Es scheint, daß das Ende des Balkankrieges jetzt gekommen ist, obgleich angesichts der vielen Unwägbarkeiten auf beiden Seiten des Konflikts keine absolut sichere Prognose abgegeben werden kann. Die allgemeine Erleichterung über eine mögliche friedliche Lösung ist verständlich, doch blickt man auf die drei Monate Bombenkrieg und Vertreibung zurück, macht sich tiefste Ernüchterung breit: Die Welt erlebte ein Schauspiel außerordentlicher Machtarroganz, kombiniert mit extremer politischer und militärstrategischer Inkompetenz.
Von einem „Sieg“ der NATO kann nicht die Rede sein, das war angesichts der politischen Ausgangslage, als ausschließlich der britisch-amerikanische Commonwealth-Machtblock innerhalb der NATO das Sagen hatte, nicht anders zu erwarten. Die britische Regierung und die Gore-Albright-Truppe in den USA wollten das Kosovo-Problem benutzen, um Rußland, China, den UN-Sicherheitsrat und auch Kontinentaleuropa politisch und militärisch an die Wand zu drücken.
Die britische Regierung und die Albright-Diplomatie traten in Rambouillet so selbstherrlich auf, daß ein Nachgeben Milosevics gar nicht zu erwarten war, woraufhin ein „Blitzkrieg“ aus der Luft als einzige, schnellen Erfolg versprechende Handlungsoption übrig blieb. Doch schon nach spätestens zwei Wochen NATO-Bombardement war unübersehbar, daß man einer Fehleinschätzung aufgesessen war.
Präsident Clinton und die kontinentaleuropäischen Staatsführungen ließen sich zunächst in diese verhängnisvolle Marschrichtung hineinziehen. Erst Mitte April, als deutlich wurde, daß es keinen „Blitzsieg“ geben würde und, nicht überraschend, das Milosevic-Regime die Massenvertreibung der Kosovo-Albaner über alle Maßen forcierte, begannen Präsident Clinton, Kanzler Schröder und andere kontinentaleuropäische Führer gegenzusteuern. Es hieß nun, „Rußland muß mit ins Boot“. Zwischenzeitlich war man am 6. Mai mit dem auch von China unterstützten Petersberger Abkommen der G-8 bereits einer Friedensregelung zum Greifen nahe gekommen, aber am 7. Mai wurde die Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad inszeniert, was die diplomatischen Bemühungen um einen Monat verzögerte.
Nach all dem angerichtetem politischen und materiellen Schaden kommt jetzt alles auf den schnellen wirtschaftlichen Wiederaufbau Südosteuropas an, wobei genau das vermieden werden muß, was nach dem Dayton-Abkommen in Bosnien und nach dem Oslo-Friedensabkommen im Nahen Osten geschehen ist, wo der IWF, die Weltbank und EU-Bürokraten jeden substantiellen Wiederaufbau der Realwirtschaft – vor allem der Infrastruktur – sabotiert haben, zugleich aber immense öffentliche Mittel verschleuderten.
Der notwendige Kapitaleinsatz zum Wiederaufbau in Südosteuropa muß zum finanziellen „Treibstoff“ für eine Ankurbelung der Volkswirtschaften in ganz Europa und darüber hinaus werden. Die „Kosten“ auf dem Balkan würden sich so in produktive Arbeitsplätze, Maschinenbauexporte und wachsende Handelsvolumen für die gesamte europäische Wirtschaft und die Weltwirtschaft verwandeln.
Wiederaufbau als Chance
Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, den Wiederaufbau des Balkans nur als Kostenfaktor zu sehen. Er ist vielmehr eine Chance, und vielleicht die allerletzte Chance zur Umkehr, zu einem Kurswechsel in der Weltwirtschaftspolitik – hin zu einer gerechten neuen Weltwirtschaftsordnung. Es geht nicht nur darum, die Bombenschäden im Kosovo zu beseitigen und endlich die Wiederaufbauversprechungen an Bosnien-Herzegowina im Zuge des Dayton-Abkommens einzulösen; es geht zugleich darum, auch die Verheerungen von einem Jahrzehnt des industriellen Kollapses in Rußland und Osteuropa sowie zwei Jahrzehnten unterbliebener Infrastrukturausgaben fast überall auf dem Kontinent aufzuarbeiten.
Lyndon LaRouche, der in den USA erneut für die Präsidentschaftsnominierung kandidiert, spricht von einem 25 Jahre umfassenden Wiederaufbauprogramm in einer Dimension von drei Billionen oder 3.000 Milliarden Dollar. Dies läßt sich nicht nach Eichel(hörnchen)-Methode hier und da abknapsen. Dafür gibt es nur eine wirksame und bewährte Methode der Finanzierung: LaRouche nennt dies Nationalbankkredit oder Hamiltonsche Kreditschöpfung. Dabei ist ein entscheidendes Erfolgskriterium, mit den Wiederaufbaugeldern nicht teure Berater und Besserwessies, Buchhalter, Makler und Kommissionskassierer zu bezahlen, sondern diejenigen, welche auch die konkrete Aufbauarbeit leisten: Baufirmen, Maschinenhersteller, Materiallieferanten und deren Arbeitskräfte.
Die vordringlichsten Wiederaufbaumaßnahmen sind ziemlich offensichtlich:
- Die Schiffbarmachung der Donau: Ohne diese wirtschaftliche Lebensader, die seit der Fertigstellung des Rhein-Main-Donau-Kanals die Nordsee mit dem Schwarzen Meer verbindet, ist die rasche Rekonstruktion illusorisch. Österreichische, ungarische und griechische Unternehmen stehen Gewehr bei Fuß, um die Reste der zerstörten Brücken in Novi Sad, Bogojevo, Smederevo und anderswo in Serbien zu bergen, die die Durchfahrt durch die Donau blockieren. Nach Angaben deutscher Schiffahrtexperten könnten die Aufräumarbeiten drei bis vier Monate dauern. Durch die gleichzeitige Arbeit an den verschiedenen Donauabschnitten muß die Räumung der Fahrrinne in kürzerer Frist geschehen.
- Die übrige Verkehrsinfrastruktur an Straßen, Eisenbahnen und nicht zuletzt Brücken über die Donau ist ebenso vordringlich zu behandeln.
- Wohnungsbau mit Schwerpunkt Kosovo: Mit Kleinkrediten an die zurückkehrende Bevölkerung muß der rasche Wiederaufbau der Wohnungen angekurbelt werden. Damit wird zugleich die Grundlage für die Schaffung kleiner und mittelständischer Betriebe gelegt, insbesondere in der Bau- und Baustoffindustrie sowie im Handwerk. Im September muß das Gros der neuen und wiederaufgebauten Häuser stehen.
- Landminen im Kosovo: Ohne die Beseitigung von rund einer Million Minen ist die Wiederaufnahme der Landwirtschaft undenkbar. Nur durch den sofortigen und massiven Einsatz modernster technischer Ausrüstungen kann dieses Ziel rechtzeitig bewältigt werden.
- Wiederaufbau der Industrieanlagen: Die deutsche Großanlagenbauer sind auf den Bau schlüsselfertiger Stahlwerke, Chemieanlagen, Düngemittelfabriken, Zementfabriken und Kraftwerke spezialisiert und leiden gegenwärtig unter einem dramatischen Auftragsschwund infolge der Asienkrise. Wenn nicht schnell neue Fabriken und damit Arbeitsplätze in Jugoslawien entstehen, droht bald die nächste Flüchtlingswelle: Hunderttausende von Serben, die in Jugoslawien keinen Lebensunterhalt verdienen können.
Es wird also ein großer Aufbauplan für die gesamte Region Südosteuropa benötigt, der seinen Namen verdient. Ein solcher Aufbau muß ohne IWF- und Weltbank-Auflagen erfolgen. Die Nationen müssen die Möglichkeit haben, für die in eigener Regie definierten Rekonstruktionsprojekte im Stile der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau oder über eine Nationalbank Kredit für Wiederaufbauprojekte zu schöpfen und so ihre nationalen Kapazitäten zu mobilisieren. Internationale Hilfsgelder müssen – mit einer Rechenschaftspflicht über ihre Verwendung – von den Regierungen in eigener Regie selbst verwaltet werden können. Humanitäre und internationale Organisationen dürfen dabei nur beraten, keinesfalls jedoch Entscheidungsstatus haben. Das ist die einzige Chance, daß tatsächlich schnell etwas bewegt wird und nicht wie im kriegszerstörten Bosnien die Bevölkerung ohne jede Perspektive bleibt.