Zum Leibnizjahr 2016: „Kennen Sie Gottfried Wilhelm Leibniz?“

„Die zentralsten, grundlegendsten und denkwürdigsten tieferen Wurzeln meiner heute erfahreneren Sicht gehen auf meine Reaktion auf die Beschäftigung mit Gottfried Leibniz’ Konzept der Monadologie seit meiner Jugend zurück.“ – Lyndon LaRouche

Der 300. Todestag von Gottfried Wilhelm Leibniz in diesem Jahr lädt zu der Frage ein, was der Grund für den Wechsel zwischen Blütephasen der Gesellschaften und ihrem Untergang sein könnte.


Gottfried Wilhelm Leibniz, Porträt von Christoph Bernhard Francke, um 1700 | Quelle: Wikimedia

Obwohl man heute oft meint, Blüte und Untergang von Zivilisationen kämen und gingen wie die Jahreszeiten, war Leibniz nicht dieser Ansicht. Er wuchs in den Trümmern von Städten, Dörfern und Bauernhöfen auf, die der 30jährige Krieg (1618–1648) übrig gelassen hatte, durch den etwa ein Drittel der europäischen Bevölkerung umkam. Er teilte nicht unsere heutige liberale Sicht, daß Zufall oder Schicksal über die Zukunft von Gesellschaften entscheiden und daß man ohnehin nichts ändern könne. Da der Trend unserer westlichen Welt gegen ihr Überleben spricht, da wir uns sowohl durch einen allgemeinen Finanzkrach als auch durch einen Weltkrieg zu vernichten drohen, lohnt es sich, sich intensiv mit dem Leben und Werk von Leibniz zu beschäftigen, wenn wir unseren verhängnisvollen Kurs herumreißen wollen.

Denn Leibniz inspirierte so viele Zeitgenossen und Nachfahren, daß er ohne Übertreibung als Quelle unserer Idee eines moralischen Staates gelten kann. Warum kam es z. B. nach der Blüte der italienischen Renaissance im 15. Jahrhundert zum Absturz der europäischen Zivilisation, der in den Dreißigjährigen Krieg ausuferte? Hatte nicht die Renaissance damals eine Blüte der Wissenschaft hervorgebracht, waren Wirtschaftstätigkeit und Künste nicht erblüht und die Armut und Unbildung zurückgegangen, als man im Menschen das lebendige Abbild des höchsten Schöpfungsprinzips achtete? Sogar die Bürgerbeteiligung am Staat ließ Erinnerungen an die Athener Demokratie der Antike wach werden.

Doch keine einzelne Errungenschaft dieser Sternstunde der Menschheit zwischen finsterem Mittelalter und der Schwarzen Pest einerseits und den Religionskriegen und ihrer Barbarei im 16. und 17. Jahrhundert andererseits kann das Prinzip der Renaissance selbst ausreichend erklären. Inspiriert von den platonischen Ideen der menschlichen Vernunft, entdeckte man in der italienischen Renaissance, daß der Mensch neue Gesetze der Schöpfung entdecken und sie allen Menschen zunutze machen kann. Das Verhältnis zwischen Mensch und Kosmos wurde revolutioniert, und der Mensch sah sich nicht länger im Aberglauben als ein Opfer blinder Naturgewalten, sondern als einen Helfer des Schöpfungsprinzips.

Die Kaste der wenigen Herrschenden wollte aber nicht hinnehmen, nur „König unter vielen Königen“ zu sein, und verstärkte ab 1478 wieder die Verfolgungen durch die Inquisition, die in Hexenprozessen bis zu 60.000 Menschen hingerichtet haben soll und noch im 19. Jahrhundert ihr Unwesen trieb. Die Religionskriege und der Dreißigjährige Krieg löschten ähnlich wie die Pest im Mittelalter einen großen Teil Europas aus, weil sich ein führender Teil der Elite gegen die Ideen der Renaissance entschieden hatte.

Stehen wir heute wieder vor einem solchen epochalen Rückschritt?

Leibniz fordert die Oligarchie heraus

Mit dem Westfälischen Frieden 1648 hatten zwar humanistischere Kreise ein Ende des Dreißigjährigen Krieges erreicht, aber die Unterdrücker der Menschen, deren Machtzentrum Venedig war, gaben nicht auf. Gewiß kann sich heute keiner mehr die Zerstörungen dieses Krieges vorstellen, der weite Landesteile verödete, einen großen Teil der Bevölkerung Europas vernichtete und Landwirtschaft und Gewerbe nahezu erstickte. Vielleicht ist der heutige Vordere Orient ein Abbild dieses Grauens.

Mit Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) trat den Drahtziehern des Krieges ein Gegner entgegen, der die Ideen der Renaissance zu neuen Höhen führte, wie ein Prometheus der Menschheit neue Macht über die Natur erschloß und mit dieser ihr Überleben sicherte. In alle Bereiche der Gesellschaft griff er ein, um seine Vision einer allgemeinen Harmonie, einer Harmonia Universalis, zu verwirklichen. Kein schärferer Gegensatz ist denkbar als der zu seinem Zeitgenossen Thomas Hobbes (1588–1679), der für das entstehende britische Empire in den Fußstapfen Roms die Ideologie „Jeder ist des anderen Wolf“ prägte.

Im Gegensatz dazu sah Leibniz in den kreativen Möglichkeiten jedes Menschen, seinem Erfindergeist in Handwerk, Wissenschaft, Kunst oder Bergbau die Triebfeder des guten Staates und wurde dadurch zum Begründer der Wirtschaftswissenschaft. In seiner frühen Schrift Societät und Wirtschaft (1671) entwirft der damals 25jährige ein Programm, das wir heute vielleicht als Genossenschaft bezeichnen würden und das später in seine Bemühungen zur Gründung von Akademien der Wissenschaften mündete. Er schreibt:

„Monopolium wird verhütet, denn die Societät allezeit die wahren und billigen Preis geben will, ja vielfältig, noch wohlfeiler, in dem sie an den orthen selbst dahin geführet werden. Sonderlich aber wird verhindert das Monopolium der Kaufleute…und gar großes Reichthum der Kaufleute und gar zu große Armuth der Handwercksleute, welche sonderlich in Holland, alda der Kaufleute maxim, die Handwergsleute stets in armuth und arbeit zu unterhalten. Und warum sollen doch soviel Menschen zu so wenig anderer Nutzen arm und elend seyn. Ist also der ganze Zweck der Societät, den Handwergsmann von seinem Elend zu erlösen… Die Hauptregel der Societät soll seyn eine wahre Liebe und vertäglichkeit unter den gliedern zu stifften, nichts anziehendes hönisches verächtliches gegen den anderen sich mercken laßen.“

Für Leibniz steht dies mit der besten Ordnung der Schöpfung im Einklang, und darin findet er den naturrechtlichen Grund, warum der Staat dies anstreben sollte. Denn nach der Willkür der absolutistischen Herrscher war das Ergebnis ihrer Regierung mal Verfall und Elend, mal Fortschritt, wenn es dem Machtzuwachs und Ehrgeiz diente. Sie sahen sich aber kaum als Diener einer universellen Entwicklung. Leibniz bemerkte über seinen Grundsatz, „für das öffentliche Wohl zu arbeiten, ohne mich zu sorgen, ob es mir jemand dankt“, zur Begründung:

„Ich glaube, daß man damit Gott nachahmt, der sich um das Wohl des Universums sorgt, egal ob es die Menschen anerkennen oder nicht.“

Theorie und Praxis

Der Elfenbeinturm der Wissenschaft war nie Leibniz’ Zuhause. Gemäß seiner Grundüberzeugung, daß die Welt deshalb die beste aller möglichen Welten ist, weil sie zur Vervollkommnung fähig ist, will er selbst zum Nutzen der Gemeinschaft wirken. Er schreibt:

„Die Kunst der Practick steckt darin, daß man Zufällen selbst unter das Joch der Wissenschaft bringe. Je mehr man dieß thut, je bequemer ist die Theorie zu Practick.“

Auch wenn man kaum alle seine Erfindungen und Tätigkeiten überschauen kann, wird ein Ausschnitt helfen: Als 1682 die erste deutsche wissenschaftliche Zeitschrift in Leipzig erscheint, bilden die Beiträge von Leibniz die Voraussetzung, daß sie schon nach kurzer Zeit den Vergleich mit den Veröffentlichungen der englischen Royal Society und dem entsprechenden französischen Journal nicht zu scheuen braucht. Bereits im ersten Heft erschien von Leibniz ein Aufsatz zur Kreisquadratur, es folgten Beiträge zur Optik, zur Chemie, zur Diskontierungsrechnung und viele weitere zur Mathematik und Physik, darunter auch die erste Veröffentlichung des bereits in Paris entwickelten Infinitesimalkalkulus und Darlegungen über das wahre Kraftmaß. Mit ihnen wurde Descartes’ Bestimmung der Kraft widerlegt.

Zu den universellen Prinzipien und ihren mathematischen Werkzeugen, mit denen Leibniz der Menschheit viel größere Kraft über die verborgenen, nicht sichtbaren Kräfte der Natur erschloß, gehörten das Prinzip der geringsten Wirkung, das auch Max Planck für seine Entdeckungen heranzog, das Prinzip der Dynamik – vis viva oder lebendige Kraft genannt – und die Infinitesimalrechnung. Zu erwähnen ist auch seine Entdeckung des dualen Zahlensystems der binomischen Zahlen, das den Weg zur Entwicklung des Computers eröffnete, und durch die er selbst eine Rechenmaschine mit den vier Grundrechenarten erfand (siehe Abbildung).

Leibniz’ Vier-Spezies-Rechenmaschine – Original, um 1690. Quelle: Wikimedia

All dies floß ein in Leibniz’ Plan, in vielen Ländern wissenschaftliche Akademien zu errichten. Es gab zwar bereits in Frankreich und England solche Akademien, die die Wissenschaften des Landes förderten, aber da Deutschland in Hunderte Herrschaften zersplittert war und kaum eine eigene Sprache besaß, mußte er sich an die größten Königshäuser wenden. Den Zweck der Akademien sah er darin,

„Theorie und Praxis zu vereinigen und nicht nur die Künste und die Wissenschaften, sondern auch Land und Leute, Feldbau, Manufacturen und Commerzien, und mit einem Wort die Nahrungsmittel zu verbessern, über dies auch solche Entdeckungen zu tun, dadurch die überschwengliche Ehre Gottes mehr ausgebreitet, und dessen Wunder besser als bisher erkannt würden“.

Die letzte Begründung der angewandten Wissenschaft findet Leibniz nicht im Materiellen, sondern in der Metaphysik, d. h. in den Gesetzen einer universellen Harmonie, die das Materielle ordnet und die der menschliche Geist durch Hypothesen entdecken und sich nutzbar machen kann. „Der wahre Glauben ist nicht nur reden, ja nicht nur dencken, sondern practice dencken, das ist thun, als wenns wahr were.“ Wissenschaft wird ihm damit zum Gottesdienst, versteht man unter Gott das Prinzip, das fortwährend an seiner eigenen Höherentwicklung arbeitet.

Diese Vision eines aus den Trümmern des Dreißigjährigen Krieges erblühenden Vaterlandes und Europas führte ihn an viele Höfe.

Während er zu Hause in Hannover dem Kurfürsten als geheimer Rat diente und Vertrauter seiner Kurfürstin Sophie war, verbrachte er bis 1711 drei Jahre im Dienst der späteren Königin Sophie Charlotte von Preußen. Traf er 1700 erstmals mit Kaiser Leopold in Wien zusammen, erhielt er ab 1712 freien Zutritt zu ihm. 1711 traf er Zar Peter den Großen von Rußland und trug ihm sein Programm zur umfassenden Förderung der Wissenschaften vor. Er machte militärtechnische Vorschläge und erhielt Peters Zusage für Feldversuche zur Deklination des Magnetfeldes im Russischen Reich. Bis zum Kaiserhof von China dehnte sich sein Einfluß aus, indem Missionare, die mit dem chinesischen Kaiser Astronomie und Wissenschaften studierten, Anregungen von Leibniz erhielten. So sollten sie z. B. dem Kaiser seine Rechenmaschine schenken.

Nach vielen vergeblichen Bemühungen gelang es, die Akademien in Berlin und St. Petersburg zu gründen, was diesen Ländern großen Auftrieb gab.

Tote oder lebendige Materie?

Seine „Theorie und Praxis“ eröffneten der Menschheit größte Fortschritte. Zum Beispiel kannte der Mensch bis dahin nur tote Materie, die man durch die „Mechanik“ sich nutzbar zu machen suchte. Seit Archimedes beschäftigte man sich dazu mit dem Hebel, der schiefen Ebene und der Winde samt Keil und Schraube. Nur die Wirkung des Widerstandes der Körper wurde erforscht, aber nicht der Impuls, der ihre Bewegung auslöst. Streng nach der Methode des Empirismus, die jede andere Erkenntnis außer den Sinnen ablehnt und die bis heute mit Aristoteles, Isaac Newton, John Locke, René Descartes und ihren Nachfolgern weiterbesteht, leitete man aus dem beobachteten Verhalten von Körpern Gesetze ab.

Denis Papin mit seinem Druckzylinder (1689). Quelle: Wikimedia

Aber ist der Impuls, der Grund der beobachteten Bewegung, überhaupt mit Sinnen zu erfassen?

Vor allem René Descartes, der noch immer als Wissenschaftler geachtet wird, steht für die Unsinnigkeit des Ansatzes, wonach Körper nur durch Masse und Gewicht beschrieben werden. Descartes benutzte dazu den Begriff der „Bewegungsgröße“: Masse mal Geschwindigkeit.

Daraus folgt, daß eine Kugel mit 1000 kg Masse und 1 km/h Geschwindigkeit (Bewegungsgröße 1000) die gleiche Wirkung haben soll wie eine Kugel von 1 kg und 1000 km/h (auch Bewegungsgröße 1000). Die große Kugel von 1000 kg und 1 km/h wird aber an einer Mauer aufgehalten, während eine Kanonenkugel von 1 kg bei 1000 km/h sie zerstören kann. Die gleiche Bewegungsgröße ergibt also verschiedene Ergebnisse in der Wirklichkeit.

Leibniz dagegen verglich die sog. kinetische Energie, die ein 1 kg schwerer Körper frei setzt, wenn er 4 m tief fällt, mit der Arbeit, mit der ein 4 kg schwerer Körper auf 1 m gehoben wird. Dazu wandte er Galileos Gesetze des freien Falls an und entdeckte die besondere Proportionalität zwischen zurückgelegtem Weg und der benötigten Zeit. Er nannte dies die „lebendige Kraft“, die vis viva, des fallenden Körpers. Die Geschwindigkeit muß zum Quadrat erhoben werden: Kraft = Masse mal Geschwindigkeit zum Quadrat, und nicht nur Masse mal Geschwindigkeit, wie es Descartes und seine Schule behaupteten.

So entdeckte Leibniz neue Gesetze der Bewegung, die er die Wissenschaft der Dynamik nannte. Diese beschäftigt sich mit nicht sichtbaren Ursachen, die aber experimentell nachweisbar sind, während die Mechanik seit mehr als 2000 Jahren nur die sichtbaren Effekte untersuchte. Sein Denken richtete sich auf das zukünftige Ergebnis der Arbeit, es galt, die zukünftige Kraft der Bewegung zu messen. Das kann aber nur mit dem Geist geschehen, so daß er die Kraft zu Recht metaphysisch nannte, weil sie nämlich das Sichtbare aus dem Unsichtbaren heraus beherrscht und nur durch Hypothesen der Vernunft entdeckt und nutzbar gemacht werden kann.

Dies hatte auch großen Einfluß auf die Erfindung der Dampfmaschine. Sein früherer Bekannter Denis Papin beschäftigte sich intensiv und erfolgreich mit dieser Erfindung, und Leibniz unterstützte ihn in dem Versuch, beim Bau der ersten Vorläufer der Dampfmaschine die Kraft des Wasserdampfes zu konzentrieren. So konnte die vis viva Kräfte entfesseln, weil jene kleinen Wasserdampfteilchen um so mehr Kraft leisteten, je höher ihre Geschwindigkeit war. Das englische Konkurrenzmodell einer Dampfmaschine nutzte dagegen nur den Gegendruck der Atmosphäre, um mit Dampf Pumpen z. B. für die Entwässerung der Bergwerke zu betreiben. So wäre es nie zu Dampfschiffen oder Fahrzeugen gekommen, weil die Kraftintensität dazu nie ausreichte.

Newtons Royal Society unterdrückte Papin und seine Erfindung und verhinderte so fast hundert Jahre lang den Bau von Dampfschiffen und die industrielle Revolution, die dadurch ausgelöst wurde.1

In seiner Schrift Specimen Dynamicum bringt Leibniz seine überlegene Methode auf den Punkt:

„Außer den rein mathematischen Prinzipien, die der sinnlichen Anschauung angehören, muß man auch metaphysische gelten lassen, die allein im Denken erfaßbar sind… Ob wir dieses Prinzip als Form oder Kraft bezeichnen, darauf kommt es nicht an.“2

Kann die Seele der Renaissance heute wiederbelebt werden?

Eine große Faszination übte Leibniz durch die Entdekkung aus, wie die Kreativität in Lebewesen und im Kosmos wirkt und im Menschen willentlich beherrschbar wird. Die menschliche Kreativität war für ihn ein Naturgesetz wie die Gravitation oder das Prinzip des Lebens. Er erstaunte seine Zeit durch die Verbreitung der Idee der „Monaden“, was zunächst „ohne Teile sein“ heißt. Denn die Qualität des Einen ist ein entscheidendes Merkmal aller kreativen Entdeckung in klassischer Kunst und Naturwissenschaft.

Allerdings hob schon Leibniz hervor:

„Ich halte es für ausgemacht, daß… die geschaffene Monade der Veränderung unterliegt und daß diese Veränderung in jeder Monade kontinuierlich vor sich geht… Die Tätigkeit ihres inneren Prinzips kann als Streben bezeichnet werden.“3

Die Einheit umfaßt also einen kontinuierlichen Prozeß, wie ein Gedicht aus Strophen verschiedener Gedanken besteht, deren Einheit das kreative Denken bilden kann. Das gleiche findet sich in der klassischen musikalischen Komposition, wo Themen und Variationen einer Einheit zustreben, wie auch in der naturwissenschaftlichen Entdeckung, die sich durch viele Widersprüche und Paradoxe zur neuen Einheit oder Entdeckung durchringt.

Monaden drücken nach Leibniz durch Perzeption oder Wahrnehmung das gesamte Universum gemäß ihrem Blickpunkt aus. So vergleicht er Monaden mit den vielfältigen Perspektiven, unter denen eine Stadt von verschiedenen Standpunkten aus gesehen werden kann. Monaden seien die einzelnen Perspektiven des göttlichen Schauens der Welt, heißt es in den Metaphysischen Abhandlungen (§14).4

Lyndon LaRouche schreibt dazu:

„Wahre Wissenschaft ist nicht bloße Beobachtung und Beschreiben unseres Naturerlebens. Richtig verstanden ist sie ein zentrales Prinzip der Erkenntniskraft, welches das schöpferisch-wissenschaftliche und künstlerische Potential des Menschen von dem unterscheidet, was man als ,Geistseele’ der Tiere bezeichnen könnte… Wie ich in den Betrachtungen meiner eigenen Erfahrung zeigen möchte, hat Leibniz keineswegs übertrieben, als er dem Konzept der Monadologie solche Bedeutung zumaß.“5

Diese Idee drohte aber das gesamte tyrannische System, das die italienische Renaissance zerstört hatte, zum Einsturz zu bringen. Ideologisch stützen sich derartige Systeme auf Priester und Philosophen, die den Massen einreden, der Mensch sei nur ein intelligenteres Tier und könne die Geheimnisse des Universums grundsätzlich nicht erkennen.

Die englische Monarchie bot dazu außer dem Philosophen David Hume, den Mitarbeiter des englischen Handelsministeriums John Locke, den Ökonomen der kolonialistischen East Indian Company Adam Smith und den Chef der englischen Münze Isaac Newton auf. Ihr gemeinsames Fundament, ihr Axiom, besagt, der Mensch erkenne nur durch die Sinne des Hörens, Sehens, Fühlens, Riechens und Schmeckens, und aus der Kombination dieser Sinneswahrnehmungen werden wissenschaftliche Erkenntnisse abgeleitet. Für sie gibt es auch keine Ursachen in der Natur, die sich ja nie „anfassen“ lassen, und Isaac Newton, die Ikone der heutigen Naturwissenschaft, soll durch den Fall eines Apfels auf seinen Kopf das Problem der Anziehung von Massen erkannt haben.

Laut Adam Smith, dem Abgott heutiger Ökonomen, braucht der Mensch sich überhaupt nicht um die Folgen seines Handelns kümmern, was unsere heutigen Wirtschaftsgrößen durchaus ernst nehmen. Smith schreibt in seiner Theory of Moral Sentiment (dt. „Theorie der ethischen Gefühle“):

„Die Natur lenkt uns zum Großteil durch unmittelbare Instinkte wie Hunger, Durst, die Leidenschaft der Vereinigung der Geschlechter. Die Freude an Lust und die Angst vor Schmerzen veranlassen uns, sie um ihrer selbst willen anzuwenden, ohne uns um ihre Folgen zu kümmern. Die Sorge um das allgemeine Glück der Menschen… ist die Sache Gottes und nicht der Menschen.“

War es das Ziel der Oligarchie und ihrer Inquisition, tierähnliche Untertanen zu züchten, so hat die ausschließliche Lehre dieser Ideologie an Universitäten und Schulen heute ganze Arbeit geleistet. Den Geist, die erkennende Seele, gibt es dort überhaupt nicht mehr, und diese wird sogar verleumdet, so daß kaum noch umwälzende neue Erkenntnisse wie z. B. die Planetengesetze Keplers, die Monaden oder Einsteins Relativitätstheorie erfunden werden, denn man darf ja nur von Gegebenem aus ableiten. Die schöpferische Idee wird zum Phantom erklärt, wie es auch in unserem Zeitgeist heute geschieht.

Leibniz und das Feuer der Entdeckung

Leibniz dagegen stellte sich in die Tradition des großen deutschen Astronomen Johannes Kepler (1571–1630), um die Barbarei von Kriegen und die Verdummung der Menschen zu überwinden. Dieser hatte gerade die gesamte Astronomie der letzten Jahrhunderte umgeworfen, weil er eine physikalisch wirkende Ursache im Sonnensystem annahm. Bis dahin waren die Bewegungen unserer Planeten nur durch geometrische Näherungen erklärt worden. Auch glaubte man seit Euklid (3. Jh. v. Chr.), die kleinste Wirkung im Universum sei die Nahwirkung auf einer geraden Linie zwischen zwei Punkten (was auch heute noch nicht ausgeräumt ist). Doch die Planeten am Himmel laufen auf Bahnen, die nicht gleichförmig sind. Sie können daher nicht durch Kreisberechnungen erfaßt werden, was bis zu Kepler die vorherrschende Methode der Astronomie war. Außerdem verändert sich auf dem Weg der Planeten ebenfalls ungleichmäßig deren Geschwindigkeit.

Kepler hatte dieses Rätsel lösen können, indem er von der Ursache eines dynamischen, sich verändernden Universums ausging, welches der Mensch als ein harmonischer Teil des Ganzen durch seine gottgegebene Vernunft verstehen lernen könne. Kepler und nach ihm Leibniz trugen so nicht nur neue Erkenntnisse zum Wissensschatz der Menschheit bei, sondern sie definierten die Rolle des Menschen im Universum neu: Die Qualität der Vernunft erlaubt es, nicht sinnlich Faßbares durch Hypothesen experimentell zu beweisen, zu beherrschen und so das Überleben der Menschheit zu sichern.

Die anti-mathematischen, anti-geometrischen, weil physikalischen Eigenschaften der Planetenbewegungen zeigt auch die „natürliche“ Kettenlinie (siehe Abbildung), die der größte Mathematiker der damaligen Zeit, Johann Bernoulli, und Leibniz für ihre Lösung dieser Naturphänomene nutzten. Jedermann ist eingeladen, das verblüffende Verhalten der Kettenlinie an einer Holz- oder Styroporwand mit frei hängenden Ketten selbst auszuprobieren. „Stört“ man z. B. das Gleichgewicht an irgendeiner Stelle und hebt die Kette an, wird sie stets versuchen, sich gleich wieder zu einer Kettenlinie zu formen.

Stört man das Gleichgewicht einer Kette an irgendeiner Stelle, d. h. hebt man sie zum Beispiel an einer Seite an, wird sie stets versuchen, sich gleich wieder zu einer Kettenlinie zu formen.

Warum wird diese Form immer wieder ganz natürlich erzeugt – sogar unabhängig vom Material? Wie kommt es zu diesem Gleichgewicht und dieser gleichmäßigen Spannung? Welches unsichtbare Prinzip beherrscht jedes einzelne Kettenglied? Wer diese Fragen beantworten will, stößt auf die nichtlineare, beinahe lebendige Wirkung, die unser Universum überall ausübt und die eine große Ähnlichkeit mit der ungleichmäßigen, aber dennoch geordneten Bewegung der Planeten hat. Auch beim Weg des Lichts durch dichter werdende Medien fragt man sich: Wie weiß der Lichtstrahl, daß er diese nicht-mathematische Krümmung nimmt – was weiß er, was wir nicht wissen?

Viele Forscher hatten bis dahin versucht, das unberechenbare Verhalten der Kettenlinie mathematisch zu erfassen, indem sie wie Galileo Galilei meinten, sie verhalte sich wie die geometrische Kurve der Parabel, die nach einer mathematischen Formel berechnet werden kann. Die Natur läßt das aber nicht zu, und dies offenbart auch den Denkfehler der Empiristen. Bei der Erforschung der Natur gehen sie nur von Sinneserfahrungen und deren mathematischen Ausdrücken aus – und nicht von der Vernunft. Sie handeln nach dem Motto: „Erst kommt die Mathematik und die Geometrie, dann die Realität.“ Dieser Irrtum wird durch die Computerentwicklung heute immer mehr gesteigert.

Leibniz rückt davon deutlich ab, als er 1678 in einem Brief schrieb:

„Ich erfreue mich an der Mathematik nur insoweit, als ich in ihr Spuren der Kunst des Erfindens erkenne. Aus meiner Liebe zur Metaphysik habe ich ihre Hürden genommen, denn Metaphysik unterscheidet sich kaum von der Kunst des Erfindens im Allgemeinen. Denn die Idee Gottes enthält absolutes Sein, d. h. auch das, was in unseren Gedanken ist, aus dem alles, was wir denken, entsteht.“

Auf dem Weg der Lösung

Leibniz geht daher den entgegengesetzten Weg: Wo die Mathematik mit der Realität nicht mithalten kann, muß sie weiterentwickelt werden. Dies führte ihn zur Integral- und Differentialrechnung. Mit Leibnizschem Denken können wir den wahren Ursprung des Integrals und Differentials erkennen, den unsere Schulbildung meist versperrt hat. Johann Bernoulli, der mit Leibniz an der Lösung dieses Problems zusammenarbeitete, nannte die Kettenlinie das Integral, Ausdruck eines wirkenden Prinzips, und die kleinsten Veränderungen der Glieder Differential. Beide sind Schatten eines unsichtbaren physikalischen Prozesses, so wie die Planetenbahnen oder der Weg des Lichtes durch ein veränderliches Medium nur Schatten ihrer unsichtbaren Ursache sind.
Zwischen einer untersuchten Kurve und einer Tangente in einem ihrer Punkte werden immer kleiner werdende Dreiecke konstruiert, sog. Differentiale, die ins Unendliche streben (siehe Abbildung). Dieses Differentialkalkül wurde von Leibniz in einer Formel ausgedrückt, so daß man erstmals mit unendlich kleinen, nicht sichtbaren Größen genauso rechnen konnte wie mit endlichen. Bernoulli lobte die Methode von Leibniz, weil sie Lösungen erbringe, die bisher verspottet wurden und nicht geleistet werden konnten.

Das Prinzip des Differentials: Die Figur zeigt einen Kreis, an dem in Punkt P eine Tangente gezeichnet ist. Aus QR, PR und PQ wird ein rechtwinkliges Dreieck gebildet. Die Dreiecke PST und PQR entsprechen einander, d. h. TS : SP = RQ : QP. Deren Verhältnis bleibt konstant, auch wenn TS und SP gegen unendlich kleine Werte dy und dx streben, also als infinitesimale Größen gedacht werden. Das Verhältnis der beiden Strecken dy und dx ist aber gerade die gesuchte Steigung der Tangente und damit eine für die Kurve ausschlaggebende Größe.

Doch um das Verständnis dieser Entdeckung tobte von Anfang an ein Konflikt, der mit dem Verständnis der Monaden vergleichbar ist: Sind Monaden Ausdruck kontinuierlicher Veränderung, die die Entwicklung des Kosmos widerspiegeln, oder sind sie fixe, wenn auch unendlich kleine Dinge? Es bedarf keiner Erklärung, daß alle Empiristen, die nur Sinnesobjekte anerkennen und keine Ursachen außerhalb der Sinnenwelt zulassen, das unendlich Kleine als eine fixe Größe statt eines Schattens einer Entwicklung als fixe Größe mißverstehen und dies bis heute an allen Schulen und Universitäten lehren. Wir verdanken es LaRouche, daß er das physikalische Verständnis von Leibniz, Einstein und Max Planck wieder einführt, um den Kalkulus als Ausdruck der Veränderung jenes Prozesses zu verstehen, dessen Schatten wir in der gesuchten Veränderung der Kurve finden.

Schon Leibniz mußte sich gegen das genannte Mißverständnis wehren und wies es energisch zurück:

„Das unendlich Kleine und Große kann man immer als beliebig Kleines oder Großes ansehen, so daß der Ausdruck stets nur eine Gesamtgattung, nicht aber ein einzelnes letztes Glied bezeichnet.“6

Man beachte, daß „Gesamtgattung“ eine nichtsinnliche Erkenntnis voraussetzt und kein „Ding“ der Sinne sein kann, so daß wir hier wieder an die Idee der Monaden erinnert werden können.

Diese Entdeckung erlaubte erstmals, Bewegungen aller Art zu berechnen, und weitete damit die Macht des Menschen über die Natur enorm aus. So löste Leibniz die Herausforderung der Kettenlinie sowie Kurven aller Art, und seine Methode erlaubte es z. B. dem 24jährigen Carl Friedrich Gauß um 1801, die von vielen Forschern vergeblich gesuchte Bahn des Asteroiden Ceres auf Grundlage von nur drei Beobachtungsdaten zu entdecken. Heute können wir auf diese Weise die Himmelskörper und unsere Flugkörper im Weltraum so genau berechnen, wie es die Landung der Sonde Philae auf dem Kometen Tschurjumow-Gerassimenko demonstrierte: Sie war über zehn Jahre etwa 6,4 Mrd. km auf vielen Schleifen um andere Himmelskörper unterwegs.

So erhielt die Menschheit Einfluß auf die Zukunft, die selbst kein Gegenstand der Sinne ist, aber von unsichtbaren Ursachen bestimmt wird, die durch die Vernunft erkannt werden können. Leibniz sieht sie bestimmt durch die unendliche Fähigkeit zur Verbesserung des Universums, und nicht durch das Stoßen und Ziehen von kleinsten Atomen auf kürzesten geraden Strecken, wie der materialistische Standpunkt es bis heute vorherrschend vertritt. So ist es kein Zufall, daß er Platons Sokrates zu dieser Frage wörtlich zitiert.

Er schreibt in Über das Kontinuitätsprinzip:

„Vortrefflich hat dies schon Sokrates in Platons Dialog Phaidon bemerkt, indem er gegen die allzu materialistischen Philosophen zu Felde zieht, die zwar ein der Materie übergeordnetes Verstandesprinzip anerkennen, ´sich seiner aber bei der philosophischen Erklärung des Universums nicht bedienen. (Ähnlichkeiten mit den Lehren unserer Kirchen heute sind nur zufällig.)

Wozu zu zeigen wäre, daß der Geist alles aufs Beste ordnet und daß Er der Grund aller Dinge ist, … während sie lieber zur Bewegung und zum Stoß der rohen Körper (!) greifen, indem sie die bloßen Bedingungen und Werkzeuge mit der wahren Ursache verwechseln.“ [Hervorhebungen hinzugefügt.]

Leibniz schreibt weiter:

„Das ist – sagt Sokrates – wie wenn einer Rechenschaft davon geben wollte, daß ich hier im Gefängnisse sitze und den verhängnisvollen Kelch erwarte, statt, wie ich gekonnt hätte, zu flüchten – und er dann sagte, dies geschehe darum, weil ich Knochen, Bänder und Muskeln hätte und diese so gestreckt wären, wie es zum Sitzen erforderlich ist. Jene Knochen und Muskeln aber wären wahrhaftig nicht hier, … hätte nicht der Geist das Urteil gefällt, es sei des Sokrates würdiger, den Gesetzen zu gehorchen. Diese platonische Stelle verdient in ihrem ganzen Umfang gelesen zu werden, da sie gründliche und außerordentlich schöne Gedanken erhält.“7

Unmißverständlich ruft Leibniz dazu auf, bereit zu sein, im Kampf gegen die Unterdrücker der Wahrheit und der Menschen auch hohe Opfer zu bringen.

Leibniz inspiriert die Amerikanische Revolution…

Die Reaktion antwortete auf den wachsenden Einfluß von Leibniz durch immer heftigere Intrigen und Verleumdungen, die bis heute wirken. Zu dem dramatischsten Konflikt, der die Zukunft der Menschheit beeinflussen sollte, kam es in England. Immer mehr Engländer und andere Europäer flohen vor der Unterdrückung in die neue Welt nach Amerika, wo 1629 die „Massachusetts Bay Colony“ im heutigen Boston entstand. Dort lebte der Geist der Freiheit, der freien Religionsausübung und Selbstregierung auf, und Leibniz stand in Korrespondenz mit Verantwortlichen der Kolonie. Währenddessen verlagerte das, was Leibniz das „Monopolium“ nannte, sein Zentrum von Venedig nach Holland und von dort nach England. In Form der holländischen West India Company, die bis zu 220.000 Sklaven verkauft haben soll, und der englischen East India Company, die später auch mit Opium handelte, hatten sich Pirateninteressen zusammengeschlossen, die den Staat als ihr Privateigentum sahen – so wie wir es heute wieder in der Globalisierung und den Freihandelsverträgen (TTIP) in der Tradition von Adam Smith erleben. Die Krise in England zwischen patriotischen Kreisen einerseits, die ihr Land verbessern wollten und die den Kolonien Grundrechte der Selbstverwaltung gegeben hatten, und den internationalen Finanzinteressen andererseits kam zu einem Höhepunkt, als 15.000 holländische Soldaten 1688 im Auftrag der Plünderer in England einfielen und Wilhelm von Oranien an die Macht brachten.

Von Spekulationsorgien profitierten diese Kreise ebenso wie durch die Kriegsschulden für Kriege, die sie anzettelten, und stürzten Hunderttausende in Tod, Armut und Elend. Sie widerriefen auch die Charta der Grundrechte ihrer Kolonien in Amerika, durch die sich die Siedler bis dahin selbst regieren konnten, unabhängig von der königlichen anglikanischen Staatskirche waren und ihre eigene Gerichtsbarkeit ausübten. Der Zweck war, die Kolonien noch mehr auszuplündern, was letztlich 1776 die Unabhängigkeitserklärung aller Kolonien provozierte.

Dieser absolutistischen Sicht von Staat und Gesellschaft drohte aber eine große Gefahr. 1701 hatte das englische Parlament beschlossen, daß das Haus Hannover nach dem Tod der regierenden Königin Anne den Thron besteigen solle. So wurde gerade die Förderin von Leibniz, Kurfürstin Sophie von Hannover, zur Thronanwärterin, und ihr Geheimrat und Vertrauter Leibniz hätte im Falle ihrer Krönung in London großen Einfluß gewonnen. Man kann sich gar nicht ausmalen, welche Intrigen und Vertragszusätze die Empire-Fraktion unternahm, um zu verhindern, daß England eine menschenfreundliche Richtung einschlug und gar eine universelle Harmonie, die friedliche Allianz souveräner Länder, zu seiner Politik machte.

Zu dieser glücklichen Wende für die Menschheit kam es jedoch nicht, weil Kurfürstin Sophie vor Queen Anne starb und dann ihr Sohn als Georg I. König wurde. Dessen Vorbild war aber der Eroberer Englands, Wilhelm von Oranien, der das Reich für private Interessen ausnahm und Ideologen wie John Locke und Adam Smith gegen die Ideen der Selbstregierung und Schaffung einer Gemeinwohlzukunft für die Nachkommen freie Bahn gab. König Georg I. fühlte sich in deren Lager wohl und interessierte sich mehr für die Jagd als für das Wohlergehen seiner Untertanen.

Dennoch lebt der Kampf bis heute fort, ja, durch den gegenwärtigen Zerfall der globalen Spekulationskasinos flammt er um so stärker wieder auf. Leibniz hatte immer wieder die Glückseligkeit des Einzelnen in der Aufgabe gesehen, den Schöpfungswillen der kosmischen Ordnung nachzuahmen, „wie Gott sich um das Universum sorgt“. Die Vordenker der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 hatten Zugang zu den Ideen von Leibniz, die nach seinem Tod 1716 geächtet und verleumdet wurden. Sein letztes Werk, Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, in denen er John Lockes tierisches Menschenbild widerlegt, gelangte auf abenteuerlichem Weg in die Hände von Benjamin Franklin, der die US-Verfassung mitverfaßte. In den zahllosen Debatten über die richtige Verfassung trug die Idee der Glückseligkeit, wie sie Leibniz geprägt hatte, den Sieg davon, und sie steht seit 240 Jahren in der Unabhängigkeitserklärung:

„Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit.“8

Die entscheidenden Autoren wußten genau, was sie taten, denn John Locke hatte zuvor bereits die Verfassung der Kolonie South Carolina geschrieben und darin anstelle des „Strebens nach Glückseligkeit“ das „Recht auf Besitz“ verankert. Dies bedeutete auch den Besitz von Sklaven, und das führte zu einem großen Konflikt in der verfassungsgebenden Versammlung in Philadelphia, wo die Sklavenhalter dies auch in der Bundesverfassung durchsetzen wollten – was ihnen nicht gelang.

Die Gegenrevolution ist heute aber so weit vorgedrungen, daß Locke in den USA allgemein als Ideengeber der Verfassung hingestellt wird, und das Aktionärswohl – was nur ein moderner Ausdruck für Sklavenhaltung ist – über die Verfassung zu triumphieren droht. Vom Ausgang der Schlacht um die Schließung der Wall Street durch das Trennbankengesetz hängt also weit mehr ab als bloß eine finanztechnische Bereinigung, sondern vor allem, ob und wie es zu einer neuen amerikanischen Revolution im Sinne von Leibniz kommt, so daß die USA wieder zum Leuchtturm der Freiheit für die Welt werden.

… und die Deutsche Klassik

Der Tod von Leibniz 1716 löste bei der Oligarchie Erleichterung aus, da sie meinte, daß nun sein Einfluß schwinden würde. Ein Vorstoß kam aus der von Leibniz selbst mitgegründeten Akademie der Wissenschaften in Berlin, wo man versuchte, durch einen Aufsatzwettbewerb seine ungeliebten Ideen zu zerstören. Bekannt ist bis heute auch die Verhöhnung von Leibniz durch Voltaire, der am Berliner Hof sehr einflußreich war und in seiner Satire Candide Leibniz der Lächerlichkeit preisgab. Selbst heutzutage, 300 Jahre nach seinem Tod, finden noch Aufführungen von diesem Stück als Musical statt, die einen Einblick in die höllischen Phantasien der Leibnizgegner getreu nach John Locke und Adam Smith geben.

Dieser Zerstörung der Anfänge einer möglichen deutschen Renaissance stellten sich jedoch zwei junge Männer in Berlin entgegen, Moses Mendelssohn und Gotthold Ephraim Lessing. Unter Tarnnamen verfaßten sie 1754 die Schrift Pope ein Metaphysiker! zur Verteidigung von Leibniz gegen die Angriffe aus der Akademie und polarisierten damit Berlin. Mendelssohns Verehrung für Leibniz findet jeder in seiner sehr lesenswerten Schrift Phaidon, oder über die Unsterblichkeit der Seele von 1767.9 In ihr bearbeitet Mendelssohn den o. g. Dialog Platons, Phaidon, vom Standpunkt der Philosophie von Leibniz. Das Echo darauf war so groß, daß Mendelssohn danach auch als „Sokrates von Berlin“ bekannt wurde.10

So leisteten Mendelssohn und Lessing einen wichtigen Beitrag für eine deutsche Renaissance, die ihren Höhepunkt einige Jahrzehnte später in den Werken der Klassik Goethes, Schillers und Beethovens und dem Aufblühen der deutschen Naturwissenschaften fand. Denn Lessing hatte einen wichtigen Verbündeten in seinem Lehrer und Naturwissenschaftler, Abraham G. Kästner, der auch mit den Verschwörern der Amerikanischen Revolution im Austausch stand und den 1766 Benjamin Franklin in Göttingen besuchte.11 Später unterrichtete Kästner in Göttingen auch Carl Friedrich Gauß. Gauß schuf dann die Durchbrüche der Mathematik in der Tradition von Leibniz, die zur Grundlage für den Mathematiker Bernhard Riemann und den Physiker Albert Einstein und ihre Revolutionen wurden.

Sie alle aber bekamen in unterschiedlicher Weise den Haß der Oligarchie zu spüren, die ihre Leistungen für den Fortschritt der Menschheit fürchtete und immer noch fürchtet. Leibniz und Schiller teilten sogar nach ihrem Tod ein ähnliches Schicksal: Kein Vertreter des Hofes oder Adels nahm an ihren Beerdigungen teil. Um so mehr gilt es, die unsterbliche Bedeutung ihrer Werke zu erkennen und im Interesse der Menschheit in ihrem Geist eine neue Renaissance zu schaffen.

Fußnote(n)

  1. http://schillerinstitute.org/educ/pedagogy/steam_engine.html[]
  2. „Specimen Dynamicum“, G. W. Leibniz, in: Hauptschriften der Philosophie
    Bd. I, F. Meiner Verlag, S. 270.[]
  3. G. W. Leibniz, Monadologie, §10,15. Verlag Reclam.[]
  4. G. W. Leibniz: Metaphysische Abhandlungen, F. Meiner Verlag.[]
  5. Lyndon LaRouche, „Meine frühe Begegnung mit Leibniz: Über die Monadologie“, Neue Solidarität, Nr. 14, 2008.[]
  6. G. W. Leibniz, Hauptschriften Bd. I., S. 97, Fn. 71.[]
  7. G. W. Leibniz „Über das Kontinuitätsprinzip“, in: Hauptschriften der Philosophie Bd. I, S. 84.[]
  8. Vgl. David Shavin, „Leibniz, Franklin und die Amerikanische Revolution: Für das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit“, Neue Solidarität 31–35/2015.[]
  9. Moses Mendelssohn, Phaidon, F. Meiner Verlag.[]
  10. Siehe auch Toni Kästner, „Moses Mendelssohn war kein Heiliger, seine Größe lag in seinem Mensch sein“, Neue Solidarität Nr. 24/2007.[]
  11. Siehe http://www.schillerinstitute.org/educ/hist/eiw_this_week/2016/0208-inalienable_rights.html. Außerdem: rororo Monographie Gottfried Wilhelm Leibniz.[]