Unter der Überschrift „Das Pentagon an Bush: Der Klimawandel wird uns vernichten“ macht seit kurzem ein mysteriöser „Geheimbericht“ die Runde, worin einmal mehr die „globale Katastrophe des Klimawandels“ in den kommenden 20 Jahren beschworen wird. Bis 2020 würden europäische Großstädte vom steigenden Meer überflutet, während Großbritannien ein „sibirisches Klima“ bekäme. In aller Welt würden nukleare Konflikte, Megadürren, Hunger und Unruhen ausbrechen. „Die Gefahr für die globale Stabilität stellt die Gefahr des Terrorismus bei weitem in den Schatten“, kommentierte der britische Observer am 22. Februar 2004 den „unterdrückten Geheimbericht“.
Tatsächlich geht es bei dem Bericht um das „Szenario eines abrupten Klimawandels und seine Implikationen für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten“, ein Bericht, der unter Leitung des Direktors des Global Business Network, Peter Schwartz, erstellt wurde. Auftraggeber des Schwartz-Papiers wiederum war eine zentrale Planungsgruppe des US-Verteidigungsministeriums unter der Leitung von Andrew Marshall, der es wohl auch der Presse zugespielt hat. Marshall leitet seit mehr als 30 Jahren das Office for Net Assessments (ONA) und gilt als graue Eminenz des Pentagon. Auf ihn gehen immer wieder fatale strategische Weichenstellungen in der US-Militärpolitik zurück, so die imperial-utopische „Revolution des Militärwesens“ (RMA), die sich am besten als das militärische Äquivalent des „New Economy“-Schwindels charakterisieren läßt. Daß Marshall ein langjähriger LaRouche-Hasser ist, dürfte kaum verwundern.
Wie eilig man es damit hatte, diese erneute Klima-Kampagne in Gang zu setzen, zeigt deren dürftige wissenschaftliche Untermauerung. So hat Schwartz einfach kritiklos die umstrittenen Thesen von Robert Gagosian, Direktor des Ozeanographischen Instituts Woods Hole in Massachusetts, übernommen, der auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2003 die Politiker dringend aufgefordert hatte, „über die Implikationen eines möglichen abrupten Klimawandels innerhalb zweier Jahrzehnte nachzudenken“. Gagosians These besagt, die Erderwärmung werde dazu führen, daß immer mehr Schmelzwasser in die Weltmeere gelangt, mit der Folge, daß der warme Golfstrom plötzlich seinen Lauf verändert und vom Nordatlantik ausgesperrt wird. Daraus ergäbe sich wiederum eine schlagartige globale Klimaveränderung, welche in verschiedenen Erdteilen sehr unterschiedlich ausfallen werde – aber immer zum Negativen. So werde es in kalten Regionen kälter, in warmen Regionen würden Dürre und Versteppung zunehmen, während in Regionen mit Stürmen und Monsunregen die Intensität dieser Wetterereignisse katastrophal zunähme.
Das ist natürlich alles irgendwie vorstellbar und läßt sich auch im Computer vorrechnen, doch dadurch wird aus Science-fiction noch lange keine Wissenschaft.
Schwartz sattelt auf Gagosians These des abrupten Klimawandels noch eins drauf, indem er einen konkreten „Wetterbericht 2010–2020“ erstellt. Ganz genau sei dieser Wetterbericht natürlich nicht, aber „es scheint in wissenschaftlichen Kreisen genereller Konsens zu bestehen, daß ein Extremfall wie der unten geschilderte nicht unplausibel ist“. Angesichts der Tatsache, daß selbst kurzfristige und lokale Wetterberichte gerade in Situationen, wo plötzlich eine Hochdrucklage in eine Tiefdrucklage (oder umgekehrt) umschlägt, mit großen Ungenauigkeiten behaftet sind, kann es den von Schwartz behaupteten „generellen Konsens in wissenschaftlichen Kreisen“ gar nicht geben. Angesichts der vielen Unwahrheiten, die Schwartz auch sonst noch von sich gibt, fällt das jedoch nicht weiter ins Gewicht. Er sagt z. B. das katastrophale „Umkippen“ des Klimas schon für das Jahr 2007 voraus und entwickelt dann ein Weltuntergangsszenario von großem Unterhaltungswert.
Mit der Darstellung der „Klimakatastrophe“ hat sich Schwartz die geeignete Grundlage geschaffen, seine wesentliche politische Botschaft loszuwerden: „Da ein abrupter Klimawandel die Tragfähigkeit der Welt reduziert, sind Angriffskriege um Nahrungsmittel, Wasser und Energie wahrscheinlich.“ Angesichts der Existenz von Massenvernichtungswaffen impliziert dieses Szenario die Ausrottung eines Großteils der Menschheit. Schwartz behauptet: „In dieser Welt kriegführender Staaten ist die Verbreitung von Kernwaffen unvermeidlich. China, Indien, Pakistan, Japan, Südkorea, Großbritannien, Frankreich und Deutschland werden allesamt Nuklearwaffen haben, genauso wie Israel, Iran, Ägypten und Nordkorea.“
Unbedarfte Menschen waren vielleicht bisher der Meinung, der neue Trend zur Proliferation sei Folge der von Cheney und Rumsfeld propagierten Strategie der präventiven Atomkriegsführung mit sogennanten „Mininukes“, doch nun erfahren wir von dem strategischen Denker Peter Schwartz: Dem ist nicht so, es liegt am Wetter! Und Andrew Marshall, die graue Eminenz im Pentagon, applaudiert solch genialer Logik.
Eurasische Landbrücke statt Malthus-Reflex
Erstaunlicherweise fällt in dem gesamten „Geheimbericht“ kein Sterbenswörtchen über die Bedeutung der Wirtschaft für die nationale Sicherheit – und das, obwohl sich Peter Schwartz erst vor wenigen Jahren sehr markant zur Entwicklung der Weltwirtschaft geäußert hat. In seinem 1999 (zusammen mit Peter Leyden) veröffentlichten Buch Der lange Boom sagte er eine Periode anhaltenden Wachstums voraus, in welcher sich die Weltwirtschaft alle zwölf Jahre verdoppeln und einen wachsenden Wohlstand für Milliarden von Menschen auf diesem Planeten mit sich bringen werde. Bis ins Jahr 2020 würden die neuen Informationstechnologien die zentralen wirtschaftlichen und politischen Werte der USA in alle Ecken des Planeten getragen haben. Probleme wie Armut, Krebs und globale Erwärmung würden so eliminiert oder gelindert.
Diese Propaganda für Globalisierung und „Freihandelsoptimismus“ ist nur die Vorderseite der neoliberalen Münze, auf deren Rückseite das häßliche Gesicht des malthusianischen Ausrottungskampfs bei sinkender Tragfähigkeit erscheint. Am 13. Juli 2000 sagte Schwartz gegenüber einem EIR-Reporter: „1986 [also noch vor seinem optimistischen Boom-Buch] machte ich darüber eine Studie für AT&T, Royal Dutch Shell, und Volvo. Wir kamen zu dem Schluß, daß man die AIDS-Infizierten in Afrika nicht am Leben erhalten sollte, denn sie verbreiten die Krankheit. Es ist besser, wenn sie schnell sterben.“ Hier zeigt sich der für Neoliberale typische Sozialdarwinismus, der meist mit offenem Rassismus gepaart ist. Es wäre interessant zu erfahren, ob Schwartz das gleiche Rezept auch für AIDS-Kranke in den USA und Europa vorschlägt.
In Europa, wo die politische Elite für malthusianische Ideen anfälliger ist, könnte die trügerische Illusion entstehen, man dürfe jetzt als Juniorpartner der Angloamerikaner eine wichtige Rolle bei der „Bewältigung“ der „klimabedingten Sicherheitsbedrohungen“ übernehmen, die mit der sinkenden „Tragfähigkeit“ einhergehen. Aber Achtung! Malthus schrieb seine Theorie der begrenzten Tragfähigkeit, um im wirtschaftlich bankrotten britischen Imperium die Abschaffung von jahrhundertealten Sozialgesetzen zu begründen und gleichzeitig die Erfolge der jungen amerikanischen Republik in Mißkredit zu bringen. Der gleiche brutale Sozialabbau steht auch heute wieder auf der Tagesordnung.
Die wirkliche Alternative auf wirtschaftlichem wie auch auf sicherheitspolitischem Gebiet besteht in einer republikanischen Wirtschaft nach den Prinzipien der physikalischen Ökonomie von Lyndon LaRouche. Europa sollte sich weder zu einem Krieg der Kulturen noch zu einem falschen „Krieg gegen den Terrorismus“ und erst recht nicht zu einem aus dem angeblichen Absinken der „Tragfähigkeit“ abgeleiteten malthusianischen Ausrottungskrieg verleiten lassen, sondern unbeirrt das Konzept der Kooperation an der Eurasischen Landbrücke verwirklichen und alles tun, um Afrika aus seiner verzweifelten Lage zu retten.