Statt den russischen Impfstoff Sputnik V, eine der wirksamsten und sichersten Vakzine gegen das SARS-CoV-2-Virus, zu verunglimpfen und auszugrenzen, sollte der Westen lieber die Zusammenarbeit mit Rußland und China zur Überwindung der COVID-19-Pandemie suchen.
Die COVID-19-Pandemie ist trotz der angelaufenen Impfaktionen keineswegs vorüber. Ganz im Gegenteil, das Virus verbreitet sich in einigen Ländern nach wie vor unkontrolliert. Dieses massive Anwachsen der Viruspopulation bedeutet nicht nur ungeheures menschliches Leid und ein wirtschaftliches Desaster, sondern es steigt auch die Wahrscheinlichkeit, daß sich immer schneller neue COVID-Varianten bilden, so wie es ja bereits mit der britischen, südafrikanischen und brasilianischen Mutation geschehen ist. Da bei der Virusreplikation immer Fehler auftreten, ist es nur eine Frage der Wahrscheinlichkeit, daß Mutationen mit aggressiveren Eigenschaften auftauchen, je mehr Viren im Umlauf sind.
Diese neuen Varianten könnten dann zu einer höheren Infektiosität und möglicherweise auch zu einer höheren Letalität führen, die wir allerdings bisher bei der britischen und südafrikanischen Variante zum Glück noch nicht gesehen haben.
Es gibt jedoch auch Studien, die besagen, daß bei Ko-Infektionen, d. h. bei Infektion mit zwei Corona-Varianten, neue Varianten noch schneller als bisher entstehen können. Das wäre ein weiterer Evolutionspfad für das Virus. Zwei verschiedene Stämme in einem Patienten und vermehrte Varianten unter den Viren, das wäre eine Situation, die sich schnell verselbständigen könnte.
Es ist also absolut vordringlich, nicht nur bei uns, sondern weltweit die Verbreitung des Virus schnellstmöglich zu stoppen, da ansonsten mutierte Stämme auch wieder zu uns zurückkehren, gegen die dann selbst eine Impfung nicht mehr wirken würde.
Bisher sollen die zugelassenen Impfstoffe – vor allem die mRNA-Impfstoffe von BionTeC/Pfizer und Moderna – die Fähigkeit haben, auch viele der neuen Varianten zu neutralisieren. Entscheidend dabei ist jedoch, daß wir in der Lage sein müssen, neue Varianten umgehend zu identifizieren und ggf. die Impfseren entsprechend umzustellen.
Daß wir dazu potentiell in der Lage sind, zeigt die beispiellose Mobilisierung biotechnologischer Forschung auf weltweiter Ebene nach Identifizierung des SARS-CoV-2-Virus in China Anfang 2020. Es haben sich in atemberaubendem Tempo Fortschritte bei der Entwicklung, Erprobung und dem Einsatz von Impfstoffen vollzogen. Wie bei keinem Impfstoff bisher werden in noch nicht einmal einem Jahr, nachdem die Pandemie ausbrach, Millionen von Menschen mit mehreren neu entwickelten Impfstoffen geimpft, deren hohe Wirksamkeit gegen SARS-COV-2 nachgewiesen ist. Ein weiterer Fortschritt in der Impfstoff-Forschung ist, daß jetzt eine technologische und logistische Basis gelegt wurde, um schnell auf Mutanten sowie auf zukünftige pandemische Bedrohungen reagieren zu können.
Aber noch eine Warnung: Allein mit Impfen wird sich die Pandemie nicht besiegen lassen. Es wäre töricht und fahrlässig, der Bevölkerung vorzumachen, wenn wir nur schnell genug alle Menschen impfen würden, daß dann die Gefahr gebannt wäre. Es wäre schön, wenn das so wäre, aber angesichts des heutigen Tempos der Impfaktionen dürfte es Jahre dauern, bis die gesamte Weltbevölkerung gegen SARS-CoV-2 immunisiert ist, und bis dahin ist absolut nicht ausgeschlossen, daß durch Mutationen die Impfungen gar keinen Schutz mehr bieten.
Inzwischen dürfte uns allen klar sein, daß der Kampf gegen COVID-19 nicht nur ein gesundheitspolitisches Problem ist, sondern eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. COVID-19 hat uns vor allem gezeigt, daß mit unserer wirtschaftlichen Denkweise etwas sehr falsch läuft, denn trotz aller gegenteiligen Beteuerungen von politischer Seite war der Westen auf eine solche Pandemie nicht vorbereitet: Vor allem unser Gesundheitssystem war darauf nicht vorbereitet, weil wir uns auf ein neoliberales, monetaristisches System eingelassen haben. Wir sind mehr daran interessiert, schnell reich zu werden und nur Geld mit Geld zu machen, als das Gemeinwohl und damit eine gute Gesundheitsversorgung für alle zu fördern. Wir haben zugelassen, daß ein großer Teil der Welt, die sogenannte Dritte Welt, in Armut verbleibt. Deswegen ist die Forderung nach dem Aufbau moderner Gesundheitswesen in jedem Land der Erde so vordringlich.
Warum Sputnik V so verteufelt wird
Die westlichen Länder können sich keineswegs rühmen, wesentliche Beiträge zur gerechten Verteilung von COVID-19-Impfstoffen weltweit gemacht zu haben. Ganz im Gegenteil, die USA horten mehr Impfstoff-Dosen, als sie selbst für ihre eigene Bevölkerung brauchen, und die EU vermag es aufgrund ihrer monströsen Bürokratie und Kurzsichtigkeit nicht, genügend Impfstoff herzustellen und der Bevölkerung verfügbar zu machen, geschweige denn nennenswerte Mengen an andere Länder zu liefern.
Eine ganz andere Politik betreiben dagegen China und auch Rußland. Neben der Versorgung der eigenen Bevölkerung mit Impfstoffen haben beide Länder von Anfang an auch anderen Ländern vor allem im Entwicklungssektor die Lieferung ihrer selbst entwickelten Impfstoffe angeboten bzw. sind Kooperationen zur Impfstoffherstellung vor Ort eingegangen.
Vor allem politische Kreise in den USA und Großbritannien sehen darin eine bedenkliche „Impfstoffdiplomatie“, deren Erfolg den westlichen Einfluß in großen Teilen der Welt schwächen könnte. Im Fadenkreuz stand dabei vor allem der russische Impfstoff Sputnik V, der im Westen ursprünglich als bloßer Publicity-Gag von Präsident Wladimir Putin abgetan wurde. Doch Sputnik V hat sich inzwischen als einer der wirksamsten und sichersten Impfstoffe erwiesen und ist auch noch kostengünstig und einfach anzuwenden. Im Gegensatz zu vielen anderen Covid-19-Impfstoffen kann Sputnik V im Kühlschrank bei zwei bis acht Grad Celsius gelagert werden. Eine erste und zweite (Auffrischungs-)Dosis kosten zusammen nur 20 US-Dollar.
Von den USA wird Sputnik V kategorisch abgelehnt, offenbar, um die eigenen Pharmakonzerne zu schützen. Zwei der an der Impfstoffentwicklung beteiligten russischen Institute stehen sogar auf der US-Sanktionsliste in Verbindung mit dem Fall Nawalny. Und die EU verfolgt trotz massiver Impfstoffknappheit in den eigenen Mitgliedsländern eine Verzögerungstaktik bei der Zulassung von Sputnik V. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hätte schon sofort nach der Notzulassung in Rußland im August 2020 mit der Prüfung von Sputnik V beginnen können, aber auf Druck der USA und anderer antirussischer Kreise steht die Zulassung bis heute aus.
Andere Länder denken da ganz anders, um ihre Bevölkerungen zu schützen. So ist Sputnik V derzeit in mehr als 35 Ländern zugelassen, darunter Bolivien, Algerien, Kasachstan, Turkmenistan, Palästina, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Paraguay, Ungarn, Slowakei, Armenien, Serbien, San Marino, Venezuela und Iran. Mexiko will bis März 7,4 Millionen Dosen Sputnik V verabreichen, mindestens 16 Millionen Dosen sollen folgen.
Kirill Dmitriew, Direktor des russischen Staatsfonds RDIF, der die Entwicklung und Vermarktung von Sputnik V organisiert, betonte, daß die russische Regierung der Lieferung des eigenen Impfstoffs an Entwicklungsländer eine hohe Priorität einräumt. Um eine ausreichende Versorgung mit dem Impfstoff zu erreichen, verhandelt der RDIF mit potentiellen Produktionspartnern in China, Indien, Südkorea, Brasilien und möglicherweise weiteren Ländern. Das Ziel ist es, soviel Impfstoff zu produzieren, um mindestens 500 Millionen Menschen außerhalb Rußlands zu schützen.
Dabei kommt der russisch-chinesischen Zusammenarbeit im Bereich der Impfstoffentwicklung strategische Bedeutung zu, denn auch Chinas Impfstoffunternehmen haben ihre Kapazitäten seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie massiv ausgebaut. Die wichtigsten chinesischen Impfstoffe, die von den Firmen Sinovac und Sinopharm produziert werden, wurden bereits vielen Millionen Menschen in den Entwicklungsländern verabreicht.
Auch der türkische Präsident Erdogan, Indonesiens Präsident Joko Widodo, Jordaniens König Abdullah, Kronprinz Hussein und Premierminister Bisher al-Khasawneh sowie Bahrains Kronprinz und Premierminister Salman wurden bereits mit dem in China hergestellten Impfstoff geimpft. Dank der Lieferung von einer Million Impfstoffdosen aus China hat Serbien mit seinen sieben Millionen Einwohnern nun die höchste Impfrate in Europa außerhalb Großbritanniens. Auch Ungarn, das bereits mit Sputnik V impft, hat bereits fünf Millionen Dosen des chinesischen Impfstoffs bestellt – ganz zum Leidwesen der EU-Kommission.
Die Impfstoffe von Sinovac und Sinopharm sind klassische „Ganzvirus“-Vakzine, bei denen die Schutzwirkung durch inaktivierte Covid-19-Viruspartikel bewirkt wird. Vielversprechend ist auch ein in China gentechnisch hergestellter Impfstoff namens Convidicea (technische Bezeichnung Ad5-nCov), den das chinesische Biotech-Unternehmen CanSino Biologics zusammen mit dem Institute of Bioengineering der Chinese Academy of Military Research entwickelt hat.
Convidicea funktioniert nach dem gleichen Grundprinzip wie der russische Sputnik V, nämlich mit einem modifizierten Adenovirus als „Vektor“, um genetische Informationen in Körperzellen zu transportieren. Das Prinzip von sogenannten vektorbasierten Impfstoffen beruht darauf, ein gentechnisch verändertes Virus als Transportmechanismus – einen „Vektor“ – zu nutzen, um das Gen für das Spike-Protein in die Zellen zu tragen. Einmal mit dem Vektorenvirus infiziert, beginnen die Zellen, Covid-19-Spike-Proteine zu produzieren und in die Umgebung abzugeben, wodurch die Maschinerie des Immunsystems aktiviert wird. Sowohl Sputnik V als auch Convidicea nutzen Adenoviren – einen Virustyp, der typischerweise Zellen des Atemtrakts von Menschen und verschiedenen Tieren infiziert, aber gentechnisch so verändert ist, daß er sich nicht mehr selbst vermehren kann und daher harmlos ist.
Einer der Vorteile der Verwendung dieser Art von Viren als Vektor liegt darin, daß das genetische Material innerhalb des Viruspartikels eingekapselt und relativ gut vor der äußeren Umgebung geschützt ist, was den Impfstoff stabiler und einfacher zu lagern macht als die RNA-basierten Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna. Bei denen ist die RNA in Lipid-Nanopartikeln „verpackt“, was zu einem weniger stabilen Impfstoff führt, der niedrigere Lagertemperaturen erfordert. Zu beiden Impfstoffmethoden siehe nebenstehende Graphiken.
Bei Impfstoffen, die einen Virusvektor verwenden, besteht allerdings das Problem, daß der Körper eine gewisse Immunität gegen den Vektor selbst entwickeln kann, wodurch eine zweite Injektion weniger effektiv ist. Sputnik V umgeht dieses Problem, indem es für den Booster (die zweite Impfung) eine andere Variante des Vektorvirus verwendet. Da der chinesische Convidicea-Impfstoff noch eine andere Variante verwendet, könnte man eine ähnlich verbesserte Wirkung erzielen, wenn man ihn zusammen mit Sputnik V als Booster oder als erste Injektion verwendet. Versuche hierzu finden derzeit statt.
Es findet eine enge Zusammenarbeit zwischen russischen und chinesischen Impfstofffirmen statt, aber auch mit Forschungsinstituten in der ganzen Welt, sogar in den USA und Europa – allen geopolitischen Störmanövern gegen die russische und chinesische „Impfstoffdiplomatie“ zum Trotz.
Angesichts des gemeinsamen, tödlichen Covid-Feindes ist überlebenswichtig, daß die Weltgemeinschaft bei dessen Bekämpfung zusammenarbeitet und nicht in eine alte Kalte-Kriegs-Konfrontation zurückfällt. Selbst das britische Wissenschaftsjournal The Lancet hat am 8. April zu einer dringenden Zusammenarbeit zwischen den USA und China aufgerufen:
„Eine starke Zusammenarbeit zwischen den USA und China im Bereich Gesundheit und Medizin ist ein entscheidendes Element in den globalen Bemühungen gegen COVID-19… Die gemeinsamen Interessen der beiden Länder und das Ausmaß der Pandemie erfordern eine enge Zusammenarbeit. Wir geben Empfehlungen an die beiden Regierungen und die globale Gesundheitsgemeinschaft, um die laufende COVID-19-Pandemie zu kontrollieren und sich auf zukünftige Bedrohungen vorzubereiten.“
Darüber hinaus brauchen wir eine weltweite Mobilisierung zum Aufbau eines modernen Gesundheitswesens in allen Ländern, eine Mobilisierung zur Überwindung der Hungerkrise vor allem in den Krisenregionen auf der Welt und eine politische Mobilisierung für ein Gipfeltreffen der führenden Nationen, um die Kriege zu beenden und eine neue Sicherheitsarchitektur zu schaffen.