Wirtschaftsoptimierung unter schwierigen Bedingungen

Prof. Dr. Hans Fischer hat sich in der DDR dafür eingesetzt, daß wichtige Bereiche der Wirtschaft, insbesondere die Energieversorgung, unter schwierigen Bedingungen funktionsfähig blieben. Wir veröffentlichen hier seinen Bericht über das Projekt „Produktions-/Transportregime Feste Brennstoffe“, woraus auch hervorgeht, wie unüberlegt es war, daß nach der Wende das produktive Potential vieler DDR-Betriebe und -Einrichtungen nicht genutzt, sondern achtlos abgebaut wurde.


Als rohstoff- und energiearmes Land, unter ständigen Embargomaßnahmen des Westens, und beeinträchtigt durch die Folgen nahezu alleiniger deutscher Reparationsleistungen, stand die DDR von Anfang an unter stärkstem wirtschaftlichen Druck. Folglich erhielten wissenschaftliche und technologische Methoden zur Aufwandssenkung in allen Bereichen der Volkswirtschaft hohe Priorität. Im Bereich der Energiegewinnung aus Braunkohle entstand das Staatsplanthema der DDR „Produktions-/Transportregime Feste Brennstoffe“ (PTR-FB).

Es lief in seiner ersten Stufe vom 1. Mai 1987 bis 31. Dezember 1988, in seiner zweiten Stufe vom 1. Januar 1989 bis 31. Dezember 1990.

Der Schaufelradbagger 1452 wurde 1961 vom VEB Schwermaschinenbau Lauchhammerwerk für die Braunkohleförderung hergestellt und war bis 2001 im Einsatz. Quelle: Wikipedia

Im Jahr 1986 wurde der Auftrag erteilt, das Produktions- und Transportregime Feste Brennstoffe als zweigübergreifende logistische Lösung aufzubauen. Das Hauptziel bestand in der jederzeit zuverlässigen und stabilen Brennstoffversorgung der Volkswirtschaft und der Bevölkerung unter allen Lagebedingungen. Im Vordergrund stand die Erhöhung der Versorgungssicherheit, insbesondere zur Vermeidung von Produktionsausfällen bei den Hauptverbrauchern.

Mit diesem Projekt wurden drei Hauptrichtungen verfolgt:

  1. Durch Umsetzung der Ergebnisse der Optimierung der Lieferbeziehungen für Festbrennstoffe mittels dem Programm Zugbildungsplanung für Verteilerzüge den Transportaufwand bedeutend zu senken und damit zu einer Entspannung der Verkehrssituation beizutragen.
  2. Durch Mitwirkung am Aufbau einer leistungsfähigen Kommunikationsinfrastruktur im Verkehrswesen Voraussetzungen für eine bessere Ausnutzung des Wagenparks der Deutschen Reichsbahn zu schaffen.
  3. Mit der Erstanwendung für Festbrennstoffe die Planmäßigkeit, Kontinuität und Effektivität die Kohleversorgung zu verbessern.

Zur Energiewirtschaft der DDR

Mitte der 80er Jahre war der Anteil der Energieträger am Primärenergieverbrauch der DDR wie folgt (in Prozent):

Braunkohle 69,4
Steinkohle 6,1
Erdöl 10,7
Erdgas 10,3
Kernenergie 3,3
Sonstige 0,2

Die jährliche Eigenproduktion von Energieträgern der DDR betrug:

Rohbraunkohle 320 Mio. t/Jahr
Erdgas 13 Mrd. m³/Jahr
Stadtgas 7,8 Mrd. m³/Jahr
Erdöl 100.000 t/Jahr

Die Dominanz der Braunkohle ist offensichtlich. Die erkundeten Vorkommen waren mit ca. 40 Mrd. t bedeutend, jedoch nur die Hälfte der Kohle war förderungswürdig. Die gewinnbare Kohle verteilte sich auf zwei große Reviere: etwa 11 Mrd. t lagerten im Lausitzer Revier (Senftenberg/Cottbus) und 7 Mrd. t im mitteldeutschen Revier (Halle/Leipzig).

Im Lausitzer Revier betrieb das Braunkohlenkombinat (BKK) Senftenberg 17 Tagebaue, 13 Brikettfabriken und mehrere Werkstattbetriebe. Das BKK Bitterfeld verfügte in den Bezirken Halle und Leipzig über 18 Tagebaue und 23 Brikettfabriken, eigene Kraftwerke und Werkstattbetriebe. Beide Kombinate beschäftigten je 50.000 Arbeitskräfte. Rund zwei Drittel der geförderten Rohbraunkohle wurden in Kraft- und Heizwerken verbrannt. Die frei werdende Wärmeenergie wurde in Elektroenergie umgewandelt, ein kleiner Teil in Fernwärmenetze eingespeist.

Die Werkbahnen im Lausitzer Braunkohlenbergbau. Quelle: LMBV

Achtzig Prozent der in der DDR erzeugten Elektroenergie stammte zu dieser Zeit aus Braunkohlekraftwerken (BKK). Die Inbetriebnahme neuer, leistungsstarker Kraftwerke wie das Kraftwerk Hagenwerder mit 500 MW und das Kraftwerk Boxberg mit bis zu 3520 MW ermöglichten die Steigerung der Elektroenergieerzeugung auf 23.000 MW.

Damit die großen Kraftwerke kontinuierlich arbeiten konnten, mußten ständig große Mengen Kohle zugeführt werden, allein das Kraftwerk Boxberg verbrauchte bis zu 100.000 t täglich. Rund ein Drittel der geförderten Rohbraunkohle wurde zunächst in 50 Brikettfabriken veredelt – Verdopplung des Heizwertes durch Wasserentzug und Verpressung. Diese Brikettfabriken produzierten zwischen 200.000 t und 5 Mio. t Briketts, insgesamt 50 Mio. t im Jahr. Etwa 10 Mio. t Briketts wurden weiter veredelt. Eine Hälfte davon wurde in Schwelereien zu Gas, Leichtöl und Teer, vor allem aber zu Schwelkoks verwandelt. Die andere Hälfte wurde mit einem in der DDR entwickelten und patentierten Verfahren – der Braunkohlen-Hochtemperatur-Verkokung (BHT) – bearbeitet. Aus Briketts entstand hochwertiger Koks, der dem Steinkohlenkoks ebenbürtig war.

Der wichtigste Veredlungsbetrieb war das Gaskombinat „Schwarze Pumpe“. Es erzeugte 87,5 % des Stadtgases der DDR, 40 % der Briketts und 100 % des BHT-Kokses. Dieser Koks kam als Rohstoff in der chemischen Industrie, bei der Roheisenerzeugung und in der Stahlindustrie zum Einsatz.

Deutsche Reichsbahn, ihr Streckennetz, ihr Leistungsvermögen in den 80er Jahren

Die Deutsche Reichsbahn war der Hauptverkehrsträger des Verkehrswesens der DDR.

Sie verfügte über ein flächendeckendes Streckennetz von 14.000 km, das von 4700 Anschlußbahnen und 1500 öffentlichen Be- und Entladestellen bedient wurde. Täglich verkehrten mehr als 8600 Güterzüge und 7000 Reisezüge.

Obwohl sich ca. 250.000 Beschäftigte der Reichsbahn bemühten, den steigenden Anforderungen der Volkswirtschaft gerecht zu werden, kam es öfter zu Verkehrsproblemen. Die Bahn lebte von der Substanz. Investitionen ins zweite Gleis und in die Streckenelektrifizierung hatten Vorrang. Die Betriebsführung wurde durch unzureichende Bereitstellung moderner Signal-, Sicherungs- und Kommunikationstechnik beeinträchtigt. Über zwei Drittel aller Stellwerke wurden vor 1945 erbaut. Rangierbahnhöfe waren überwiegend nicht als leistungsbestimmende Knotenpunkte ausgestattet. Im Jahr 1988 waren hauptsächlich durch Überalterung der Fahrzeuge, verbunden mit Mängeln in der Ersatzteilversorgung, 938 Diesellokomotiven, 100 Elektroloks und 14.800 Güterwagen nicht einsatzfähig.

Erschwert wurde die Gesamtsituation infolge der in den Jahren 1986/87 aufgetretenen Probleme mit alkaligeschädigten Betonschwellen (Schwellenaustausch!).

Es ist offensichtlich, daß zur Behebung der Vielzahl an Mängeln eine längere Zeit erforderlich war und bedeutende Investitionen bereit gestellt werden mußten. Eine kurzfristige Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Bahntransport war jedoch dringend geboten.

Die Neugestaltung der Lieferbeziehungen mit Hilfe eines mathematischen Modells zur Transportoptimierung sollte kurzfristig spürbare Fortschritte bringen. Das Verkehrsnetz der Reichsbahn war in Datenbanken verfügbar. Kapazitäten der Versender und der Bedarf der Empfänger waren in Plankennziffern festgelegt. So entstand ein mathematisches Modell folgender Größenordnung:

  • 40 Versandbahnhöfe
  • 5000 Empfänger
  • 14 Sorten Feste Brennstoffe
  • Optimierungsziel: Senkung des Transportaufwands, gemessen in Tonnenkilometern (tkm)

Die Testrechnung für ein Quartal des Jahres 1989 erbrachte eine Senkung des Transportaufwandes für Festbrennstoffe um 157 Mio. tkm, Die Optimierungsrechnung für das Folgejahr 1990 ergab die beachtliche Senkung des Transportaufwandes von 550 Mio. tkm und eine damit verbundene Frachtkostensenkung von 50 Mio. Mark der DDR. Die Ergebnisse flossen ein in ein bewährtes bahnspezifisches Programm, das die Anzahl der Wagenumstellungen für Verteilerzüge minimierte. Der Versand in Verteilerzügen erhöhte sich um 8,85 Mio. t/a. Das ergab eine Zunahme der bisher in Verteilerzügen beförderten Gutmenge im PTR-FB um 17 % und bei der Gutart Kohle/Koks um 11 %. Der Anteil der Gutmenge in Absender-Ganzzügen stieg im PTR-FB von 75 % auf 88 % und bei der Gutart Kohle/Koks von 77 % auf 85 %. Aus der Reduzierung der Umstellungen um 19,5 % und der Verringerung der durchschnittlichen Transportentfernung um 6,4 % ergab sich eine Verkürzung der Umlaufzeit der Güterwagen im PTR-FB von 4 Stunden. Und aus der Verkürzung der Umlaufzeit resultierte eine Freisetzung von ca. 560 offenen Wagen des arbeitenden Wagenparks.

Kraftwerk Boxberg, Luftaufnahme von 2019. Quelle: Wikipedia/Wolkenkratzer

Rechnergestützte Transport-Management-Informationssysteme im Eisenbahntransport

Das Projekt PTR-FB in Verbindung mit dem Projekt RWÜ (Rechnergestützte Wagenüberwachung) entsprach dem internationalen Trend zum Aufbau rechnergestützter Transport-Management-Informationssysteme in europäischen Eisenbahngesellschaften. Es entstanden:

  • das TS 90 bei der Bundesbahn,
  • das TIS bei der Österreichischen Bundesbahn,
  • das TMIS bei der Ungarischen Staatsbahn.

Zugleich bemühte sich der Internationale Eisenbahnverband (UIC) durch Normensetzung um die Paßfähigkeit der Informations- und Übertragungssysteme der europäischen Eisenbahngesellschaften (DOCIMEL, EDIFACT, HERMES). Ein wesentliches Element war dabei die Einbindung des Transportkunden in die Informationssysteme.

Mit dem PTR-FB wurde damit begonnen, logistische Prozesse und Informationssysteme für Massenguttransporte der Deutschen Reichsbahn zu entwickeln und in die Praxis einzuführen. Bei Erfolg war vorgesehen, ähnliches für Baustoffe, in der Eisen- und Stahlproduktion und für landwirtschaftliche Erzeugnisse zu entwickeln.

Eine grundlegende Voraussetzung für das Funktionieren logistischer Systeme dieser Dimension war die Verfügbarkeit hinreichend leistungsfähiger Systeme zur Verarbeitung und Übertragung von Informationen. Embargobestimmungen verhinderten die Beschaffung und den Einsatz international führender Technik für unser Projekt.

Es wurden große Anstrengungen unternommen, um im Zusammenwirken mit leistungsstarken wissenschaftlichen Einrichtungen auf eigener technischer Basis ein tragfähiges Datennetz im Bereich der Reichsbahn aufzubauen. Doch das brauchte Zeit. Bis zum Abbruch des Projekts lag immerhin eine detaillierte Struktur zur Gestaltung des Netzes vor. Der schrittweise Aufbau eines paketvermittelten Datennetzes im Verkehrswesen hatte zu wesentlichen Projektierungs-, Installations- und Betriebserfahrungen geführt.

Verbesserungen an Hard- und Software wurden vorgenommen. Schließlich gelang im Juni 1989 die Einrichtung eines Testzentrums im Trainingszentrum der INTERFLUG.

Mit dem  „Transport ohne Frachtbrief“-Verfahren wurde eine neue Basistechnologie für Abfertigungs- und Beförderungsprozesse im Eisenbahngütertransport der DDR eingeführt und zugleich Vorlauf für ein Projekt der europäischen Eisenbahngesellschaften geschaffen.

Im Rahmen des Projekts PTR-FB wurden weitere, bedeutungsvolle Aufgaben gelöst. Dazu gehörten: Ein rechnergestütztes Absatzleitsystem für Braunkohlenwerke, eine Datenbanklösung für Groß- und Spezialabnehmer, die Einrichtung rechnergestützter Versandstellen und Systemlösungen für PC-Verbund/TKE-Verbund.

Die Identifizierung von Wagen und Triebfahrzeugen stellte damals eine Schwachstelle bei allen größeren Transport-Management-Informationssystemen dar. Mit diesem generellen Problem der automatischen Fahrzeugidentifikation beschäftigte sich auch der UIC. Da im Rahmen unseres Projekts PTR-FB für die Leerwagenerfassung, ihre Übergabe und für Unterwegs-Informationen keine befriedigenden Lösungen gefunden wurden, hat die Projektleitung zusätzlich die Entwicklung und Erprobung einer Systemlösung zur automatischen Erfassung der Fahrzeugnummern (Triebfahrzeuge und Wagen) eingeleitet und unterstützt.

Mit Beginn des Jahres 1990 stellten sich erste Erfolge ein. Dennoch wurde das fortgeschrittene Projekt PTR-FB von der im März 1990 neu gewählten Regierung zum 30. Juni 1990 abgebrochen, ein halbes Jahr vorzeitig. Die Enttäuschung der ca. 200 Fachleute, die mehrere Jahre engagiert an diesem Projekt mitgearbeitet hatten, war sehr groß. Dennoch, allen Beteiligten meinen aufrichtigen Dank.

Von großem Gewicht für Gegenwart und Zukunft scheinen mir die gesammelten Erfahrungen bei der Gestaltung logistischer Prozesse zwischen Versendern, Verkehrsträgern und Empfängern zu sein. Ebenso unverzichtbar ist ein leistungsfähiges Datennetz.

Abraumförderbrücke F60 im Tagebau Jänschwalde. Quelle: Wikipedia/A. Gutwein

Einige autobiographischen Anmerkungen des Autors

Prof. Fischer

Prof. Dr. Hans Fischer, geboren am 4. September 1936 in Gera. Seit April 1969 wissenschaftliche Tätigkeit am Zentralinstitut für sozialistische Wirtschaftsführung in Berlin, wo vorrangig die Weiterbildung von Generaldirektoren und Stellvertretern der Wirtschaftsminister erfolgte. Mein Arbeitsgebiet war die Anwendung mathematischer Methoden und moderner Rechentechnik in der Wirtschaft der DDR. 1978 Promotion zum Dr. oec. und anschließende Berufung zum Dozenten. Danach Berufung zum Ordentlichen Professor für Anwendung mathematischer Methoden in der Ökonomie und Logistik.

Bereits im Sommer 1969 wurde ich zum Fotochemischen Kombinat Wolfen delegiert, um beim Aufbau der Magnetbandfabrik Dessau zu helfen. Meine Aufgabe war es, die Endkontrolle der Magnetbänder ohne Importtechnik zu verwirklichen. Zusätzlich oblag mir die Verhandlungsführung mit den Computerfirmen IBM und HONEYWELL. Nach Rückkehr zum Institut Mitwirkung im Zentralen Arbeitskreis „Angewandte Mathematik“ des Ministeriums für Wissenschaft und Technik.

Mit dem Ausbau der vorwiegend auf Braunkohle beruhenden energetischen Basis der DDR wurde der Transport zu den Endverbrauchern immer kritischer. Das Problem mußte gelöst werden. Das Staatsplanthema Kohletransportoptimierung hatte zum Ziel, das Kohletransport-Problem zu entspannen. Unserem Institut wurde die Koordinierung der Arbeit übertragen und mich hat man mit der Projektleitung beauftragt. Für meinen Anteil an diesem komplexen Problem erhielt ich einen Nationalpreis für Wissenschaft und Technik.

Am 3. Oktober 1990 wurde mir schriftlich mitgeteilt, daß die Bundesrepublik Deutschland meiner weiteren Mitarbeit nicht bedarf. Vorausschauend hatten wir bereits im Juni 1990 mit interessierten Fachleuten die ASCI Systemhaus GmbH gegründet, zu deren Hauptgeschäftsführer ich gewählt wurde. ASCI beschäftigte sich mit der Weiterbildung arbeitsloser Akademiker, mit der Entwicklung von Softwarekomponenten für den automatisierten Entwurf von Fahrplänen der Deutschen Reichsbahn und mit der Verkopplung heterogener Computernetze.

Mehrere Jahre unterstützten wir die Chinesische Staatsbahn bei der Übernahme und Anpassung unserer Fahrplansimulation an ihre Bedingungen.