Thorium: Der Kernbrennstoff der Zukunft

Im Rahmen der weltweiten Kernenergie-Renaissance wird verstärkt über den Einsatz von Thorium als Kernbrennstoff diskutiert. Besonders in Indien, das über große Thoriumvorräte verfügt, wird seit langem an entsprechenden Nukleartechniken geforscht.


Thorium ist ein in der Natur reichlich vorkommendes Element und bietet als Kernbrennstoff vielfältige Vorteile in allen zukünftigen Reaktortypen. Thoriumerz, auch Monazit genannt, existiert in riesigen Mengen in den küstennahen schwarzen Sänden Indiens, Australiens und Brasiliens. Man findet es auch in großen Mengen in Norwegen, den Vereinigten Staaten, Kanada und Südafrika. Auf Thorium basierende Brennstoffkreisläufe werden seit etwa 30 Jahren erforscht, aber in wesentlich kleinerem Maßstab als die auf Uran bzw. Uran/Plutonium basierenden Kreisläufe. Deutschland, Indien, Japan, Rußland, Großbritannien und die Vereinigten Staaten betreiben entsprechende Forschung und Entwicklung, einschließlich der Bestrahlung von Thoriumbrennstoff in Testreaktoren für einen hohen Abbrand.

Indien verfügt in seinen Küstensänden über große Thoriumreserven. Im Bild transportieren Arbeiter Sand zu einer Verarbeitungsanlage in Alwaye. Oben ein Rückstreuelektronenbild eines Monazitkristalls. Reines Thorium ist silbrig, wird bei der Oxidation jedoch grau und dann schwarz. (Fotos: Information Service of India, USGS)

Indien ist das Land, in dem die Nutzung von Thorium als Kernbrennstoff mit Abstand am meisten erforscht wird; in keinem anderen Land haben Kernphysiker so viel Arbeit in die Neutronenphysik des Thoriums gesteckt wie in Indien. Die dabei erzielten positiven Ergebnisse haben die indischen Nuklearingenieure dazu motiviert, in ihren aktuellen Plänen für derzeit im Bau befindliche fortgeschrittene Reaktormodelle auf Thorium-Brennstoffe zu setzen.

Indien entschloß sich bereits in den 50er Jahren, als sein Atomenergiekonzept ausgearbeitet wurde, zu einem dreiphasigen Nuklearprogramm. In der ersten Phase benutzte man natürliches Uran (U-238) in Schwerwasserdruckreaktoren (PHWRs), von denen heute 12 vorhanden sind. In der zweiten Phase sollte das aus dem abgebrannten Brennstoff der PHWRs extrahierte Plutonium zum Betrieb von Brutreaktoren dienen. Die Schnellen Brüter sollten Brennstoff aus 70-%igem Mischoxid (MOX) in einer Thorium-232-Ummantelung zu spaltbarem Uran-233 umwandeln. In der letzten Phase sollten die schnellen Brüter aus Th-232 das in neuen Reaktoren nutzbare U-233 produzieren.

Ein wesentlicher Gesichtspunkt bei der Nutzung einer Kombination aus Thorium und Uran ist die Frage der Proliferation: der Plutoniumanteil im abgebrannten Brennstoff ist im Vergleich zum Abbrand eines herkömmlichen uranbetriebenen Reaktors erheblich niedriger.

Wieviel weniger Plutonium entsteht, hängt davon ab, wie Uran und Thorium in den Brennstäben miteinander kombiniert werden. Durch eine homogene Mischung läßt sich das produzierte Plutonium in etwa halbieren. Jedenfalls bestimmt das Gemisch die Plutoniumausbeute.

Indische Initiativen

Bis zu einem gewissem Ausmaß hat Indien die erste Phase seines Atomprogramms abgeschlossen. Etwa ein Dutzend Kernkraftwerke sind in Betrieb, einige weitere befinden sich im Bau.

Die zweite Phase besteht bisher nur in dem kleinen (13 Megawatt) experimentellen Brutreaktor in Kalpakkam. Jedoch haben die indischen Behörden inzwischen den Vorschlag des Ministeriums für Kernenergie gebilligt, in Kalpakkam den Prototypen eines 500-MW-Brutreaktors der neuesten Generation zu errichten. Damit ist der Weg für die kommerzielle Nutzung von Thorium als Brennstoffquelle frei.

Indien setzt vor allem auf Thorium, weil es im Land große eigene Vorräte gibt. Die geschätzten Thoriumreserven Indiens liegen bei 290.000 Tonnen und werden nur von Australien übertroffen. Die Festlegung auf Thorium, die Indien von ausländischen Uranquellen unabhängig macht, geschah jedoch aus Gründen, die nichts mit Wirtschaft oder Handelsbilanzfragen zu tun haben.

Indien hat den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NPT) nicht unterzeichnet, da es voraussah, daß es durch die Vorschriften der kommerziellen Urananbieter langfristig Einschränkungen unterläge, die das eigene Kernenergieprogramm Kernkraft gefährden würden. Die 44 Mitglieder starke Anbietergruppe fordert, daß Käufer den NPT unterzeichnen müssen und genügend Kontrollmaßnahmen gestatten, um sicherzustellen, daß der Kernbrennstoff (oder das daraus gewonnene Plutonium) nicht für die Herstellung von Kernwaffen verwendet wird.

Indien begann im letzten Jahr auf der Anlage für Reaktorphysik mit dem Bau des fortgeschrittenen Schwerwasserreaktors (AHWR). Der AHWR wird mit Thorium, dem „Brennstoff der Zukunft“, betrieben, um 300 MW elektrischer Leistung zu erzeugen, mehr als die in der ursprünglichen Konzeption vorgesehenen 235 Megawatt. Der Reaktor wird eine Lebensdauer von 100 Jahren haben und soll auf dem Gelände des berühmten Bhabha-Kernforschungszentrum (BARC) in Trombay errichtet werden.

Das Bhabha-Kernforschungszentrum (BARC) in Trombay. Hier wurden Thorium-Brennstoffkreisläufe intensiv untersucht, und die Planungsphase des thoriumbetriebenen Fortgeschrittenen Schwerwasserreaktors ist jetzt in Gang. Foto: Information Service of India

Der Bau des AWHR bedeutet den Beginn der dritten Phase des indischen Kernenergieprogramms. Der Brennstoff für den AWHR wird aus einem Hybridkern, teils Thorium/Uran-233, teils Thorium-Plutonium, bestehen. Und der Reaktor wird technologisches Vorzeigeobjekt für die Nutzung von Thorium sein. Nach den Worten von B. Bhattacharjee, Direktor des Bhaba-Kernforschungszentrums, wurde „der AWHR auf internationaler Ebene von der IAEA (Internationalen Atomenergiebehörde) als Fallstudie für die Akzeptanz weltweiter Standards für Reaktoren der kommenden Generation ausgewählt.“

Auch wenn Indiens Entscheidung für Thorium als Kernbrennstoff größtenteils reiner wirtschaftlicher Notwendigkeit entspringt, so besitzt der Thorium-Brennstoffkreislauf an sich viele vorteilhafte Eigenschaften. Zunächst einmal ist Thorium wesentlich reichhaltiger in der Natur vorhanden als Uran. Der Erdboden enthält im Durchschnitt etwa 6 ppm (Millionstel Anteile) Thorium, etwa dreimal soviel wie Uran. Thorium kommt in mehreren Mineralien vor, von denen das bekannteste das Seltenerdphosphat Monazit ist, das gewöhnlich zwischen 3 und 9 Prozent, manchmal sogar bis zu 12 Prozent Thoriumoxid enthält. In Indien findet man Monazit an den Stränden im Süden des Landes.

Das Thorium-Isotop Th-232 zerfällt sehr langsam (seine Halbwertzeit ist etwa das Dreifache des Erdalters). Die meisten anderen Thorium-Isotope sind kurzlebig und deshalb wesentlich radioaktiver als Th-232, spielen jedoch quantitativ keine Rolle. Neben dem reichlichen Vorkommen kann zudem das gesamte abgebaute Thorium potentiell im Reaktor eingesetzt werden, im Vergleich zu nur 0,7 Prozent des natürlichen Urans. Mit anderen Worten, Thorium verfügt im Vergleich zu Uran über etwa das Vierzigfache an Energie pro Masseeinheit, das nutzbar gemacht werden kann.

Aus technischer Sicht besteht der Vorteil von Thorium gegenüber angereichertem Uran darin, daß das Brüten von U-233 aus Thorium wesentlich effizienter ist als das Brüten von Plutonium aus U-238, weil der Thorium-Brennstoff weniger nichtspaltbare Isotopen erzeugt. Bei der Planung des Brennstoffkreislaufs ergeben sich aus dieser höheren Effizienz Vorteile, um den Anteil abgebrannten Brennstoffs pro erzeugter Energieeinheit zu verringern, was auch den Anteil des zu entsorgenden Abfalls reduziert.

Weltweite Thoriumreserven (wirtschaftlich förderbar)

Land Reserven (in 1000 t)
Australien 300
Indien 290
Norwegen 170
USA 160
Kanada 100
Südafrika 35
Brasilien 16
Andere Länder 95
Welt insgesamt 1200

Quelle: U.S. Geological Survey, Mineral Commodity Summaries, Januar 1999

Es gibt noch andere Vorzüge. Thoriumoxid, also die im Reaktor genutzte Form des Thoriums, ist eine sehr stabile Verbindung – weit stabiler als das in konventionellem Kernbrennstoff verwendete Urandioxid. Zudem ist die Wärmeleitfähigkeit von Thoriumoxid um 10–15 Prozent höher als die von Urandioxid, was die Wärmeabführung aus den im Reaktor verwendeten Brennstäben erleichtert.

Des weiteren liegt der Schmelzpunkt von Thoriumoxid fast 500 Grad Celsius höher als der von Urandioxid, was dem Reaktor einen zusätzlichen Sicherheitsvorteil verleiht, sollte einmal ein Kühlmittelverlust eintreten.

Die einzige Schwierigkeit beim Einsatz von Thorium als Brennstoff ist, daß es für die Einleitung des Spaltungsprozesses Neutronen benötigt. Diese Neutronen können entweder durch die gewöhnlichen Spaltungsvorgänge von Uran- oder Plutoniumbrennstoff, der dem Thoriumbrennstoff beigemischt wird, oder von einem Teilchenbeschleuniger geliefert werden. Die bisherige Thoriumforschung konzentrierte sich zumeist auf die Mischung von Thorium mit herkömmlichen Kernbrennstoffen, um die Neutronen zu erhalten, die den Spaltungsvorgang auslösen.

Heute konzentriert sich die Forschung auf einen anderen Ansatz, bei dem ein uranreicher „Brutkern“ von einem thoriumreichen „Brutmantel“ umgeben ist. Hauptbefürworter dieses Konzepts war der Atomkraftpionier Alvin Radkowsky, der in den 50er Jahren Forschungschef des amerikanischen Marine-Reaktorenprogramms unter dem legendären Admiral Hyman Rickover war und Amerikas atomgetriebene Flotte aufzubauen half. Radkowsky, der 2002 im Alter von 86 Jahren verstarb, leitete das Entwicklungsteam, das in den USA den ersten zivilen Kernreaktor in Shippingport (Pennsylvania) baute, und leistete während der 60er und 70er Jahre bedeutende Beiträge für die kommerzielle Atomindustrie.

Thorium ist zwar nicht spaltbar wie U- 235, doch Th-232 absorbiert langsame Neutronen, wodurch es sich in U-233 umwandelt, das spaltbar ist. Mit anderen Worten, Th-232 ist ein Brutstoff, genauso wie U-238. Wenn Th-232 ein Neutron absorbiert, wird es zu Th-233, das wiederum in Protactinium- 233 (Pa-233) und dann zu spaltbarem U-233 zerfällt. Wenn der bestrahlte Brennstoff aus dem Reaktor herausgenommen wird, läßt sich das U-233 vom Thorium trennen und als Brennstoff in anderen Reaktoren weiterverwenden.

U-233 hat gegenüber U-235 und Pu-239 besondere Eigenschaften, da es pro absorbiertem Neutron eine höhere Neutronenausbeute besitzt. Das bedeutet, daß der Brutzyklus des Thoriums, sobald es von Neutronen des spaltbaren U-235 oder Pu-239 aktiviert worden ist, ertragreicher ist als bei Verwendung von U-238 und Plutonium.

Das russisch-amerikanische Programm

Seit den 90er Jahren betreibt Rußland am Kurtschatow-Institut in Moskau ein Programm zur Entwicklung eines Thorium-Uran-Brennstoffes. An dem russischen Programm ist auch die (von Radkowsky gegründete) US-Firma Thorium Power, Inc. beteiligt, die mit Hilfe staatlicher und privater Mittel Brennstoffe für die russischen WWER-1000-Reaktoren entwickelt. Anders als der gewöhnliche Kernbrennstoff mit angereichertem Uranoxid hat das neu entwickelte Brennelement Plutonium als „Brutkern“ im Zentrum und in einer abmontierbaren Anordnung darum herum Thorium und Uran als „Brutmantel“.

Das Brennelement eines normalen WWER-1000 hat 331 Brennstäbe mit jeweils 9 mm Durchmesser, die eine sechseckige Anordnung von 235 mm Breite bilden. Der zentrale Bereich eines solchen Brennelements hat einen Durchmesser von 155 mm und enthält das Brutmaterial bestehend aus einer metallischen Plutonium-Zirkonium-Legierung (etwa 10 Prozent dieser Legierung ist Plutonium, wovon über 90 Prozent das Isotop Pu-239 ausmacht) in Form von 108 dreiteiligen, in sich verdrehten Brennstäben, die 12,75 mm breit sind und mit Zirkonium ummantelt sind.

Der Brutmantel besteht aus Uran-Thoriumoxid-Brennstoffpellets (in einem Uran-Thorium Verhältnis von 1 : 9, mit bis zu 20-prozentig angereichertem Uran) in 228 Hüllrohren aus Zirkonium-Legierung mit einem Durchmesser von 8,4 mm. Die Pellets umgeben das Zentrum in vier Schichten. Das Brutmaterial erreicht 100 Gigawatt- Tage Abbrand. In einem gemeinsamen Brennelement haben Brutkern und Brutmantel die gleiche Geometrie wie ein normales WWER-1000-Brennelement.

Nach Darstellung Graes und anderer (siehe Quellenangaben 4) verbrennt der Thorium-Brennstoff 75 Prozent des ursprünglich geladenen waffenfähigen Plutoniums, im Vergleich zu einer 31-prozentigen Verbrennung von Mischoxid(MOX)-Brennstoff aus Uran und Plutonium. Im Gegensatz zu MOX produziert der Thorium-Brennstoff nicht mehr Plutonium, und hat gegenüber MOX auch Kostenvorteile. Grae und andere schließen daraus:

„Thorium-Brennstoff bietet einen vielversprechenden Weg, überschüssiges waffenfähiges Plutonium in russischen WWER-1000-Reaktoren zu entsorgen. Mit Hilfe der Thorium-Brennstofftechnologie kann Plutonium bis zu dreimal schneller und zu signifikant geringeren Kosten als mit MOX entsorgt werden. Abgebrannter Thorium-Brennstoff wäre proliferationssicherer als MOX… [Die Thorium-Brennstofftechnologie] erfordert keine wesentlichen und kostspieligen Reaktorumbauten. Thorium-Brennstoff bietet zusätzliche Vorteile, was reduziertes Gewicht und geringeres Volumen und dadurch geringere Entsorgungskosten angeht.“

Vier Jahrzehnte Forschung und Entwicklung

Es gibt folgende Konzepte für fortgeschrittene Reaktoren auf Thoriumbasis:

  • Leichtwasserreaktoren. Brennstoffe auf der Grundlage von Teilchen aus Plutoniumoxid (PuO2), Thoriumoxid (ThO2), und/oder Uranoxid (UO2) sind in Brennstäben angeordnet.
  • Gasgekühlte Hochtemperaturreaktoren (HTGR). Davon gibt es eine Variante mit Brennstoffkugeln und eine mit Prisma-Brennelementen.
  • Der modulare Kugelhaufenreaktor stammt aus Deutschland und wird derzeit in Südafrika und China weiterentwickelt. Er kann potentiell Thorium in seinen Brennstoffkugeln verwenden.
  • Der modulare Gasturbinen-Heliumreaktor (GT-MHR) wurde von General Atomics in den USA unter Verwendung von Prisma-Brennelementen entwickelt. Die Verwendung von Helium als Kühlmittel bei hohen Betriebstemperaturen und die relativ niedrige Leistung pro Modul (600 MW thermisch) erlauben eine direkte Kopplung des Reaktors mit einer Gasturbine (Brayton-Zyklus), was eine Energieerzeugung bei einem Wärmewirkungsgrad von 48 Prozent bedeutet (50 Prozent mehr als in heute verwendeten konventionellen Kernreaktoren). Der Kern des GT-MHR kann eine breite Palette von Brennstoffen verarbeiten, einschließlich hochangereichertes Uran/Thorium, U-233/Th, und Pu/Th. Die Verwendung von hochangereichertem Uran/Thorium als Brennstoff wurde in dem General-Atomics-Reaktor in Fort St. Vrain in Colorado demonstriert (siehe unten).
  • Salzschmelzenreaktoren. Dieses fortgeschrittene Brutreaktor-Konzept läßt den Brennstoff ohne ein externes Kühlmittel im Reaktorkern in geschmolzenem Salz zirkulieren. Der Primärzyklus läuft durch einen Wärmetauscher, der die Wärme des Spaltungsprozesses auf einen sekundären Salz-Zyklus für die Dampferzeugung überträgt. Diese Technik wurde in den 60er Jahren eingehend studiert und wird heute wiederbelebt, da jetzt für Material und Komponenten fortgeschrittene Technologien zur Verfügung stehen.
  • Fortgeschrittene Schwerwasserreaktoren (AHWR). Indien arbeitet daran, und ähnlich dem kanadischen CANDU-NG wird diese Anlage mit 250 MWe leichtwassergekühlt. Der Hauptbereich des Kerns ist subkritisch, wobei das Th/U-233-Oxid so gemischt ist, daß das System sich mit U-233 selbst versorgt. Einige Brutregionen mit konventionellem MOX-Brennstoff treiben die Reaktion und verleihen ihr insgesamt einen negativen Dampfblasenkoeffizienten. (Mit anderen Worten: wenn sich der Reaktor erhitzt, verlangsamt sich der Spaltungsprozeß).
  • Beschleunigerbetriebene Systeme (ADS). In beschleunigerbetriebenen Systemen werden hochenergetische Neutronen erzeugt, und zwar als Folge der Zertrümmerungsreaktion beim Beschuß von großen Atomkernen (Blei, Blei-Bismut oder andere Materialien) durch hochenergetische Protonen aus einem Beschleuniger. Diese Neutronen können in einen subkritischen Reaktor, der Thorium enthält, geleitet werden, wobei die Neutronen U-233 spaltbar machen. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, eine Spaltungsreaktion in Gang zu setzen, die jederzeit abgeschaltet werden kann. Sie läßt sich entweder zur Energieerzeugung oder zur Zerstörung von Actiniden aus Uran/Plutonium- Brennstoffkreisen verwenden. Die Verwendung von Thorium statt Uran bedeutet, daß in dem beschleunigerbetriebenen System weniger neue Actinide produziert werden.

Die bisherigen Schwierigkeiten bei der Entwicklung eines Thorium-Kreislaufs betreffen die hohen Kosten der Brennstoffherstellung. Ein Grund hierfür ist die hohe Radioaktivität von U-233, das immer mit Rückständen von U-232 kontaminiert ist; ähnliche Probleme ergeben sich beim Recycling von Thorium wegen des hochradioaktiven Th-228 und einiger Risiken bezüglich des U-233, was die Waffentauglichkeit betrifft; des weiteren gibt es (noch nicht befriedigend gelöste) technische Probleme bei der Wiederaufbereitung.

Betriebserfahrung mit Thorium-Brennstoffen

Zwischen 1967 und 1988 war der AVR-Kugelhaufenreaktor in Jülich für mehr als 750 Wochen bei 15 MWe Leistung im Einsatz, und zwar 95 Prozent der Zeit mit Thorium- Brennstoff. Der benutzte Brennstoff bestand aus etwa 100.000 billardballgroßen Brennkugeln. Insgesamt wurden 1360 kg Thorium, gemischt mit hochangereichertem Uran (HEU) verwendet. Es wurde ein maximaler Abbrand von 150.000 Megawatttagen erreicht.

Vereinfachte Darstellung des Thorium-Brennstoffkreislaufs. Das Neutron, das den Thoriumzyklus in Gang setzt, kann aus dem Spaltvorgang herkömmlicher Kernbrennstoffe (Uran oder Plutonium) oder aus einem Beschleuniger kommen. Wenn Neutronen auf das bebrütbare Thorium-232 treffen, zerfällt es in das spaltbare U-233; ein Neutron, das auf U-233 trifft, führt zu Spaltprodukten, weiteren Neutronen und viel Energie. (Nicht gezeigt ist die kurzlebige Zwischenstufe des Protactinium-233.)

Thorium-Brennelemente aus Thorium und hochangereichertem Uran im Verhältnis 10 : 1 wurden 741 Tage bei voller Leistung im britischen 20 MWt Dragon-Reaktor in Winfrith bestrahlt. Dragon wurde als Gemeinschaftsprojekt der OECD und Euratom betrieben, wobei von 1964 bis 1973 außer England auch Österreich, Dänemark, Schweden, Norwegen und die Schweiz mitwirkten. Der Thorium/Uran-Brennstoff „brütete und fütterte“ zugleich, so daß das erzeugte U-233 in etwa gleicher Menge das U-235 ersetzte und der Brennstoff für etwa sechs Jahre im Reaktor verbleiben konnte.

Vereinfachte Darstellung des Uran-Brennstoffkreislaufs. Im konventionellen Uran-Brennstoffkreislauf besteht das Gemisch aus spaltbarem U-235 und bebrütbarem U-238. Einige schnelle Neutronen (z. B. aus einer Berylliumquelle) werden in den Reaktorkern abgegeben, und wenn ein Neutron einen U-235-Kern trifft, bricht dieser in zwei Spaltfragmente (leichtere Elemente) auseinander und erzeugt zwei oder drei weitere Neutronen. Sobald der Spaltungsprozeß in Gang gekommen ist, kann er in einer Kettenreaktion selbsttätig weiterlaufen, da die Neutronen von jedem gespaltenen Urankern neue Kernspaltungen in der Umgebung auslösen. Wenn U-238 ein Neutron einfängt, zerfällt es zu Plutonium-239, das auch spaltbar ist.

Der graphitmoderierte, gasgekühlte Hochtemperaturreaktor (HTGR) von General Atomics in Peach Bottom lief in den USA zwischen 1967 und 1974 mit 110 MWt, wobei hochangereichertes Uran und Thorium verwendet wurde.

In Indien nahm 1996 in der Nähe von Kalpakkam der 30-kWt-Neutronenquellen-Forschungsreaktor Kamini den Betrieb auf, in dem U-233 verwendet wurde, das man aus in einem anderen Reaktor bestrahlten Thoriumdioxid gewann. Der Kamini-Reaktor steht direkt neben dem Schnellen Brüter, in dem das Thoriumdioxid bestrahlt wird.

In den Niederlanden wurde drei Jahre lang ein flüssig-homogener Suspensionsreaktor bei 1 MWt betrieben. Das hochangereicherte Uran zirkuliert in einer Lösung, und die Wiederaufbereitung zur Entfernung der Spaltprodukte geschieht kontinuierlich, was zu einer hohen Konversionsrate für U-233 führt.

Thorium in Kernkraftwerken

In Deutschland wurde aus dem Jülicher AVR der 300 MWe THTR-Reaktor entwickelt, der zwischen 1983 und 1989 mit 674.000 Kugelelementen in Betrieb war, von denen die Hälfte einen Brennstoff aus Thorium und hochangereichertem Uran besaß (der Rest der Kugeln waren Graphitmoderatoren und einige Neutronenabsorber). Die Brennkugeln wurden während des Betriebes ständig recycled, so daß der Brennstoff im Durchschnitt sechsmal den Reaktorkern passierte. Die Brennkugelherstellung hatte industrielle Größenordnung erreicht.

Der Fort St. Vrain Reaktor in Colorado war der einzige mit Thorium betriebene kommerzielle Reaktor der USA. Ebenfalls aus dem deutschen AVR entwickelt, lief er von 1976 bis 1989. Es handelte sich um einen graphitmoderierten, heliumgekühlten Hochtemperaturreaktor (700 ºC) mit Brennstoff aus Thorium und hochangereichertem Uran, der für den Betrieb bei 842 MWt (330 MWe) ausgelegt ausgelegt war. Der Brennstoff war in Mikrokugeln mit Thoriumcarbid und Th/U-235-Karbid enthalten, ummantelt mit Siliziumoxid und pyrolytischem Kohlenstoff, um die Spaltprodukte festzuhalten.

Im Gegensatz zum Kugelhaufen-Design war der Brennstoff ringförmig in sechseckigen Säulen („Prismen“) angeordnet. Nahezu 25 Tonnen Thorium wurden für den Reaktor benutzt, wodurch ein Abbrand von 170.000 Megawatttagen erreicht wurde.

Thoriumhaltiger Brennstoff für Druckwasserreaktoren wurde im Shippingport-Reaktor in den Vereinigten Staaten (der erste kommerzielle Reaktor in den USA, der 1957 seinen Betrieb aufnahm) untersucht, wo man U-235 wie auch Plutonium als spaltbares Ausgangsmaterial benutzte. Man kam zu dem Schluß, daß Thorium die Betriebsstrategien nicht signifikant beeinflussen würde. Das Konzept des Leichtwasser-Brutreaktors wurde in Shippingport zwischen 1977 und 1982 ebenfalls erfolgreich getestet, wobei Thorium und U-233 als Brennstoff mit Zirkaloy umkapselt im Rahmen des Kern/Mantel-Konzepts verwendet wurde.

Foto: Philadelphia Electric Co.

Ein weiterer Reaktortyp, der 60 MWe Siedewasserreaktor in Lingen, setzte ebenfalls Testbrennelemente auf der Basis von Thorium-Plutonium ein.

Proliferationsfragen

In den Anfangstagen der Kernenergie warnte der Acheson-Lilienthal-Bericht von 1946 vor der Verbindung zwischen zivil genutzter Kernkraft und Kernwaffen. Er kam zu dem Ergebnis, daß die Welt sich nicht allein auf Sicherheitsmaßnahmen verlassen könne, „um Staaten, die sich an die Vorschriften halten, vor der Gefahr des Rechtsbruchs und der Gesetzesumgehung zu schützen“ – d. h. vor illegalen Atomwaffen. Acheson-Lilienthal schlugen internationale Kontrollen bei der Nutzung der Kernenergie vor, dachten aber auch an technische Innovationen, die es erschweren würden, Nuklearmaterial zum Bau von Bomben abzuzweigen. Der Thorium-Brennstoffkreis ist eine solche technische Innovation – bislang aber noch kaum genutzt.

Schnittansicht des WWER-1000. Der 1000 MW WWER, Rußlands gängiges Kernreaktormodell, ist hier in seiner dritten Generation dargestellt. Es ist ein leichtwassergekühlter und -moderierter Druckreaktor, der nach Betriebsund Sicherheitsstandards westlichen Druckwasserreaktoren ähnelt. Nach dem Plan von Thorium Power und Radkowsky würde der Kern auf einen Thorium-Brennstoffkreislaus umgerüstet, womit waffenfähiges Plutonium verbrannt werden könnte. (1. Horizontaler Dampferzeuger; 2. Kühlmittelpumpe; 3. Containment; 4. Wartungskran; 5. Kontrollstäbe; 6. Reaktorgefäß)

1998 beschrieben Radkowsky und Galparin (Quellenangabe 8) die neuesten Vorstellungen bei der Entwicklung geeigneter Kernenergiesysteme, die „proliferationsresistenter“ als herkömmliche Reaktoren und Brennstoffkreise gemacht werden können. Auf Grundlage eines Thorium-Brennstoffkreises besteht die Möglichkeit, den Anteil des pro Gigawattjahr produzierten Plutoniums im Vergleich zu konventionellen Reaktoren um den Faktor fünf zu reduzieren. Außerdem wären das anfallende Plutonium und Uran-233 wesentlich schwieriger für die Herstellung von Bombenmaterial verwendbar.

Der Peach-Bottom-Reaktor von General Atomics, 100 km südwestlich von Philadelphia, der 1967 seinen kommerziellen Betrieb aufnahm. Es ist ein graphitmoderierter, heliumgekühlter Hochtemperaturreaktor, der bis 1974 mit einer Mischung aus hochangereichertem Uran und Thorium bei 110 MWt betrieben wurde.

Die derzeit verstärkten Bemühungen, die Verbreitung von bombenfähigem Spaltmaterial zu verhindern, haben zu einem gestiegenen Interesse an der Entwicklung von Thorium-Brennstoffen geführt. Das US-Energieministerium hat in diesem Zusammenhang Radkowskys Thorium Power und seine Partnerfirmen bei den Tests mit russischen Reaktoren und auch drei weitere Bemühungen (zwei nationale Laboratorien, zwei Brennstoffhersteller, und ein Konsortium bestehend aus drei Universitäten) finanziell unterstützt. Diese Forschungen sind darauf ausgerichtet, ein Thorium-Brennstoffsystem für konventionelle Reaktoren zu entwickeln. Ein neues Unternehmen namens Novastar kauft bereits Thorium-Minen auf in der Erwartung, daß es zukünftig thoriumbetriebene Reaktoren geben wird.

Das Proliferationspotential des Brennstoffkreises beim Leichtwasserreaktor ließe sich durch den Einsatz von Thorium als Brutstoffkomponente deutlich vermindern, wie oben erläutert wurde. Die Hauptaufgabe bei der Nutzbarmachung von Thorium ist es, einen Reaktorkern und Brennstoffkreis zu entwickeln, der sowohl proliferationsresistent als auch wirtschaftlich realisierbar ist. Dieser Aufgabe wird Radkowskys Thorium-Reaktorkonzept gerecht, das bislang nur im russischen Plan eines 1000 MW Druckwasserreaktors WWER, als WWERT bezeichnet, verwirklicht ist.

Anordnung der Brennstäbe des WWER. Radkowskys Entwurf für die Anordnung von Thorium-Brutkern/ Brutmantel. Der Brutkern ist der innere Teil des Brennstabes (dreiteilig), der Brutmantel der äußere Teil. Der neue Aufbau kann die bisherige Brennstabsanordnung ersetzen, ohne daß große Umbauten erforderlich wären.

Die bisherige Reaktorauslegung hat ergeben, daß die in den Zwischenlagern für abgebrannte Brennelemente deponierte Plutoniummenge des Radkowsky-Thoriumreaktors im Vergleich zum konventionellen WWER-Konzept um 80 Prozent abnehmen wird. Die Isotopenzusammensetzung des Reaktorplutoniums macht es relativ ungeeignet für nukleare Explosionen. Ein sehr hoher Pu-238-Anteil hat außerdem eine entsprechend hohe Wärmeabstrahlung zur Folge, was den Bau eines Sprengsatzes mit Plutonium aus diesem Reaktor komplizieren würde.

Der wirtschaftliche Anreiz, den spaltbaren Anteil des Abbrandes aus dem Radkowsky-Thorium-Reaktor wiederaufzubereiten und erneut zu verwenden, ist ebenfalls gering. Der einmalige Durchlauf ist optimal für den Reaktorkern und den Brennstoffkreislauf.

Insgesamt macht die Entwicklung von Thorium-Brennstoffkreisen Sinn für die Zukunft, da die Effizienz und Wirtschaftlichkeit von Kernreaktoren gefördert, die Wiederaufbereitung vereinfacht und die Zweckentfremdung radioaktiven Materials zur Waffenherstellung erschwert wäre.


Ramtanu Maitra, ein Nuklearingenieur, ist im wissenschaftlichen Beirat des amerikanischen Wissenschaftsmagazins 21st Century Science & Technology.


Quellenangaben:

1. M. Benedict, T. H. Pigford, and H. W. Levi, 1981. „Thorium“ in Nuclear Chemical Engineering (2nd Ed.), Chapter 6. (New York: McGraw- Hill) pp. 283–317.

2. EIA, 1996. ‚The Role of Thorium in Nuclear Energy.“ (Washington, D.C.: Energy Information Administration/Uranium Industry Annual, 1996), pp. ix–xvii.

3. R. L. Garwin and G. Charpak, 2002. Megawatts and Megatons (Chicago: University of Chicago Press).

4. Seth Grae, Dr. Alexei G. Morozov, and Dr. Andrey Mushakov, 2005. “Thorium Fuel As a Superior Approach to Disposing of Excess Weapons-grade Plutonium in Russian VVER-1000 Reactors,“ Nuclear Future (Jan.-Feb. 2005). (Journal of the Institute of Nuclear Engineers and the British Nuclear Energy Society)

5. IAEA, 2000. „Thorium-based Fuel Options for the Generation of Electricity: Developments in the 1990s,“ IAEA-TECDOC-1155. (Vienna: International Atomic Energy Agency, May).

6. M. S. Kazimi, 2003. „Thorium Fuel for Nuclear Energy,“ American Scientist (Sept.–Oct.).

7. J. Carson Mark, 1993. „Explosive Properties of Reactor-grade Plutonium,“ Science and Global Security, Vol. 4, pp. 111–128.

8. A. Radkowsky and A. Galperin, 1998. „The Nonproliferative Light Water Reactor: A New Approach to Light Water Reactor Core Technology,“ Nuclear Technology, Vol. 124, pp. 215–222 (Dec.).

9. S. Shwageraus, X. Zhao, M. Driscoll, P. Hejzlar, M. S. Kazimi, and J. S. Herring. „Microheterogeneous Thoriaurania Fuels for Pressurized Water Reactors,“ Nuclear Technology (in press).

10. Richard Wilson, 1977. „How to Have Nuclear Power Without Nuclear Weapons,“ Bulletin of the Atomic Scientists (Nov.).