MHD als Schutz für Raumflugzeuge

Fluggeräte, die sich mit Hochgeschwindigkeit durch die Erdatmosphäre bewegen, wie zum Beispiel Interkontinental- oder Mittelstreckenraketen und Weltraumraketen und -kapseln sind in ihrem Flug Stoßwellen ausgesetzt, die sich am Bug bilden. Diese Stoßwellen entstehen durch den verdichteten Luftdruck, die das Flugobjekt vor sich her treibt. Der hohe Druck erzeugt eine enorme Hitze, so dass die Luft in der Stoßwelle ein Plasma bildet, das aus sich schnell bewegenden Elektronen und positiv geladenen Teilchen besteht. Das heiße Plasma kann die Oberfläche des Fluggeräts beschädigen und sogar zum Zerbersten bringen. Die dichte Stoßwelle kann das Fahrzeug abbremsen und die Flugrichtung instabil und unkontrollierbar machen. Die vom Plasma erzeugten elektrischen und magnetischen Felder können die Funkkommunikation stören, mit der das Fluggerät gesteuert wird (Abbildung 1).

Abbildung 1: Darstellung der Bedingungen beim Eintritt in die Atmosphäre. Eine Rakete, die sich von rechts nach links bewegt, komprimiert die Luft vor sich zu einer Stoßwelle; die komprimierte Luft bildet ein heißes Plasma mit negativ geladenen Elektronen, die von positiv geladenen Ionen getrennt sind. Die Hitze des Plasmas kann die Rakete beschädigen oder zerstören, und die Plasmateilchen stören auch die Kommunikation mit einem Satelliten, der oben rechts dargestellt ist. Bild: A. Lani et al., Journal of Space Safety Engineering 10 (2023) 27-34
Abbildung 1: Darstellung der Bedingungen beim Eintritt in die Atmosphäre. Eine Rakete, die sich von rechts nach links bewegt, komprimiert die Luft vor sich zu einer Stoßwelle; die komprimierte Luft bildet ein heißes Plasma mit negativ geladenen Elektronen, die von positiv geladenen Ionen getrennt sind. Die Hitze des Plasmas kann die Rakete beschädigen oder zerstören, und die Plasmateilchen stören auch die Kommunikation mit einem Satelliten, der oben rechts dargestellt ist. Bild: Journal of Space Safety Engineering

Um diese schädlichen Auswirkungen zu reduzieren, benötigt das Fluggerät normalerweise einen starken Wärmeschutz, ein sogenanntes thermisches Schutzsystem (TPS), und die Fluggeschwindigkeit durch die Atmosphäre muss unter der Schadensschwelle gehalten werden. Beide Bedingungen stellen erhebliche Einschränkungen für den Bau von Raumfahrzeugen dar. Geschützt wurden sie bisher durch Verbund- oder Keramikkacheln, wie sie beim Space Shuttle verwendet wurden, oder durch Hitzeschilde, die so konstruiert sind, dass sie abbrennen, sogenannte ablative Schilde, wie sie bei der Dragon-Kapsel von SpaceX verwendet werden.

MHD und MEESST

Russland wendet jedoch seit kurzem eine neue Technologie an, die schnell fliegende Raketen vor dem Verglühen in der Atmosphäre schützt und ihre Steuerung per Funkübertragung ermöglicht. Der russische Präsident Wladimir Putin hat erklärt, dass diese Technologie in der russischen Oreschnik-Rakete verwendet wird, die bereits gegen Ziele in der Ukraine erfolgreich eingesetzt wurde. Die Oreschnik soll mit zehnfacher Schallgeschwindigkeit fliegen und ist daher durch die aktuelle westliche Raketenabwehr nicht aufzuhalten.

Die Europäische Weltraumorganisation (ESA) entwickelt ebenfalls eine relativ neue Technologie, um die schädlichen Auswirkungen von Stoßwellen an der Spitze von Überschallraketen und Raumschiffen deutlich zu reduzieren. Diese Technologie nutzt die Magnetohydrodynamik (MHD), eine Kombination aus Elektromagnetik (der Wirkung elektrischer und magnetischer Felder auf die Bewegung geladener Teilchen) und Hydrodynamik (der physikalischen Bewegung von Flüssigkeiten und Gasen, wie zum Beispiel der Verwirbelung von Wasser, unabhängig von der Ladung).

Beide dieser Effekte werden in diesem MHD-System zum Schutz der sich bewegenden Fahrzeuge genutzt. Das in der Entwicklung befindliche System wird als MHD Enhanced Entry System for Space Transportation (MEESST) bezeichnet.1

Bei der MHD-Technologie werden im Fahrzeug hochintensive Magnetfelder erzeugt, wofür Hochtemperatur-Supraleiter (HTS) erforderlich sind. Die Magnetfelder unterbrechen die Stoßwelle und drängen das Plasma aus dem Weg, so dass es die Bewegung des Fahrzeugs nicht verlangsamt. Die Verwendung von Magnetfeldern auf diese Weise wird als „magnetohydrodynamischer“ Effekt bezeichnet.

Nach Aussagen von Präsident Putin hat Russland eine Rakete gegen die Ukraine getestet, die auf neuen physikalischen Prinzipien beruht und aufgrund ihrer mehrfachen Überschallgeschwindigkeit von der Luftabwehr nicht getroffen werden kann. Bild: kremlin.ru
Nach Aussagen von Präsident Putin hat Russland eine Rakete gegen die Ukraine getestet, die auf neuen physikalischen Prinzipien beruht und aufgrund ihrer mehrfachen Überschallgeschwindigkeit von der Luftabwehr nicht getroffen werden kann. Bild: kremlin.ru

Die Einzelheiten des MEESST-Systems der Europäischen Weltraumorganisation ESA werden weiter unten beschrieben. Es gibt Hinweise darauf, dass die russische Oreschnik-Rakete ebenfalls ein MHD-basiertes System verwendet, das sich aber ansonsten stark vom MEESST-System unterscheidet. Es gibt auch Hinweise darauf, dass China möglicherweise ein MHD-System entwickelt, um Überschallraketen in der Atmosphäre zu schützen. Details des chinesischen Systems sind ebenfalls nicht öffentlich verfügbar.

Die MEESST-Forschung wird von einem europäischen Konsortium aus Universitäten, Forschungsinstituten und der Industrie durchgeführt und im Rahmen des ESA-Wissenschaftsprogramms finanziert. Die MEESST-Forschungsgruppe hat damit begonnen, Computersimulationen für die Planung von Experimenten zu verwenden, denen in Zukunft Bodentests mit simulierten Erd- und Marsatmosphären folgen werden.

Federführend im MEESST-Konsortium ist das Von Karman Institute for Fluid Mechanics (VKI) in Belgien, insbesondere für das Problem der Funkkommunikation mit dem Hochgeschwindigkeitsfahrzeug, die durch das umgebende Plasma gestört wird. Das Institut für Raumfahrtsysteme (IRS) der Universität Stuttgart ist federführend für die Kontrolle der thermischen Effekte. Es verfügt über langjährige Erfahrung mit Hyperschalleintrittssystemen und der Anwendung von MHD für Raketenantriebsplasmen, die eine ähnliche Technologie wie MEESST verwenden. Sowohl das VKI als auch das IRS verwenden Windkanäle, um die Atmosphären von Erde und Mars zu simulieren und Plasmen zu erzeugen, die für die Erprobung von MEESST-Designs nützlich sind. Diese Einrichtungen können entweder Luft für die Modellierung der Erdatmosphäre oder Kohlendioxid für die Modellierung der Marsatmosphäre verwenden. Die Universität Luxemburg entwickelt Modelle für Strahlungs- und Funkausfälle. Die Hochtemperatursupraleiter, die zur Erzeugung der zum Schutz von Raumfahrzeugen erforderlichen Magnetfelder verwendet werden, werden vom Karlsruher Institut für Technologie hergestellt.

Die Grundlagen des MEESST

Die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA hat ein offensichtliches Interesse daran, diese Technologie in der Wiedereintrittsphase von Raumfahrzeugen und Raketen einzusetzen.

Eine Rakete, die sich mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit schnell durch die Atmosphäre bewegt, verursacht an ihrem vorderen Ende eine atmosphärische Verdichtung, die die Oberfläche mit einer Energie von mehreren Megawatt pro Quadratmeter erhitzt. Bei diesen Temperaturen bildet sich eine Plasmahülle, die das Eindringen von Radiowellen verhindert und so einen Blackout verursacht. Das MEESST-System erzeugt ein Magnetfeld, das mit dem Plasma interagiert und es von der Rakete abschirmt (Abbildungen 2 und 3).

Die Geometrie des künstlichen Magnetfeldes erzeugt eine Lorentzkraft – eine magnetische Kraft, die auf geladene Teilchen wirkt und diese in der Stoßwelle spiralförmig von der Vorderseite der Rakete weg treibt.

Das Verfahren ähnelt der Wirkung von „magnetischen Spiegeln“ an den Enden einer experimentellen Plasmafusionsmaschine, die das Plasma am Entweichen aus den Enden des umgebenden Zylinders hindern, indem sie es zurückdrängen.2

Abbildung 2: Magnetfeldkonfiguration in der MEESST-Anlage. Ein Hochtemperatur-Supraleiter (HTS)-Elektromagnet befindet sich vorn in einer Raumkapsel bei ihrem Wiedereintritt. Das erzeugte Magnetfeld ist nach vorne und außen gerichtet. In ihrer Relativbewegung durchqueren die Teilchen das Magnetfeld von links nach rechts, wodurch die Plasmateilchen von der Rakete weggelenkt werden, gemäß der Rechtsregel für geladene Teilchen, die Magnetfeldlinien durchqueren. Bild: Journal of Space Safety Engineering Nr. 10
Abbildung 2: Magnetfeldkonfiguration in der MEESST-Anlage. Ein Hochtemperatur-Supraleiter (HTS)-Elektromagnet befindet sich vorn in einer Raumkapsel bei ihrem Wiedereintritt. Das erzeugte Magnetfeld ist nach vorne und außen gerichtet. In ihrer Relativbewegung durchqueren die Teilchen das Magnetfeld von links nach rechts, wodurch die Plasmateilchen von der Rakete weggelenkt werden, gemäß der Rechtsregel für geladene Teilchen, die Magnetfeldlinien durchqueren. Bild: Journal of Space Safety Engineering

Dadurch kann sich die Rakete im Raum mit relativ wenig Kontakt zum Plasma bewegen. Die Erhitzung wird erheblich geringer, die Funkkommunikation wird weniger gestört und die Rakete kann besser gesteuert werden. Außerdem werden die Anforderungen an das thermische Schutzsystem (TPS) erheblich reduziert, was wiederum das Gewicht der Rakete verringert.

Abbildung 3: Darstellung der atmosphärischen Eintrittsbedingungen. Im oberen Teil der Abbildung (ohne Magnet) drückt sich die vordere Spitze der Rakete in die Plasmahülle und wird von dieser umhüllt. Im unteren Teil des Bildes (mit Magnet) drückt der Elektromagnet des MEESST-Systems das Plasma von der Vorderseite der Rakete weg und schafft so einen Raum (rot dargestellt), durch den die Rakete mit geringerer Erwärmung und weniger Störungen der Funkkommunikation fliegen kann. Bild: Journal of Space Safety Engineering
Abbildung 3: Darstellung der atmosphärischen Eintrittsbedingungen. Im oberen Teil der Abbildung (ohne Magnet) drückt sich die vordere Spitze der Rakete in die Plasmahülle und wird von dieser umhüllt. Im unteren Teil des Bildes (mit Magnet) drückt der Elektromagnet des MEESST-Systems das Plasma von der Vorderseite der Rakete weg und schafft so einen Raum (rot dargestellt), durch den die Rakete mit geringerer Erwärmung und weniger Störungen der Funkkommunikation fliegen kann. Bild: Journal of Space Safety Engineering

Die für diesen Effekt erforderliche Magnetfeldstärke muss im Bereich von 0,1 bis 1 Tesla liegen. Zum Vergleich: Das Magnetfeld der Erde am Äquator beträgt 30 Mikrotesla, so dass das für das MEESST benötigte Magnetfeld im Bereich des 3300- bis 33.000-fachen des Magnetfeldes an der Erdoberfläche liegt. Dieses extrem starke Magnetfeld zeigt, warum ein Supraleiter für die Stromversorgung des Magneten erforderlich ist, damit sich der Magnet nicht aufgrund des Widerstands gegen den erforderlichen elektrischen Strom erwärmt.

Der Supraleiter muss ein sogenannter Hochtemperatursupraleiter sein, d. h. das Material zeigt supraleitende Eigenschaften bei Temperaturen deutlich über null Grad Kelvin (K), im Gegensatz zu den meisten Supraleitern, die Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt benötigen. Um die Temperatur nahe 0 K zu halten, ist viel mehr Kühlenergie erforderlich als bei höheren Temperaturen.

Hochtemperatursupraleiter sind definiert als Supraleiter, die oberhalb von 70 K (Grad Kelvin) arbeiten. Null Grad Kelvin entsprechen –273,15 °C. Zum Vergleich: 70 K entspricht –203,15 °C. Die derzeit besten Hochtemperatursupraleiter arbeiten bei einem Druck von einer Atmosphäre bei 138 K, was –135,15 °C entspricht.

Es gibt jedoch Materialien, die bei höheren Temperaturen supraleitend werden, sofern der Druck hoch genug ist. Der Luftdruck wird in Pascal gemessen, und der Luftdruck auf Meereshöhe („eine Atmosphäre“) beträgt etwa 100.000 Pascal. Bei einem Druck von 267.000.000.000 Pascal (2,67 Millionen Atmosphären) ist eine Mischung aus Schwefelwasserstoff, Wasserstoff und Methan bei 288 K (+14,85 °C) supraleitend – also etwa bei Raumtemperatur.

Komplizierende Faktoren

Mit Hilfe eines Magnetfeldes wird die Bewegungsrichtung der Plasmateilchen so verändert, dass sich die positiv geladenen Teilchen in die eine und die negativ geladenen Teilchen in die andere Richtung bewegen. Dies führt zu einer Ladungstrennung, die wiederum ein elektrisches Feld erzeugt, das die positiven und negativen Ladungen wieder zusammenzieht: Man spricht vom Hall-Effekt. Dieser Effekt kann die Stärke des verwendeten Magnetfeldes begrenzen, und es sind weitere Experimente erforderlich, um diesen Effekt in verschiedenen Plasmageometrien zu quantifizieren und zu untersuchen.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass Plasmen häufig nicht einfachen, gleichförmigen Geometrien folgen, wie es sich bei Fusionsforschungsanlagen gezeigt hat, in denen versucht wurde, die auftretenden Hochtemperaturplasmen zu kontrollieren.3 Wie in EIR berichtet, hat der Pionier der Fusionsforschung, Winston Bostick, gezeigt, dass Plasmen hauptsächlich aus sich spontan bildenden Wirbelfäden bestehen, die einen geringen Widerstand gegen den Fluss elektrischer Ströme haben. Bostick fand heraus, dass diese Wirbelfäden zerbrechlich sind und gestört werden können, wenn das Plasma einem Stoß ausgesetzt wird, wodurch der Widerstand des Plasmas gegenüber elektrischen Strömen plötzlich ansteigt („anomaler Widerstand“). Dies ist wichtig für das Verständnis von Radiointerferenzen bei Plasmen.

Es mag zwar möglich sein, einen Großteil des Plasmas durch Magnetfelder von einer Rakete fernzuhalten, aber es wäre schwierig, den Kontakt vollständig zu eliminieren, so dass in der Nähe von Flugobjekten immer geringe Mengen an Plasma vorhanden sein werden. Daher ist die Verwendung von computergestützten Simulationen hilfreich, um die subtilen Auswirkungen von schwachen Plasmen auf Radiowellen vorherzusagen. Entsprechende Forschungen sind schon im Gange.

Fußnote(n)

  1. Andrea Lani, et al., „A Magnetohydrodynamic Enhanced Entry System for Space Transportation: MEESST“, Journal of Space Safety Engineering, Bd. 10, S. 27–34, 2023.[]
  2. Ned Rosinsky, „Minimum Energy Configurations Can Make Superheated Plasmas“, Executive Intelligence Review, Jg. 51, Nr. 41, S. 33–40, 22. Nov. 2024.[]
  3. Ned Rosinsky, „The Principles of an Experimental Fusion Device: A Plasma Focus“, Executive Intelligence Review, Vol. 51, No. 37, S. 35-42, 20. September 2024.[]
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