Wir freuen uns, in diesem Heft erstmals in deutscher Sprache einen weiteren bahnbrechenden Aufsatz des großen russischen Naturforschers Wladimir Wernadskij veröffentlichen zu können. In dieser revolutionären Schrift mit dem Titel „Die Erforschung des Lebens und die Neue Physik“, die 1930 auf französisch in der Revue des Sciences erschienen ist, setzt sich Wladimir Wernadskij leidenschaftlich und provokativ für die Entwicklung einer „neuen Physik“ ein. Er verweist darin insbesondere auf die Grundfehler im Newtonschen Konzept des Kosmos, worin der Forschergeist von der erforschten Welt getrennt ist, und auf die sich verändernde Bedeutung von Raum, Zeit, Energie und Materie – vier Konzepte, die, wie er erklärt, für den Wissenschaftler von 1929 eine ganz andere Bedeutung hatten als für den Wissenschaftler von 1900.
Mit den Arbeiten Max Plancks und Albert Einsteins über die Quantenwelt und die Relativität haben diese vier Begriffe tatsächlich eine grundlegend andere Bedeutung erhalten. Es wurden zwar weiter die gleichen Wörter benutzt, aber die Konzepte dahinter waren mit denen, wie Newton sie dargestellt hatte, nicht mehr vereinbar. Newton schrieb: „Der absolute Raum bleibt vermöge seiner Natur und ohne Beziehung auf einen äußeren Gegenstand stets gleich und unbeweglich“, und: „Die absolute, wahre und mathematische Zeit verfließt an sich und vermöge ihrer Natur gleichförmig und ohne Beziehung auf irgendeinen äußeren Gegenstand.“
Dagegen war nach Einsteins Relativitätstheorie der Raum selbst nicht ohne Einfluß auf die Gegenstände im Raum und waren sich auch nicht immer ähnlich. Auch die Einsteinsche Zeit stimmte keineswegs mehr mit der Newtonschen Zeit überein. Schon der Begriff „Augenblick“ erwies sich für verschiedene Beobachter als unterschiedlich: Einem Beobachter mögen zwei Ereignisse gleichzeitig aufgetreten sein, die aber für einen anderen Beobachter überhaupt nicht gleichzeitig gewesen sind. Die Vorstellung eines bestimmten Augenblicks in der Zeit hatte nun nur noch eine Bedeutung in bezug auf eine bestimmte Position im Raum. Raum und Zeit waren nicht mehr getrennt.
Wernadskij greift diese Ideen auf und bringt sie unmittelbar mit dem Phänomen des Lebens in Zusammenhang. Er schreibt in „Die Erforschung des Lebens und die Neue Physik“: „Neue Ideen ziehen in die Physik ein, welche notwendigerweise die Aufmerksamkeit der Physiker auf die Phänomene des Lebens lenken. Denn es ist tatsächlich so, daß sich diese neuen Ideen in lebenden Phänomenen deutlicher ausdrücken als in den normalen Untersuchungsgegenständen der Physik. Diese Merkmale, diese Elemente des Gedankengebäudes, die im wissenschaftlichen Bild des Universums vernachlässigt werden und dessen Newtonsche Form ändern, lassen sich offenbar weder verstehen noch untersuchen, solange man nicht in der einen oder anderen Form die Lebenswissenschaften in das Bild des Universums einführt.“
Darüber hinaus habe sich mit dem Erscheinen des Menschen in der Biosphäre „die Wirkung des Lebens auf unseren Planeten infolge der menschlichen Intelligenz auf eine Weise geändert und entwickelt, daß man in der Geschichte unseres Planeten von einem besonderen Psychozoikum sprechen kann – entsprechend anderen geologischen Epochen, in denen es auf der Erde zu Änderungen in der belebten Natur kam, so wie beispielsweise während des Kambriums oder des Oligozäns. Mit dem Erscheinen eines mit Intelligenz begabten Lebewesens auf unserem Planeten ist dieser in eine andere Phase seiner Geschichte eingetreten. Mehr noch, wir gehen hier sichtbar über die Grenzen des Planeten hinaus, denn alles deutet darauf hin, daß wir mit dem Fortgang der geochemischen Wirkung der Intelligenz, des Lebens der zivilisierten Menschheit, die Grenzen des Planeten überschreiten.“ Mit dieser Feststellung fordert Wernadskij die Entwicklung einer neuen Physik, die uns zwingt, dem Studium von Lebensphänomenen, deren Charakter nicht nur irdisch, sondern kosmisch ist, besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
Durch das gesamte Werk Wladimir Wernadskijs zieht sich das überzeugende Argument, warum Prozesse auf der Erde und im Universum von Beginn an entsprechend einem Lebensprinzip bzw. sogar entsprechend dem noch höheren Prinzip menschlicher Erkenntnis organisiert sind.
Die Rolle der Galaxis
Diese galaktische (Wernadskijsche) Sichtweise bietet außerdem die Möglichkeit, auch das Wetter- und Klimageschehen auf der Erde kompetent zu untersuchen.
Wie Ben Deniston in seiner grundlegenden Betrachtung der weltweiten Wasserkrise in diesem Heft darstellt, „gibt es zunehmend Hinweise darauf, daß ein weiterer kosmischer Faktor eine wichtige Rolle spielt: Die Aktivität der Galaxis. Einer der jüngsten Hinweise hierauf stammt aus einer Studie, in der gezeigt wird, daß die zyklischen Schwankungen des Erdklimas mit der Bewegung unseres Sonnensystems durch die Galaxis zusammenhängen… Ganz grundlegend bedeutet das Wissen um diesen Faktor ein besseres Verständnis des Erdklimas, doch darüber hinaus könnte uns die galaktische Sichtweise zu speziellen neuen Lösungen für Kalifornien, Texas und andere Dürregebiete führen.“
Dieser spezielle Lösungsansatz existiert bereits in Form von Ionisierungsanlagen, die im Rahmen von Feldversuchen in Mexiko zu einer deutlichen Steigerung der Niederschläge geführt haben. Das Prinzip dahinter ist, daß die künstlichen Ionisierungsprozesse dieser Anlagen dem sehr ähneln, was auf natürliche Weise durch die galaktische Strahlung in der Tropopause geschieht, wo die Wolkenbildung stattfindet.
Sergej Pulinez, ein russischer Wissenschaftler, der bereits Ansätze für eine zuverlässige Erdbebenvorhersage auf Grundlage von Ionosphäreneffekten entwickelt hat, erläutert in einem Interview in diesem Heft, wie kosmische Strahlen aus dem Weltall im Zusammenspiel mit der Sonnenstrahlung zu periodischen Schwankungen der Wolkenbildung führen, und wie man durch „künstliche“ Ionisierung der Luft ebenfalls die Bildung von Kondensationskeimen in der Atmosphäre anregen und so vermehrte Niederschläge auslösen kann.
Neben traditionellen wasserwirtschaftlichen Maßnahmen wie dem Bau von Staudämmen, der Meerwasserentsalzung, der Umleitung von Wasser aus wasserreichen in wasserarme Gebiete (wie derzeit in großem Stil in China verwirklicht) gibt es also weitere vielversprechende Ansätze, um Wasser dort verfügbar zu machen, wo es gebraucht wird.
Denn eines steht fest: Im Wasserkreislauf zwischen den Weltmeeren, der Verdunstung in die Atmosphäre und der Rückkehr des Wassers in die Meere gibt es keinen Mangel an Wasser. Die Feuchtigkeitsströme in der Atmosphäre sind riesig. 90 % des Wassers, das aus den Meeren verdunstet, schafft es nie bis zum Festland, und dieses gewaltige Reservoir läßt sich für den Menschen nutzbar machen.
Überall auf der Welt gibt es Wasserkreisläufe, zyklische Abläufe in der Bewegung des Wassers zwischen unterschiedlichen Systemen. Der Mensch ist als einziger in der Lage, diese Kreisläufe zu optimieren. Wir können sie regulieren und produktiver machen. Wir können dafür sorgen, daß durch diese Wasserkreisläufe produktivere Prozesse mit mehr Wachstum erzeugt werden. Um dieses verfügbare Wasser zu nutzen, muß die Menschheit zu einer neuen Ebene des Umgangs mit dem gesamten globalen Wassersystem übergehen. Die Menschheit ist dazu fähig. Solche Projekte sind keine Utopie; wir können die Wasserkrise lösen. Nichts hält uns zurück als unser eigenes, kleines Denken. Deswegen müssen wir wieder menschlich werden, wir müssen uns wieder daran machen, eine bessere Zukunft für die nächsten Generationen zu schaffen. Der kulturelle Niedergang und der grüne Zukunftspessimismus, die uns davon abgebracht haben, muß umgekehrt werden, dann entsteht das Potential, mit dem wir diese Optionen verwirklichen können.