Interview mit dem Dresdner Raumfahrtforscher Prof. Martin Tajmar: „Nicht aufgeben und den Gehirnschmalz anstrengen!“

Wir haben Ende August 2019 in Dresden das folgende Interview mit Prof. Martin Tajmar geführt. Die Fragen stellten Michael Gründler und Caroline Hartmann.


Wie sind Sie zu Ihrer Weltraumbegeisterung gekommen und vor allem zu Ihrem Spezialbereich Raketenantriebe? Angefangen haben Sie ja als Plasmaphysiker.

Das kann man gar nicht genau an einem Datum festmachen. Schon als Sechsjähriger, wenn man mich gefragt hat, was ich werden will, sagte ich: Ich werde Physiker. Ich kann mich erinnern, daß ich schon als Kind, als ich noch gar nicht lesen konnte, ein Bilderbuch über Düsenantriebe hatte und versucht habe, die ganzen Zeichnungen zu studieren, zu basteln und zu bauen. Als ich dann noch „Raumschiff Enterprise“ im Fernsehen geschaut habe, war ganz klar: Meine Reise geht Richtung Weltraum, das steckte irgendwie in mir.

Sie haben schon früh einen Ionenantrieb entwickelt, wie funktioniert der?

Das erste, wenn man ein Raumschiff bauen will, ist die Frage: Wie kommt das da rauf? Es ist ganz klar: Der Antrieb ist die ganz entscheidende Frage! Einen Ionenantrieb habe ich schon während meiner Jugendzeit in meinem Kinderzimmer gebaut. In einem Raketentriebwerk verbrennt man Treibstoff wie zum Beispiel Kerosin, Flüssigsauerstoff, Flüssigwasserstoff, d.h man erzeugt ein heißes Gas. Dieses heiße Gas kommt hinten aus der Düse raus und erzeugt eine Vortriebswirkung. Die Kraft, die Sie erzeugen, hängt vom Massendurchsatz ab, d. h. wieviel Treibstoff effektiv hindurchfließt, und von der Ausströmungsgeschwindigkeit, d. h. wie schnell das hinten herauskommt.

Da ist man bei der Verbrennung limitiert. Die Materialien, die Brennkammer, die Düse halten ein paar tausend Grad aus, aber dann ist Schluß, dann schmilzt alles. Wenn man aber eine viel höhere Austrittsgeschwindigkeit hätte, würde man natürlich wesentlich weniger Treibstoff verbrauchen für die gleiche Schubkraft. Das hängt ja beides miteinander zusammen.

Dann kann man überlegen, das nicht mit heißer Temperatur zu machen, sondern die Kraft anders zu erzeugen, nämlich indem man den Treibstoff ionisiert, d.h. man schlägt die Elektronen heraus und erhält ein positiv geladenes Atom. Mit elektrischen oder elektromagnetischen Feldern lassen sich diese Atome dann beschleunigen, und zwar viel schneller, als man das mit chemischen Raketenantrieben kann.

Mit einem normalen Raketenantrieb erhält man eine Austrittsgeschwindigkeit von etwa 5000 m/s, mit einem Ionenantrieb erhält man bis zu 100.000 m/s. Um diesen Faktor braucht man dann auch weniger Treibstoff, um die gleiche Schubkraft zu erzeugen. Das ist schon enorm. Dieses Antriebssystem ist außerdem sehr gut steuer- und regelbar, was mit einem normalen Antrieb so nicht möglich ist.

Mit elektrischen Feldern kann man noch ganz andere Dinge machen. Solche Antriebssysteme sind heute bereits Standard, und man geht davon aus, daß zukünftige Generationen von Satellitensystemen alle elektrisch – „all electric“ – sind, inklusive der Antriebssysteme. Klar braucht man eine Rakete, um dort rauf zu fliegen, und diese elektrischen Antriebssysteme müssen von irgendwoher ihre Energie bekommen.

Mit solchen Triebwerken kann man Feinstkorrekturen machen und daher auch wissenschaftliche Missionen durchführen, die vorher nicht denkbar waren. Zum Beispiel könnte man eine ganze Gruppe von Satelliten zusammenschalten, die dann ein Riesenteleskop bilden, um etwa Fotos von den Planeten in anderen Sonnensystemen zu machen oder auch Gravitationswellen im Weltall zu entdecken.

Die Koordination von vielen Satelliten wäre also machbar?

Ja. Um etwa eine Gravitationswelle im Weltall zu entdecken, müßte die Distanz zwischen den Satelliten extrem genau gehalten werden. Als Beispiel könnte man sich vorstellen, daß bei so einer Mission die Distanz Erde-Mond so genau kontrolliert werden müßte, daß sie nicht um den Durchmesser eines Atoms abweicht. Da hat man mit chemischen Antrieben keine Chance. Man braucht ein extrem genau regelbares Triebwerk, und das ist mit elektrischen Antrieben möglich.

Schon seit Wernher von Braun ist den Raketenforschern klar, daß man für weite Fahrten, wie z. B. zum Mars, stärkere Antriebe braucht. Wie sieht es heute mit der Entwicklung von Nuklearantrieben aus? Und wird auch schon an Fusionsantrieben geforscht?

Ja. Es war ja so, daß damals in Amerika gesagt wurde, bis Ende der 1960er Jahre müssen wir zum Mond fliegen und wieder zurückkommen – das war eine ganz große Herausforderung. Und Wernher von Braun hatte sich schon damals gefragt, wie man aus den Antrieben mehr Leistung herausholen könnte. Es gab immer einen Plan B. Man war mit der letzten Treibstoffreserve auf dem Mond gelandet, was ja bekannt ist. Damals hatte man schon eine nukleare Oberstufe, die NERVA, entwickelt, die man eventuell bei der Saturn-V-Rakete hätte einsetzen können. Das war alles auf Engineering-model-Basis schon fertig entwickelt gewesen und auf dem Teststand. Die Leistungsdaten waren wirklich beachtlich: Das NERVA-Triebwerk hatte einen Schubbereich von 333 Kilo-Newton mit der doppelten Treibstoffeffizienz im Vergleich zum besten chemischen Antrieb, also ziemlich viel, und das quasi bereits im Orbit, also nicht unten am Boden. Das Triebwerk ist im Testprogramm insgesamt 3 Stunden 48 Minuten gelaufen. Wissen Sie, wo man in 3 Stunden 48 Minuten mit einem Drittel Mega-Newton-Schubkraft hinkommt? Weit, weit weg! Das ist fantastisch. Und das wurde bereits in den 1960er Jahren entwickelt.

Was Sie beschreiben, war ein Testlauf auf der Erde?

Ja, das Triebwerk ist nicht ständig die ganze Zeit Vollast gelaufen, sondern immer wieder, es gab 28 Restarts und 11 Minuten bei vollem Schub. Doch dann hat die NASA gesagt, wir entwickeln erst einmal das Space­shuttle, weil das billiger ist und einiges auch an private Firmen abgegeben werden kann. Eine Marsmission könnte man immer noch machen. Das war eindeutig die falsche Entscheidung, und so ist das NERVA-Programm in der Schublade verschwunden.

Eine Zeichnung des nuklearen Raketenmotors NERVA, der in den USA in den 1960er Jahren entwickelt wurde. Quelle: NASA

In den 1980er Jahren ist das ganze dann für Militärzwecke wieder interessant geworden, und es wurden Studien gemacht, ob man das nicht noch weiter verbessern könnte, doch das ist dann unter Reagan nach dem Starwars-Programm wieder eingestampft worden.

Die Russen hatten in den 1960er Jahren auch etwas ähnliches entwickelt, aber eher im kleineren Rahmen, doch etwa 2010 hat der damalige Präsident Medwedjew gesagt: Wir steigen in die Entwicklung eines nuklearen Triebwerks wieder ein, denn wenn es zu einer internationalen Marsmission kommt, dann haben wir eine Technologie, die kein anderer hat, und dann ist Rußland mit im Boot.

Davon hat man dann nicht mehr viel gehört, doch jetzt hat Putin gesagt, Rußland habe eine nukleare Rakete für militärische Zwecke entwickelt; vielleicht ist es in diese Richtung gelaufen.

Sie müssen sich die Energiedichte eines nuklearen Antriebs im Vergleich mit den besten chemischen Treibstoffen vorstellen. Das sind 8 Größenordnungen Unterschied – nicht ein Faktor 8, sondern eine Zahl mit soviel Nullen dahinter! Und vor allem, das gibt es bereits, das kann man einsetzen. Mit so einem nuklearen Raketenantrieb kann man in 2–3 Monaten zum Mars fliegen, und bemannt zum Jupitersystem in einem halben Jahr. Das sind in etwa die zeitlichen Größenordnungen, in denen Goethe von seiner Italienreise wieder zurück gebraucht hat!

Die Technologie des nuklearen Raketenantriebs ist also einsatzbereit. Ich kenne Leute, die sagen: Wenn der Präsident anordnet, das muß jetzt her, dann läßt sich das ganz fix und fertig auf die Startrampe stellen – das ist kein Hexenwerk, es ist bekannt, wie man das macht. Ich denke inzwischen, daß die Chinesen das jetzt machen werden, denn sie haben ein entwickeltes, ganz geradliniges Programm. Und wenn sie das haben, dann können die Russen und die Amerikaner nicht zurückstehen, denn jeder will damit präsent sein. Meine Vorhersage ist deshalb, daß der nukleare Raketenantrieb Anfang der 2030er Jahre Realität sein wird und daß dann nach und nach die bisherigen Raketenantriebe abgelöst werden.

Zum Mond und weiter zum Mars

Vor einigen Monaten hat der amerikanische Präsident Trump das Artemis-Programm initiiert, um 2024 bemannt zum Mond zu fliegen und 2028 eine permanente Basis aufzubauen. Indirekt schwingt dabei mit, daß man vom Mond leichter zum Mars kommen könnte als von der Erde selber. Können Sie etwas zum Artemis-Programm sagen?

Grundsätzlich gesehen, muß man den Mond nicht unbedingt verwenden, um zum Mars zu fliegen, man kann auch direkt dorthin fliegen ohne den Mond als Zwischenstation. Auf der anderen Seite kann man natürlich sagen, daß man eine Mars-Expedition auf dem Mond perfekt testen und durchspielen kann. Zum Mond fliegt man in ein paar Tagen, so daß man, wenn jemand einen Unfall hat oder etwas passiert, auch in ein paar Tagen wieder auf der Erde zurück ist. Noch wichtiger ist die Kommunikation; man hat zum Mond kaum eine Zeitverzögerung, die liegt im Sekundenbereich. Man kann Roboter direkt steuern, man kann ganz normal anrufen und sagen: Hallo ich habe da ein Problem! Auf dem Mars dauert es bis zu einer Dreiviertelstunde, wenn man kommunizieren will.

Der Teststand für das von Studenten der TU Dresden entwickelten und gebauten Raketentriebwerks.

Beim Mond ist das natürlich um Klassen einfacher; allerdings gibt es dort die gleichen Herausforderungen und Probleme: Die Strahlung im Weltraum, gegen die man etwas tun muß, den Mondstaub genauso wie den Marsstaub, man braucht Landefahrzeuge etc. – also mehr oder weniger das gleiche wie auf dem Mars. Es macht deshalb sehr viel Sinn, auf dem Mond eine Basis zu errichten und zu lernen, wie man mit alldem umgeht, um sich dann in Richtung Mars aufzumachen. Aber es ist nicht zwingend notwendig.

Buzz Aldrin sagte kürzlich bei der Feier zum 50. Jahrestag von Apollo 11, mit unserer Jugend gebe es ein Problem: Chinesische Jugendliche wollten Weltraumfahrer werden, amerikanische dagegen Youtube-Star. Wie sehen Sie das bzw. wie könnte man unsere Jugendlichen auch wieder für die Weltraumfahrt begeistern?

Ich glaube, die Raumfahrt ist sozusagen ein Selbstläufer. Wenn man den meisten Kindern etwas über Astronauten und Raketen erzählt, leuchten die Kinderaugen normalerweise auf. Das ist auch heute noch so. Heute leben wir zwar im Computerzeitalter, wo man das alles in Filmen sieht und alles so aussieht, als wenn es die Realität wäre. Das erscheint so selbstverständlich, daß die Kinder das gar nicht mehr so spannend finden, weil sie das alles im Film so perfekt dargestellt sehen. Ich meine, die Raumfahrt ist aber immer noch ein Thema, das sehr begeistern kann, und ich glaube, daß man die Kinder am besten dazu bekommt, indem man einfach etwas bastelt und etwas baut.

Das ist auch unser Ansatz hier: Wir haben einen Raumfahrtlehrstuhl, wir bauen komplett eine eigene Rakete, wir bauen komplett einen eigenen Satelliten, wir schauen uns nicht nur bunte Bilder an und machen Vorlesungen dazu, sondern wir bauen das einfach, und dabei lernt man wirklich, wie es funktioniert; man kann viele Leute einbinden, viele Studenten kommen etc. Ich glaube, das ist der richtige Weg.

In Österreich bin ich damals mit einem kleinen Raketentriebwerk von Schule zu Schule getingelt und habe das den Schülern gezeigt, das Raketentriebwerk gezündet, und die Schüler waren alle einfach begeistert. Das war nichts Virtuelles wie am Computer, sondern etwas zum Anfassen. Das ist wichtig.

Ist es nicht die ureigene Aufgabe des Menschen, den Weltraum zu erkunden? Ist nicht die Neugier auf diese Fragen eigentlich charakteristisch für den Menschen? Krafft Ehricke hat das sehr poetisch formuliert: Für den Menschen sollte das ganze Universum das Betätigungsfeld sein, und das ist seine Bestimmung, wenn er das mit Vernunft und Weisheit anstellt. Sind Sie auch der Meinung, daß der Mensch raus muß ins Universum, um dessen Geheimnisse zu erforschen?

Ich würde behaupten, das steckt in unserer DNA. Wir sind Forscher und Entdecker, sonst wären wir ja alle auf einer kleinen Insel geblieben. Wir versuchen, alles um uns herum zu entdecken, kennenzulernen und überall präsent zu sein. Der Weltraum ist natürlich die allergrößte Herausforderung, denn das ist wohl die lebensfeindlichste Umgebung. Da ist unser ganzer Gehirnschmalz gefragt, um da Erfolg zu haben. Vielleicht sind wir ja auch nur ein Rädchen in dem großen Puzzlespiel des Universums und des Lebens. Es stellt sich ja überhaupt die Frage: Warum gibt es Leben, warum gibt es uns? Die Frage nach dem Sinn ist ganz schwer zu beantworten. Aber vielleicht ist jeder von uns so ein kleines Steinchen, das er in diesen großen Mühlstein einfügt.

Ein Aspekt dabei ist die künstliche Intelligenz, die vielleicht einmal so weit sein wird. Es gibt ja das Human-Brain-Projekt, das versucht, das Gehirn zu simulieren und eine eigene künstliche Entität zu schaffen, die nicht durch die Biologie limitiert ist, sondern sich quasi selbst repariert, wenn ein Speicherchip kaputt ist, und sich dadurch wesentlich länger am Leben erhalten kann. Diese Intelligenz könnte sich dann in unserer Galaxis ausbreiten. Es kann sein, daß es unsere Aufgabe ist, diesen Schritt zu machen. Das kann auch eine Möglichkeit sein, daß wir quasi der Technologie auf die Sprünge helfen, das zu tun.

Sie haben einmal gesagt, daß die Erforschung unseres Sonnensystems eigentlich nicht ausreiche. Was wäre die nächste Station etwa nach einer Mars-Mission, oder besser gefragt: Wie kommen wir aus dem Sonnensystem heraus?

Wenn man das mit klassischer Technologie versuchen will, kann man sagen, das beste Antriebssystem, das wir nach derzeitigem Wissensstand bauen können, wäre ein gepulster Nuklearantrieb. Der funktioniert so, daß sie quasi eine Atombombe hinter Ihrem Raumschiff zünden, und diese Schockwelle treibt es an. Das ergibt eine Schubkraft und eine Effizienz, die jenseits von gut und böse ist. Das ist ein ernstgemeintes Projekt, heißt „Project Orion“, und wurde schon in den 50er Jahren angedacht von Freeman Dy­son, dem Kopf dieses Projekts, einem berühmter Wissenschaftler. Es gab damals sogar Tests. Das ist das Beste, das wir derzeit bauen können, aber wenn ich damit nur zum allernächsten Stern fliegen möchte – drei bis vier Lichtjahre, also gar nicht so weit weg – dann frage ich, wie viele Atombomben müßte ich mitnehmen, um das Spaceshuttle in 40 Jahren hin und zurück zum nächsten Stern zu bringen? Das wäre die Masse der Sonne. Das bedeutet, selbst mit dieser ausgefeiltesten Technologie: keine Chance.

Wie steht es aber dabei mit der Kernfusion, die zwar auch nicht so schnell vorankommt, wie man es sich wünschen würde, aber es gibt doch engagierte Forscher, die fest davon überzeugt sind, daß man die Kernfusion als Raketenantrieb benutzen kann?

Die Kernfusion ist schon eine ganz tolle Sache, aber eben nur vielleicht eine Größenordnung über dem, was man mit Kernspaltung schon gebaut und gemacht hat. Project Orion ist natürlich auch mit Fusionsbomben denkbar – das würde auch heute schon funktionieren. Das ist schon ein bißchen besser, und man hätte auch weniger Strahlung, aber es wäre nicht ein weiterer Quantensprung.

Das würde also für eine relativ kurze Reise zum Alpha Centauri auch nicht taugen.

Nein, das schafft man nicht. Wenn man Treibstoff mitnehmen muß, schafft man es einfach nicht. Man könnte monströse Sonnensegel bauen oder einen Riesenlaser etwa nach der Idee des Projekts „Starshot“. Aber da gibt es Probleme, um es mal so auszudrücken. Im Prinzip kann man die Energie nicht mitnehmen, sondern man muß die Energie irgendwie von außen beziehen.

Wenn man im Internet mehr über Raumantriebe wissen will, landet man unweigerlich bei Ihnen. Unter anderem ist mir das „SpaceDrive Project“ aufgefallen. Als Laie ist es schwer zu verstehen, aber man bekommt eine gewisse Vorstellung davon, daß dabei die schwere Masse mit Antimasse in Verbindung kommt oder besser die oszillierende Masse benutzt wird, so daß man genau an der richtigen Stelle ansetzt, um es doch für die Fortbewegung benutzen zu können. Sie arbeiten ja mit Ihren jungen Kollegen intensiv daran, um überhaupt die Stelle zu finden, wo man sagen kann, hier haben wir es. Können Sie dazu ein paar Worte sagen, weil das etwas ganz anderes ist, als man üblicherweise im Wissenschaftsbetrieb hört?

Ganz genau. Wir versuchen wirklich an den Grundfesten zu rütteln, denn das ist ganz notwendig, wobei ich auch die Universität als den richtigen Ort sehe, um das zu tun. Ich möchte ja versuchen, neues Wissen zu kreieren, und dabei ist das Ziel oft der Weg. Wenn Sie sich ein unmögliches Ziel stellen, etwa: „Ich fliege zum nächsten Stern innerhalb von vierzig Jahren“, dann bin ich gezwungen, hochinnovativ zu sein und völlig andere Ansätze zu verfolgen, die andere aufgegeben oder gar nicht aufgegriffen haben. Vielleicht entdeckt man dadurch etwas sehr Spannendes. Ich weiß, wenn Sie einen Wissenschaftler fragen, wie kann ich in den nächsten vierzig Jahren zu einem Stern hin und wieder zurückkommen, er Ihnen ausrechnen wird, das sei nicht möglich. Wenn ich also ein unmögliches Ziel habe, bin ich gezwungen, etwas Neues zu entwickeln. Ich bin gezwungen, mir völlig neue Meßmethoden zu überlegen, um Effekte zu suchen, mit denen ich das machen kann. Wir haben die beste Schub-Meßwaage der Welt entwickelt. Damit können wir Sachen vermessen, die bisher gar nicht meßbar waren, und viele andere Effekte, die vielleicht untergegangen sind, weil sie nicht meßbar waren. Wir kriegen Anrufe aus den USA, die uns fragen, ob wir nicht das oder das für sie messen könnten, denn wir haben gar nicht gewußt, daß so etwas überhaupt möglich ist. Damit ergeben sich vielleicht völlig neue Sachen.

Das in den 50er Jahren von der NASA entwickelte Raumschiff Orion, das mit einem nuklearen Pulstriebwerk durch eine Reihe von Atombombenexplosionen angetrieben wird. Quelle: NASA

Wir versuchen also, ganz neue Meßmethoden zu entwickeln, wobei ich mir neue Konzepte und Ideen einfallen lasse, wie zum Beispiel, ob es stimmt, was Sie eben gerade gesagt haben. Ich muß irgendwie eine Möglichkeit finden, die Masse zu manipulieren, ganz plakativ gesprochen, und wenn es nur eine ganz leichte Oszillation ist. Am besten wäre es, diese wäre negativ – das wäre das Nonplusultra, dann hätten wir es schon gefunden. Ich muß versuchen, die Sache in irgend­einer Art und Weise zu beeinflussen – durch Polarisation, durch starke Energieschwankungen, durch irgendwas, was noch nie überprüft wurde und wofür es vielleicht noch gar keine Ansätze gibt. Wir versuchen auch ganz verrückten Ideen nachzugehen. Das ist ein fantastisches Ausbildungsprojekt, wenn man versucht, eine Idee „out of the box“ umzusetzen, denn beim genauen Messen lernen Sie mehr, als wenn Sie irgendein Standard-Experiment machen, das die Leute schon tausendmal gemacht haben. Da lernt man, dort steckt der Teufel im Detail, man lernt, was man besser machen muß und kommt wieder auf ganz andere Sachen. Das ist ein hervorragendes Ausbildungsprojekt, in Sachen hineinzuschauen, die noch nie jemand angeschaut hat. Aus diesem Grund mache ich das.

Schon seit längerem ist deutlich, daß es mit den üblichen Ansätzen der Laserfusion oder der Tokamak/Stellarator-Fusion nicht so richtig vorangeht. Doch es gibt viele Leute, die sagen, laß uns andere Ansätze probieren, etwa die neutronenfreie Kernfusion über Bor oder, was in den USA gemacht wird, mit Plasmoiden, die sich selbst entwickeln. Ich hatte früher mit Prof. Bostick sprechen können, der die sogenannte Z-Maschine entwickelt und in den 70er Jahren tolle Papiere über diese Plasmoide geschrieben hat, deren Energiedichte teilweise 100mal oder 1000mal höher ist, als es im Lehrbuch steht. In den Großforschungsanlagen will man sie möglichst vermeiden, weil die stören, aber jetzt sind Leute wieder dran. Könnten Sie noch zu Ihrem Fusionsansatz etwas sagen?

Wir arbeiten mit einer Art „Inertial Electrostatic Confinement Fusion“. Grundsätzlich dazu: Wie macht die Sonne Kernfusion? Sie schafft das durch ihre große Masse, wodurch sie mit ihrer Gravitation alles quasi in 3D komprimiert, und kann so bei relativ moderaten Temperaturen und unter hohem Druck Kernfusion erzeugen. Hier auf der Erde haben wir diese Brücke nicht, aber wie kann ich die Sonne am besten simulieren? Der übliche Ansatz ist, mit Unmengen Kraft – 100 Mio. Grad und mehr – die Kernfusion zu erreichen.Viel Spaß! Mein Ansatz ist etwas anders: Es gibt ja noch ein zweites, dreidimensionales Feld, das der Gravitation ähnelt, das ist die Elektrostatik. Wenn Sie eine Kugel negativ aufladen, sieht diese von allen Seiten gleich aus und zieht alles, was positiv geladen ist, an. Dann lade ich ein Gitter stark negativ auf, so daß die Ionen alle zentral auf einen Punkt hin beschleunigt werden. So könnte ich die Sonne wesentlich besser simulieren. Ich brauche keine hohen Temperaturen, ich mache das alles elektrostatisch.

Fusionsexperiment mit dem elektrostatischen Trägheitseinschluß. Quelle: Wulfkühler, J.-P. and Tajmar, M., „Novel Inertial Electrostatic Confinement Fusion with Buckyball Shaped Grids“, 52nd AIAA Joint Propulsion Conference, AIAA-2016-4777, Salt Lake City, July 25-27 (2016)

Das hat man schon in den 60er Jahren mit Gittern versucht die mittels Wachskugeln hergestellt wurden, was nicht so perfekt war. Zusammen mit Partnern in Dresden haben wir jetzt zum ersten Mal mit dem 3D-Drucker perfekte dreidimensionale Gitter erzeugt, mit denen wir versuchen, diese Strahlen perfekt aufeinander abzustimmen. Es gab auch schon einen ersten Fusionstest zusammen mit unserem Kooperationspartner aus Sydney in Australien, und unsere Fusionsrate ist höher als mit allen bisherigen Ansätzen. Es gibt also Potential, hiermit sehr viel mehr zu machen. Nicht aufgeben, das ist das Motto, und den Gehirnschmalz anstrengen.

Herr Prof. Tajmar, wir danken Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.


Prof. Dr. Martin Tajmar ist seit März 2012 Inhaber der Professur für Raumfahrtsysteme und seit November 2014 Direktor des Instituts für Luft- und Raumfahrttechnik an der Technischen Universität (TU) Dresden. Der 1974 in Wien geborene Weltraum­ingenieur begann seine Arbeit auf dem Gebiet der Plasmaphysik an der Technischen Universität Wien, danach führten ihn Forschungstätigkeiten an das Jet Propulsion Laboratory in Kalifornien bei der NASA, sowie einige Jahre später an das ESTEC der Europäischen Weltraumorganisation ESA.

Martin Tajmar | Quelle: TU Dresden, Christian Hüller

In den Jahren von 2005 bis 2010 leitete er die Abteilung Space Propulsion and Advanced Concepts des Austrian Institute of Technology (AIT) in Seibersdorf und entwickelte dort mit seiner Abteilung einen Ionenantrieb, den sogenannten Feep-Thruster (Field Emission Electric Propulsion-Thruster) für Satelliten und Sonden, und arbeitete z.B. auch für die Weltraumsonden SMART-1 und dem Forschungssatelliten LISA Pathfinder von der ESA, der zum Test von Meßgeräten und Technologien für die Mission eLISA/NGO im Orbit kreist. Von 2010 an forschte und lehrte Prof. Tajmar als Associate Professor für Aerospace Engineering an der KAIST-Universität in Daejeon in Südkorea, danach war er bis 2012 Leiter der Stabsstelle Aerospace Engineering an der FH Wiener Neustadt.

Die Technische Universität (TU) Dresden hat mit Prof. Tajmar ungeheuren Aufwind bekommen und gehört mittlerweile zu den 200 besten Universitäten weltweit. Die Professur hat sich vor allem auf Raumfahrtantriebe spezialisiert und baut als einzigartiges studentisches Projekt an einer „Studentenrakete“. Dieses SMART Rockets Projekt an der Professur für Raumfahrtsysteme ist seit 2013 Teil des DLR STERN-Programms zur Ausbildung von Studenten. Es hat zum Ziel, Studenten verschiedenster Fachrichtungen durch die Entwicklung, den Bau und den Start einer eigenen Forschungsrakete für die Raketentechnik zu begeistern und erste Praxiserfahrung sammeln zu lassen.