Symposium des Schiller-Instituts zu Ehren Wernadskijs: Entwickelt das Universum!

Das Schiller-Institut veranstaltete am 12. November 2022 ein internationales Online-Symposium mit dem Titel „Die physische Ökonomie der Noosphäre: Das Erbe Wladimir Wernadskijs wiederbeleben“. Mit den verschiedenen Beiträgen des Symposiums sollten der Name, die Methode und die Mission des großen russisch-ukrainischen Wissenschaftlers Wladimir Wernadskij (1863–1945) wiederbelebt, Wissenschaftler unterstützt und Bürger, insbesondere junge Menschen, auf der ganzen Welt inspiriert werden, sich dafür einzusetzen, „die Bedingungen der Menschheit zu verbessern – die Noosphäre zu entwickeln“.


Die spannende siebenstündige Veranstaltung mit zwei Vortragsrunden umfaßte Vorträge von 13 Wissenschaftlern, Ingenieuren und Politikern sowie eine Live-Diskussion mit Fragen aus dem Publikum. Die Redner vertraten sechs Nationen – die USA, Rußland, Italien, Deutschland, Südafrika und Ägypten –, und die Zahl der Zuschauer, die live dabei waren, ging in die Hunderte und im Anschluß an die Live-Übertragung in die Tausende.1

Der Konferenzmoderator Dennis Speed erklärte zur Eröffnung der ersten Sitzung, Wernadskijs Konzept der Noosphäre beschreibe die Dynamik, wie fundamentale Durchbrüche im Denken und Handeln der Menschheit, wenn sie im Produktionsprozeß umgesetzt werden, die Macht und die Zahl der Menschen in der Biosphäre erhöhen. So sei das menschliche Denken selbst eine geologische Kraft, die den physischen Bereich formt.

Dieses Konzept ist eng verwandt mit der Methodik des Staatsmanns und Wirtschaftswissenschaftlers Lyndon H. LaRouche jr. (1922–2019), der viel dazu beigetragen hat, Wernadskijs Beiträge bekannt zu machen, insbesondere unter einer Arbeitsgruppe junger Wissenschaftler, von denen zwei an dem Symposium teilnahmen. Zwei besonders bemerkenswerte Bücher LaRouches haben die gleiche Perspektive wie Wernadskij: The Economics of the Noösphere (2001) und Die nächsten 50 Jahre der Erde (2004), ebenso wie zahlreiche Artikel.

Zur Eröffnung des Symposiums wurde ein Video gezeigt, in dem LaRouche am 4. Mai 2001 auf einem Seminar von Wissenschaftlern und Ökonomen in Deutschland über die Idee der Noosphäre und die bewußte, interventionistische Entwicklung der Erde sprach. LaRouche sprach von „Entwicklungskorridoren“, die Eurasien umspannen sollten. Dabei handele es sich aber nicht nur um „Eisenbahnkorridore“ oder auch „Seidenstraßen“. Sie seien viel mehr, und der Bau dieser Korridore durch Zentral- und Nordasien sei eine der größten Entwicklungschancen, die es in der Geschichte der Menschheit je gegeben habe.

Helga Zepp-LaRouche, Gründerin und Präsidentin des Schiller-Instituts, sagte hierzu während der Diskussion, es sei „bemerkenswert, daß sich 20 Jahre später der [eurasische] Kontinent integriert“ und sich in genau der Weise entwickelt, die Wernadskij und LaRouche es vorgegeben haben. Sie berichtete über die Entwicklungsdynamik durch die Belt-and-Road Initiative, die BRICS, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO), die Eurasische Wirtschaftsunion (EAEU) und konkrete Projekte, die den eurasischen Wirtschaftsraum verändern.

Die Teilnehmer des ersten Panels: Von links nach rechts, obere Reihe: Dennis Speed (Moderator), William Jones, Helga Zepp-LaRouche; mittlere Reihe: Dr. Wladimir Woeikow, Jason Ross, Prof. Sergej Pulinez; untere Reihe: Dr. Nicola Scafetta, Prof. Franco Prodi
Die Teilnehmer des ersten Panels: Von links nach rechts, obere Reihe: Dennis Speed (Moderator), William Jones, Helga Zepp-LaRouche; mittlere Reihe: Dr. Wladimir Woeikow, Jason Ross, Prof. Sergej Pulinez; untere Reihe: Dr. Nicola Scafetta, Prof. Franco Prodi

Redner und ihre Themen der ersten Sitzung

  • William Jones, politischer Historiker und EIR-Korrespondent: „Wernadskijs prometheisches Konzept des wissenschaftlichen Denkens als geologische Kraft“ (seine Rede im Wortlaut folgt).
  • Prof. Wladimir Woeikow, Doktor der Biologischen Wissenschaften an der Lomonossow-Universität Moskau: „Wernadskijs Konzept der lebenden Substanz, mit Betonung auf der grundlegenden Rolle des Wassers in seiner Existenz und Entwicklung“ (seine Rede im Wortlaut folgt).
  • Prof. Sergej Pulinez, Forschungsleiter des Weltraumforschungsinstituts der Russischen Akademie der Wissenschaften: „Eine Reise durch Wernadskijs Universum“.
  • Prof. Aberto Prestininzi, Professor an der Sapienza-Universität in Rom und Direktor des Zentrums für Erdbebenforschung und -information (CERI): „Klimawandel und die Galaxis“.
  • Jason Ross, Exekutivdirektor der LaRouche-Organisation: „Wernadskijs Wirtschaftsraum und -zeit: Die Anti-Entropie der Noosphäre“.
  • Prof. Nicola Scafetta, Federico Due-Universität in Neapel und außerordentlicher Professor an der Duke University.

Korridore der Entwicklung in der zweiten Sitzung

Das Wesen und die Bewirtschaftung von Wasser waren Themen der Präsentationen der zweiten Sitzung des Symposiums. Drei der fünf Redner, die sich mit dem Nilbecken, dem Kongo- und dem Tschadbecken sowie mit Südafrika befaßten, zeigten faszinierende Perspektiven für Afrika auf.

Die Teilnehmer des zweiten Panels: Von links nach rechts, obere Reihe: Dr. Farouk el-Baz, Eng. Andrea Mangano, Gaopalelwe „GP“ Santswere; untere Reihe: Jason Ross, Prof. Gerald Pollack.
Die Teilnehmer des zweiten Panels: Von links nach rechts, obere Reihe: Dr. Farouk el-Baz, Ing. Andrea Mangano, Gaopalelwe „GP“ Santswere; untere Reihe: Jason Ross, Prof. Gerald Pollack.
  • Dr. Farouk el-Baz, Forschungsprofessor und Direktor des Zentrums für Fernerkundung an der Boston University, Boston, Massachusetts; außerordentlicher Professor für Geologie an der naturwissenschaftlichen Fakultät der Ain Shams University, Kairo, Ägypten; ehemals führender Geologe im Mondprogramm der NASA und Berater des ägyptischen Präsidenten: „Ägyptens Entwicklungskorridor“.
  • Ing. Andrea Mangano, Veteran des Bonifica-Ingenieurteams, das in den 1970er Jahren das ursprüngliche Transaqua-Konzept für Zentralafrika entwickelte: „Das Transaqua-Projekt“.
  • Michael Paluszek, Präsident, Princeton Satellite Systems, Plainsboro, N. J.: „Neueste Entwicklungen in der Kernfusion“
  • Gaopalelwe „GP“ Santswere, Nuklearphysiker; leitender Wissenschaftler, South African Nuclear Energy Corporation, Pretoria, Südafrika; Präsident, African Young Generation in Nuclear (AYGN); „Afrikas Bedarf an Kernenergie und Nuklearmedizin“.
  • Prof. Gerald Pollack, Professor für Bioengineering, University of Washington, Seattle, Washington; Gründer der Jahreskonferenz über die Physik, Chemie und Biologie des Wassers: „Die vierte Phase des Wassers und des Lebens“.

Wernadskijs prometheisches Konzept des wissenschaftlichen Denkens als geologische Kraft


Dies ist die bearbeitete Version des Vortrags von William Jones, den er auf der Konferenz des Schiller-Instituts am 12. November 2022, „Die physische Ökonomie der Noosphäre: Die Wiederbelebung des Erbes von Wladimir Wernadskij“, gehalten hat. Jones ist Korrespondent des EIR News Service in Washington, D.C. Die Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt.


In dieser besonderen Zeit ist es von größter Bedeutung, das Erbe des großen russisch-ukrainischen Wissenschaftlers Wladimir Iwanowitsch Wernadskij wiederzubeleben, und das in einer Zeit, in der bestimmte Kräfte hier im Westen, die darauf bedacht sind, ihre Kontrolle über ein bankrottes Finanzsystem aufrechtzuerhalten, die Welt in zwei sich bekriegende Lager spalten wollen und dabei sogar die Gefahr eines Atomkriegs riskieren.

Wladimir Iwanowitsch Wernadskij (1863–1945)
Wladimir Iwanowitsch Wernadskij (1863–1945)

Es ist auch wichtig, sich mit der Arbeit dieses großartigen russischen Wissenschaftlers mit tiefen ukrainischen Wurzeln zu beschäftigen, um die Tatsache zu unterstreichen, daß beide Nationen – Rußland und die Ukraine – ein gemeinsames und reiches Erbe mit all seiner Komplexität haben, das sich über einen Zeitraum von tausend Jahren und mehr erstreckt. Im gegenwärtigen Klima der „Cancel Culture“ gegen Rußland laufen die Ukrainer Gefahr, ein wichtiges Element ihres kulturellen Erbes zu verlieren, darunter auch Wernadskijs maßgebliche Beteiligung an der Gründung der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften am Ende des Ersten Weltkriegs – oft gegen den Widerstand derjenigen, die eine vollständige Ukrainisierung dieses Vorhabens anstrebten.

Wernadskij, ein „früher Umweltschützer“?

Der Name Wernadskij ist vor allem in wissenschaftlichen Kreisen der USA nicht unbekannt, aber über die wahre Natur seines Denkens weiß kaum jemand etwas. Einige von Wernadskijs Schriften wurden von Leuten in die USA gebracht, die eine diametral entgegengesetzte Auffassung von seinem Menschenbild und der Rolle des Menschen in der Welt hatten. So überrascht es nicht, daß für viele in den USA Wernadskij einfach eine Art früher Umweltschützer ist.

Zwar waren einige von Wernadskijs Schriften bereits vor seinem Tod 1945 im Ausland veröffentlicht worden, darunter eine Art Testament in der Januarausgabe 1945 des Scientific American, doch erst 1970, mit dem Erscheinen einer Ausgabe des Scientific American mit dem Titel „The Biosphere“ (Die Biosphäre), tauchte Wernadskijs Name wieder prominent in amerikanischen Publikationen auf. Tatsächlich war diese Ausgabe des Scientific American der Startschuß für die Entstehung der malthusianischen Umweltbewegung der 1970er Jahre. Wernadskij wurde dabei der amerikanischen Öffentlichkeit von George Evelyn Hutchinson vorgestellt, einem in Yale lehrenden britischen Ökologen, der in den 1970er Jahren zu den Begründern der „Nullwachstumsbewegung“ gehörte.

Bereits 1947 hatte Hutchinson einen Artikel mit dem Titel „On Living in the Biosphere“ geschrieben. Darin hieß es:

Die Weltbevölkerung nimmt zu, die verfügbaren Ressourcen werden knapper. Abgesehen von den gewöhnlichen biologischen Prozessen, die zu einer Bevölkerungssättigung führen, wie sie schon Malthus kannte, wird die gegenwärtige Disharmonie durch die Auswirkungen der medizinischen Wissenschaften verstärkt, die die Sterberaten gesenkt haben, ohne die Geburtenraten zu verändern, sowie durch die modernen Kriege, von denen man vermuten kann, daß sie die Ressourcen stärker beanspruchen als die Bevölkerungen. So schrecklich diese Schlußfolgerungen auch erscheinen mögen, man muß sich ihnen stellen.2

So viel zu Hutchinson! Lassen wir nun Wernadskij zu Wort kommen, was er zu den Vorhersagen von Malthus zu sagen hat:

„Malthus erkennt nicht, daß seine grundlegenden Ergebnisse zu ganz anderen Folgerungen führen. Man könnte sagen, sie seien einfach nicht wahr, da er den Umstand nicht berücksichtigte, daß bei genauer geologischer Beurteilung des langfristigen Wachstums der menschlichen Bevölkerung in bezug auf Ernährung und Lebensbedürfnisse die Ausbreitung der hierfür benötigten Pflanzen und Tiere unweigerlich mit größerer Kraft und Geschwindigkeit ansteigen muß, woraus sich eine schnellere Vermehrungsrate als die der Bevölkerung ergibt. Man muß diese Richtigstellung immer im Auge haben. Nur die historisch irrationalen Elemente in unserem Gesellschaftssystem erschweren es, den Effekt dieses natürlichen Phänomens deutlich zu beobachten.“3

Warum war es ausgerechnet der Malthusianer Hutchinson, der Wernadskij in der englischsprachigen Welt bekannt machte? Zweifellos spielte dabei seine Freundschaft mit Wernadskijs Sohn George, der Geschichtsprofessor an der Universität Yale war, eine Rolle. Hutchinson hatte George auch dabei geholfen, daß einige von Wernadskijs Werken über Biogeochemie, die George übersetzt hatte, in US-amerikanischen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden. Später wurde auch Wernadskijs frühe Studie mit dem Titel Die Biosphäre, die sich auf seine revolutionären Ansichten über die Rolle der lebenden Materie bei der Umwandlung der unbelebten Materie der Erde konzentrierte, als Bibel der frühen Umweltschützer gepriesen.

LaRouche über den wahren Wernadskij

Der wirkliche Wernadskij wurde der englischsprachigen Welt erst bekannt, als der Wirtschaftswissenschaftler und Staatsmann Lyndon LaRouche in den 80er und 90er Jahren in zahlreichen Seminaren und Schriften Wernadskijs wahre Sicht des Menschen im Universum darlegte. LaRouche war zwar in der Zeit intensiver Studien nach seiner Rückkehr aus dem Kriegsdienst auf Wernadskij gestoßen, aber erst in den 1970er Jahren begann er sich mit Wernadskijs Werk und Wernadskijs Begriff der Noosphäre zu befassen – ein Begriff, mit dem Wernadskij die Epoche beschreibt, in der wissenschaftliches Denken die dominierende Rolle bei der Gestaltung der Biosphäre zu übernehmen beginnt.

Bereits in den 1970er Jahren begann sich Lyndon LaRouche (hier bei einem internationalen Webcast 2009) mit Wernadskijs Konzepten zu beschäftigen. Bild: EIRNS/Stuart Lewis
Bereits in den 1970er Jahren begann sich Lyndon LaRouche (hier bei einem internationalen Webcast 2009) mit Wernadskijs Konzepten zu beschäftigen. Bild: EIRNS/Stuart Lewis

In seinen eigenen Beiträgen zur physischen Ökonomie bezeichnete LaRouche wissenschaftliche Entdeckungen und ihre Umsetzung in Form von technologischen Innovationen in der Wirtschaft als den zentralen Faktor, der es der Menschheit ermöglicht, sich auf immer höherem Niveau zu reproduzieren, was völlig mit Wernadskijs Ansichten übereinstimmt, wie aus dessen oben angeführten Äußerungen zu Malthus hervorgeht.

Für LaRouche hängt die wirtschaftliche Weiterentwicklung absolut von Entdeckungen ab, die es dem Menschen ermöglichten, auf immer höhere Entwicklungsstufen zu springen. In den vielen Jahrtausenden der menschlichen Entwicklung war dies im Energiebereich durch immer dichtere Formen der Energienutzung gekennzeichnet, vom Sonnenlicht über Holzfeuer, Steinkohle und Öl bis hin zur Kernkraft. Die zunehmende „Energieflußdichte“, wie LaRouche es nannte, ist ein grundlegendes Merkmal des menschlichen Fortschritts und das stärkste Argument gegen die modernen Malthusianer und ihre „Grenzen des Wachstums“.

Wernadskijs Auffassung deckt sich vollständig mit diesem Konzept. Wernadskij erhielt seine Ausbildung an der Universität Sankt Petersburg bei Lehrern wie dem großen Chemiker Dmitrij Mendelejew, der das Periodensystem der Elemente entwickelte, und Wassilij Dokutschajew, der als Vater der Bodenkunde gilt. Dort wurden diese Wissenschaften nicht nur gelehrt, sondern auch tatsächlich entwickelt.

Wernadskij auf einer Expedition 1911, auf der Suche nach radioaktiven Erzen. Bild: www.tstu.ru
Wernadskij auf einer Expedition 1911, auf der Suche nach radioaktiven Erzen. Bild: www.tstu.ru

Im Laufe seines Lebens gelangen Wernadskij bedeutende Erkenntnisse in Bereichen wie Kristallographie, Mineralogie, Hydrologie und Geochemie, und er schrieb ausführlich über die Geschichte der Wissenschaft und die Geschichte der russischen Wissenschaft. Er kann durchaus als Vater der Biogeochemie angesehen werden, denn sein Labor für Biogeochemie war das erste seiner Art in der Welt. 1910 war Wernadskij davon überzeugt, daß die Welt in das Zeitalter der Atomenergie eintreten werde, und 1911 organisierte er eine Expedition zur Suche nach radioaktiven Erzen im Russischen Reich. Im Jahr 1921 gründete er das Radium-Institut in Sankt Petersburg.

Das von Wernadskij 1922 gegründete Radium-Institut in Sankt Petersburg. Bild: CC/Ekaterina Borisova
Das von Wernadskij 1922 gegründete Radium-Institut in Sankt Petersburg. Bild: CC/Ekaterina Borisova

Lebende Materie kommt nur von lebender Materie

Während seiner Arbeit in der Ukraine in den Wirren nach dem Ersten Weltkrieg – als sich die „Alliierten“ bemühten, Deutschland wie auch das untergehende Russische Reich zu zerschlagen – gelang Wernadski nach einer langen Typhuserkrankung der erste große Durchbruch. Er entdeckte, daß das Leben, oder, wie er es deutlicher nannte, die „lebende Materie“, keineswegs nur ein Phänomen darstellt, das sich von der unbelebten Materie unterscheidet, und schon gar nicht ein „Nebenprodukt“ unbelebter Materie – eine These, die er strikt ablehnte –, sondern eine unabhängige und mächtige Kraft ist, die tatsächlich auf atomarer Ebene mit der unbelebten Materie, mit der sie in Berührung kommt, interagiert und sie chemisch umwandelt. Und die Schnelligkeit, mit der sich das Leben selbst in Bereichen reproduzierte, in denen es zuvor nicht existierte, deutete für Wernadskij darauf hin, daß die Biosphäre, der Bereich des Lebens, eine der mächtigsten Kräfte auf der Erde oder sogar in der Galaxie war.

Außerdem war Wernadskij der Meinung, daß lebende Materie nur aus lebender Materie entstehen kann, was der damals vorherrschenden Theorie der Abiogenese widersprach, die besagt, daß Leben aus Nicht-Leben hervorgeht. Darüber hinaus war Wernadskij sehr beeindruckt von Louis Pasteurs Entdeckung der Chiralität, der „Linkshändigkeit“, in lebender Materie, wohingegen die leblose Materie eine vollständige Symmetrie aufweist.

Marie und Pierre Curie in ihrem Pariser Labor 1896. Bild: AIP/Emilio Segrè Visual Archives
Marie und Pierre Curie in ihrem Pariser Labor 1896. Bild: AIP/Emilio Segrè Visual Archives

Als er in den 1920er Jahren mehrere Jahre lang mit Marie Curie am Curie-Institut in Paris zusammenarbeitete, interessierte sich Wernadskij auch sehr für die Studien des (damals bereits verstorbenen) Pierre Curie über die Art der Dissymmetrie (oder Chiralität), die Pasteur in lebender Materie gefunden hatte. Pierre Curie hatte in seinen letzten Lebensjahren vor seinem tragischen Unfalltod an dieser Frage gearbeitet und dieses Phänomen als einen anderen „Raumzustand“ als den der leblosen Materie charakterisiert. Daraus schloß Wernadskij, daß die Euklidische „Geometrie“ völlig ungeeignet war, um diese Art von Phänomen zu erklären, und er begann sich mit russischen Mathematikern über die Möglichkeit auseinanderzusetzen, ob dies eher mit einer Riemannschen Geometrie vereinbar wäre.

Vor allem dieses Thema weckte das Interesse von LaRouche, der auch davon ausging, daß die „Sprünge“, d. h. Diskontinuitäten, in einer Ökonomie, wie er sie verstand, ebenfalls einen Riemannschen Rahmen benötigte, um die wahre Natur wirtschaftlicher Entwicklung zu verstehen. Während seiner Besuche in Rußland in den 1990er Jahren im Rahmen seiner „Backchannel“-Gespräche im Auftrag der Clinton-Administration und später auf Einladung russischer Kollegen Anfang der 2000er Jahre war dies eines der Themen seiner zahlreichen Vorträge über Wernadskij und Ökonomie. Im Jahr 2001 verfaßte LaRouche ein Buch mit dem Titel The Economics of the Noosphere, worin er seine Überlegungen zu diesen Themen erläuterte.

Wernadskijs Konzept der Noosphäre

Doch was verstand Wernadskij unter der Noosphäre? Im Gegensatz zu dem französischen Jesuiten Teilhard de Chardin, der diesen Begriff im eher theologischen Sinne verwendete, war Wernadskijs Vorstellung durchweg „von dieser Welt“. Nach Wernadskijs Auffassung hat sich die Menschheit in den letzten fünf Jahrhunderten, vom Zeitalter der Entdeckungen im 15. und 16. bis zum 20. Jahrhundert wie das Leben insgesamt auf dem gesamten Planten ausgebreitet. Durch den technischen Fortschritt, der auf den schöpferischen Geistesprozessen beruhte, hatte der Mensch die Welt um sich herum umgestaltet, den Energiefluß in der Biosphäre erhöht und sie produktiver gemacht.

Wie in der Prometheus-Legende begann dies wahrscheinlich mit der Entdeckung des Feuers. Wie Wernadskij dies in seiner langen Dissertation von 1938, Wissenschaftliches Denken als planetarisches Phänomen, ausdrückte:

Es scheint, daß der Homo sapiens oder seine engsten Vorgänger nicht lange vor Beginn jener Eiszeit oder in einer ihrer wärmeren Episoden auftraten. Der Mensch überlebte die strenge Kälte dieser Periode, möglicherweise dank der großen Entdeckung, die in der Altsteinzeit gemacht worden war – der Beherrschung des Feuers. Diese Entdeckung wurde an einem, zwei oder möglicherweise mehreren Orten gemacht und verbreitete sich langsam unter den Völkern der Erde.

Wernadskij: „Die Entdeckung des Feuers stellt den ersten Fall dar, in dem ein lebender Organismus von einer der Naturkräfte Besitz ergreift und sie beherrscht. Diese Entdeckung ist, wie wir jetzt sehen, zweifellos die Grundlage für die spätere Entwicklung der Menschheit und für unsere heutigen Fähigkeiten.“ Bild: Wikipedia/Randii Oliver
Wernadskij: „Die Entdeckung des Feuers stellt den ersten Fall dar, in dem ein lebender Organismus von einer der Naturkräfte Besitz ergreift und sie beherrscht. Diese Entdeckung ist, wie wir jetzt sehen, zweifellos die Grundlage für die spätere Entwicklung der Menschheit und für unsere heutigen Fähigkeiten.“ Bild: Wikipedia/Randii Oliver

Es scheint, daß wir es hier mit einem allgemeinen Prozeß großer Entdeckungen zu tun haben, an dem nicht die Masse der Menschheit mitgewirkt hat, um die Details zu glätten und zu verfeinern, sondern vielmehr um den Ausdruck einzelner menschlicher Individuen. Wie wir später sehen werden, läßt sich dieses Phänomen auch in sehr vielen Fällen näher an unserer Zeit zurückverfolgen. Die Entdeckung des Feuers stellt den ersten Fall dar, in dem ein lebender Organismus von einer der Naturkräfte Besitz ergreift und sie beherrscht. Diese Entdeckung ist, wie wir jetzt sehen, zweifellos die Grundlage für die spätere Entwicklung der Menschheit und für unsere heutigen Fähigkeiten.

Später fügte er hinzu:

Die Wirkung dieser Kraft [des wissenschaftlichen Denkens] übt einen tiefgreifenden und mächtigen Einfluß auf den Verlauf der energetischen Phänomene der Erde aus und muß daher zweifellos einen Widerhall in der Existenz des Planeten selbst haben und wenn auch einen weniger starken Widerhall jenseits der Erdkruste. Diese Kraft ist der Intellekt des Menschen, gelenkt und organisiert durch den Willen des Menschen in seiner sozialen Existenz.

Wernadskij sah in diesem Prozeß eine neue und höhere Phase in der Entwicklung der Biosphäre, in der der Geist des Menschen oder das wissenschaftliche Denken selbst zu einer mächtigen geologischen Kraft, ja zur vorherrschenden geologischen Kraft in der Biosphäre wurde. Zur Zeit Wernadskijs erreichte diese Kraft mit der Entwicklung des Flugzeugs und aerostatischer Apparate die unteren Grenzen der Stratosphäre und war bis zu den unteren Granitschichten der Erde vorgedrungen. Und in Kenntnis der Arbeiten von Konstantin Ziolkowski, einem der ersten Raumfahrtpioniere, den Wernadskij als einen neuen Kolumbus bezeichnete, sah er voraus, daß der Mensch bald in den kosmischen Raum vorstoßen würde. Wenn er anderswo im Kosmos kein Leben finden würde, wovon Wernadskij fest überzeugt war, würde er die Biosphäre mit sich bringen und sie mit Hilfe der Noosphäre erweitern.

Diese Vision Wernadskijs war kein isoliertes Hirngespinst, sondern stellte eine elementare Naturkraft dar, wie er sich ausdrückte. Da diese sich aber in der Noosphäre abspielt und nicht nur das blinde Wirken der Biosphäre ist, ist sie zu ihrer Verwirklichung auf das schöpferische Handeln des Menschen angewiesen. Die Voraussetzungen dafür, daß der Mensch eine Welt schaffen kann, in der die alten Plagen, nämlich Armut und Krankheit, endgültig überwunden werden können, sind bereits vorhanden. Wernadskij schreibt in seinem letzten, unvollendeten und nicht übersetzten Werk Die chemische Struktur der Biosphäre und ihrer Umgebung:

Es wird deutlich und dringt immer mehr in das Bewußtsein der Menschen ein, daß wir jetzt die reale Möglichkeit vor uns haben, Unterernährung und Hungersnot, Armut oder geschwächte körperliche Zustände, die den Menschen unfähig machen, Krankheiten zu widerstehen, nicht mehr zu tolerieren und das menschliche Leben bis zum höchsten auszudehnen. Aber der Kampf um die Verwirklichung dieser neuen Zukunft für die Menschheit ist noch lange nicht zu Ende und wird vielleicht noch einige Generationen andauern, aber er kommt unweigerlich als ein elementarer Prozeß bei der Verwirklichung der Noosphäre ans Licht.

Diese Worte wurden in den 1940er Jahren mit der Aussicht geschrieben, daß der Krieg mit einem Sieg der Alliierten enden würde. Eine, fast zwei Generationen sind seitdem vergangen. Nun steht unsere Generation vor einer Situation, in der die Menschheit erneut am Rande eines Abgrunds steht und, wie zu Beginn der 1960er Jahre, die Gefahr eines Konflikts zwischen den Atommächten droht. Um diese Gefahr zu bannen, muß sich die Welt die Sichtweise Wernadskijs zu eigen machen und unsere Nationen zusammenbringen, um die gemeinsamen Ziele der Menschheit zu verwirklichen. Lyndon LaRouche sagte einmal vor russischen Kollegen bei einem Besuch in Moskau:

Die Ideen, die mit Wernadskijs Konzept der Biosphäre und Noosphäre verbunden sind, werden eine notwendige, zusätzliche Orientierung für neue globale Formen der Zusammenarbeit zwischen souveränen Gemeinwesen bieten.

Wir müssen uns mit aller gebotenen Schnelligkeit in diese Richtung bewegen, und es ist zu hoffen, daß die allgemeine Beschäftigung mit dem Werk dieses großen russischen Wissenschaftlers uns dabei helfen wird.


Wernadskijs Konzept der lebenden Substanz und die grundlegende Rolle des Wassers


Dies ist die übersetzte Abschrift eines Vortrags von Wladimir Woeikow auf der Konferenz des Schiller-Instituts am 12. November 2022, „Die physische Ökonomie der Noosphäre: Die Wiederbelebung des Erbes von Wladimir Wernadskij“. Woeikow ist Professor für Biologie an der der Staatlichen Lomonossow-Universität Moskau. Das vollständige Video der Konferenz (auf englisch) ist auf der Webseite des Schiller-Instituts verfügbar.


Es ist mir eine große Freude und Ehre, an dieser bemerkenswerten Tagung teilzunehmen, die der Wiederbelebung des Namens, der Ideen, des Erbes und der Mission des großen russisch-ukrainischen Wissenschaftlers Wladimir Iwanowitsch Wernadskij gewidmet ist.

Prof. Wladimir Woeikow. Bild: Schiller-Institut
Prof. Wladimir Woeikow. Bild: Schiller-Institut

Ich lernte Wernadskijs Werke vor vielen Jahrzehnten kennen, als ich an der biologischen Fakultät der Moskauer Universität ein Aufbaustudium absolvierte. Bei meiner Fachlektüre wurde mir klar, daß die damalige Biologie, und auch die heutige Biologie, Wernadskijs Lehre von der lebenden Substanz als Urkraft, als Motor der Entwicklung des Universums, fast vollständig ignoriert.

Seitdem habe ich an vielen Projekten gearbeitet, aber ich habe mir immer wieder Wernadskijs Behauptung vergegenwärtigt, daß mit dem gängigen wissenschaftlichen Verständnis lebender Materie etwas nicht stimmt.

Wladimir Iwanowitsch Wernadskij
Wladimir Iwanowitsch Wernadskij

Erst vor etwa zwei Jahrzehnten begann ich zu erkennen, daß Wasser die „Mutter allen Lebens“ ist, wie sich Albert Szent-Györgyi ausdrückte, während die Biologie dies praktisch ignorierte. Ich erinnerte mich daran, daß Wernadskij dem Wasser ebenfalls eine zentrale Rolle in der Biosphäre zuwies, und so vermutete ich, daß echtes (natürliches) Wasser eine entscheidende Rolle in den belebten Materiezuständen spielen könnte. Mittel, die für die Erforschung des Wassers bereitgestellt werden, würden dazu beitragen, Wernadskijs allgemeine Lehre von der lebenden Materie voranzubringen.

Deshalb möchte ich in meinem Vortrag versuchen, Wernadskijs Konzept der „lebenden Substanz“ und die heutigen Ideen über die funktionelle Rolle von Wasser in Lebensprozessen zusammenzufassen.

Lebende Materie war für Wernadskij ein sehr wichtiger Begriff. Im Jahr 1920 schrieb er in sein Tagebuch:

„Ich begann klar zu erkennen, daß ich dazu bestimmt bin, der Menschheit etwas Neues über lebende Materie mitzuteilen; dies ist meine Berufung, meine Pflicht, die ich erfüllen muß, wie ein Prophet, der eine Stimme in sich spürt, die ihn zum Handeln auffordert.“

Im Jahr 1922 schrieb er eine kleine Broschüre mit dem Titel „Der Anfang und die Ewigkeit des Lebens“. Darin sprach er die wichtigsten allgemeinen Fragen der Biologie und des Universums an: Der Kosmos ist ohne Materie, Energie und Raum undenkbar. Aber kann er, wie wir ihn kennen, ohne Leben existieren?

Er zählte denkbare Mechanismen der Lebensentstehung auf, die damals diskutiert wurden:

  • Abiogenese (Archäogenese) – daß alles Lebende aus toter Materie entstanden sei.
  • Heterogenese – daß alle Lebewesen sowohl aus anorganischer (toter) Materie als auch aus Überresten von Lebewesen entstanden seien.

Er betonte jedoch, daß diese Mechanismen nur Hypothesen seien, die nie bewiesen wurden. Vielleicht sind sie richtig, vielleicht falsch, aber das, was wir damals mit Sicherheit über diese wichtigen Vorgänge wußten, nannte er „empirische Verallgemeinerung“, nämlich die Biogenese – daß „alle Lebewesen von Lebewesen abstammen“.

Wernadskij erinnerte uns daran, daß es der italienische Naturforscher Francesco Redi (1626–1697) war, der den Grundsatz „omne vivum ex vivo“ prägte.

Bei der Untersuchung dieses Problems kam Wernadskij zu mehreren empirischen Verallgemeinerungen für lebende Materie (lebende Substanz), die er in der Einleitung zu seinem 1926 in Prag veröffentlichten Buch Die Biosphäre darlegte:

  • Leben ist nicht aus ruhender (inerter) Materie entstanden;
  • Es gab nie Epochen ohne Leben auf dem Planeten;
  • Die heutige lebende Materie ist mit der vorhergehenden verbunden, so daß alles Leben in seinen grundlegenden Eigenschaften vereinheitlicht ist;
  • Die chemische Wirkung von Leben auf die Umwelt ist immer gleich geblieben;
  • Es gab keine großen Veränderungen in der Quantität (nicht in der Qualität) lebender Materie und damit in der Anzahl der von ihr eingefangenen Atome;
  • Die lebende Materie „arbeitet“ hauptsächlich mit Sonnenenergie.

Ich habe hier das Wort „hauptsächlich“ betont, um darauf hinzuweisen, daß lebende Materie nicht nur mit Sonnenenergie arbeiten kann.

Ich habe bereits die beiden Begriffe „lebende Materie“ und „lebende Substanz“ verwendet. Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen? Ich habe den russischen Begriff „Живая Материя“ („Zhivaya Materiya“) in einigen Fällen als „lebende Materie“ und in anderen Fällen als „lebende Substanz“ übersetzt. Hier ist das Zitat von Wernadskij:

Als lebende Materie bezeichne ich die Gesamtheit der lebenden Organismen, ausgedrückt nach Gewicht, chemischer Zusammensetzung, Energiegrößen und der Beschaffenheit des Raumes (spezielle Geometrie).

Die lebende Materie ist mehr oder weniger kontinuierlich auf der Erdoberfläche verteilt. Sie bildet auf ihr eine dünne, aber stetige Hülle, in der sie die freie chemische Energie konzentriert, die sie aus der Energie der Sonne gewinnt.

Diese Schicht, die Hülle der Erde, ist die Biosphäre. Sie stellt eines der charakteristischsten Merkmale der Organisation unseres Planeten dar.

Nur lebende Organismen bildeten die Biosphäre, die besondere Seinsform der chemischen Elemente, in der das vorhanden ist, was wir „lebende Substanz“ (oder „belebte Materie“) genannt haben.

Dies ist die Definition von „lebender Materie“, die ich im Folgenden verwenden werde. Aber was ist „lebende Substanz“? „Lebende Substanz“ ist eine besondere Seinsform chemischer Elemente oder belebter Materie, aus der sich alle lebenden Organismen in der Biosphäre zusammensetzen.

Was sind die besonderen Eigenschaften der „lebenden Substanz“? Diese Frage stellt Wernadskij in seinem Werk Der Anfang und die Ewigkeit des Lebens. Dort schreibt er:

Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen lebender Substanz (belebter Materie) und toter Materie. Dieser Unterschied sollte sich auf eine Art Unterschied der Materie und/oder Energie in einem lebenden Organismus zurückführen lassen, verglichen mit den Materieformen, die in der Physik und Chemie untersucht werden, in der gewöhnlichen inerten, ruhenden, leblosen Materie…

Daran wird auch deutlich, daß unsere üblichen Vorstellungen von Materie und Energie, die sich aus dem Studium der ruhenden Natur ableiten, nicht ausreichen, um alle Prozesse des Lebens zu erklären.

Bereits in den 1920er und 1930er Jahren betonte Wernadskij, daß

aus der Sicht unserer üblichen physikalischen Vorstellungen diese „belebte Materie“ nicht nur die Eigenschaft und den Charakter herkömmlicher Materie, sondern auch die von Energie habe.

Erwin Simonowitsch Bauer

Von der Diskussion über Wladimir Wernadskij möchte ich nun zu einem seiner Zeitgenossen übergehen, der meiner Meinung nach ebenfalls ein großer Wissenschaftler in den 1920er und 1930er Jahren in Sowjetrußland war: Erwin Simonowitsch Bauer (1890–1938).

Erwin Simonowitsch Bauer (1890–1938) entwickelte eine allgemeine Theorie der lebenden Substanz.
Erwin Simonowitsch Bauer (1890–1938) entwickelte eine allgemeine Theorie der lebenden Substanz.

Bauer wollte verstehen, was der „lebende Materiezustand“ bedeutet, und ging dabei viel mehr ins Detail als Wladimir Wernadskij. In seinem Buch Theoretische Biologie, das 1935 in Leningrad und Moskau veröffentlicht wurde, entwickelte er eine allgemeine Theorie der lebenden Substanz, die auf drei Prinzipien oder „Axiomen“, wie er sie nannte, beruhte. Oder, um die Terminologie von Wernadskij zu verwenden, auf „empirischen Verallgemeinerungen“.

Prinzip Nr. 1: Das Prinzip des stabilen Nicht-Gleichgewichts ist das Wesen lebender Systeme. Diesem Prinzip zufolge befinden sich alle lebenden Systeme niemals im Gleichgewicht. Auf Kosten ihrer freien Energie (d. h. der Energie, die für die Verrichtung von Arbeit verwendet werden kann) verrichten sie unaufhörlich Arbeit gegen das Gleichgewicht, wie sie von den physikalischen und chemischen Gesetzen unter den entsprechenden äußeren Bedingungen gefordert wird.

Einfacher ausgedrückt: Lebende Systeme verrichten im Gegensatz zu unbelebten Dingen ständig Arbeit, um am Leben zu bleiben.

Was ist das Wesen der Materie in lebenden Systemen, die diese Arbeit verrichten? Daraus ergibt sich das zweite von Bauer formulierte Prinzip: Auf allen Organisationsebenen eines lebenden Systems, einschließlich der molekularen Ebene, herrscht ein stabiler (angeregter) Nicht-Gleichgewichtszustand.

Genauer gesagt, von der molekularen Ebene bis zur Ebene der Biosphäre oder wahrscheinlich bis zur Ebene des Universums. Kehrt man zur molekularen und zellulären Ebene zurück, stellt Bauer fest (Prinzip Nr. 3):

Die Struktur der Materie im angeregten Zustand unterscheidet sich von der Struktur der gleichen Materie im Gleichgewichtszustand (Grundzustand). Die gesamte von einem lebenden System geleistete Arbeit wird auf Kosten der Strukturenergie erzeugt – der Energie der angeregten Strukturelemente des Systems.

Das Prinzip Nr. 1 erklärt uns das Wesen lebender Systeme. Ich möchte daran erinnern, daß dieser Text aus dem Jahr 1935 stammt, aber Bauer spricht hier bereits von einer Art Laserzustand lebender Materie. Lebende Materie wird ständig mit Energie gepumpt, und wenn Strukturenergie freigesetzt wird, handelt es sich um „freie Energie“, die in der Lage ist, Arbeit zu verrichten.

Bauers drittes Prinzip der lebenden Substanz: Die Struktur der Materie im angeregten Zustand unterscheidet sich von der Struktur der gleichen Materie im Gleichgewichtszustand (Grundzustand).
Bauers drittes Prinzip der lebenden Substanz: Die Struktur der Materie im angeregten Zustand unterscheidet sich von der Struktur der gleichen Materie im Gleichgewichtszustand (Grundzustand).

Leider habe ich nicht die Zeit, näher auf Bauers Theorie des lebenden Zustands einzugehen; ich möchte nur sagen, daß es Bauer gelungen ist, aus seinen [drei] Grundprinzipien alle Erscheinungsformen des lebenden Zustands abzuleiten, einschließlich Stoffwechsel, Wachstum und Entwicklung, Fortpflanzung, Erregbarkeit, Fähigkeit, externe Arbeit zu verrichten, Alterung und Apoptose sowie zelluläre Komplexität.

Jedoch hat Bauer die Natur der lebenden Materie, die in einem stabilen Nicht-Gleichgewichtszustand verharren kann, nicht genauer angegeben (was er auch nicht konnte). Ebenso wenig hat er einen überzeugenden Mechanismus für die Fähigkeit der lebenden Materie vorgeschlagen, die niedrige chemische Energie der Nahrung in hochwertige Strukturenergie (Anregungsenergie) umzuwandeln.

Zurück zu Wernadskijs „lebender Substanz“

Wenn wir von echter lebender Materie sprechen bzw. auf den Begriff „lebende Substanz“ zurückkommen: Was ist der wichtigste chemische Bestandteil lebender Substanz? Womit wir auf Wernadskij zurückkommen. In seiner [dreibändigen] Geschichte der natürlichen Gewässer, [die nacheinander 1933–1936 veröffentlicht wurde], schrieb er:

Wasser nimmt einen einzigartigen Platz in der Geschichte unseres Planeten ein. Es gibt keinen natürlichen Körper, der sich in seinem Einfluß auf den Verlauf der wichtigsten geologischen Prozesse mit ihm vergleichen ließe… Alle natürlichen Substanzen – Mineralien, Gesteine, lebende Körper – werden aufgrund seiner Eigenschaften von ihm durchdrungen und erfaßt… Es ist im oberen Teil des Planeten allgegenwärtig… und auch in seinen tiefsten Teilen… Es spielt eine außergewöhnliche Rolle bei den Phänomenen des Lebens. Mindestens zwei Drittel des Gewichts der gesamten lebenden Materie des Planeten, aller Organismen, besteht aus flüssigem Wasser; bei vielen Wasserlebewesen sind es sogar mehr als 99,5 Prozent des Gewichts.

Wie der französische Biologe Emil du Bois-Reymond (1818–1896) richtig sagte: ,La vie est de l’eau animée‘ (Das Leben ist belebtes Wasser).

Wasser ist im gesamten Universum allgegenwärtig. Bild: Wikipedia
Wasser ist im gesamten Universum allgegenwärtig. Bild: Wikipedia/Jon Sullivan

Ich möchte hinzufügen, daß Wasser im gesamten Universum allgegenwärtig ist. In den letzten 10–15 Jahren wurde nachgewiesen, daß Wasser nach Helium und Wasserstoff die dritthäufigste Substanz im Universum ist.

Quallen wie diese Ohrenqualle bestehen zu über 99 Prozent aus Wasser. Bild: Wikipedia/BS Thurner Hof
Quallen wie diese Ohrenqualle bestehen zu über 99 Prozent aus Wasser. Bild: Wikipedia/BS Thurner Hof

Ich möchte einige Beispiele für lebendes Wasser nennen. Es gibt Quallen, die zu 99,9 Prozent ihres Gewichts aus Wasser bestehen. Ihre gesamte bio-organische Materie, die wir so sorgfältig studieren, macht somit nur 0,1 Prozent aus. Das lebende Wasser „lebt“ in einem vermeintlich viel weniger lebendigen oder, wenn Sie so wollen, unbelebten Wasser, dem Meerwasser, das viel schmutziger ist als das Wasser, das den Körper einer Qualle bildet.

Entgegen der allgemein akzeptierten Auffassung, daß Wasser im Gleichgewicht mit der Umwelt steht, solange es nicht durch äußere Kräfte beeinflußt wird, befinden sich natürliche Gewässer nie im Gleichgewicht. Sie befinden sich ständig in einem Zustand, der weit vom Gleichgewicht entfernt ist – dem Zustand des stabilen Nicht-Gleichgewichts (um die Terminologie von Erwin Bauer zu verwenden).

Aufgrund dieser Eigenschaft ist das Wasser zur Selbstorganisation fähig und kann als Quelle für Energie hoher Dichte dienen. Wir wissen das; wir haben es oft gesehen, daß selbstorganisiertes Wasser stärker als Stahl sein kann, zum Beispiel in Tornados – nicht in Form von festem Wasser, sondern in einer besonderen Form von dynamischem Wasser: Wasser als Prozeß. Übrigens sind auch Wolken selbstorganisiertes Wasser.

Atmosphärisches Wasser ist auch eine Stromquelle. Wernadskij betonte, daß Wasser die Quelle für ungeheure Mengen an Elektrizität sein kann.

John Kanzius zeigte, daß salzhaltiges Meerwasser unter der Einwirkung von Radiowellen brennen kann. Bild: Acala
John Kanzius zeigte, daß salzhaltiges Meerwasser unter der Einwirkung von Radiowellen brennen kann. Bild: Acala

Wasser selbst ist auch ein Brennstoff. Es kann brennen. Dies wurde erstmals vor 220 Jahren entdeckt, geriet dann aber in Vergessenheit, wurde Ende des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt und geriet erneut in Vergessenheit. Im 21. Jahrhundert hat dann der amerikanische Erfinder John Kanzius (2007) gezeigt und Professor Rustum Roy (2009) von der University of Pennsylvania bewiesen, daß salzhaltiges Meerwasser unter der Einwirkung von Radiowellen [13,56 MHz, 200–400 Watt – Anm. d. Red.] brennen kann, wobei die Temperatur der Flammen unter diesen Radiowellen bis zu 1500 °C erreichen kann, was bedeutet, daß sich Wasser unter Einwirkung von Radiowellen in Wasserstoff und Sauerstoff spalten kann. Der Wasserstoff verbrennt in Gegenwart von Sauerstoff.

Aus diesen und vielen anderen Beobachtungen folgt:

  1. Elektronen im Wasser können sich in einem viel höheren Anregungszustand befinden, als man gewöhnlich annimmt.
  2. Für ihre Freisetzung ist eine relativ niedrige Anregungsenergie erforderlich, und wenn sie sich an Sauerstoff binden, kann eine Verbrennung beobachtet werden.

Pionierforschung

Jüngste Untersuchungen von natürlichem („echtem“) Wasser könnten erklären, warum es sich so verhält.

Der eigentliche Pionier auf diesem Gebiet ist Professor Gerald H. Pollack, der seit 2003 immer überzeugender nachgewiesen hat, daß sich in Wasser, das sich in der Nähe von hydrophilen Oberflächen befindet, eine sehr dicke Wasserschicht bildet, die sich in ihren physikalischen und chemischen Eigenschaften von normalem Wasser unterscheidet. Diese dicken Wasserschichten, die sich in der Nähe hydrophiler Oberflächen bilden, stellen einen besonderen Phasenzustand des Wassers dar – es ist weder flüssig, noch fest, noch dampfförmig. Es handelt sich um flüssig-kristallines, quasi-polymeres, kohärentes Wasser. Da es in allen lebenden Organismen eine Vielzahl von hydrophilen Oberflächen gibt, sollte eine enorme Menge an biologischem Wasser diese Eigenschaften aufweisen – die Eigenschaften von „Ausschlußzonen-Wasser“, wie es von Pollack genannt wurde.

Wasser, das in der Nähe hydrophiler Oberflächen eine „Ausschlußzone“ (exclusion zone) bildet, ist negativ geladen; es ist reich an quasi freien Elektronen, im Gegensatz zu normalem Wasser, das reich an Protonen ist und positiv geladen ist. Es besteht also ein elektrischer Potentialunterschied zwischen diesen beiden Wässern.
Wasser, das in der Nähe hydrophiler Oberflächen eine „Ausschlußzone“ (exclusion zone) bildet, ist negativ geladen; es ist reich an quasi freien Elektronen, im Gegensatz zu normalem Wasser, das reich an Protonen ist und positiv geladen ist. Es besteht also ein elektrischer Potentialunterschied zwischen diesen beiden Wässern.

Ich möchte eine sehr wichtige Eigenschaft erwähnen, die Pollack entdeckt hat. Wasser aus einer solchen „Ausschlußzone“ (AZ) ist negativ geladen; es ist reich an quasi freien Elektronen, im Gegensatz zu normalem Wasser, das reich an Protonen ist und positiv geladen ist. Es besteht also ein elektrischer Potentialunterschied zwischen diesen beiden Wässern.

AZ-Wasser kann eine Elektronenquelle sein. In AZ-Wasser ist immer eine hohe Sauerstoffkonzentration vorhanden. Die Elektronen können sich an den Sauerstoff anlagern, was bedeutet, daß der Sauerstoff reduziert und das Wasser oxidiert wird. Das ist eine Art Wasserverbrennung, und bei der Wasserverbrennung entsteht freie Energie.

Vor etwa einem Jahrzehnt entdeckten wir, daß Bikarbonate (HCO3–), die im echten (natürlichen) Wasser immer vorhanden sind, die Wasserverbrennung katalysieren.

Die einzigartige Eigenschaft von Wasser ist, daß die Produkte seiner Oxidation mit Sauerstoff wiederum aus Wassermolekülen und Sauerstoff bestehen:

2 H2O + O2 → O2 + 2 H2O + h ν .

Dies ist eine einzigartige Reaktion, bei der Reaktanden und Produkte chemisch identisch sind. Energie entsteht durch die Zerstörung von strukturiertem Wasser und die Umwandlung in chaotisches Wasser. Aufgrund der Entropiezunahme wird freie Energie freigesetzt.

Es könnte vollständig verbrennen und sich vollständig in chaotisches Wasser umwandeln. Pollack wiederum entdeckte, daß Strahlung, insbesondere Infrarotlicht („Wärme“), die Regeneration von strukturiertem Wasser aus desorganisierten Wassermolekülen fördert.

Wasser kann also Arbeit verrichten, indem es die Entropie erhöht, und aufgrund der geringen Dichte und der Umweltenergie aus dem Infrarotlicht (und wahrscheinlich auch aus anderen Teilen des Strahlungsspektrums) kommt es zu einer kontinuierlichen Regeneration. In diesem Sinne ist Wasser ein Umwandler der in der Umwelt zerstreuten Energie in freie Energie hoher Dichte.

Eigenschaften wässriger Systeme

Die einzigartigen Eigenschaften wässriger Systeme lassen sich so zusammenfassen: Wässrige Systeme sind in der Lage, sich selbst zu ganzheitlichen Einheiten zu organisieren. Sie können ihrer Umgebung Energie niedriger Dichte („Wärmeenergie“) entziehen und sie in freie Energie hoher Dichte umwandeln. Und sie können als Quelle für kohärente photonische (phononische) Strahlung dienen.

All diese Eigenschaften verleihen ihnen die Fähigkeit, resonante elektromagnetische und andere Schwingungsimpulse aus der Umgebung aufzunehmen und aktiv darauf zu reagieren.

Daraus folgt, daß die Eigenschaften wässriger Systeme charakteristisch für den lebenden Materiezustand sind, und Wasser ist, wie wir wissen, der grundlegende Bestandteil und Energielieferant der lebenden Materie.

Aber es gibt eine Frage, auf die es heute noch keine Antwort gibt: Wissen wir etwas über den Ursprung des Wassers, seine „Schöpfung“, oder ist es so ewig wie das Leben, wie W. I. Wernadskij behauptet? Mit anderen Worten, es gibt eine Art phantasievolle Vorstellung, daß Wasser und Leben unteilbar sind. So wie das Leben nach Wernadskij nicht erzeugt wurde, so können wir jetzt sagen, daß auch das Wasser nicht erzeugt wurde.

Спасибо („Spasibo“). Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Fußnote(n)

  1. Die gesamte Konferenz ist auf englisch hier verfügbar.[]
  2. Hutchinson, G. E. (1970). „The Biosphere“. Scientific American, 223(3), S. 45–53.[]
  3. Wernadskij, Khimicheskoe stroenie biosfery Zemli i ee okruzheniia. Nauka. Moskau, 2001. S. 302.[]