Wie kommt man von Bonn nach Peking?

Ende Mai wurde bekannt, eine hochrangige Delegation chinesischer Verkehrsexperten halte sich in Deutschland auf, um erneut die hiesige Bahntechnik, besonders aber den Transrapid, zu studieren. Das Interesse Chinas am deutschen Beitrag zur Technik des Hochgeschwindigkeitsverkehrs ist in den letzten zwei Jahren sichtbar gewachsen. Allein in den letzten 12 Monaten sind etwa 30 Expertendelegationen aus China zu Arbeitsbesuchen in der Bundesrepublik eingetroffen. Dabei wurden Anforderungen moderner Signaltechnik und Pläne zum Bau neuer Superbahnhöfe wie jene in Stuttgart und Berlin ebenso studiert wie Methoden des Tunnel- und Brückenbaus für Hochgeschwindigkeitsbahnstrecken. China, eine Nation, die für den Fernverkehr, zumal im Personenmassenverkehr, überwiegend die Bahn nutzt, interessiert sich für den modernen Nahverkehr ebenso wie für das Bahnsystem des 21. Jahrhunderts – den Transrapid mit seiner revolutionären Magnetschwebetechnik.

Dies Interesse der Chinesen wurde durch ein Gespräch offenkundig, das Ministerpräsident Zhu Rongji Ende April in seiner Residenz mit deutschen Industrievertretern über den Transrapid führte. Mehrere chinesische Eisenbahnexperten wie auch bekannte deutsche Industrievertreter wie Eckard Rohkamm vom Magnetbahnhersteller Thyssen waren dabei anwesend. Für Aufsehen sorgte die Meldung über jenes etwa 90minütige Zusammentreffen, wonach von den deutschen Politikern wie Wirtschaftsminister Rexrodt, die zum gleichen Zeitpunkt anläßlich einer Industriemesse des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft in Peking waren, keiner zu dem Gespräch bei Zhu Rongji eingeladen war.

Das scheint zu belegen, daß nicht nur deutsche Manager, sondern auch chinesische Politiker und Experten bei Gesprächen, die der Sache dienen sollen, es vorziehen, lieber keine Bonner Politiker dabei zu haben. Wenn Bonner Politiker von Wirtschaft und Technik, von Infrastruktur und Arbeit reden, werden sie in der Tat schnell weitschweifig und meinen alles mögliche, nur das nicht, worauf es ankommt. Die schier endlosen Tischrunden beim Kanzler wurden Managern wie Gewerkschaftern 1996 und 1997 schnell ein Greuel.

Das, was die „Fachkräfte“ der CDU kurz vor dem Bremer Parteitag Mitte Mai in den Programmentwurf ihrer Partei schrieben, bestätigt dieses Unbehagen in der Wirtschaft gegenüber den Bundespolitikern. Das neue „Zukunftsprogramm“ der CDU enthält einige recht seltsame Weichenstellungen, die um so besorgniserregender sind, weil sie ja gerade über den Wahlkampf im September hinausweisen sollen – eben ins 21. Jahrhundert.

Wo, beispielsweise, bleibt die Industrie in dieser „Zukunft“? Die CDU-Vordenker vertreten allen Ernstes die Meinung: „Industrielle Großbetriebe mit Tausenden von Beschäftigten wird es weniger geben. Die Zukunft gehört eher den kleinen und mittleren Betrieben, darunter vielen Neugründungen… Unternehmen, die mit wenigen Festangestellten operieren, ohne starre Strukturen, die ihre Geschäftstätigkeiten mit wechselnden Subunternehmen durchführen, die sie nach dem Baukastenprinzip je nach Auftrag zu einer virtuellen Firma zusammenführen, computervernetzt, und dann wieder auflösen oder neu gruppieren“.

Neue Arbeitsplätze schaffen? Offenbar kein Problem mit einer CDU, die der klassischen Industrie entschlossen den Rücken kehrt. Im Entwurf für Bremen stand zu lesen: „Dienstleistungen sind die Schlüsselgröße für mehr Beschäftigung. Im industrienahen (wohlgemerkt nicht im industriellen – d.Red.) Bereich sind bei uns schon viele neue wettbewerbsfähige Arbeitsplätze entstanden. Einen gewaltigen Nachholbedarf hingegen haben wir bei Dienstleistungen in Privathaushalten, in Handel, Gastronomie, Tourismus, im Gesundheitswesen. Die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt. Rein rechnerisch könnten wir bei einer ähnlichen Dienstleistungsdichte wie in den Vereinigten Staaten 5 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze schaffen.

Was für neue blühende Landschaften zeichnen sich da ab! Wir werden ein Volk von Dienstmädchen und Kellnern, jeder Bürger wird seines Mitbürgers Friseur und Steuerberater, und statt Raumfahrt gibt es Raumpflege.

Brüder, zur Sonne…

Wie bei der Beschäftigungspolitik will die CDU auch beim Thema Infrastruktur ganz neue Wege beschreiten. Im entsprechenden Kapitel ihres Entwurfs sangen die CDU-Vordenker ein Loblied auf den neuen hochspekulativen Frankfurter Zockermarkt, auf dem Aktien sich wie durch Zauberhand, ohne Herstellung auch nur eines einzigen konkreten Produkts in ihrem Wert in nur wenigen Wochen verzehnfachen: „Mit der Einrichtung des Neuen Marktes als einem weiteren Segment unseres Aktienmarktes haben wir jungen, innovativen und wachstumsstarken Unternehmen die Möglichkeit verschafft, die für ihre Expansionspläne notwendigen Investitionsmittel leichter am Kapitalmarkt zu beschaffen…“

Kernkraft und Raumfahrt, die im 20. Jahrhundert noch eine große Rolle gespielt haben, finden die CDU-Vordenker für das 21. Jahrhundert nicht mehr maßgeblich; dagegen stellen sie fest: „In Deutschland entsteht die weltweit größte Produktionskapazität für hochwertige Solarzellen“. Nun, das muß auch den Sozialdemokraten gefallen, denn die singen schon lange ihr altes, seit Lafontaine aber mit neuem Inhalt gefülltes Kampflied „Brüder, zur Sonne…“

Die Große Koalition nach der Wahl zeichnet sich schon am Horizont ab, und da wird es fast schon zur Nebensache, wer danach Bundeskanzler ist: Kohl, Schäuble, Schröder oder sonstwer.

Die CDU sollte nur wegen der besseren Durchsichtigkeit ihres Anliegens in ihrem Programm den virtuellen Aspekt ihrer eigenen Zukunft noch stärker herausheben. Etwa so: „Politik im hergebrachten Sinne wird es weniger geben. Die Zukunft gehört flexiblen Politikern, die ohne starre Strukturen ihre Tätigkeiten mit wechselnden Partnern durchführen, die sie nach dem Baukastenprinzip je nach Auftrag zu einer virtuellen Regierung zusammenführen, computervernetzt, und dann wieder auflösen oder neu gruppieren“. Verkehr im klassischen Sinne, Eisenbahnen und ähnliche Relikte der vorvirtuellen Ära braucht man im 21. Jahrhundert der CDU eigentlich nicht mehr.

Den Chinesen, die sich hier in Deutschland nach – bisher noch vorhandenen und konkret zu besichtigenden – Verkehrstechniken umschauen, kann man nur den Rat geben, möglichst noch vor der Bundestagswahl, vor der Bildung einer neuen Regierung Verträge mit der deutschen Industrie zu unterzeichnen. Da die SPD, die vermutlich in der nächsten Regierung sitzt, den Transrapid ohnehin nicht will, möchte man den Chinesen fast anraten, sich jetzt schon eine Kaufoption auf die Magnetschwebetechnik mitsamt allem dazugehörenden Fachwissen zu sichern. So wäre denn, während es immer noch nicht sicher ist, ob die Trasse Hamburg-Berlin ab 1999 Wirklichkeit wird, es wenigstens einigermaßen sicher, daß man irgendwann Anfang des nächsten Jahrhunderts mit dem Transrapid reisen kann – nicht in Deutschland, aber in China.

Nur wie man dann von Bonn nach Peking kommt, wird ein Problem werden. So eine weite Reise dauert mit dem Solarmobil, das uns CDU wie SPD offerieren wollen, doch ziemlich lange. Aber es gäbe eine Alternative, nämlich eine Magnetbahnverbindung Peking-Warschau. Von der polnischen Hauptstadt könnte man dann, ohne in allzu große Hast zu verfallen, gemütlich in deutschen Solarzügen bis nach Berlin und wenn erwünscht bis nach Hamburg weiterreisen. Das wäre nicht nur ein virtuelles, sondern schon ein reales Erlebnis.