Treten Sie zurück Herr Markl!

Nach mehreren umstrittenen Äußerungen des Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft Prof. Hubert Markl hat der Europa-Koordinator des Fusionsenergie-Forums, Dr. Jonathan Tennenbaum, folgende Erklärung abgegeben.


In den letzten Monaten ist Prof. Hubert Markl, Präsident der größten Forschungsinstitution der Bundesrepublik in Interviews und Presseartikeln mit provokativen Aussagen u. a. darüber zitiert worden, daß es wünschenswert sei, die Weltbevölkerung von heute sechs Milliarden auf ein bis zwei Milliarden Menschen „absinken zu lassen“. Dabei verbreitet er, um seine Meinungen über die angebliche naturgesetzliche Unhaltbarkeit der heutigen Bevölkerungsgröße zu begründen, unverblümt eine ähnliche Art pseudowissenschaftlicher Argumentation und biologistischer Scharlatanerie, wie sie früher zur Begründung des „rassenhygienischen“ Wahnsinns der 30er Jahre verwendet wurde. Vor dem Hintergrund der neuerlichen Verbreitung neonazistischen und eugenischen Gedankenguts in Deutschland und mehreren anderen Ländern, und angesichts der Signalwirkung, die solche Aussagen seitens eines hohen Vertreters der Wissenschaft in der Gesellschaft haben können, ist das Verhalten von Prof. Markl in dieser Angelegenheit absolut inakzeptabel.

Ich verlange daher seine sofortige Entlassung als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Ich fordere gleichzeitig andere Vertreter des öffentlichen Lebens auf, zu erklären, warum sie bisher keine Stimme gegen die Ungeheuerlichkeiten von Prof. Markl erhoben haben. Schließlich frage ich: Was ist von der Moral eines Menschen zu halten, der von „wünschenswerter Bevölkerungsreduktion“ spricht, wenn gleichzeitig in der Dritten Welt unzählige Millionen von Menschen unnötig an Hunger, Epidemien und Kriegen sterben – und zwar nicht aufgrund von „Überbevölkerung“, sondern aufgrund der systematischen Ausplünderung jener Länder durch ein ungerechtes Weltwirtschafts- und Finanzsystem?

Einige werden einwenden: „Vielleicht wurden die Aussagen des guten Professors aus dem Zusammenhang gerissen, falsch dargestellt oder mißverstanden. Vielleicht hat er sich nur ungeschickt ausgedrückt. Und was kann im übrigen daran so schlimm sein, das zu wiederholen, was längst von Vertretern ,respektabler‘ Organisationen wie dem Club von Rom oder der UNO in mehr oder weniger ähnlicher Form gesagt worden ist?“

Betrachten wir daher einige neuere und frühere Aussagen von Prof. Markl näher. Je genauer man hinschaut, desto mehr verfestigt sich der Eindruck, daß Prof. Markl nicht nur ein gedankenloser Nachplapperer ist, sondern (um es milde auszudrücken) unter einer gefährlichen geistigen Verblendung leidet.

Betrachten wir zuerst das Interview mit ihm, das am 9. Januar in der Frankfurter Rundschau publiziert wurde. Der Interviewer fragt: „Was wäre Ihre Hoffnung für die Zukunft?“ Markl antwortet:

„Wir sollen es schaffen, die Weltbevölkerung in den nächsten Jahrhunderten wieder auf ein bis zwei Milliarden Menschen absinken zu lassen.“

„Ein solch rasantes Absinken erscheint unrealistisch“, reagiert der Interviewer.

„Ist es aber vielleicht doch nicht“, sagt Markl. „Viele Familien (in Nordamerika, Westeuropa, Japan) haben nur noch ein Kind, viele gar keines. Das wird, ohne daß Zwänge ausgeübt werden müssen, dazu führen, daß die Bevölkerungszahl einer Nation wie Deutschland von 80 Millionen auf 40 Millionen sinkt.“

Auf den ersten Blick werden manche Leser sagen: „Das ist doch gar nicht so schlimm. Markl spricht von einer Bevölkerungsreduktion, die ,in den nächsten Jahrhunderten‘ stattfinden soll und ,ohne Zwänge‘ erreicht wird.“ Denkt man aber einmal genauer darüber nach, wird es einem doch etwas unheimlich. Welch seltene Weitsicht (oder Anmaßung!), jetzt planen zu wollen, was im Laufe der kommenden Jahrhunderte passieren soll! Dürfen die zukünftigen Generationen nicht selbst entscheiden, wie sie ihrer Probleme Herr werden? Oder vielleicht beziehen sich Markls Wünsche in Wirklichkeit gar nicht auf eine unvorstellbar ferne Zukunft, sondern auf viel kurzfristigere Ziele?

Nun fragt der Interviewer weiter, ob der wissenschaftlich-technische Fortschritt es nicht doch ermöglichen könnte, auf Dauer zehn Milliarden Menschen zu ernähren; Markl antwortet:

„Das glaube ich nicht. Die Biosphäre könnte eine auf dem Niveau von Amerika oder Europa konsumierende Weltbevölkerung in dieser Größenordnung nicht aushalten. Die Abfallproblematik allein wäre so groß, daß die Biosysteme auf Dauer nicht stabilisierbar wären.“

Man ist wiederum in Erstaunen versetzt, mit welcher Hybris Markl meint, die „eisernen Gesetze“ der Biosphäre zu erkennen und die Grenzen der Wissenschaft und Technik auf Jahrhunderte hinaus vorauszusehen! Man stelle sich vor, welche Unmöglichkeiten der geniale Professor prophezeit hätte, wenn er zur Zeit von Thomas Malthus gelebt hätte! Scheinbar hat es für ihn in der Tat seither nur sehr wenig Fortschritt gegeben, wenn er den gleichen Unsinn wie Malthus nun 200 Jahre später wiederholt.

Wer nicht kreativ denken kann, wird zwangsläufig die Entdeckungskraft des Menschen geringschätzen. Langsam wird somit auch verständlicher, warum unter Markls Führung die wissenschaftlichen Leistungen der Max-Planck-Gesellschaft, was revolutionäre Entdeckungen betrifft, mittelmäßig ausfallen. Selbst das Müllproblem schätzt Markl als unlösbar ein, selbst wenn er die Max-Planck-Gesellschaft einige Jahrhunderte daran forschen ließe.

Gefährlicher Biologismus

Markls Aussagen enthalten aber ein noch viel problematischeres Element. Schauen wir das Schreckensszenario an, das er in einem Aufsatz Vision 2000 gemalt hat:

„Da nicht nur die Anzahl verfügbarer menschlicher Wirtsindividuen ständig mit derzeit etwa 1,5 % pro Jahr wächst, so daß aus bald sechs Milliarden in weniger als einem Jahrhundert eine doppelt so große Menschheitsbevölkerung werden könnte, die zudem immer dichter gedrängt zu bald mehr als der Hälfte in wenigen hundert Megastädten auf engstem Raum zusammenleben wird, und da die biologische Evolution menschlicher Parasiten und ihrer Überträgerorganismen keineswegs zum Stillstand gekommen ist, sondern sich unter den Selektionsdrücken dieses gigantischen Nahrungsangebotes und unserer nur teilweise wirksamen Gegenmaßnahmen sogar laufend beschleunigt, ist mit Sicherheit zu erwarten, daß in kommenden Generationen alte und neue Parasiten und Krankheitserreger mit ständig verfeinerten molekularen Methoden zur Überwindung von Abwehrschranken und Bekämpfungsmethoden gegen diese ,Fleischfestung Menschheit‘ anstürmen werden.“

Welch schreckliches Menschenbild geht aus diesen Zeilen hervor! Und welch primitive Scharlatanerie, die Entwicklung gefährlicher Erreger einfach mit der menschlichen Bevölkerungsdichte koppeln zu wollen! Gerade die modernen Städte der Industrieländer (man denke an Manhattan), wo die höchsten Bevölkerungsdichten auf der Erde erreicht werden, haben allgemein die niedrigste Häufigkeit an Infektionskrankheiten. Das ist kein biologisches Phänomen, sondern hängt mit dem einzigartigen Charakter der menschlichen Zivilisation zusammen, wie er sich in der Entwicklung und Verbesserung der Wasserversorgung, des Gesundheits- und Erziehungswesens, des allgemeinen Lebensstandards usw. reflektiert. Wo diese fehlen – wie im verhältnismäßig sehr dünn besiedelten, aber verarmten und ausgeplünderten Afrika –, wüten die Epidemien am schlimmsten.

Es wird immer klarer, daß Prof. Markl Probleme hat, wenn es um spezifisch menschliche Eigenschaften und Prozesse geht. Wenn er damit konfrontiert wird, greift er zwangshaft zu biologischen Analogien mit niederen Lebewesen, z. B. zum Vergleich der menschlichen Gesellschaft mit dem „sozialen“ Verhalten von Ameisen, Bienen oder anderen Tieren. Diese Tendenz, oft „Biologismus“ genannt, war in den 30er Jahren sehr verbreitet. Wir zitieren nochmals aus Markls Aufsatz in Vision 2000. Es geht immer noch um Parasiten:

„Allerdings gibt es dabei in sozialen Organisationen auch Lebensmöglichkeiten der Ausbeutung von Artgenossen zum eigenen Vorteil, die sich mit dem Parasitismus zwischen verschiedenen Spezies vergleichen lassen… Aber wenn von den drohenden Herausforderungen des Parasitismus im kommenden Jahrhundert die Rede ist, darf auch dieser Aspekt der schmarotzenden bis räuberischen Ausbeutung der Vorteile sozialer Systeme nicht übergangen werden. Denn der egoistische Wettbewerb um die Ausbeutung der Produktionsleistung anderer wird im ,Sozialsystem Menschheit‘ nicht aufhören, im Gegenteil, er wird sich dort genauso gesteigert fortsetzen wie das vergleichbare evolutionäre Wettrüsten zwischen Wirten und Parasiten in der Natur.“

Um klar zu machen, wie gefährlich der Biologismus ist, der in dem eben zitierten Aufsatz Markls besonders deutlich zum Ausdruck kommt, ziehen wir zum Vergleich einen Aufsatz von Markls einstigem Lehrer Konrad Lorenz aus dem Jahr 1940 heran. Lorenz hatte den Biologismus nicht nur in den 30er Jahren (ab 1938 als Mitglied der NSDAP) mit missionarischem Eifer verbreitet, sondern behielt auch nach dem Kriege seine Philosophie mit kleineren Korrekturen bei.

„…Erkennen und Ausschalten die wichtigste Aufgabe des Rassepflegers überhaupt: denn das immer von neuem mögliche Auftreten von Menschen mit Ausfällen im arteigenen sozialen Verhalten bildet eine Schädigung für Volk und Rasse, die schwerer ist als die einer Durchmischung mit Fremdrassigen, denn diese ist wenigstens als solche erkennbar und nach einmaliger züchterischer Ausschaltung nicht weiter zu fürchten… Aus der weitgehenden biologischen Analogie des Verhältnisses zwischen Körper und Krebsgeschwulst und einem Volke und seinen durch Ausfälle asozial gewordenen Mitgliedern andererseits ergeben sich große Parallelen in den notwendigen Maßnahmen. So wie beim Krebs der leidenden Menschheit nichts anderes geraten werden kann als möglichst frühzeitiges Erkennen und Ausmerzen des Übels, so beschränkt sich auch die rassehygienische Abwehr gegen die mit Ausfallserscheinungen behafteten Elemente auf die gleichen recht primitiven Maßnahmen.“

Mit dieser Gegenüberstellung soll nicht gesagt sein, daß Markl und sein Lehrer Konrad Lorenz in allen Punkten übereinstimmen, sondern wir wollen lediglich auf ein gemeinsames Problem hinweisen. Es ist wahr, daß Prof. Markl sehr darum bemüht ist, den Unterschied zwischen Mensch und Tier zu unterstreichen. Ja, dies zu erforschen ist ihm persönlich offenbar ein wichtiges Anliegen. Doch gerade dort, wo es darauf ankommt, diesen Unterschied zu definieren, tritt das in Markls Geist offenbar tief verwurzelte Problem klar zum Vorschein. Aufgrund seiner irrationalen Fixierung auf „Überbevölkerung“ verneint er gerade die entscheidende Tatsache: daß die menschliche Gattung die einzige unter allen Lebewesen ist, die Kraft der schöpferischen Geistesprozesse der menschlichen Individuen in der Lage ist, durch die Entdeckung und technologische Umsetzung neuer physikalischer Prinzipien die maximale potentielle Bevölkerungsdichte der menschlichen Zivilisation pro Quadratkilometer der Erde ständig zu steigern. Diese einzigartige Fähigkeit der menschlichen Gattung und die damit verbundene zunehmende Umwandlung der Biosphäre in eine Noosphäre liefert den empirischen Beweis dafür, daß es außer den Prinzipien der anorganischen Materie und der lebenden Prozesse per se im Universum auch höhere Prinzipien, Vernunftprinzipien, gibt.

Abwege der Genforschung

Weil die schöpferische Vernunft in Markls biologistische Gedankenwelt nicht hineinpaßt, fällt er auf die Sprachfähigkeiten des Menschen als „sprechendes Tier“ zurück und sucht den Schlüssel dazu in den Genen:

„Man darf sogar annehmen, daß wir nach der Totalsequenzierung des menschlichen Genoms und desjenigen unserer nächsten Primatenverwandten, mit denen wir mehr als neun Zehntel aller Gene gemeinsam haben, in wenigen Jahren wissen werden, auf welchen genetischen Unterschieden – vielleicht nur in einigen hundert Genen – es beruht, daß der gesunde Mensch nicht nur zu sprechen lernt, sondern geradezu darauf versessen ist, wenn es sein muß, auch zwei oder mehr Sprachen gleichzeitig, während kein Schimpanse auch mit noch so geduldigem Training dazu gebracht werden kann. Konrad Lorenz hätte diese untrennbare Verbindung von erblicher artspezifischer Veranlagung und der Unentbehrlichkeit sozialer Lernerfahrung nicht verwundert: Er hat sie seinen Mitmenschen ja ein Leben lang nahezubringen versucht [wir hoffen, daß Markl hier Lorenz‘ Erziehungsbestrebungen der Jahre 1938–45 ausgeklammert hat! – J. T.]. Deshalb hätte er sich sicher darüber gefreut, daß die Diskussion der Rolle von Genen für das Verhalten des Menschen – als dem wichtigsten Ausdruck seines einzigartigen Wesens – aus dem Wissenschaftsteil der Zeitungen… nun endlich dorthin vorgedrungen ist, wo… Geist und Kultur zuhause sind.“

Hinter Markls Begeisterung für den verstorbenen Konrad Lorenz verbirgt sich etwas sehr Gefährliches, daß nämlich das Humangenomprojekt unverkennbar zum Vehikel gemacht wird, die durch die Verbrechen des Dritten Reichs anrüchig gewordenen eugenischen Ideen auf eine neue, „objektiv-wissenschaftliche“ Basis zu stellen. In den USA hört man heute schon wieder von der angeblichen genetischen Veranlagung zur Kriminalität, zur Homosexualität usw. Was zuerst von respektablen Professoren mit wissenschaftlicher Zurückhaltung leise angedeutet wird, kann in einem von großer sozialer Spannung und schwerer Wirtschaftskrise gezeichneten Land bald ganz andere Formen annehmen. Und das nicht nur in den USA.

Offenbar begreift Professor Markl nicht, daß er mit seinen Äußerungen einer verhängnisvollen Entwicklung Vorschub leistet. Deswegen ist er als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft nicht tragbar.