sich im Grunde von allen. Der wichtige Aspekt, der ihn so besonders macht, ist der Einsatz von zwei Flüssigkeiten: Eine als Brennstoff und die andere als Kühlmittel (Abbildung 1). Auf diese Weise können wir beide Flüssigkeiten für ihre spezifische Funktion optimieren – im Gegensatz zu allen anderen Flüssigsalzreaktortypen, bei denen eine Flüssigkeit als Brennstoff und als Kühlmittel eingesetzt wird. Dieses Merkmal eröffnet ganz neue Möglichkeiten, die unseren Reaktor unter allen Reaktorentwürfen der IV. Generation herausstechen lassen.
Der flüssige Brennstoff besteht aus Flüssigsalzen des natürlichen Urans (U) oder des natürlichen Thoriums (Th) – zum Beispiel Trichloride –, während die Kühlflüssigkeit flüssiges Blei ist. Der Brennstoff wird online in einer pyrochemischen Verarbeitungseinheit aus natürlichem U oder Th hergestellt (Abbildung 2). Der Flüssigbrennstoff wird dann in den Reaktorkern gepumpt, wo durch eine „kritische Masse” von Brennstoff auf engstem Raum die Bedingungen für eine sich selbst erhaltende Kernspaltungs-Kettenreaktion entstehen. Die erzeugte Energie wird durch das zirkulierende Flüssigblei zu einem Wärmetauscher außerhalb des Reaktors transportiert.
Der Flüssigsalzbrennstoff ermöglicht die kontinuierliche Entnahme von Spaltprodukten, die in flüssiger Form außerhalb des Reaktorkerns gelagert und mit dem gleichen zur Kühlung des Reaktorkerns verwendeten Flüssigblei gekühlt werden können, bis sie für medizinische oder industrielle Anwendungen weitertransportiert oder an einem passiv gekühlten Ort innerhalb des Reaktorgeländes verwahrt werden.
Zudem kann der Flüssigbrennstoff durch Zugabe kleiner Mengen neuen Brennstoffs leicht nachgefüllt werden.
Sie erwähnten, der DFR-Reaktor sei ein „schneller” Reaktor. Warum ist das wichtig?
Es gibt zwei Typen von Reaktoren: schnelle Reaktoren und „langsame” oder „thermische” Reaktoren. Die meisten heutigen Reaktoren wie der Druckwasserreaktor (PWR) oder der CANDU-Schwerwasserdruckreaktor sind thermische Reaktoren. Thermische Reaktoren sind so ausgelegt, daß sie sich den Umstand zunutze machen, daß ein „spaltbares” Atom wie Uran-235 mit großer Wahrscheinlichkeit ein Neutron absorbiert und der Kern so in zwei kleinere Atome plus einige weitere Neutronen zerfällt, wodurch eine Kernspaltungs-Kettenreaktion in Gang kommt, wenn das Neutron energiearm ist und sich langsam bewegt.3 Bei der Spaltung des Atoms werden große Energiemengen freigesetzt, wobei die neuen Neutronen jedoch zu schnell fliegen, als daß sie von einem anderen spaltbaren Atom leicht eingefangen werden könnten (Abbildung 3).
In einem thermischen Reaktor müssen somit die schnellen Neutronen abgebremst werden (wodurch sie zu thermischen Neutronen werden), indem in den Reaktorkern ein sogenannter Moderator eingebracht wird (Wasser, schweres Wasser oder Graphit), der die überschüssige Neutronenenergie absorbieren kann. Wasser ist zwar der beste Moderator, da seine Moleküle Wasserstoff enthalten, deren Kern (ein Proton) eine dem Neutron nahezu gleiche Masse hat, doch Wasser hat den Nachteil, auch einige der Neutronen zu absorbieren.
Die meisten thermischen Reaktoren auf der Welt und besonders jene, die Wasser als Moderator oder Kühlflüssigkeit benutzen, können keine Kettenreaktion oder Kritikalität aufrechterhalten, wenn sie die 0,7 % des im natürlichen Uran vorkommenden U-235 verwenden. Für diese Reaktoren muß die Menge U-235 durch ein komplexes und sehr kostspieliges Anreicherungsverfahren auf 3-5 % erhöht werden. Der zweitbeste Moderator ist schweres Wasser (Deuteriumoxid), dessen Moleküle ein schweres Isotop des Wasserstoffs (Deuterium genannt) mit einem Neutron und einem Proton enthält, das den Vorteil hat, daß es nicht nur nicht viele Neutronen absorbiert, sondern sogar einige seiner eigenen Neutronen in den Reaktorkern abgibt, während es die bei der Kernspaltung entstandenen Neutronen moderiert. Aufgrund dieser zusätzlichen Neutronen kann man in schwerwassermoderierten Reaktoren natürliches Uran verwenden. Somit brauchen die CANDU-Schwerwasserdruckreaktoren zwar kein angereichertes U-235, doch ihr Moderator, schweres Wasser, muß in einem aufwendigen und teuren Verfahren hergestellt werden.
Thermische Reaktoren haben weitere Nachteile.
Erstens, sie können nicht mehr als 0,7 % des im natürlichen Uranerz vorkommenden U-235 verbrennen.
Zweitens, heutige Reaktoren verwenden feste Brennstäbe, weswegen man die Energieabgabe nur durch Kontrollstäbe regeln kann. Diese Stäbe enthalten Stoffe wie Kadmium, die viele Neutronen absorbieren können. Kontrollstäbe werden mechanisch im Reaktorkern hin- und herbewegt. In diesem System können mechanische Störungen auftreten, die den Reaktor unkontrollierbar machen können.
Drittens, ein thermischer Reaktor kann zwar weder die verbleibenden 99,3 % des Urans (U-238) noch
Thorium (Th-232) spalten, doch er kann diese fertilen Materialien in spaltbare Isotope von Plutonium (Pu- 239) und Uran (U-233) verwandeln, und es entstehen viele andere schwere Elemente, die Aktiniden, und mittelschwere Elemente, auch Spaltfragmente genannt. Die meisten dieser Elemente sind hochradioaktiv. Die Aktiniden, die fast alle nicht in einem thermischen Reaktor verbrannt werden können, sowie die Spaltfragmente sammeln sich in den Brennstäben an und erzeugen aufgrund ihres radioaktiven Zerfalls ständig große Mengen Wärme. Deswegen müssen die Brennstäbe ständig aktiv gekühlt werden, selbst wenn der Reaktor abgestellt ist. Ohne diese aktive Kühlung könnte es zur Kernschmelze kommen.
Viertens, nachdem der Brennstoff in den Stäben erschöpft ist, müssen die Stäbe mitsamt der darin enthaltenen Aktiniden und Spaltfragmenten aus dem Reaktorkern entfernt und sehr lange Zeit (Tausende bis Hunderttausende von Jahren) in geologisch stabilen Formationen sicher gelagert werden.
Schnelle Reaktoren mit Flüssigbrennstoffen wie der DFR werden andererseits mit schnellen Neutronen betrieben und brauchen deswegen keinen Moderator. Die Wahrscheinlichkeit der schnellen Spaltung ist zwar geringer als bei der thermischen Spaltung, doch dies wird zu gewissem Grade dadurch ausgeglichen, daß bei der schnellen Spaltung mehr Neutronen entstehen (etwa 4-6 gegenüber 2-3 bei der thermischen Spaltung).
Diese zusätzlichen Neutronen können auch dazu verwendet werden, U-238 in spaltbares Pu-239 zu verwandeln, d. h. während der Ausgangsbrennstoff aufgebraucht wird, produziert der schnelle Reaktor direkt im Reaktorkern neuen Brennstoff.
Infolgedessen verbrauchen schnelle Reaktoren fast 100 % des natürlichen Urans. Ähnlich wie thermische Reaktoren können auch schnelle Reaktoren „initial” mit natürlichem Uran keine Kritikalität erreichen. Doch sobald der schnelle Reaktor mit seiner ersten Beladung angereicherten Brennstoffs angefahren wurde, kann man ihn mit natürlichem Uran oder Thorium nachladen. Schnelle Reaktoren können außerdem den Abfall (oder besser den wenig abgebrannten Brennstoff) aus anderen Reaktoren oder das aus zerlegten Atomwaffen gewonnene Plutonium und Uran als Brennstoff verwenden. Auf diese Weise verlängert sich die Lebensspanne des Kernbrennstoffs auf Tausende von Jahren.
In beiden Reaktortypen wird fertiles U-238 (oder Th-232) in spaltbares Pu-239 (oder U-233) sowie in andere Aktinide verwandelt, aber schnelle Reaktoren sind hierbei effektiver als thermische. Wie ich bereits erwähnte, haben viele Aktiniden sehr lange Halbwertszeiten.4 Thermische Reaktoren können die entstandenen Aktiniden nicht verbrennen, während schnelle Reaktoren sie sogar sehr effektiv verbrennen können. Deswegen erzeugen schnelle Reaktoren sehr viel weniger radioaktiven Abfall mit viel kürzeren Halbwertszeiten als thermische Reaktoren.
Statt Wasser zur Kühlung wie bei den meisten Reaktoren, die wir besprochen haben, verwendet Ihr Reaktor flüssiges Blei.
Ja. Wenn man flüssiges Blei benutzt, kann der Reaktor bei sehr hohen Temperaturen betrieben werden, wodurch er sehr effektiv wird. Durch die Verwendung von Flüssigsalzbrennstoff und Flüssigbleikühlmittel ergeben sich viele passive Sicherheitsvorkehrungen, die den DFR zu einem extrem sicheren Reaktor machen.
Die Betriebstemperatur des Reaktors liegt bei…
Die Betriebstemperatur des DFR ist 1000 °C. Bei dieser Temperatur ist der Wirkungsgrad der Wärmeübertragung recht hoch. Wir erreichen das, weil wir Flüssigblei als Kühlmittel verwenden, das bei 327 °C schmilzt und bei 1750 °C siedet. Außerdem kann man bei dieser hohen Temperatur mit atmosphärischem Druck arbeiten – eine weitere Vereinfachung unseres Designs. Man kann den DFR dem PWR und CANDU gegenüberstellen, die mit Wasser gekühlt werden. Wasser siedet, wie Sie wissen, bei 100 Grad, so daß der Reaktor bei unter 100 Grad betrieben werden muß, was einen extrem schlechten Wirkungsgrad bei der Wärmeübertragung bedeutet. PWR und CANDU arbeiten deshalb bei sehr hohem Druck, um den Siedepunkt des Wassers zu erhöhen, so daß man bei Temperaturen bis zu 350 Grad arbeiten kann. Der Druck muß dazu um das 70- bis 150fache des Atmosphärendrucks sein. Man braucht diesen hohen Druck, um einen halbwegs anständigen Wirkungsgrad bei der Wärmeübertragung zu erreichen. Reaktorentwürfe, die auf einen so hohen Druck ausgelegt sind, sind komplex und kostspielig.
Hat die Bleikühlung des DFR weitere Vorteile gegenüber anderen Kühlmitteln in schnellen Reaktoren?
Schnelle Reaktoren brauchen generell Flüssigmetalle zur Kühlung des Reaktorkerns mit seiner hohen Leistungsdichte. Seit der Pionierarbeit mit schnellen Reaktoren am Argonne National Laboratory Anfang der 1950er Jahre, die zum Experimentellen Brutreaktor 1 (EBR-1) und seinem Nachfolger EBR-2 führte, konzentrierte sich die Entwicklung in den Vereinigten Staaten und überall sonst auf der Welt auf den Einsatz von Natrium- oder Natrium/Kalium-Kühlsystemen.
Diese Metalle reagieren jedoch sehr aggressiv mit Luft, Wasser und verschiedenen Strukturmaterialien; sie absorbieren Neutronen und bilden so kurzlebige, aber hochradioaktive Stoffe (wie Na-24), die genug Wärme freisetzen, damit in dem Natriumkühlmittel Dampfblasen entstehen. Diese Blasen senken die Neutronenabsorption, wodurch die Spaltrate ansteigt (positiver Dampfblasenkoeffizient) und der Reaktor außer Kontrolle geraten kann. Infolgedessen sind aufwendige Maßnahmen erforderlich, um den sicheren Betrieb dieser Reaktoren zu gewährleisten, etwa ein versiegelter Reaktorbehälter mit Überdruck, doppelwandige Rohre und ein Zwischenkühlkreislauf – Maßnahmen, die die Kosten von natriumgekühlten schnellen Reaktoren deutlich über die von PWR-Reaktoren angehoben haben.
Blei andererseits ist ein sehr stabiles Element und reagiert kaum mit anderen Elementen. Es absorbiert weniger Neutronen als Natrium. Einige radioaktive Isotope können sich in Blei nach langer Exposition im Reaktor bilden, aber sie zerfallen wieder zu stabilem Blei. Überdies moderiert (verlangsamt) Blei die schnellen Neutronen nicht so stark wie Natrium. Ein bleigekühlter schneller Reaktor wie der DFR, aus dem die Spaltprodukte (die Neutronen absorbieren können) kontinuierlich entfernt werden, hat mehr Neutronen verfügbar, die nützliche Arbeit verrichten können.
Wenn man den DFR beispielsweise so betreibt, daß er aus U-238 im Natururan Plutonium erbrütet, dauerte es etwa vier Jahre, bis genug Brennstoff für einen weiteren Reaktor produziert wäre, etwa die heutige Bauzeit für ein Kernkraftwerk. Demgegenüber haben natriumgekühlte schnelle Reaktoren (wie der französische Superphénix oder die russischen BN-Reaktoren) mit PUREX-Wiederaufbereitungsanlagen eine Verdopplungszeit von 30–40 Jahren. Das Erbrüten von U-233 aus Thorium hätte eine noch längere Verdopplungszeit, da U-233 weniger Spaltneutronen produziert als Pu-239.
Was sind die passiven Sicherungssysteme, die Sie eben erwähnten?
Flüssigbrennstoff erlaubt den Einsatz von Schmelzsicherungspatronen, die aktiv gekühlt werden, damit sie im Normalbetrieb stabil bleiben, doch wenn die Kühlung des Reaktors aus irgendeinem Grund ausfällt und die Temperatur im Kern ansteigt, schmelzen die Sicherungspatronen durch, so daß der Brennstoff aus dem Reaktorkern in subkritische Speichertanks abfließen kann, wie in Abbildung 2 sichtbar. Auf diese Weise kommt es nie zu einer Kernschmelze. Und da ein schneller Reaktor mit Flüssigbrennstoff betrieben wird, braucht man keine Kontrollstäbe und auch keinen Moderator, und er hat keine mechanisch beweglichen Teile im Kern. Diese Ausstattung vereinfacht das Kerndesign und macht aktive Sicherungssysteme weitgehend überflüssig.
Wie bereits erwähnt, erlaubt Flüssigbrennstoff auch die kontinuierliche Entnahme von Spaltprodukten sowie ihre sichere Lagerung und aktive Kühlung durch Flüssigblei außerhalb des Reaktorkerns. Der radioaktive Zerfall dieser Spaltprodukte produziert selbst nach dem Abschalten des Reaktors noch Wärme. Auch diese Lagerbecken haben Schmelzsicherungen (Abbildung 1), so daß sie bei Kühlmittelverlust in selbstkühlende Tanks abgelassen werden können. Beim Verbrennen sehr langlebiger Aktinide kommt die Hauptquelle von Radioaktivität im Reaktor von den Spaltprodukten. Doch müssen die derzeit nicht weiter brauchbaren Spaltprodukte viel kürzer gelagert werden (bis zu 300 Jahre), was innerhalb des Reaktorgeländes sicher geschehen kann. Alle für die Medizin oder Industrie nützlichen Isotope (beispielsweise Molybdän-99/Technetium-99m) lassen sich zudem einfach entnehmen, um verarbeitet und versendet zu werden.
Bei Ausfall der Kühlung (dem schwersten Unfall in einem Kernkraftwerk) wird der Reaktor beim Anstieg der Temperatur über die normale Betriebstemperatur – bevor noch höhere Temperaturen die Sicherungspatronen schmelzen läßt – bereits „unterkritisch” und beginnt sich aufgrund des negativen Temperaturkoeffizienten des DFR selbsttätig abzuschalten.
Noch etwas: Der Reaktor selbst braucht zu seinem Betrieb kein Wasser, so daß er auch unterirdisch gebaut werden kann, während die Stromerzeugung, zu der man Wasser braucht, oberirdisch eingerichtet werden kann. Auch das verleiht dem Reaktor erheblich mehr Schutz und Sicherheit im Vergleich zu anderen Reaktortypen.
Wie lange würde es dauern, einen Demonstrationsreaktor zu bauen und dann zur Kommerzialisierung überzugehen?
Nach unserer derzeitigen Schätzung etwa 10–15 Jahre. Bisher haben wir uns mit der Mathematik und dem Reaktorverhalten sowie mit der Auswahl geeigneter Materialien für den Reaktorkern beschäftigt. Wir sind noch nicht in die Bauphase eingetreten. Wir haben erst kürzlich bei der EU-Kommission einen Antrag auf Forschungszuschüsse gestellt, um viele weitere Aspekte des Reaktors zu studieren, und erst danach können wir zum Bau eines Prototypen übergehen. Nach unserer Auffassung ließe sich in 7 bis 8 oder vielleicht auch 10 Jahren ein Prototyp bauen, um zu zeigen, daß der Reaktor funktioniert, und dann bräuchte man weitere 5 Jahre, um tatsächlich einen vollständigen Reaktor zu bauen.
Erwarten Sie beim Bau eines Prototypen größere Hindernisse?
Natürlich wird es Hindernisse geben, aber ich erwarte keinen „Showstopper”. Wichtig hierbei ist, daß wir keine neuen Technologien erfinden müssen, sondern wir fügen bestehende, bewährte Technologien auf unkonventionelle Art und Weise zusammen. Flüssigsalz-Brennstoff und Sicherungspatronen haben sich in dem Flüssigsalz-Versuchsreaktor, der in den 1960er Jahren im Oak Ridge National Laboratory gebaut und betrieben wurde, vollauf bewährt. Wärmetechnikverfahren wurden in den wenigen in Frankreich und anderswo gebauten Abfallwiederaufbereitungsanlagen entwickelt und eingesetzt, und schließlich hat man in russischen Atom-U-Booten der Alphaklasse Flüssigmischungen aus Blei und Wismut zur Kühlung verwendet. Es wird Probleme dabei geben, alle diese Technologien zusammenzubauen, aber diese Probleme lassen sich meiner Meinung nach lösen.
Was für Reaktionen bekommen Sie von staatlichen Einrichtungen auf der Welt, wenn es darum geht, in ein Projekt wie das Ihre zu investieren?
Die Situation der Kernenergie läßt sich leider mit der in der Autoindustrie vergleichen. Betrachtet man sich die Autoindustrie, stellt man fest, daß die meisten heutigen Automotoren mehr oder weniger denen entsprechen, die Henry Ford schon vor hundert Jahren in seine Autos einbaute. Ähnlich ist es bei der Kernenergie. Die Unternehmen, die Kernreaktoren produzieren, haben ihre Designs; sie verändern ständig die Sicherheitsvorkehrungen, so daß neue Reaktoren sicherer als die alten sind, aber das Grunddesign ist noch immer das gleiche, das damals im Manhattan-Projekt entstand. Viele Reaktorproduzenten sind abgeneigt, sich an neue Designs heranzuwagen. Damit haben wir zu kämpfen, doch wir versuchen weiter und hoffen, bald einen Durchbruch zu erzielen.
Glauben Sie, daß man mit dieser neuen Technologie den Widerstand gegen die Kernenergie, der sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, überwinden kann?
Das glaube ich ganz sicher. Wir stoßen zwar auf Widerstand, allerdings habe ich bei Vorträgen, die ich vielerorts gehalten habe, festgestellt, daß die Öffentlichkeit die Kernenergie durchaus will. Man weiß, wie verheerend fossile Brennstoffe sind. Die Leute sind bereit für die Kernkraft, besonders wenn sie von Technologien wie dem DFR hören, der die meisten Probleme mit den heutigen Reaktoren löst.
Vor ein paar Jahren haben wir selbst in Deutschland erlebt, daß die Öffentlichkeit großes Interesse an der Kernenergie hat, obwohl die Regierung die Kernkraftwerke abstellt. Was fehlt, ist, daß die Öffentlichkeit Druck auf die Regierungen auszuüben beginnt, um fossile Kraftwerke mit Kernkraftwerken zu ersetzen. Wir versuchen alles, um die Öffentlichkeit über unser Reaktorkonzept aufzuklären, das extrem sicher, im Betrieb kohlenstofffrei und bei Bau und Betrieb wesentlich billiger ist als alle anderen heutigen Energiequellen, einschließlich Wind, Sonne und Kohle. Wir schätzen, daß der von einem DFR produzierte Strom um ein Drittel günstiger sein wird als der von einem Kohlekraftwerk. Der billige Strom wird die Erzeugung synthetischer, kohlenstofffreier Fahrzeugtreibstoffe wie Hydrazin und auch die Wasserentsalzung wirtschaftlich machen und so die Umwelt sauber halten.
Sehr bald wird man nicht umhin kommen, eine noch höhere Energieflußdichte als selbst die Kernspaltung verfügbar zu machen, nämlich die Kernfusion. Was denken Sie von der Kernfusion?
Die Kernfusion ist meiner Meinung nach die ultimative Energiequelle, insbesondere die Deuterium-Deuterium-Fusion, denn dieser Brennstoff ist überall reichlich vorhanden. Leider ist sie noch nicht verfügbar, aber derzeit gibt es auf der Welt konzertierte Anstrengungen wie den ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) in Frankreich, wie General Fusion hier in Vancouver und die Laserfusion in den Vereinigten Staaten. Aber wie es aussieht, wird es in naher Zukunft keinen einsatzfähigen Fusionsreaktor geben.
Um das Problem mit den fossilen Brennstoffen zu lösen, sollten wir in der Zwischenzeit auf die Kernkraft setzen, die jetzigen Reaktoren weiterbetreiben und neue bauen. Wenn dann in 20 oder 30 Jahren hoffentlich die Kernfusion verfügbar sein wird, sollte meines Erachtens alles andere aufgegeben und nur noch die Fusion betrieben werden.
Abschließend möchte ich noch hinzufügen, daß das Konzept des Dual Fluid Reaktors von einer Gruppe Kernphysiker, mich eingeschlossen, am Institut für Festkörper-Kernphysik (IFK)5 in Berlin entwickelt wurde.
Fußnote(n)
- A. Huke, G. Ruprecht, D. Weisbach, S. Gottlieb, A. Hussein and K. Czerski, The Dual Fluid Reactor – A New Concept for a Highly Effective Fast Reactor, paper presented at 19th Pacific Basin Nuclear Conference. Vancouver, British Columbia, Aug. 24–28, 2014[↩]
- http://dual-fluid-reaktor.de/[↩]
- Uran kommt in zwei Formen vor, die sich durch ihre Masse und das natürliche Vorkommen unterscheiden: Uran-238 (99,3 %) und Uran-235 (0,7 %).[↩]
- Die Halbwertszeit t1/2 ist die Zeitspanne, in der sich die Hälfte eines gegebenen Isotops durch radioaktiven Zerfall in ein anderes Isotop umgewandelt hat. Die größten radioaktiven Emissionen aus bestrahltem Kernbrennstoff nach den Spaltprodukten stammt von den Aktiniden: Plutonium (Pu-239, T1/2 = 24.100 Jahre, und Pu-240, T1/2 = 6561 Jahre) und den Isotopen des Neptuniums, Americiums und Curiums mit Halbwertszeiten zwischen 2,4 Tagen (Np-239) und 2,1 Mio. Jahren (Np-237). [↩]
- http://festkoerper-kernphysik.de[↩]